Exegese - Segen oder Fluch?

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Halman
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#1 Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Halman » Do 30. Jul 2015, 19:22

:wave:

Die "Schlagzeile" wurde von mir bewusst etwas provokativ formuliert, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dies ist ein beliebtes Stilmittel von Journalisten.

Ich will damit aber keinesfalls polarisieren, denn ich denke, dass die Exegese beides sein kann und in Teilen auch ist.

In diesem Thread werde ich mich im Wesendlichen auf das Buch "Die Bibelfälscher" von Klaus Berger stützen. Nicht, weil ich ein so größer Fan von Prof. Berger wäre, sondern einfach aus Notwendigkeit - jedenfalls kenne ich keinen anderen deutschsprachigen Exegeten, welcher die Exegese und damit auch die moderne Theologie kritisiert.

Ich selbst vermag gefühlte 60% von Bergers Ansichten zu beführworten. Insgesamt ist er mir doch etwas zu unkritisch, was die Beurteilung alter jüdisch-christlicher und christlich-gnostischer Schriften angeht, ferner empfinde ich ihn subjektiv als zu "konzervativ katholisch" (dagegen könnte man einwenden, dass ich nicht katholisch genug sei, was wohl dem Umstand geschuldet ist, dass ich kein Katholik bin).

Berger versteht sein Buch als ein "Appel zu einer Reformation ... der sogenannten historisch-krischen liberalen Exegese." (Seite 10)
Allen Interessierten bitte ich, einen Blick in Bergers Vorwort zu werfen und zwar insbesondere auf die 5. Seite (2. Seite des Vorwortes) und zwar den Absatz, der mit den Worten Beginnt: "Ich würde mich allerdings weigern," ... bis zu den Worten "ins 19. Jahrhundert zurückreich". Hier spielt Berger auf den Positivismus und somit auf eine Weltanschauung an, welche seiner Auffassung nach die "historisch-krische liberale Exegese" beeinflusste (immerhin ist er Insider).

Rainer Riesner setzt sich in diesem 14seitigen PDF-Dokument Gott, Glaube und Geschichte kritisch und differenziert mit Bergers Buch auseinander. Am Schluss sein Fazit:
4. Rückblick und Ausblick
Evangelische und katholische Exegese sollten die dringende Anfrage von Klaus Berger hören, ob sie nicht durch einen methodischen Atheismus die Glaubwürdigkeit des Neuen Testaments wie auch der christlichen Kirche zerstören und so dem wachsenden Atheismus in den westlichen Gesellschaften den Weg bereiten. Ulrich Wilckens zeigt eindrücklich, dass eine Überwindung der gegenwärtigen theologischen Krise nur durch eine kritische Aufarbeitung der Weltanschauung der Aufklärung erreicht werden kann, wie sie vor allem den Neuprotestantismus prägt. [...] Eine historisch-theologi-
sche Exegese braucht weder das Gespräch mit der Geschichtswissenschaft noch mit der Philosophie zu scheuen, wie Heinzpeter Hempelmann auf vorbildliche Weise in Bezug auf das umstürzendste Eingreifen Gottes in die Geschichte gezeigt hat,² die Auferweckung Jesu Christi von den Toten.

²Vgl. Heinzpeter Hempelmann: Wirklich auferstanden! Historische und philosophische Argumente für den Osterglauben, Witten 2011.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

Pluto
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#2 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Pluto » Do 30. Jul 2015, 19:50

Halman hat geschrieben:Berger versteht sein Buch als ein "Appel zu einer Reformation ... der sogenannten historisch-krischen liberalen Exegese." (Seite 10)
Allen Interessierten bitte ich, einen Blick in Bergers Vorwort zu werfen und zwar insbesondere auf die 5. Seite (2. Seite des Vorwortes) und zwar den Absatz, der mit den Worten Beginnt: "Ich würde mich allerdings weigern," ... bis zu den Worten "ins 19. Jahrhundert zurückreich". Hier spielt Berger auf den Positivismus und somit auf eine Weltanschauung an, welche seiner Auffassung nach die "historisch-krische liberale Exegese" beeinflusste (immerhin ist er Insider).
Ich verstehe wie Berger das meint. Andererseits denke ich, sollten man auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die Berger kritisieren.
Immerhin ist Klaus Berger ein höchst umstrittener katholischer Theologe.
Deshalb würde ich auch gerne die Meinung von Leuten aus der evangelischen Seite hören/lesen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#3 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von closs » Do 30. Jul 2015, 20:12

Pluto hat geschrieben: Andererseits denke ich, sollten man auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die Berger kritisieren.
Natürlich - da wird es hoch hergehen.

