Descartes und Glaube

closs
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#1 Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Do 21. Apr 2016, 20:42

Thema abgetrennt aus Alles Teufelszeug? II

Thaddäus hat geschrieben:Da du selbst auf Descartes verwiesen hast, reden wir in der Tat genau davon, denn das bedeutet Substanzdualismus
Mir ist wohl bewusst, dass Descartes des Dualismus bezichtigt wird - aus meiner Sicht ist es eigentlich keiner. - Frage zum Verständnis dieser meiner Aussage:
Wenn eine Kugel einen Schatten wirft: Würdest Du dann von einem Dualismus aus Kugel und Schatten sprechen?

Nach meinem Verständnis sagt Descartes:
1) Nur die Res Cogitans ist sicher als Existenz.
2) Die Res extensa sind unter dem Vorbehalt als Existenz sicher, dass man von einem "wohlwollenden Gott" ausgeht.

Nach christlicher Ansicht ist Materie geschaffen, somit auch der menschliche Leib geschaffen. - Weiterhin ist nach christlicher Ansicht die menschliche Identität eine geistige Identität, die das Absterben des Körpers überlebt - der Körper stirbt dann, wenn sich die geistigen (hier nicht kognitiv gemeint) Kräfte aus ihm zurückziehen.

1. Verstehst Du das Christentum diesbezüglich anders?
2. Würdest Du von einem "Dualismus" sprechen, wenn es so wäre, wie ich beschreibe?
3. Hat Descartes etwas anderes gemeint als das, was ich als "christliche Ansicht" bezeichne?

Thaddäus hat geschrieben:Die Vorstellung eines Élan vital ist heute ebenfalls biologisch obsolet, denn warum es Leben gibt und lebende Organismen, wird heutzutage durch die chemische Evolution erklärt (z.B. Manfred Eigen), aber nicht mehr durch eine "geistige Kraft", die in allem Lebendigen als geistiges Prinzip am Werke ist.
Aus meiner Sicht ist dies wieder mal ein gutes Beispiel für einen typischen Denkfehler: Als würden biologische Erklärungsmöglichkeiten geistige Hintergründe davon obsolet machen.

Anderes Beispiel für diesen Denkfehler: Aus der Nicht-Teleologie der Evolutions-Theorie schlussfolgert man, dass es keine göttliche Teleologie gäbe. - Deshalb wurde Kardinal Schönborn von Evolutions-Biologen angegriffen - völlig daneben gedacht - die unterschiedlichen Kategorien verkannt. - Dies scheint mir in unserem Fall hier genauso zu sein.

NIS hat geschrieben:Er erklärt sie als ein der Natur immer schon innewohnendes teleologisches Prinzip, also damit, dass der Geist immer schon in der Natur drin steckt.
Das ist auch meine Linie: Dass der Geist immer schon drin steckt. - Warum dies deshalb teleologisch sein soll, verstehe ich nicht.

Würde man Th. Nagel vorwerfen, er sei Dualistiker?

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Thaddäus
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#2 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Thaddäus » Do 21. Apr 2016, 22:21

closs hat geschrieben:Mir ist wohl bewusst, dass Descartes des Dualismus bezichtigt wird ...
Descartes wird nicht des Substanzdualismus bezichtigt, - er hat ihn erfunden.

closs hat geschrieben: aus meiner Sicht ist es eigentlich keiner.
Dann ist deine Sicht falsch, denn die strenge substanzielle Trennung zwischen res cogitans und res extensa hat Descartes eingeführt.

closs hat geschrieben: Frage zum Verständnis dieser meiner Aussage:
Wenn eine Kugel einen Schatten wirft: Würdest Du dann von einem Dualismus aus Kugel und Schatten sprechen?
Das hat mit Descartes Substanzdualismus nichts zu tun. Descartes trennt die denkende Sache (Geist) von der ausgedehnten Sache (den materiellen Körpern). Mit Objekten und ihrem Schatten hat das nichts zu tun.

closs hat geschrieben: Nach meinem Verständnis sagt Descartes:
1) Nur die Res Cogitans ist sicher als Existenz.
Nein, er sagt: nur das Zweifeln (= Denken) kann nicht darüber getäuscht werden, dass es Dasjenige ist, WAS zweifelt (also zweifelnd denkt). Man kann an allem zweifeln, aber nicht darüber, dass dieses Zweifeln als Zweifelndes existiert.

closs hat geschrieben: 2) Die Res extensa sind unter dem Vorbehalt als Existenz sicher, dass man von einem "wohlwollenden Gott" ausgeht.
Meine Wahrnehmung vermittelt mir ein Bild der Dinge der Wirklichkeit. Aber über die Objektivität der Dinge könnte ich grundsätzlich getäuscht werden, z.B., weil meine Sinne mich täuschen. Sogar über die mathematischen Wahrheiten könnte ich getäuscht werden, z.B., weil ein böser Dämon, ein deus malignus mit nur vorgaukelt, dass 2+3=5 sind etc. Dieser Dämon wäre aber böse, weil er mich eben täuscht. Da böse zu sein, der Vollkommnehit Gottes widerspräche, wäre ein bösartiger deus malignus kein vollkommenes Wesen. Zur Vollkommenheit Gottes gehört also, dass er mich nicht in dieser Weise täuscht. Der als vollkommenes Wesen gedachte Gott kann mich also nicht täuschen, weder über die mathematischen und logischen Wahrheiten, noch über die Dinge der Welt, die mir meine Sinne vermitteln. Also kann ich mich auf die Objektivät meiner Wahrnehmung zumindest grundsätzlich verlassen und auf die Korrektheit distinkter Wahrheiten, wie das 2+3=5 ist.

closs hat geschrieben: Nach christlicher Ansicht ist Materie geschaffen, somit auch der menschliche Leib geschaffen. - Weiterhin ist nach christlicher Ansicht die menschliche Identität eine geistige Identität, die das Absterben des Körpers überlebt - der Körper stirbt dann, wenn sich die geistigen (hier nicht kognitiv gemeint) Kräfte aus ihm zurückziehen.

