Anton B. hat geschrieben:Wer "weiß" es denn und wer behauptet was?
Um eine Aussage ziemlich wörtlich aus dem GEdächtnis zu zitieren: "Die Naherwartung ist wissenschaftlich nachgewiesen und somit gleichzusetzen mit 'So war es wirklich' ".
Anton B. hat geschrieben:Und weil ja nicht "es ist so und so" das Ziel der Wissenschaft ist, sondern Erklärungsmodelle vernünftig begründet zu behandeln, hat man sich letztendlich auch vernünftig damit auseinander gesetzt.
Absolut einsichtig und ganz nach meinem Geschmack - aber: In der Praxis (und nicht nur hier auf dem Forum) wird "nachweisen" mit "So ist es" gleichgesetzt - natürlich nicht von Wissenschaftlern wie Dir, aber von Wissenschafts-Darstellern in den Medien. - Das entspricht meiner These, dass de facto "Wissenschaft" und "Weltanschauung" vermengt werden, Wissenschaft also durch Weltanschauung kontaminiert wird.
Das findest Du hier ständig im Forum, aber - viel wichtiger - ständig in öffentlichen Darstellungen in Wort und Bild - es ist de facto gesellschaftlicher Standard.
Anton B. hat geschrieben:Es ist möglich, dass ein Modell als gur bewährtes, bisher nicht falsifiziertes Wissen angesehen wird, obwohl -- was man jetzt noch nicht "weiß" -- in der Zukunft Falsifizierungen die Unrichtigkeit des Modells beweisen können und dann ein anderes Modell an dessen Stelle treten mag.
Bei dem Thema "Naherwartung" ist es komplizierter: Auch ich glaube, dass der Stand der historisch-kritischen Forschung zu diesem Thema NICHT falsifiziert werden wird, weil die Begründung dafür in der Logik der Methodik sehr vernünftig ist (und ich überhaupt nicht unterstelle, dass man hierbei wissenschaftliche Stockfehler gemacht hat).
Das Problem liegt woanders: Die historisch-kritische Methodik ist "bauartbedingt" nicht in der Lage, geistige Fragestellungen als solche zu behandeln, muss also Texte und Aussage so lesen und interpretieren, wie sie es tut (etwas Ähnliche schwant mir übrigens bei der Homöopathie - aber da bin ich nicht tief genug drin, um dies gut genug begründen zu können).
Wir haben also beim Naherwartungs-Thema das Problem, dass der HKM-Ansatz vielleicht nie falsifiziert wird (da er ja nur von der HKM falsifiziert werden kann), aber der HKM-Ansatz in Bezug auf die Wirklichkeit in dieser Frage ganz einfach falsch ist - was die Theologie ebenfalls sehr gut begründet - aber halt nicht per HKM, sondern per Hermeneutik oder fundamental-theologisch oder sonst was - eben weil die Theologie weiß, dass man solche geistigen Fragen zwar per HKM untersuchen kann und damit Sach-Ergebnisse ermitteln kann, aber solche Fragen nicht adäquat beantworten kann - "bauartbedingt".
Also haben wir im Ernstfall folgendes: Die historisch-kritische Forschung "weiss" (im Sinne Deiner Wort-Definition), dass Jesus eine Naherwartung hatte - die restliche Theologie "weiss", dass das falsch ist. - Aber nur eines kann WIRKLICH richtig sein.
Und jetzt gehe mal mit sowas an die Öffentlichkeit: Diese hört dann "Wir "wissen", dass Jesus eine Naherwartung hatte" und diese hört ebenfalls "Wir wissen, dass Jesus KEINE Naherwartung hatte". - Das überfordert - und dann kommt Vertrauensverlust in Wissenschaft und schon haben wir "postfaktische" Verhältnisse.
Anton B. hat geschrieben:Wenn Du aber den Begriff im einen oder anderen Sinne eindeutig verwenden möchtest -- und das ist solchen Diskussionen meistens sehr förderlich -- dann stelle den Sinn doch explizit klar. Wie soll denn sonst eine Diskusion hier funktionieren?
Mache ich schon, indem ich regelmäßig wiederhole, dass "Wissen" immer nur "System-Wissen" sein kann - damit ist in etwa das gemeint, was Du in anderen Worten sagst. - Aber das stößt auf Ablehnung - "Wissen" hat absolut zu sein.