Was aus Halmans Textproben deutlich wird: Es geht hier um einen "Kulturkampf" der Exegesen und eigentlich nicht um die Bibel. - Den Ausführungen Bergers kann ich im wesentlichen zustimmen - gut, dass diese Ausführungen von einer wissenschaftlichen Autorität kommen (das sollte zwar keine Rolle spielen, weil nur der Inhalt des Gesagten eine Rolle spielen darf - andererseits gibt es viele Menschen, die nur dann etwas ernst nehmen, wenn es von jemandem kommt, der einen "Prof" vor seinem Namen hat).

Halman hat geschrieben:Hier spielt Berger auf den Positivismus und somit auf eine Weltanschauung an, welche seiner Auffassung nach die "historisch-krische liberale Exegese" beeinflusste (immerhin ist er Insider).
Genau so ist es - die Wurzeln heutiger Konsens-Gruppen kommen aus dem 19.Jh.

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Halman
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#4 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Halman » Do 30. Jul 2015, 21:54

Pluto hat geschrieben:Ich verstehe wie Berger das meint. Andererseits denke ich, sollten man auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die Berger kritisieren.
Immerhin ist Klaus Berger ein höchst umstrittener katholischer Theologe.
Deshalb würde ich auch gerne die Meinung von Leuten aus der evangelischen Seite hören/lesen.
Ja, gegen ein ausgewogenes Pro und Kontra habe ich nichts einzuwenden. In meiner verlinkten PDF-Datei setzt sich Rainer Riesner recht kritisch mit Bergers Buch auseinander.

Nun, ich lese zurzeit ein Buch von Albert Einstein über die SRT und ART. "Die Bibelfälscher" bildet eine Ausnahme bei mir, denn normalerweise gehört theologische Literatur nicht zu meinen üblichen Lesestoff, daher hoffe ich auf Unterstützung der kundigen und kritischen User hier im Forum. Mein Part ist die Exegese auf Basis von Bergers Buch zu beleuchten und zu kritisieren und dies hier zur Diskussion zu stellen.
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#5 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von 2Lena » Do 30. Jul 2015, 21:56

Halman, du bringst gekonnt ausgearbeitete Beiträge, mit Zitaten, Links, Übersichten. Das alles ergibt ein recht ordentliches Bild und es ist angenehm das zu lesen. Ich glaube aber nicht, dass das Weiterführen in dieser Art (Feinheiten, genaue Stellen, Diskussionspunkte) auf einmal den Überblick bringt. Es sei denn, man geht auf die Einzelheiten so ein, dass durch die *Auslegung die vernünftige Lösung gezeigt wird.

Um es ganz simpel in "meiner" Art zu sagen: Berger bringt die konservative Schiene ins Gespräch und hat hinter sich die "Nostalgiker". Er korrigiert aber nur die Meinung, denn er hat keinen Plan, welche Schiene ausschert und wo die Weichen gestellt werden müssen. Er wusste bis vor wenigen Monaten noch nicht, dass es Fakten gibt, mit denen die Bibel wieder auf das Gleis der Dogmen kommt.

Wie er auf diese neue Herausforderung reagiert, ob er es ablehnt oder mit ins Programm nimmt, steht in den Sternen. Ebenso wie die Leute reagieren werden, wenn aus dem konservativen Gerede (das nicht wirklich verstanden ist) nun vernünftigerweise Worte mit richtigem Inhalt werden.

