Du und Ich bei Martin Buber

Judentum, Islam, Hinduismus, Brahmanismus, Buddhismus,
west-östliche Weisheitslehre
Antworten
Benutzeravatar
Demian
Beiträge: 3533
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:09

#1 Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von Demian » Fr 26. Apr 2013, 04:52

Ich möchte euch auf Martin Buber hinweisen, von dem, in meinen Augen, eine große spirituelle Kraft ausgeht. Hierzu möchte ich euch ein paar Auszüge aus seinem Werk „Ich und Du“ vorstellen, die sich wohl in seinem Satz „alles wirkliche Leben ist Begegnung“ zusammenfassen lassen.

Die Beziehung zum Du ist unmittelbar. Zwischen Ich und Du steht keine Begrifflichkeit, kein Vorwissen und keine Phantasie; und das Gedächtnis selber verwandelt sich, da es aus der Einzelung in die Ganzheit stürzt. Zwischen Ich und Du steht kein Zweck, keine Gier und keine Vorwegnahme; und die Sehnsucht selber verwandelt sich, da sie aus dem Traum in die Erscheinung stürzt. (...)

Gegenwart (...) gibt es nur insofern, als es Gegenwärtigkeit, Begegnung, Beziehung gibt. Nur dadurch, daß das Du gegenwärtig wird, entsteht Gegenwart. (...) Insofern sich der Mensch an den Dingen genügen läßt, die er erfährt und gebraucht, lebt er in der Vergangenheit, und sein Augenblick ist ohne Präsenz. Er hat nichts als Gegenstände; Gegenstände aber bestehen im Gewesensein.(...)

Gefühle begleiten das metaphysische und metapsychische Faktum der Liebe, aber sie machen sie nicht aus; und die Gefühle, die es begleiten, können sehr verschiedener Art sein. Das Gefühl Jesu zum Besessenen ist ein andres als das Gefühl zum Lieblingsjünger; aber die Liebe ist eine. Gefühle werden »gehabt«; die Liebe geschieht. Gefühle wohnen im Menschen, aber der Mensch wohnt in seiner Liebe. Das ist keine Metapher, sondern die Wirklichkeit: die Liebe haftet dem Ich nicht an, so daß sie das Du nur zum »Inhalt«, zum Gegenstand hätte, sie ist zwischen Ich und Du.

Wer dies nicht weiß, mit dem Wesen weiß, kennt die Liebe nicht, ob er auch die Gefühle, die er erlebt, erfährt, genießt und äußert, ihr zurechnen mag. Liebe ist ein welthaftes Wirken. Wer in ihr steht, in ihr schaut, dem lösen sich Menschen aus ihrer Verflochtenheit ins Getriebe; Gute und Böse, Kluge und Törichte, Schöne und Häßliche, einer um den andern wird ihm wirklich und zum Du, das ist, losgemacht, herausgetreten, einzig und gegenüber wesend; Ausschließlichkeit ersteht wunderbar Mal um Mal - und so kann er wirken, kann helfen, heilen, erziehen, erheben, erlösen. Liebe ist die Verantwortung eines Ich für ein Du: hierin besteht, die in keinerlei Gefühl bestehen kann, die Gleichheit aller Liebenden, vom kleinsten bis zum größten und von dem selig Geborgenen, dem sein Leben in dem eines geliebten Menschen beschlossen ist, zu dem lebelang ans Kreuz der Welt Geschlagenen, der das Ungeheure vermag und wagt: die Menschen zu lieben. (...)

Der Mensch wird am Du zum Ich. Gegenüber kommt und entschwindet, Beziehungsereignisse verdichten sich und zerstieben, und im Wechsel klärt sich, von Mal zu Mal wachsend, das Bewußtsein des gleichbleibenden Partners, das Ichbewußtsein. (...) Das Ich [steht] sich selbst, dem abgelösten, einen Augenblick gegenüber, um alsbald von sich Besitz zu ergreifen und fortan in seiner Bewußtheit in die Beziehungen zu treten. (...) Geist in seiner menschlichen Kundgebung ist Antwort des Menschen an sein Du. (...) Geist ist Wort. (...) In Wahrheit nämlich steckt die Sprache nicht im Menschen, sondern der Mensch steht in der Sprache und redet aus ihr, - so alles Wort, so aller Geist. Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. (...) Der Mensch lebt im Geist, wenn er seinem Du zu antworten vermag. Er vermag es, wenn er in die Beziehung mit seinem ganzen Wesen eintritt. Vermöge seiner Beziehungskraft allein vermag der Mensch im Geist zu leben. (...)

Die wahre Gemeinde entsteht nicht dadurch, daß Leute Gefühle füreinander haben (wiewohl freilich auch nicht ohne das), sondern durch diese zwei Dinge: daß sie alle zu einer lebendigen Mitte in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen und daß sie untereinander in lebendig gegenseitiger Beziehung stehen. Das zweite entspringt aus dem ersten, ist aber noch nicht mit ihm allein gegeben. Lebendig gegenseitige Beziehung schließt Gefühle ein, aber sie stammt nicht von ihnen. Die Gemeinde baut sich aus der lebendig gegenseitigen Beziehung auf, aber der Baumeister ist die lebendige wirkende Mitte.

Bild
Marc Chagall: Adam et Eve chasses du Paradis
Zuletzt geändert von Demian am Fr 26. Apr 2013, 10:49, insgesamt 2-mal geändert.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#2 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von Pluto » Fr 26. Apr 2013, 07:31

Hi Demian,

Zunächst mal, [TL;DR]

Weiter, sagt mir Martin Buber recht wenig. Ich kenne ihn eigentlich nur als jüdischen Mystiker des 20 Jahrhunderts. Ansonst ist seine Philosophie des Dialogs mir ein verschlossenes Buch.
Erzähl doch mal in 10 Zeilen, die Essenz seiner Philosophie.