1. Verstehst Du das Christentum diesbezüglich anders?
Das Christentum geht von einer unsterblichen Seele aus. Es stirbt zwar zunächst der ganze Mensch auch mit seinem Geist, aber er wird dereinst wiedergeboren mit seiner Seele, seinem Geist und seinem Körper. Wie das zu denken ist, ist ein ungelöstes Problem der systematischen Theologie. Insbesondere in welchem Zustand sich der Geist, nach dem Tode des Menschen bis zu seiner Wiederauferstehung, eigentlich befinden soll?
closs hat geschrieben: 2. Würdest Du von einem "Dualismus" sprechen, wenn es so wäre, wie ich beschreibe?
Da der Geist des Menschen gedacht wird als etwas, was irgendwie im Körper als Geist-Substanz drinnensteckt, liegt ein Dualismus vor. Warum der zunächst auch sterben soll, bleibt rätselhaft. Und vor allem, wie er wieder auferstehen soll.
closs hat geschrieben: 3. Hat Descartes etwas anderes gemeint als das, was ich als "christliche Ansicht" bezeichne?
Descartes war der Ansicht, dass der menschliche Geist nicht mit seinem Körper stirbt.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Die Vorstellung eines Élan vital ist heute ebenfalls biologisch obsolet, denn warum es Leben gibt und lebende Organismen, wird heutzutage durch die chemische Evolution erklärt (z.B. Manfred Eigen), aber nicht mehr durch eine "geistige Kraft", die in allem Lebendigen als geistiges Prinzip am Werke ist.
Aus meiner Sicht ist dies wieder mal ein gutes Beispiel für einen typischen Denkfehler: Als würden biologische Erklärungsmöglichkeiten geistige Hintergründe davon obsolet machen.
Die chemische Evolution erklärt, wie es zu lebenden Organsimen durch rein chemische Selbstorganisation kommen kann (Hyperzyklen). Die Annahme einer geistigen Kraft, eines Élan vital, wird damit überflüssig.

closs hat geschrieben:Anderes Beispiel für diesen Denkfehler: Aus der Nicht-Teleologie der Evolutions-Theorie schlussfolgert man, dass es keine göttliche Teleologie gäbe. - Deshalb wurde Kardinal Schönborn von Evolutions-Biologen angegriffen - völlig daneben gedacht - die unterschiedlichen Kategorien verkannt. - Dies scheint mir in unserem Fall hier genauso zu sein.
Teleologische Kräfte sind zur Erklärung der Entstehung denkender Organismen schlicht nicht notwendig.

closs hat geschrieben:Das ist auch meine Linie: Dass der Geist immer schon drin steckt. - Warum dies deshalb teleologisch sein soll, verstehe ich nicht.
Teleologie bedeutet auf eine telos, ein Ziel ausgerichtet. Wie eine teleologische Kraft gedacht als geitige Kraft in der Natur stecken können sollte, ist nicht erklärbar.

closs hat geschrieben:Würde man Th. Nagel vorwerfen, er sei Dualistiker?
Nein, man wirft ihm vor, ein Prinzip in der Natur zu verorten, für das es keine Notwendigkeit und empirische Berechtigung gibt.

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#3 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Fr 22. Apr 2016, 00:04

Thaddäus hat geschrieben:Dann ist deine Sicht falsch, denn die strenge substanzielle Trennung zwischen res cogitans und res extensa hat Descartes eingeführt.
Moment: Bei Descartes geht es doch in erster Linie darum, zwischen sicher Wahrnehmbaren ("Cogito"/"Res cogitans") und nur unter Setzungen Wahrnehmbaren ("Res extensa"). - Ist das aus Deiner Sicht bereits "Dualismus"?

Thaddäus hat geschrieben: Descartes trennt die denkende Sache (Geist) von der ausgedehnten Sache (den materiellen Körpern).
GLAUBT aber per Setzung, dass sie sehr wohl viel miteinander zu tun haben, weil gemäß seinem "wohlwollenden Gott" nicht nur "Res cogitans", sondern auch "Res extensa" Entitäten sind.

Wir haben also - wenn Du so willst - einen Wahrnehmungs-Dualismus ("setzungsfreies Ich" und "gesetzte Res extensa"). - Muss das deshalb gleich ein ontologischer Dualismus sein?

Thaddäus hat geschrieben:Das hat mit Descartes Substanzdualismus nichts zu tun.
Meine Verständnisfrage war, ob Du "Kugel" und deren "Schatten" als Dualismus verstehst - einfach für mein Verständnis, damit ich checke, wie gedacht wird.

Thaddäus hat geschrieben: Man kann an allem zweifeln, aber nicht darüber, dass dieses Zweifeln als Zweifelndes existiert.
Das ist aber der Hebel, um das Zweifelnde, also das Ich, als zweifellos Existierendes festzustellen - das ist doch der Gag des "Cogito, ergo sum".

Thaddäus hat geschrieben:Meine Wahrnehmung vermittelt mir ein Bild der Dinge der Wirklichkeit.
Was ist bei Dir "Wirklichkeit"? - Wie auch immer: Descartes stellt fest, dass wir NICHT feststellen können, ob unsere "WIrklichkeit" (der "res extensa") nur Vorstellung oder auch Entität ist. - Darum geht es doch. - Ist bei Dir "Wirklichkeit" und "Entität" dasselbe?

Thaddäus hat geschrieben:Also kann ich mich auf die Objektivät meiner Wahrnehmung zumindest grundsätzlich verlassen
Genau - das ist seine Argumentation. - Da er aber nur GLAUBEN kann, dass es so ist, gilt ein Vorbehalt ("Setzung") zur Objektivität meiner Wahrnehmung. - Beim Zweifeln des Ich bedarf es dieses Vorbehalts NICHT, da mein Zweifel an allem auch beim "malignus" funktioniert.

Thaddäus hat geschrieben: seinem Geist und seinem Körper.
Verstehst Du "Körper" biologisch?

Thaddäus hat geschrieben:Da der Geist des Menschen gedacht wird als etwas, was irgendwie im Körper als Geist-Substanz drinnensteckt, liegt ein Dualismus vor.
Moment: Du gehst doch hiuer bewusst oder unbewusst davon aus, dass der Körper eine eigenständige Größe ist - genau dies sieht eine geistige Auffassung (im christlichen Sinne) insofern NICHT so, als dass Körper Folge von Geist ist.

Einstein sagt irgendeinmal - auch hier lediglich eine Verständnis-Analogie und kein direkter Vergleich - , dass Materie verdünnte Energie sei. - So sieht es auch der christlich-geistige Ansatz (ich rede also nicht vom säkularen Verständnis von "Geist"): Körper ist sozusagen verdünnter Geist - also eine unmittelbare Ableitung von Geist (deshalb mein Verständnis-Hinweis auf "Kugel und Schatten").