Falls man die Linie wie bisher wieder vertritt - was soll da ein Mensch denken?
Etwa reuig in die Knie gehen und sagen: Da hat sich etwa jemand geirrt ... Ich meine, die Fragen sind offen, wollen beantwortet werden und nicht mit einer "gegenteiligen Behauptung" im Brustton der Überzeugung aufgelöst werden. Vielleicht gibt es Leute mit Autoritäsbewusstsein. Ihnen genügt es zu wissen: Ein Prof. sagt, es sei so und so ... Aber jeder der selbst lesen und schreiben kann, ist in der Regel damit unzufrieden.

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#6 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Pluto » Do 30. Jul 2015, 22:10

2Lena hat geschrieben:Etwa reuig in die Knie gehen und sagen: Da hat sich etwa jemand geirrt ... Ich meine, die Fragen sind offen, wollen beantwortet werden und nicht mit einer "gegenteiligen Behauptung" im Brustton der Überzeugung aufgelöst werden. Vielleicht gibt es Leute mit Autoritäsbewusstsein. Ihnen genügt es zu wissen: Ein Prof. sagt, es sei so und so ... Aber jeder der selbst lesen und schreiben kann, ist in der Regel damit unzufrieden.
Ich kann nur für mich sprechen, und die Bibel ist für mich als Laie nicht so leicht zu verstehen. Wenn ich mir eine Meinung bilden soll, so möchte ich schon beim "Streit der Gelehrten" Mäuschen spielen, und erst mal sehen was sie zu sagen haben.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#7 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von 2Lena » Do 30. Jul 2015, 22:29

Was kommt dabei raus, lieber Pluto, wenn sie keinen Rat haben?

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Halman
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#8 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Halman » Do 30. Jul 2015, 22:32

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Andererseits denke ich, sollten man auch diejenigen zu Wort kommen lassen, die Berger kritisieren.
Natürlich - da wird es hoch hergehen.
Hier bestimmt auch. Meine Threads boten in der Vergangenheit bis heute viel Zündstoff (Stichwort: Parusieverzögerung).

closs hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Hier spielt Berger auf den Positivismus und somit auf eine Weltanschauung an, welche seiner Auffassung nach die "historisch-krische liberale Exegese" beeinflusste (immerhin ist er Insider).
Genau so ist es - die Wurzeln heutiger Konsens-Gruppen kommen aus dem 19.Jh.
Berger hat mich in der Meinung bestärkt, dass die Religionswissenschaft, Bibelkritik und moderne Theologie von dieser Philosophie durchdrungen ist. Falls dies korrekt ist, so wäre die Exegese nicht vollkommen ergebnissoffen, sondern Ergebnis einer "positivistischen Hermeneutik".

Die Grundkritik geht ja dahin, die Evangelien und insgesamt die Bibel eher für Legenden und Mythen zu halten, indem ihre Historität stark angezweifelt wird. So bleiben, um mit Berger zu sprechen, nur Ideen. Dies gerät meiner Meinung nach zwingend im Konflikt mit dem Anspruch der Schriften.
Zitat von Klaus Berger:
Das Entscheidende am Christentum, wie auch am Judentum, ist, dass hier das Wort Gottes als geschichtsmächtig auftritt.
Wenn Du magst, schaue Dir bitte das Buch-Gespräch (knapp siebeneinhalb Minuten) mit Prof. K. Berger an.

Dort wird der wesendliche Kern von Bergers Kritik aus seinem Buch recht gut zusammengefasst. Interessant ist auch seine Aussage (die nicht im Buch steht), dass etwa die hälfte der Theologen in Deutschland nicht an die Auferstehung Jesu glaubt.
Gerade die Wunder gelten als extrem unwahrscheinlich und werden daher rationialistisch als "Dichtung" interpretiert. Auch hier spielt das positivistische Weltbild m. E. eine Rolle.