Auch verstehe ich nicht den Zusammenhang mit dem Bild Marc Chagalls. Was ist der Bezug zum Text?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Demian
Beiträge: 3533
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:09

#3 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von Demian » Fr 26. Apr 2013, 08:25

Erzähl doch mal in 10 Zeilen, die Essenz seiner Philosophie.

Dagegen spricht schon mal, dass ich nicht Buber bin und es wohl kaum schaffen werde, seine Ansichten in weniger Worten auszudrücken, als er selbst es vermochte. :mrgreen: Zumal man den jungen, mystisch orientierten, und den später eher rationalistisch und vorsichtig argumentierende Buber, nicht über einen Kamm scheren sollte. Um die ganze Person darzustellen fehlt mir, muss ich gestehen, das Wissen, weshalb ich nur wage eine Richtung zu skizzieren ... und zwar dialogisch ... das wäre wohl im buberschen Sinne.

Der Grundgedanke seiner Lebensphilosophie ist wohl, dass er das Leben als Begegnung begreift. Das Ich existiert für ihn nicht außerhalb der Begegnung. Mensch und Gott stehen bei ihm nicht im Gegensatz, sondern das „geeinzelte Du“, von Mensch zu Mensch, ist immer zugleich eine Möglichkeit des Durchblicks oder Durchbruchs „zum ewigen Du“. Die Begegnung der Menschen ist also ein Ort der Spiritualität, unabhängig davon, was sie glauben. Grundlage der Religion sollte diese dialogische Beziehungsfähigkeit sein und nicht umgekehrt die Beziehungsfähigkeit der Menschen auf eine bestimmte Religion oder religiöse Auslegung reduziert werden. Das, würde ich sagen, ist seine Grundlinie.

Er selbst schrieb jedenfalls in einem als Gespräch geschriebenen Essay ( „Mit einem Monisten“ ), dass er kein Mystiker sei „nein, Rationalist, das ist die einzige meiner Weltsichten, der ich es erlaubt habe, sich zum Ismus zu verbreitern. Ich bin dafür, dass die Ratio alles aufnehme, alles bewältige, alles verarbeite. Nichts kann ihr widerstehen, nichts sich vor ihr verbergen. Ich finde das herrlich. Ein Meisterstück der Zeiten...
Zuletzt geändert von Demian am Fr 26. Apr 2013, 12:29, insgesamt 2-mal geändert.

Pluto
Administrator
Beiträge: 43975
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:56
Wohnort: Deutschland

#4 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von Pluto » Fr 26. Apr 2013, 09:41

Danke dir.
Das war wirklich sehr hilfreich für mein Verständnis von Buber.

Und was ist mit dem Chagall Gemälde? Welche Bewandtnis hat es zum Buber Text?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Benutzeravatar
Demian
Beiträge: 3533
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:09

#5 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von Demian » Di 7. Mai 2013, 22:10

Pluto hat geschrieben:
Und was ist mit dem Chagall Gemälde? Welche Bewandtnis hat es zum Buber Text?

Das Bild von Chagall stellt die Vertreibung Adam und Evas aus dem Paradies dar ... mein Gedankengang war, dass schon in diesem Urmythos der Vertreibung die Beziehungsfähigkeit, eben das Verhältnis von Ich und Du archetypisch vermittelt ist. Das heißt auch rückwirkend: in der Begegnung erlebt der Mensch, soetwas wie die Rückkehr ins Paradies. Der strahlende Lichtkranz in diesem Bild, verweist auf das Wort Gottes ( die Fähigkeit zur Sprache, genauer: zur Zusprache! ). Das Paradies ist eben nicht ganz verloren. Adam und Eva repräsentieren es ja, als Personen, als Personen die einander, als Ich und Du, Antwort geben, sich einander zusprechen, das Paradies existiert nur in der Begegnung von Ich und Du. Keine echte Begegnung zu haben, ist gleichbedeutend mit der Vertreibung aus dem Paradies.

Benutzeravatar
kandyra
Beiträge: 730
Registriert: Mo 15. Apr 2013, 23:04

#6 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von kandyra » Di 7. Mai 2013, 22:44

Demian hat geschrieben:Ich möchte euch auf Martin Buber hinweisen, von dem, in meinen Augen, eine große spirituelle Kraft ausgeht. Hierzu möchte ich euch ein paar Auszüge aus seinem Werk „Ich und Du“ vorstellen, die sich wohl in seinem Satz „alles wirkliche Leben ist Begegnung“ zusammenfassen lassen.

ein schwieriges kleines Büchlein, es liegt schon viele Jahre in meinem Büchergestell und jedesmal wenn ich es rausnehme verstehe ich wieder einen Satz mehr, aber die ersten Jahre hab ich einfach nichts darin verstanden und es wieder ins Regal gelegt.
Ich bin immer wieder erstaunt wie Du Dich in Deinen jungen Jahren so spirituell mitteilst, ist wirklich schön zu beobachten. 8-)
Bild

closs
Beiträge: 39690
Registriert: Fr 19. Apr 2013, 20:39

#7 Re: Du und Ich bei Martin Buber

Beitrag von closs » Di 7. Mai 2013, 22:46

Demian hat geschrieben:in der Begegnung erlebt der Mensch, soetwas wie die Rückkehr ins Paradies.
Ganz recht - das Einssein mit Menschen ist die höchste Form des Abbilds - eine Vorschattung des Vereint-Seins von göttlichem und menschlichem Dasein.

Antworten