Insofern wäre folgender Satz weniger irreführend: "Körper ist ein unmittelbares Produkt des Geistes in tieferer ontologischer Dimension". - Könnten wir dann noch von einem "Dualismus" sprechen? - In DEINER Auffassung und DEINEM Verständnis hast Du natürlich recht - da hat man Deine Nachweise schnell beieinander. - Der Grund-Defekt der Descartes- bzw. (viel wichtiger) Geist-Beurteilung ist doch heute, dass man "Körper" als gesetzten Ausgangspunkt versteht - statt den Geist.

Thaddäus hat geschrieben:Wie das zu denken ist, ist ein ungelöstes Problem der systematischen Theologie. Insbesondere in welchem Zustand sich der Geist, nach dem Tode des Menschen bis zu seiner Wiederauferstehung, eigentlich befinden soll?
Nach meinem Verständnis ist die geistige Entität des Menschen nie tot. - Ist die Asche des Phönix tot? Wenn ja, wer erweckt sie? - Kann überhaupt jemand "erweckt" werden, wenn er tot ist? Reden wir nicht vielmehr von einem Transformations-Prozess?

Thaddäus hat geschrieben:aber er wird dereinst wiedergeboren mit seiner Seele, seinem Geist und seinem Körper.
"Geistleib" ist nach meiner Auffassung eine sehr gute Lösung. - "Körper" klingt sonst zu sehr nach Fleisch und Blut. - Glaubst Du wirklich, dass man mit Armen, Beinen incl. Darm und dessen Flora die "Visio Beatifica" erlebt? - Meinst Du, man bräuchte zur "Visio" biologische Augen?

Thaddäus hat geschrieben:Da der Geist des Menschen gedacht wird als etwas, was irgendwie im Körper als Geist-Substanz drinnensteckt, liegt ein Dualismus vor.
Auch dann, wenn die Beziehung zwischen Körper und Geist so ist, wie ich es oben beschrieben habe?

Thaddäus hat geschrieben:Descartes war der Ansicht, dass der menschliche Geist nicht mit seinem Körper stirbt.
So ist es - genau das ist sein christlicher Ansatz.

Thaddäus hat geschrieben: Die Annahme einer geistigen Kraft, eines Élan vital, wird damit überflüssig.
Es behauptet niemand, dass ein Élan Vital der Erklärung chemischer Evolution dienen soll - das wäre viel zu billig.

Thaddäus hat geschrieben:Wie eine teleologische Kraft gedacht als geitige Kraft in der Natur stecken können sollte, ist nicht erklärbar.
Ist nicht naturwissenschaftlich erklärbar - das ist auch nicht so gedacht. - Suum Cuique. - Keiner bestreitet, dass man Natur biologisch/chemisch aus sich selbst erklären kann - ganz andere Ebene.

Thaddäus hat geschrieben: man wirft ihm vor, ein Prinzip in der Natur zu verorten, für das es keine Notwendigkeit und empirische Berechtigung gibt.
Wieso "vorwerfen"? - Würde man verstehen, dass geistige Prinzipien keine Handlanger-Dienste für naturwissenschaftliche Angelegenheiten leisten wollen, würde man diesen Vorwurf nicht machen.

Das Clockwork soll doch auch unter naturalistischen Gesichtspunkten rund laufen - wir brauchen doch den Geist/Gott nicht als Dea ex machina! - Die Natur ist (nach christlicher Lesart) aus Geist gemacht und soll ihren Job machen. - Welche Rolle der Geist (im spirituellen Sinne) in der Natur spielt, ist KEINE neurologische Frage, sondern eine philosophische/theologische. - Auch mit Analytischer Philosophie kommt man da nicht weiter.

Pluto
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#4 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Pluto » Fr 22. Apr 2016, 09:28

closs hat geschrieben:Bei Descartes geht es doch in erster Linie darum, zwischen sicher Wahrnehmbaren ("Cogito"/"Res cogitans") und nur unter Setzungen Wahrnehmbaren ("Res extensa"). - Ist das aus Deiner Sicht bereits "Dualismus"?
Egal we du es darstellst. Descartes war der heistige Vater des Dualismus von Körper und Geist. Seine Erklärungen klangen damals auch sehr plausibel und glaubwürdig, sodass sich seine Idee des Dualismus (leider) fast 300 Jahre lang in den Köpfen der Menschen hielt.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Descartes trennt die denkende Sache (Geist) von der ausgedehnten Sache (den materiellen Körpern).
GLAUBT aber per Setzung, dass sie sehr wohl viel miteinander zu tun haben, weil gemäß seinem "wohlwollenden Gott" nicht nur "Res cogitans", sondern auch "Res extensa" Entitäten sind.
Ganz Recht!
Und es war genau dieser Glaube, der völlig zu Unrecht Tausenden von Menschen zu einem Dahinsiechen in der "Geschlossenen" verdammte. Solche Irrtümer wie dieses von Descartes sollte man nicht bagatellisieren.

closs hat geschrieben:Wir haben also - wenn Du so willst - einen Wahrnehmungs-Dualismus ("setzungsfreies Ich" und "gesetzte Res extensa"). - Muss das deshalb gleich ein ontologischer Dualismus sein?
Tja... So wurde es nun mal von den nachfolgenden Generationen aufgefasst.

closs hat geschrieben:Meine Verständnisfrage war, ob Du "Kugel" und deren "Schatten" als Dualismus verstehst - einfach für mein Verständnis, damit ich checke, wie gedacht wird.
Keineswegs, nein.

closs hat geschrieben:das ist doch der Gag des "Cogito, ergo sum".
Nee. Der Gag am "cogito ergo sum" war, dass so viele Menschen an Descartes' großen Irrtum glaubten.

closs hat geschrieben:Beim Zweifeln des Ich bedarf es dieses Vorbehalts NICHT, da mein Zweifel an allem auch beim "malignus" funktioniert.
Das war gerade das Verführerische an seinen Ideen (die sich seither las falsch herausstellte). Wir sind nicht weil wir denken, sondern weil wir (mit dem ganzen Körper) fühlen. Diesen Schritt hat Descartes übersehen weil er an seinem Glauben an den Dualismus zu sehr festhielt.

closs hat geschrieben:Verstehst Du "Körper" biologisch?
Also... ich schon. Und damit ist auch "Geist" ein biologisches Erzeugnis.

