GanzBaff hat geschrieben:
Was sind denn frühere Religionen, frühere Bewusstseinsstandards und frühere Weltbilder? Die Religionen haben sich im Kern nicht viel verändert
Jean Gebser hat ein Strukturmodell der Bewusstseinsgeschichte des Menschen entwickelt. Der heutige europäische Mensch hat bisher vier Bewusstsseinsstrukturen durchlaufen: die archaische, magische, mythische und mentale. Wie Gebser vertrete ich die Auffassung, dass das mentale Zeitalter nicht der Endpunkt der menschlichen Bewusstseinsgeschichte ist, sondern nur der Anfang von etwas Neuem. Er nannte das kommende Bewusstsein integrales, aperspektivisches oder mystisches Bewusstsein, in welcher Spiritualität und Wissenschaft einander nicht mehr gegenüberstehen, sondern einander geistig integrieren. Trennende und grenzenziehende Religion und trennende und grenzenziehende Ablehnung von Religion gehören beide noch ins "mentale" Zeitalter.
Für das perspektivische Bewusstsein wird die Welt zum Gegenüber eines Ichs, das sich bewusst von seiner Umgebung abgrenzt und so den Raum verfügbar und manipulierbar macht. Besonders gut kann man diesen Bewusstseinswandel in der Malerei nachvollziehen: Die alten Malereien des mythischen Bewusstseins kennen noch keine Perspektive. Sie betten den Menschen ein in den Goldgrund. Dies bringt zum Ausdruck, dass der Mensch noch Teil der Welt ist und nicht ihr Gegenüber. Leonardo da Vinci wandte als erster Maler die Perspektive in technischer Perfektion an und fundierte sie auch theoretisch. Der Mensch löste sich aus dem „Goldgrund“ und machte die Welt zum verfügbaren, manipulierbaren Gegenüber. Gebser würdigt dabei das mentale Bewusstsein als einen großen Gewinn, der einen gewaltigen schöpferischen Aufschwung bedeutete.
Erst in unserer Zeit ist das mentale Bewusstsein defizient geworden. Daher ist in unserer Zeit die Gewinnung der Aperspektive notwendig, die zur Überwindung des Raumes führen wird. Auch dies kann man besonders gut an den malerischen Bemühungen unserer Zeit erkennen: die Malerei nach der Jahrhundertwende versucht auf zahlreiche Arten, die Perspektive zu überwinden. Als besonders gelungene Versuche, die schon heute das neue Bewusstsein sichtbar werden lassen, werden von Gebser die Werke von Braque und Picasso bezeichnet.[13] Was sich in den Versuchen der Maler ankündigt, ist die Überwindung der gegenüber-seienden Welt des perspektivischen Zeitalters. Die aperspektivische Welt, die heute entsteht, wird eine „Welt ohne Gegenüber“ sein.[14]
Der Dualismus der Subjekt-Objekt-Spaltung, welcher der perspektivischen Welt ihr Gepräge gab, wird in der „Welt ohne Gegenüber“ überwunden durch ein neues Miteinander und durch die bewusste Teilhabe des Einzelnen am Weltganzen. Anstelle des begrenzten Weltraums der mentalen Struktur tritt die offene Welt eines endlichen, aber unbegrenzten Kosmos. Diese Welt ohne Gegenüber verwirklicht den zweiten Teil des Grundgedankens von Jean Gebser, die Überwindung des Raumes.
Quelle
Nein, die Religion ist die Gleiche wie früher
Ja und nein - sie entfaltet und entwickelt sich, wie das Bewusstsein des Menschen. Man kann zwar behaupten, dass es eine solche Entwicklungsfähigkeit des Menschen überhaupt nicht gibt, aber das ist nicht mein Menschenbild.