Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Themen des Neuen Testaments
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Bastler
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#141 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Bastler » Mo 3. Nov 2014, 21:45

Bei diesen Datierungsfragen habe ich festgestellt, dass es überhaupt nichts Sicheres gibt. 1000 verschiedene Theologieprofessoren erzählen 1000 verschiedene Gründe, warum IHRE Datierung die richtige sei. Und dann denkt man, dass das eine Frage des Kenntnisstandes sei. Aber nix da. Über die Vorgänge im 1. Jahrhundert kann man heute nur mühsam etwas herausfinden. Und das, was man dann herausgefunden hat, sind bestenfalls Indizienargumente.

Normalerweise richtet sich die Evangeliendatierung auch nur sehr oberflächlich an Daten (wie z.B. Tempelzerstörung oder Erwähnung durch Papias) aus.
Jeder Professor will sein theologisches Verständnis und seine ideologischen Steckenpferde begründen. Mehr ist angesichts der Quellenlage sowieso nicht drin.

Datiert jemand ein Evangelium spät? Na, dann will er wohl zeigen, dass sowieso jeder Text gründlich und in langer Zeit durch die Gemeinden verarbeitet, überformt, korrigiert und redigiert wurde. Jede Aussage über Jesus, all seine Aussprüche sind also nur indirekte Sätze. Der historische Jesus sei noch mal ganz anders gewesen.

Datiert jemand ein Evangelium früh? Dann will er wohl zeigen: Alles ganz direkt aufgeschrieben, völlig authentisch! Die Augenzeugen haben mit-stenografiert. Es war alles genau so, wie es im Evangelientext beschrieben ist. Und darum hat es absolute, unhintergehbare Autorität. Wir hören sozusagen Jesus im Originalton.

Dieses ganze Gezänk hinterlässt bei mir wenig Eindruck, weil die Texte - egal ob direkt von Augenzeugen oder erst später geschrieben - immer sehr weitläufig interpretierbar sind. Interessanterweise sind sich gerade Biblizisten, die jedes Wort für authentisch halten, trotz aller Direktheit und Wortwörtlichkeit uneinig, manchmal sogar spinnefeind.

Ich halte mich lieber an den vorliegenden Bibeltext, ohne dabei nachzufragen, wann er geschrieben wurde. Eine biblische Aussage hat auf mich sowieso nur Auswirkung, wenn sie eine Glaubensfrage beantwortet oder ein Glaubensthema (wie ein schönes, neues Gelände) eröffnet. Wenn ich die Wahrheit herausspüren kann, dann wird der Text für mich bedeutend. Wenn er einem Glaubensanliegen Worte verleihen kann, die ich niemals so ausdenken könnte, dann ist es um so besser. Ob dieser Text dann direkt dem Munde Jesu entrissen ist, oder ob sich jemand anderes daran zu schaffen gemacht hat (z.B. indem er Jesus Worte in den Mund legt), oder ob jemand anderes solche Worte ganz aus eigener Kraft hervorgezaubert hat, ist für mich dann egal. Schließlich will ich beim Bibellesen keinen historischen Abriss, sondern Futter für meinen Glauben.

Wahrscheinlich ist diese meine Einstellung nur deshalb bei mir so, weil ich insgesamt mit Autoritätsargumenten nichts anfangen kann. Wenn ein Text gut ist, dann ist er es. Und dabei ist es dann egal, ob es sich um ein Wort Jesu, um das Wort eines Heiligen, eines Philosophen oder ein weises Wort von Erna Müller handelt. (Erna Müller: Stallgasse 24, Betlehem - direkt gegenüber dem Stall in Stallgasse 22, wo bekanntlich Ochs und Esel sich eine Futterkrippe teilen).

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Münek
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#142 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Münek » Mo 3. Nov 2014, 23:06

Bastler hat geschrieben:Bei diesen Datierungsfragen habe ich festgestellt, dass es überhaupt nichts Sicheres gibt. 1000 verschiedene Theologieprofessoren erzählen 1000 verschiedene Gründe, warum IHRE Datierung die richtige sei. Und dann denkt man, dass das eine Frage des Kenntnisstandes sei. Aber nix da. Über die Vorgänge im 1. Jahrhundert kann man heute nur mühsam etwas herausfinden. Und das, was man dann herausgefunden hat, sind bestenfalls Indizienargumente.