closs hat geschrieben:Einstein sagt irgendeinmal - auch hier lediglich eine Verständnis-Analogie und kein direkter Vergleich - , dass Materie verdünnte Energie sei. - So sieht es auch der christlich-geistige Ansatz (ich rede also nicht vom säkularen Verständnis von "Geist"): Körper ist sozusagen verdünnter Geist - also eine unmittelbare Ableitung von Geist (deshalb mein Verständnis-Hinweis auf "Kugel und Schatten").
Materie ist laut Einstein "erstarrte" Energie, nicht "verdünnte". Aber Einstein hat nie von erstarrtem Geist gesprochen.

closs hat geschrieben:Der Grund-Defekt der Descartes- bzw. (viel wichtiger) Geist-Beurteilung ist doch heute, dass man "Körper" als gesetzten Ausgangspunkt versteht - statt den Geist.
Warum ist das ein Defekt?

closs hat geschrieben:Nach meinem Verständnis ist die geistige Entität des Menschen nie tot. - Ist die Asche des Phönix tot?
Wenn ja, wer erweckt sie?
Der Phönix ist doch nur eine Legende. Der Geist stirbt mit dem Körper.

closs hat geschrieben:Kann überhaupt jemand "erweckt" werden, wenn er tot ist? Reden wir nicht vielmehr von einem Transformations-Prozess?
Nein. Wieso sollte es ein Transformations-Prozess sein?

closs hat geschrieben:Meinst Du, man bräuchte zur "Visio" biologische Augen?
Gibt es denn etwas anderes als "biologische" Augen?

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Descartes war der Ansicht, dass der menschliche Geist nicht mit seinem Körper stirbt.
So ist es - genau das ist sein christlicher Ansatz.
Genau darin erkennt man den Dualismus.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wie eine teleologische Kraft gedacht als geitige Kraft in der Natur stecken können sollte, ist nicht erklärbar.
Ist nicht naturwissenschaftlich erklärbar...
Es ist überhaupt nicht erklärbar.
Man kann etwas anderes behaupten, aber erklären kann man es nicht.
Das ist doch genau die Krux.

closs hat geschrieben:Die Natur ist (nach christlicher Lesart) aus Geist gemacht und soll ihren Job machen.
Damit versuchst du nur den längst widerlegten irrigen Ansatz von Descartes zu verewigen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#5 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Fr 22. Apr 2016, 10:03

Pluto hat geschrieben: Descartes war der geistige Vater des Dualismus von Körper und Geist.
Wenn, dann war es Plato (und vermutlich sogar noch viel früher).[/quote]Ist mir nicht bekannt, aber Seis drum. Jeder Philosoph seit Descartes kennt den cartesianischen Dualismus.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Seine Erklärungen klangen damals auch sehr plausibel und glaubwürdig
Das tun sie auch heute noch...
Ganz und gar nicht,denn sie sind widerlegt.
closs hat geschrieben:die Naturwissenschaft ist gar nicht die Disziplin, um dies falsifizieren zu können.
Wieso willst du der Naturwissenschaft immer vorschreiben, was sie tun kann und was nicht?
Aber ganz egal durch wen oder was... der cartesianische Dualismus ist in der Philosophie widerlegt.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Und es war genau dieser Glaube, der völlig zu Unrecht Tausenden von Menschen zu einem Dahinsiechen in der "Geschlossenen" verdammte.
Je öfter Du diesen Satz wiederholst, desto weniger verstehe ich ihn.
Vielleicht verstehst du es so besser: Descartes sorgte mit seinem Dualismus für 300 Jahre Stillstand in der psychiatrischen Forschung. Frage einen x-beliebigen Psychiater oder Psychologe: Er wird dir das bestätigen.

closs hat geschrieben:Aber es stimmt doch immer noch, dass das "Cogito" die einzig setzungsfrei sichere Wahrnehmung ist.
Weso stimmt das?
Was stimmt, ist dass wir mit dem ganzen Körper fühlen und empfinden.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wir sind nicht weil wir denken, sondern weil wir (mit dem ganzen Körper) fühlen.
"Fühlen" hat aber doch nicht mit geistigem Bewusstsein zu tun - geht es nicht um das BEWUSSTE Erkennen des Ich?
Das ist viel zu eng. Das ICH, bzw. das "Selbst" ist nur eines der Produkte unseres Bewusstseins.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Materie ist laut Einstein "erstarrte" Energie, nicht "verdünnte". Aber Einstein hat nie von erstarrtem Geist gesprochen.
ICh habe es schon als "verdünnt" zitiert gelesen - aber es passt auch so.
Kannst du die Quelle dieses Zitats auch nennen?
Trotzdem... mir ist nicht klar was Energie mit Geist zu tun hat.

closs hat geschrieben:Warum sollte der Körper nicht erstarrter Geist sein?
Weil die Biologie eine wesentliche plausiblere Erklärung für die Herkunft von Organismen hat.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Warum ist das ein Defekt?
Weil man damit das voraussetzt, was man beweisen bzw. falsifizieren möchte: "Ich, Pluto, kann unter der Voraus-Setzung, dass die Schweiz auf der Südhalbkugel ist, nachweisen, dass die Schweiz nicht existiert.
Die Analogie hinkt, weil ich keine solchen Voraussetzungen mache.
Dass Geist vom Gehirn erzeugt wird, ist eine Beobachtung der Neurologie. Ohne Gehirn, wurde noch nie ein Geist beobachtet... mit Gehirn aber schon.
Was schließen wir daraus?

closs hat geschrieben:Allein mit der Setzung, dass die Res extensa der Ausgangspunkt sind, wird eine Untersuchung von Descartes absurd.
Richtig. Aber das ist irrelevant, da die res cogitans/extensa in der Philosophie keine Gültigkeit mehr hat.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Der Phönix ist doch nur eine Legende.
Legenden sind Chiffren - mich hätte interessiert, wie die Legende selbst die Asche versteht: Als tot oder als immer noch lebendig.
Lebendig natürlich. Aber das sind bronzezeitliche Überlegungen.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wieso sollte es ein Transformations-Prozess sein?
Weil es naheliegend ist - bei gewissen Voraussetzungen.
Es ist keineswegs naheliegend. Es bleibt eine reine Glaubensbehauptung.