Ein Klick Bild ist im Buch-Link das erste Kapitel »Alles Lug und Trug« zu finden. Darin verweist Berger auf Raimarus, gem. dem die Jünger die Ostererscheinungen erfunden hätten, um zu Prälaten zu werden und im wahrsten Sinne des Wortes aus ihrem Scheitern noch Kapital zu schlagen.
Raimarus Unterstellung ist für mich unglaubhaft. Die Apostel wurden zu Märtyrern. Für einen Betrug würde ich doch kein Märtyrium auf mich nehmen. Und selbst wenn der eine oder andere so wahrsinnig ist, doch nicht im Kollektiv alle Jünger. Dies glaube ich nicht.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#9 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von closs » Do 30. Jul 2015, 22:59

Halman hat geschrieben:Berger hat mich in der Meinung bestärkt, dass die Religionswissenschaft, Bibelkritik und moderne Theologie von dieser Philosophie durchdrungen ist. Falls dies korrekt ist, so wäre die Exegese nicht vollkommen ergebnissoffen, sondern Ergebnis einer "positivistischen Hermeneutik".
Genau das ist der Punkt - und aufgrund irgendeiner Selbst-Immunisierung wird nicht erkannt, dass das eigene System parteiisch ist. - Eigentlich umschreibt dies den ganzen Streit, den wir bei der Parusieverzögerung haben.

Halman hat geschrieben:Die Grundkritik geht ja dahin, die Evangelien und insgesamt die Bibel eher für Legenden und Mythen zu halten, indem ihre Historität stark angezweifelt wird.
Jeder Wissenschaftler müsste eigentlich zum Ergebnis kommen, dass es beides ist - einmal so, ein andermal anders.

Unabhängig davon ist es eine satanische Fehlleitung, wenn man "Mythos" und "Wahrheit" gegenüberstellt (es gibt, meine ich, sogar eine Sendereihe im TV namens "Mythos oder Wahrheit") - als sei Wahrheit davon abhängig davon, ob sie auf Mythen oder Historie beruht - auch das passt in das, was Du "positivistische Hermeneutik" nennst.

Richtig ist allerdings, dass die Kreuzgeschichte aus fundamental-geistigen Gründen historisch sein muss - ansonsten hätten die Juden recht (was man ja nicht ausschließen kann).

Halman hat geschrieben:Wenn Du magst, schaue Dir bitte das Buch-Gespräch (knapp siebeneinhalb Minuten) mit Prof. K. Berger an.
Habe ich.

Er drückt sich erwas verwaschener aus, als Du es in Deiner Einleitung machst - insofern etwas enttäuschend. - Trotzdem: Es geht unter dem Strich um eine Entlarvung der "positivistischen Hermeneutik". - Aus meiner Sicht hat sie seit einiger Zeit ihren Höhepunkt überschritten.

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Münek
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#10 Re: Exegese - Segen oder Fluch?

Beitrag von Münek » Fr 31. Jul 2015, 04:18

Nur ganz kurz:

Berger vermengt unzulässigerweise Glaube mit historischer Wissenschaft. Wer sich einen solch groben
Schnitzer erlaubt, offenbart nach meiner Auffassung seine Inkompetenz.

Dieser "wackere" Theologe weiß im Übrigen selbst, dass er in seiner Außenseiter-Position von seinen Fach-
kollegen eher belächelt wird.

Unter der Überschrift "Hat Jesus sich in seinem Termin geirrt?" äußerte sich der Theologe wie folgt:

" In dieser Gegenwart Gottes gelten nicht Uhr und Tag noch Jahr oder Jahrtausend. Nur eines gilt: Das Reich
Gottes hat schon begonnen... Der Countdown läuft in die Ewigkeit Gottes hinein. Dieses und nichts anderes
ist die Botschaft Jesu: dass wir geradezu hineingerissen werden in das Heranbrausen Gottes, dessen Thron
und Angesicht ganz nahe sind."


Das ist ein Zitat aus dem Buch "Jesus Menschensohn" von Rudolf Augstein. Augstein merkt nicht ohne Grund
süffisant an:

"Gott braust heran und sitzt auf dem Thron, bei Berger ist kein Ding unmöglich."

Tja, der liebe Berger ist schon ein "komischer Heiliger".

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