1000 Theologieprofessoren, 1000 unterschiedliche Auffassungen - diese Feststellung ist natür-
lich - mit Verlaub - schlichter Unsinn.

Auch in Datierungsfragen herrscht in der neutestamentlichen Forschung an den theologischen Fa-
kultäten, in denen die historisch-kritische Exegese Standard ist, ein breiter Konsens, z.B. darüber,
dass die Evangelien frühestens ca. 40 Jahre nach Jesu Tod geschrieben worden sind.

Die ganz wenigen Theologen, die frühere Abfassungszeiten bevorzugen, stehen nach meiner unmaß-
geblichen Ansicht in dem Verdacht, ihrer wissenschaftlich-historischen Aufgabe nicht gerecht zu wer-
den, weil sie in ihre Überlegungen wissenschaftsfremde (z.B. Glaubens-) Aspekte einfließen lassen.

Typisches Beispiel ist der emeritierte Theologieprofessor Klaus Berger, der fast fundamentalistisch
argumentiert (ich habe mir drei Interviews angesehen und Ausschnitte seines populären Buches im In-
ternet gelesen), aber sich ehrlicherweise selbst als Außenseiter bezeichnet.


Historische Fragen haben mit persönlichen Glaubensvorstellungen absolut nichts zu tun. An dieser
Selbstverständlichkeit haben manche Gläubige augenscheinlich schwer zu knacken. Gehörst Du zu ihnen?

ThomasM
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#143 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von ThomasM » Di 4. Nov 2014, 10:23

Münek hat geschrieben: 1000 Theologieprofessoren, 1000 unterschiedliche Auffassungen - diese Feststellung ist natür-
lich - mit Verlaub - schlichter Unsinn.
Stimmt, es müssten mindestens 2000 unterschiedliche Auffassungen sein :lol: :lol:

Münek hat geschrieben: Auch in Datierungsfragen herrscht in der neutestamentlichen Forschung an den theologischen Fa-
kultäten, in denen die historisch-kritische Exegese Standard ist, ein breiter Konsens, z.B. darüber,
dass die Evangelien frühestens ca. 40 Jahre nach Jesu Tod geschrieben worden sind.
Das ist schon korrekt, aber der Konsens kann sich mit der Zeit ändern und tut es auch.
Selbst bei geschichtlich so nahe liegenden Ereignissen, wie dem 2. Weltkrieg mit noch lebenden Zeitzeugen, ändert sich die Einstellung zu bestimmten Ereignissen mit jedem Jahrzehnt.

Bei der Datierung der Evangelien selbst glaube ich zwar nicht an größere Änderung der Meinung, aber wenn es darum geht zu bewerten, wieviel die Texte wörtlich abgeschrieben oder aus politisch/theologischen Gründen abgeändert wurden, wird immer die persönliche Ansicht des Historikers (oder sein Drang, sich zu profilieren) eine gewichtige Rolle spielen. Insofern ist die Beobachtung von Bastler schon korrekt.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Bastler
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#144 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Bastler » Di 4. Nov 2014, 14:19

Das Problem sehe ich nicht so sehr in der zahlenmäßigen Größe des Mainstreams,
sondern in den Argumenten. Da gibt es nämlich viele - und zwar auch viele gute und nachdenkenswerte.

Der gute Klaus Berger hat zum Beispiel die Angewohnheit, mit seinem Lieblingsargument alle Recherchen des Mainstreams in Frage zu stellen.
Nein, ich bin kein Bergerfan. Ganz bestimmt nicht. Aber man muss erst mal hören, was er sagt. Und dann wird es erst mal unübersichtlich,
weil man sich überlegen muss, ob man seine Argumente aktzeptieren kann.