closs hat geschrieben:mir geht es darum, ob man auch ohne Augen sehen kann. - Ich glaube schon (hatte ich mal bei einer Kopf-Untersuchung - war hochinteressant).
Ich kann mir nicht vorstellen, dass dir die Augen entfernt und danach wieder eingepflanzt wurden.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Genau darin erkennt man den Dualismus.
Eis, das zu Wasserdampf wird, ist ein Dualismus?
Nein. Man spricht von einer Zustands-Dualität.
Du scheinst da was zu verwechseln. Dualismus ist nicht gleich Dualität -- gleicher Wortstamm, aber ganz andere Bedeutung.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Man kann etwas anderes behaupten, aber erklären kann man es nicht.
Es ist spirituell schon erklärbar.
Eine Behauptung die man getrost verwerfen kann.
That which can be asserted without evidence can be dismissed without evidence. -- schon vergessen?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Damit versuchst du nur den längst widerlegten irrigen Ansatz von Descartes zu verewigen.
Dieser Ansatz ist nur deshalb widerlegt, weil er auf der Setzung von Materie beruht.
Die Methode der Widerlegung ist unwichtig. Allein die Widerlegung ist von Bedeutung.

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#6 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von sven23 » Fr 22. Apr 2016, 18:15

Thaddäus hat geschrieben: Tipplers Unsinnsmetaphysik wird, mit Verlaub, sogar von Theologen als Unsinn deklariert, und die sind normalerweise noch für jeden Unsinn zu begeistern.
Closs auch. :lol:
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#7 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Thaddäus » Fr 22. Apr 2016, 21:00

Teil 1.

closs hat geschrieben:Moment: Bei Descartes geht es doch in erster Linie darum, zwischen sicher Wahrnehmbaren ("Cogito"/"Res cogitans") und nur unter Setzungen Wahrnehmbaren ("Res extensa"). - Ist das aus Deiner Sicht bereits "Dualismus"?
Für Descartes sind die res extensa, also die körperlichen Dinge, gegeben. Da muss nichts gesetzt werden. Wir können uns aber in ihrer Erkenntnis irren, weil wir z.B. durch unsere Sinne getäuscht werden. Wir könnten uns sogar über distinkte geistige Wahrheiten irren, wie den mathematischen oder logischen Wahrheiten. Allein über das "Ich zweifle, also muss ich, der Zweifelnde, existieren" können wir uns nicht täuschen.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Descartes trennt die denkende Sache (Geist) von der ausgedehnten Sache (den materiellen Körpern).
GLAUBT aber per Setzung, dass sie sehr wohl viel miteinander zu tun haben, weil gemäß seinem "wohlwollenden Gott" nicht nur "Res cogitans", sondern auch "Res extensa" Entitäten sind.
Es sind keine Entitäten, sondern Substanzen, sie sind also substanziell unterschiedlich. Entitäten sind ganz bestimmte konkrete Wesenheiten. Substanzen sind nichts in dieser Weise Konkretes. So ist die Seele eine Entität oder ein Gedanke ist eine Entität. Aber beide sind unter die Substanz des Geistigen zu fassen, also der res cogitans.
Descartes setzt auch nicht einfach, dass res cogitans und res extensa miteinander wechselwirken, sondern er schlussfolgert es, weil der Mensch ganz offensichtlich sowohl das eine, als auch das andere ist.

closs hat geschrieben: Wir haben also - wenn Du so willst - einen Wahrnehmungs-Dualismus ("setzungsfreies Ich" und "gesetzte Res extensa").
Nein, das ist bei Descartes kein Wahrnehmungsdualismus, sondern er unterteilt das Seiende ontologisch in denkende und ausgedehnte "Sachen" (res). Das ist keine Frage der Wahrnehmung und auch keine der Setzung, sondern es ist eine ontologische Klassifizierung des Seienden, also dessen, was ist.

closs hat geschrieben:Muss das deshalb gleich ein ontologischer Dualismus sein?
Ja, wenn man das Seiende substanziell in Geistiges auf der einen und materiell Körperliches auf der anderen Seite streng unterteilt, dann ist man Substanzdualist. Das Gegenteil hiervon ist der Monismus. Der unterteilt gerade nicht substanziell in Geistiges und Materielles.

closs hat geschrieben:Meine Verständnisfrage war, ob Du "Kugel" und deren "Schatten" als Dualismus verstehst - einfach für mein Verständnis, damit ich checke, wie gedacht wird.
Einen Schatten zu werfen ist eine Eigenschaft von materiellen Gegenständen einer bestimmten Dichte, molekularen Struktur und eines bestimmten Materials, welches nicht lichtdurchlässig ist. Der Schatten verhält sich zu seinem Gegenstand nicht so, wie der Geist zur Materie. Es liegt also kein Dualismus vor, weil Schatten und Gegenstand nicht unterschiedliche Substanzen sind.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Man kann an allem zweifeln, aber nicht darüber, dass dieses Zweifeln als Zweifelndes existiert.
Das ist aber der Hebel, um das Zweifelnde, also das Ich, als zweifellos Existierendes festzustellen - das ist doch der Gag des "Cogito, ergo sum".
Ja, aber da wird nichts gesetzt, sondern Descartes argumentiert.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Meine Wahrnehmung vermittelt mir ein Bild der Dinge der Wirklichkeit.
Was ist bei Dir "Wirklichkeit"?
Die Wirklichkeit ist bei Descartes logischerweise beides: res extensa und res cogitans.

closs hat geschrieben:Wie auch immer: Descartes stellt fest, dass wir NICHT feststellen können, ob unsere "WIrklichkeit" (der "res extensa") nur Vorstellung oder auch Entität ist.
Natürlich können wir nach Descartes festellen, dass die res extensa ein Teil der Wirklichkeit ist. Nämlich über unsere Sinne. Descartes behauptet nicht, die körperlichen Dinge seien nur Vorstellung oder Einbildung. Du verwendest auch den begriff "Entität" falsch. Entitäten sind Seiendes (von lat. ens). Ein Baum ist eine Entität genau so, wie ein Gedanke.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Also kann ich mich auf die Objektivät meiner Wahrnehmung zumindest grundsätzlich verlassen
Genau - das ist seine Argumentation. - Da er aber nur GLAUBEN kann, dass es so ist, ...
Nein, Descartes ist Philosoph: der glaubt nicht, sondern er argumentiert und zieht Schlussfolgerungen. Descartes glaubt nicht nur, dass unsere Wahrnehmung grundsätzlich ein objktives Bild der Wirklichkeit vermittelt, sondern er versucht das durch seine Argumentation nachzuweisen.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Fr 22. Apr 2016, 21:37, insgesamt 4-mal geändert.

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#8 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von Thaddäus » Fr 22. Apr 2016, 21:00

Teil 2.

closs hat geschrieben:Verstehst Du "Körper" biologisch?
Wenn der Körper ein Organsimus ist, kann man ihn biologisch und physikalisch verstehen.

closs hat geschrieben:Moment: Du gehst doch hier bewusst oder unbewusst davon aus, dass der Körper eine eigenständige Größe ist - genau dies sieht eine geistige Auffassung (im christlichen Sinne) insofern NICHT so, als dass Körper Folge von Geist ist.
Ich weiß nicht, was du für ein Christentum vertrittst, hinsichtlich des menschlichen Körpers jedenfalls nicht das Christentum der christlichen Großkirchen. Es wäre mir gänzlich neu, dass das Christentum den menschlichen Körper nicht als eigenständige Größe auffasst. Warum sollte er auch keine sein? Die Leibfeindlichkeit des Katholizismus ist letztlich nicht christlich, sondern spät-platonisch. Ein Geist-Körper ist übrigens begrifflich exakt so denkunmöglich, wie ein rundes Dreieck, - jedenfalls dann, wenn man Geist so definiert, wie du es tust.

closs hat geschrieben: Einstein sagt irgendeinmal - auch hier lediglich eine Verständnis-Analogie und kein direkter Vergleich - , dass Materie verdünnte Energie sei. - So sieht es auch der christlich-geistige Ansatz (ich rede also nicht vom säkularen Verständnis von "Geist"): Körper ist sozusagen verdünnter Geist - also eine unmittelbare Ableitung von Geist (deshalb mein Verständnis-Hinweis auf "Kugel und Schatten").
Das ist esoterisch, aber nicht unbedingt christlich. Und Einstein spricht von Materie als (vermutlich verdichteter und nicht verdünnter) Energie, weil verhältnismäßig wenig Materie in kolossale Mengen Energie umwandelbar ist. Energie ist aber kein "Geist", schon gar nicht nach deiner eigenen Geist-Definition. Energie ist messbar und eine physikalische Größe. Jedes Thermometer misst Energie.

closs hat geschrieben: Insofern wäre folgender Satz weniger irreführend: "Körper ist ein unmittelbares Produkt des Geistes in tieferer ontologischer Dimension". - Könnten wir dann noch von einem "Dualismus" sprechen? - In DEINER Auffassung und DEINEM Verständnis hast Du natürlich recht - da hat man Deine Nachweise schnell beieinander. - Der Grund-Defekt der Descartes- bzw. (viel wichtiger) Geist-Beurteilung ist doch heute, dass man "Körper" als gesetzten Ausgangspunkt versteht - statt den Geist.
Du verstehst doch unter "Geist" substanzdualistisch etwas ganz anderes als die körperlichen Dinge. Weshalb sollten also Körper ein Produkt des Geistes sein? Das ist auf eine sehr verquere Weise allenfalls idealistisch verständlich im Sinne des objektiven Idealismus Hegels oder des subjektiven Idealismus Fichtes.

closs hat geschrieben:Kann überhaupt jemand "erweckt" werden, wenn er tot ist? Reden wir nicht vielmehr von einem Transformations-Prozess?
Ich rede ganz sicher nicht von einem Transformationsprozess. Denn einen solchen Transformationsprozess gibt es nicht. Jedenfalls nicht im Sinne einer leiblichen Auferstehung oder Wiedergeburt.
Auferstehung und Wiedergeburt sind uralte menschliche Vorstellungen, weil der Mensch seit Anbeginn seiner Zeit die Natur erlebt als in wiederkehrenden Kreisläufen von Geburt - Leben/Entwicklung - Tod - und wiederum Geburt - Leben/Entwicklung - Tod usf. Und wenn ich dereinst auf dem Sterbebett in die Gesichter meiner Enkel und vielleicht Urenkel sehe und nur eines davon so aussieht, wie ich ausgesehen habe, dann weiß ich, dass ich auferstanden und wiedergeboren bin. Vielleicht hat dieser Enkel nicht nur physische Ähnlichkeit mit mir, sondern auch charakterliche und vielleicht nervt sie ihren Vater wie ich damals mit der Frage, ob jemand, der immer lügt nicht die Wahrheit sagt, wenn er lügend sagt, dass er die Wahrheit sagt (woraufhin mir mein Vater das kretische Lügenparadox erkärte und mir die Geschichte von den beiden Brüdern erzählte, von denen einer immer die Wahrheit sagt und der andere immer lügt und die ein vorbeikommender Wanderer fragt, welcher Weg der richtige sei, ohne zu wissen, ob er es gerade mit dem Lügner oder dem Wahrheitssager zu tun hat). Dann weiß ich erst recht, dass ich wiedergeboren bin. :)

closs hat geschrieben:"Geistleib" ist nach meiner Auffassung eine sehr gute Lösung.
Geistleib ist keine Lösung, sondern eine esoterische Denkunmöglichkeit.

closs hat geschrieben:"Körper" klingt sonst zu sehr nach Fleisch und Blut.
Das ist der Körper ja auch: Fleisch und Blut. Und Lust und Schmerz; und Lachen und Weinen; und Tanzen und Zusammenbrechen; und jugendliche Ekstase und Gebrechlichkeit im Alter.

closs hat geschrieben: Glaubst Du wirklich, dass man mit Armen, Beinen incl. Darm und dessen Flora die "Visio Beatifica" erlebt? - Meinst Du, man bräuchte zur "Visio" biologische Augen?
Ich hoffe, diese "Visio Beatifica" zu erleben, wenn ich in die Gesichter meiner Kinder und Enkel schaue. Mehr erwarte ich nicht. Alles andere ist Schnickschnack.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Die Annahme einer geistigen Kraft, eines Élan vital, wird damit überflüssig.
Es behauptet niemand, dass ein Élan Vital der Erklärung chemischer Evolution dienen soll - das wäre viel zu billig.
Wenn man den Élan vital nicht zur Erklärung für irgend etwas gebrauchen kann, dann ist er offenkundig überflüssig.

closs hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Wie eine teleologische Kraft, gedacht als geistige Kraft, in der Natur stecken können sollte, ist nicht erklärbar.
Ist nicht naturwissenschaftlich erklärbar
Da die Naturwissenschaften die Natur erklären, deshalb heißen sie so, ist es maßgeblich, ob die Naturwissenschaften ein teleologisches Prinzip benötigen oder nicht. Benötigen sie es nicht, ist es offenkundig überflüssig. Wenn du trotzdem gerne daran glauben willst, dann ist dir das frei gestellt.