Sein Lieblingsargument ist, dass die moderne (historisch-kritische) Exegese
systematisch jedes Wunder (und damit auch jede ganz echte Prophezeihung) ausschließt.
Er (Berger) tut das nicht. Er hält Wunder für möglich - und schlägt dadurch natürlich die Datierungsmöglichkeiten in die Tonne.
Jesus (und eventuell auch die Evangelisten) habe schon vor seinem Tode den jüdisch-römischen Krieg mitsamt der Zerstörung vorausgesehen.
Damit ist die Tempelzerstörung kein valides Datum mehr, das man für die Datierung der Evangelien heranziehen kann.

Es gibt auch noch andere ziemlich gute Argumente gegen die Datierung über den Tempel.
Z.B. rückt Markus Tempelzerstörung und Weltuntergang dicht zueinander.
Da der Weltuntergang nicht stattgefunden hat, den man im Urchristentum sehr wohl erwartete,
könne das Markusevangelium (und im Gefolge die Synoptiker) den Tempeluntergang nicht real erinnern,
denn sonst hätte man ins Markusevangelium gleich mit eingearbeitet,
dass die Welt bei dieser Gelegenheit doch nicht untergegangen ist.

Mit diesen Argumenten (die Du wahrscheinlich nicht akzeptierst, und ich auch nicht - aber andere tun das)
entstehen ganze Komplexe von neuen Herangehensweisen an eine Datierung.

Als Ergebnis bleibt, dass solche Datierungen über 2000 Jahre alte Ereignisse immer unsicher bleiben.
Und ich füge noch hinzu: Das ist kein Zufall. Es gibt keine Methode, solche alten Ereignisse zweifelsfrei zu datieren oder auch nur zu beschreiben.
Es gibt keine wirkliche Gewissheit darüber, wie das Christentum genau entstanden war, ob Jesus so war, wie in den Evangelien beschrieben, ob der Evangelist Lukas nicht vielleicht doch eine Frau war, die unter dem Pseudonym "Lukas" veröffentlichte, ob Jesus oder Paulus verheiratet oder homosexuell waren.

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#145 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von closs » Di 4. Nov 2014, 14:33

Bastler hat geschrieben:Als Ergebnis bleibt, dass solche Datierungen über 2000 Jahre alte Ereignisse immer unsicher bleiben.
Und vor allem geistig irrelevant sind. - Natürlich ist dieses Thema wissenschaftlich (!) sehr interessant - das Wesen des Christentums jedoch ist komplett unabhängig von Antworten auf solche Fragen.

Man hat manchmal den Eindruck, als wolle man mit WIssenschaft das Wesen des Christentums entschlüsseln - das ist gerade so, als wolle man aus einem Auto-Fabrikat schließen, wo die Reise hingeht.

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#146 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Bastler » Di 4. Nov 2014, 14:57

Münek hat geschrieben:Historische Fragen haben mit persönlichen Glaubensvorstellungen absolut nichts zu tun. An dieser
Selbstverständlichkeit haben manche Gläubige augenscheinlich schwer zu knacken. Gehörst Du zu ihnen?

Das ist nicht so einfach, wie Du das darstellst.
Es geht mir eher darum, WAS historische Fragen mit persönlichen Glaubensvorstellungen zu tun haben.
Glaubensvorstellungen, die ihre Kraft allein aus einer irrealen Fantasiewelt schöpfen, sind mir zum Beispiel suspekt.

Andererseits könnte man Deine These prima verstärken:
Glaubensvorstellungen ergeben sich nicht durch einen linearen Denkprozess aus wissenschaftlich historischen Erkenntnissen.
Das wäre dann ein Hinweis auf die Gefahr des naturalistischen Fehlschlusses. Und somit völlig korrekt.

Es spielt durchaus auch für den Glauben eine Rolle, dass z.B. die Noahgeschichte oder die Person des Mose nicht historisch nachweisbar sind.
Wenn allerdings jemand meint, dass er aufgrund historischer Erkenntnisse über Jesus automatisch Material für seinen Glauben bekäme, dann ist er wahrscheinlich schlecht beraten - oder sehr unreflektiert.