Thaddäus hat geschrieben:Würde man verstehen, dass geistige Prinzipien keine Handlanger-Dienste für naturwissenschaftliche Angelegenheiten leisten wollen, würde man diesen Vorwurf nicht machen.
Wenn ich naturwissenschaftliche Behauptungen auftselle, dann muss ich mich auch an den Erkenntnissen der Naturwissenschaften messen und korrigieren lassen. Wenn ich eine Arbeit über Modallogik verfasse oder über die Bedeutung von Tolkiens Werk für die phantastische Literatur, dann muss ich das nicht. Behaupte ich, dass Jesus leiblich auferstanden ist, dann mache ich eine naturwissenschaftliche Aussage. Erkläre ich, dass er ins Kerygma "auferstanden" ist, also in die christliche Predigt über den existenziellen Gehalt seiner Auferstehung, - also was sie für uns heute noch für eine existenzielle Bedeutung haben kann, - dann nicht.

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#9 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von closs » Fr 22. Apr 2016, 23:39

Thaddäus hat geschrieben:Für Descartes sind die res extensa, also die körperlichen Dinge, gegeben.
Das haben wir anders gelernt - gerade neulich habe ich einen Dwescartes-Vortrag in "Wissenschaft für Schlaflose" (oder so ähnlich) auf Arte (?) gesehen, in dem dies ausdrücklich nach meinem Verständnis interpretiert wurde.

Nach meinem Verständnis sind die "Res extensa" deshalb "gegeben" (= Entität), weil man dies aus der Annahme des "wohlwollenden Gottes" annehmen darf - also auf Basis einer Setzung. - Wie sonst könnte man an Allem zweifeln, also auch an der Entität der Res extensa?

Thaddäus hat geschrieben:Allein über das "Ich zweifle, also muss ich, der Zweifelnde, existieren" können wir uns nicht täuschen.
Genau. - Das Ich ist die einzig sicher "gegebene" Entität.

Thaddäus hat geschrieben:Es sind keine Entitäten, sondern Substanzen, sie sind also substanziell unterschiedlich.
Dann wären BEIDE Entitäten. - Unter Entität verstehe ich "Sein", das unabhängig von Wahrnehmung "ist" - es kann also Entitäten geben, von denen wir gar nichts wissen. - Seiendes im Gegensatz zum Schein. - Hat nach meiner Erinnerung etwas mit dem ontologischen Substanz-Begriff zu tun.

Thaddäus hat geschrieben: So ist die Seele eine Entität.
Oje - jetzt wird's schwierig. - Hier würde ich verstehen, dass eine Seele nur dann eine Entität ist, wenn sie tatsächlich existiert - z.B. auch dann, wenn niemand das Wort "Seele" in den Mund nehmen würde. - Anders gesagt: Pumuckl ist aus meiner Sicht KEINE Entität, weil er eine Wortschöpfung des Menschen ist, also "eigentlich" nicht existiert.

Allerdings gestehe ich, dass dies ein sehr schwieriges Thema ist und ich selber schwimme. - Andersrum: Mir geht es darum, dass es eine sprachliche Unterscheidung gibt zwischen dem, was auch ohne unsere Thematisierung/Wahrnehmung "ist", und dem, was wir uns "einbilden". - Bisher habe ich dafür das Wort "Entität" verwendet.

Thaddäus hat geschrieben:weil der Mensch ganz offensichtlich sowohl das eine, als auch das andere ist.
WENN die Wahrnehmung der Res cogitans nicht getäuscht wird von einem "deus malignus" - und genau das weiss man eben nicht.

Thaddäus hat geschrieben:das ist bei Descartes kein Wahrnehmungsdualismus, sondern er unterteilt das Seiende ontologisch in denkende und ausgedehnte "Sachen" (res).
Wir haben jetzt das Problem, dass Dein erster Satz ganz oben aus meiner Sicht falsch ist: "Für Descartes sind die res extensa, also die körperlichen Dinge, gegeben".

Natürlich unterscheidet Descartes zwischen cogitans und extensa - aber ersteres ist setzungs-frei und das andere nicht (wie begründet). - Deshalb mein Ausdruck: Wahrnehmungs-Dualismus (oder wie würdest Du diesen Unterschied sprachlich markieren?)

Thaddäus hat geschrieben:Ja, wenn man das Seiende substanziell in Geistiges auf der einen und materiell Körperliches auf der anderen Seite streng unterteilt, dann ist man Substanzdualist.
Kann man so definieren - nur: Wie markiert man sprachlich, dass Materie nichts anderes sein könnte als "geronnener Geist"? - Also im Grunde nichts anderes?

Wenn Licht durch Photosynthese organische Stoffe erzeugt (so ähnlich ist es doch, oder?): Ist das dann ein Dualismus aus Licht und organischer Stoffe?

Thaddäus hat geschrieben:Der unterteilt gerade nicht substanziell in Geistiges und Materielles.
Eigentlich macht das das Christentum auch nicht, wenn es Materie versteht als etwas aus der geistigen Substanz - nur halt "geronnen". - Und jetzt?

Thaddäus hat geschrieben: Es liegt also kein Dualismus vor, weil Schatten und Gegenstand nicht unterschiedliche Substanzen sind.
Mir ging es um das Verständnis des Grundgedankens (wie auch der Versuch mit der Photosynthese), um den Begriff "Dualismus" nicht zu leichtfertig zu verwenden.

Thaddäus hat geschrieben:aber da wird nichts gesetzt, sondern Descartes argumentiert.
Ich würde sagen, es wird ontologisch bewiesen und muss deshalb nicht gesetzt werden. - Da könnten wir dasselbe meinen.

Thaddäus hat geschrieben: Du verwendest auch den begriff "Entität" falsch. Entitäten sind Seiendes (von lat. ens). Ein Baum ist eine Entität genau so, wie ein Gedanke.
Ist auch das "Spaghetti-Monster eine Entität".

Siehe oben:
Ich bin hier wirklich unsicher und verwende Entität zur Unterscheidung von Sein und Schein (Schein = nicht Entität). - Zu einfach? - Wenn ja: Gibt es kein Wort für diesen Unterschied?

Thaddäus hat geschrieben:Nein, Descartes ist Philosoph: der glaubt nicht, sondern er argumentiert und zieht Schlussfolgerungen. Descartes glaubt nicht nur, dass unsere Wahrnehmung grundsätzlich ein objktives Bild der Wirklichkeit vermittelt, sondern er versucht das durch seine Argumentation nachzuweisen.
So einfach ist das nicht. - Natürlich verargumentiert er, warum unsere Wahrnehmung die "Wirklichkeit" objektiv sieht (was aus meiner Sicht übrigens sehr optimistisch ist) - ABER: Das ist doch erst der ZWEITE Schritt - er kann es doch erst verargumentieren, NACHDEM er GLAUBT, dass wir einen "wohlwollenden Gott" haben.

Du umschiffst den ersten Schritt und fängst mit dem zweiten an.

Thaddäus hat geschrieben:Es wäre mir gänzlich neu, dass das Christentum den menschlichen Körper nicht als eigenständige Größe auffasst.
Im Dasein schon - das ist nicht die Frage. - Aber sicherlich kennst Du auch den Begriff des "Geistleibes" - zu verstehen als nicht-materielle Identitäts-Beschreibung des Menschen nach dem biologischen Tod.

Thaddäus hat geschrieben:Ein Geist-Körper ist übrigens begrifflich exakt so denkunmöglich, wie ein rundes Dreieck, - jedenfalls dann, wenn man Geist so definiert, wie du es tust.
Das müsstest Du erklären - in meinem Verständnis ist es sehr wohl denkmöglich. - Irgendwo scheinen wir eine begriffliche Differenz zu haben.

Thaddäus hat geschrieben: Energie ist aber kein "Geist"
Das war eine Analogie - oder wenn Du willst: ein Gleichnis - , um Aussagen zu verstehen - mehr nicht.

Thaddäus hat geschrieben:Weshalb sollten also Körper ein Produkt des Geistes sein?
Glaubst Du, dass die christliche Sicht "Und Gott schuf" vollkommen aus der Luft gegriffen ist? - Ist das "verquer"? - Nicht dass ich die Bibel "ab-glauben" würde (ganz bestimmt nicht) - aber ich finde hier etwas wieder, was mir aus meinem philosophischen Verständnis mühelos klar ist.

Deshalb muss es wohl an unterschiedlichen Begriffs-Besetzungen liegen - aber ich habe den Daumen noch nicht drauf.

Thaddäus hat geschrieben:Geistleib ist keine Lösung, sondern eine esoterische Denkunmöglichkeit.
Auch hier: Du erweckst den Eindruck, dass die Substanz der Bibel/des Christentums eine einzige Denkunmöglichkeit ist. - Meine Suche geht deshalb woanders hin: Unter welchen Prämissen denkst Du, damit es eine Denkunmöglichkeit sein kann?

Thaddäus hat geschrieben:Das ist der Körper ja auch
Im Dasein - ja, natürlich. - Das ist nun wirklich nicht angezweifelt. - Nur: Davon reden wir nicht, wenn wir über die Identität des Menschen nach dem biologischen Tod sprechen.

Thaddäus hat geschrieben:Alles andere ist Schnickschnack.
Woher willst Du das wissen?

Thaddäus hat geschrieben:Wenn man den Élan vital nicht zur Erklärung für irgend etwas gebrauchen kann, dann ist er offenkundig überflüssig.
Wenn man es für nichts gebrauchen kann, dann ist das so. - Wenn es Bergson rein biologisch gemeint hat (dazu kenne ich ihn nicht gut genug), hat es in einer theologischen Diskussion nichts zu suchen - dann wird es dort seinen Sinn haben.

Thaddäus hat geschrieben:Benötigen sie es nicht, ist es offenkundig überflüssig.
In der Naturwissenschaft IST sie überflüssig. - Und wenn man "Geist" ausschließlich als naturalistische Größe versteht, ist sie insgesamt überflüssig. - Aber hier geht es um das, aus dem Natur ist - also letztlich "Gott".

Thaddäus hat geschrieben:Behaupte ich, dass Jesus leiblich auferstanden ist, dann mache ich eine naturwissenschaftliche Aussage.
Unterm Stich: NEIN.

Natürlich geschieht - wenn man es wörtlich sieht - das Verschwinden des Leichnams Jesu ("das Grab war leer") im naturalistischen Raum statt und ist somit erst mal Sache der Naturwissenschaft. Nur: Wie will unsere Naturwissenschaft zugreifen, wenn etwas von außerhalt des naturalistischen Raums zugreift? - Eine ganz andere Dimension zugreift. - Ein - wieder nur - Verständnis-Gleichnis:

Wenn man auf ein Blatt Papier ein Viereck zeichnet mit einer angedeuteten Tür, vor der eine als Wächter erkennbare Strichfigur sitzt, und hinter der im Raum eine Häftlings-Strichfigur sitzt: Was würde eine 2D-Naturwissenschaft machen, wenn jemand aus 3D diesen Häftling nach oben rausnimmt? - Der Wächter macht frühs die Tür auf - Häftling ist weg - die Wände sind dicht, die Tür war bewacht. - Und jetzt?

UNSERE Naturwissenschaft ist eine Disziplin, die sich auf UNSER Universum bezieht - sonst nichts. - Mehr kann sie nicht beobachten.

Mit anderen Worten:
Es ist aus meiner Sicht materialistische Hybris, wenn man meint, geistiges Geschehen (dazu gehört auch die leibliche Auferstehung) an Erkenntnissen UNSERER Naturwissenschaft messen und korrigieren zu lassen. - Da wackelt der Schwanz mit dem Hund.

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#10 Re: Descartes und Glaube

Beitrag von sven23 » Sa 23. Apr 2016, 06:41

closs hat geschrieben: Mit anderen Worten:
Es ist aus meiner Sicht materialistische Hybris, wenn man meint, geistiges Geschehen (dazu gehört auch die leibliche Auferstehung) an Erkenntnissen UNSERER Naturwissenschaft messen und korrigieren zu lassen. - Da wackelt der Schwanz mit dem Hund.
Ist es nicht eher Hybris, wenn man meint, alles mit "geistigem" Lack übertünchen zu müssen?
Zur leiblichen Auferstehung kann die Naturwissenschaft nichts sagen, ausser, dass so etwas noch nie beobachtet werden konnte. Das gilt übrigens für alle supranaturalen "Phänomene".
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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