Meine Vorstellung ist:
Es gibt historische Erkenntnisse. Diese sind übrigens immer unsicher - jede historische Erkenntnis ist das. (Leibnitzscher Graben)
Erkennt man diese Erkenntnisse an, so bedarf es aber trotzdem noch eines eigenen kreativen Prozesses, um diese Erkenntnisse auch für den Glauben fruchtbar zu machen.
Erkennt man diese Erkenntnisse nicht an, befindet man sich schnell in einem phantastischen Niemandsland, wo man alles und auch sein Gegenteil behaupten kann.

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#147 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Bastler » Di 4. Nov 2014, 15:11

Münek hat geschrieben:1000 Theologieprofessoren, 1000 unterschiedliche Auffassungen - diese Feststellung ist natür-
lich - mit Verlaub - schlichter Unsinn.

Natürlich ist das Unsinn. Ich bleibe darauf angewiesen, dass Du mir solche flapsigen Sprüche vergibst.
Denn - ich gestehe es gerne und sogar mit ein wenig Stolz - ich pruste solche Flapsigkeiten öfters mal in die Landschaft.
Ich finde das einfach witziger, als endlos korrekte Richtigkeiten vom Stapel zu lassen.

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#148 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Pluto » Di 4. Nov 2014, 15:46

Bastler hat geschrieben:Mit diesen Argumenten (die Du wahrscheinlich nicht akzeptierst, und ich auch nicht - aber andere tun das)
entstehen ganze Komplexe von neuen Herangehensweisen an eine Datierung.
Ich bin sprachlos und entrüstet zugleich. ;)
Kommt daher, und erklärst perfekt die historisch-kritische Exegese, und sagst dann dass du nicht dran glaubst. :roll:
Pfui! :D

Bastler hat geschrieben:Als Ergebnis bleibt, dass solche Datierungen über 2000 Jahre alte Ereignisse immer unsicher bleiben.
Wäre aber wichtig, wenn es ums "Eingemachte" geht.
Die Zerstörung des Tempels fand mit ziemlicher Sicherheit im Jahr 72 statt. Wurden die Evangelien vorher geschrieben, handelt es sich um eine Weissagung. Wurde das Markus Evangelium( das älteste) danach geschrieben, ist die Erwähnung des Tempelbrands nichts weiter als eine ex eventu Erzählung.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Münek
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#149 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Münek » Di 4. Nov 2014, 17:42

Bastler hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:1000 Theologieprofessoren, 1000 unterschiedliche Auffassungen - diese Feststellung ist natür-
lich - mit Verlaub - schlichter Unsinn.

Natürlich ist das Unsinn. Ich bleibe darauf angewiesen, dass Du mir solche flapsigen Sprüche vergibst.
Denn - ich gestehe es gerne und sogar mit ein wenig Stolz - ich pruste solche Flapsigkeiten öfters mal in die Landschaft.
Ich finde das einfach witziger, als endlos korrekte Richtigkeiten vom Stapel zu lassen.


Hi Bastler,

Du scheinst mir der Richtige zu sein! :thumbup:

Fachkenntnisse gepaart mit Humor. Du stellst eine echte Bereicherung für
unser Forum dar. Bleibe uns erhalten.

LG Münek

Anton B.
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#150 Re: Wann wurde das Lukas Evangelium geschrieben?

Beitrag von Anton B. » Di 4. Nov 2014, 19:28

Pluto hat geschrieben:Und was ist damit?
Noch ärger treibt es allerdings Hemuls zweiter Zeuge, der Wiki-Artikel über den Kyros-Zylinder, mit dem, was Hemul eigentlich mit seiner Hilfe begründen wollte:

Wiki hat geschrieben:Die biblische Überlieferung berichtet daher aus rückblickender Sicht zu einem Zeitpunkt, als der Tempelaufbau und andere Maßnahmen schon längst beendet waren.
Die Eiche "ist" - sie steht da - mit oder ohne Wildschweine.

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