Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
Pluto
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#2441 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Do 19. Nov 2015, 13:51

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Aber seine Aussagen gelten nicht ewig, denn er verfügte nicht über das Wissen unserer Zeit.
Das sind geistige Aussagen, die nur was taugen, wenn sie immer gelten. - Hätte er Aussagen physikalischer Natur gemacht, würde ich Dir zustimmen.
Tja...
Wer glaubt, dass die Aussagen irgendeines Menschen für die Ewigkeit ist, der träumt.

Wir halten uns in unserem Anthropozentrismus für so wichtig auf der Welt, und verändern dauernd ihr Antlitz zu unseren Gunsten. Doch am Ende ist die Natur die Siegerin. Menschen sind nur eine flüchtige, vorübergehende Erscheinung auf dem Planeten. Was glaubst du was in 500 Millionen Jahren vom Menschen noch übrig bleiben wird? — NICHTS.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#2442 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 14:49

Savonlinna hat geschrieben:Wie man sieht, geht es nicht darum, eine rasche und fertige Antwort zu geben, sondern die Frage selber überhaupt erst einmal in ihrer Tiefe in den Blick zu bekommen.
Das ist ja ok. - Aber meinst Du wirklich, dass er keine Antwort will?

Savonlinna hat geschrieben:Es genügt eigentlich, das Zitierte überhaupt erst mal verstehen zu wollen, statt ihm rhetorische Antworten schon im Voraus zu unterstellen.
Auch ok. - Siehst Du einen Zeitpunkt, an dem man Antworten geben kann?

Savonlinna hat geschrieben:Es gilt, wie er schreibt, die Struktur des Seins - oder die Natur des Seins - in den gegebenen Dingen aufzufinden.
Natürlich - wir haben doch nichts anderes als "das Gegebene". - Das Sein/die Idee/die Realie/"Gott" selbst ist nicht ohne Thematisierung im Dasein berührbar. - Da ist Tillich voll auf der christlichen Linie.

Savonlinna hat geschrieben:Ich möchte aber in diesen Thread Tillich einbringen.
In Deiner Interpretation. - Das ist ja ebenfalls ok. - Aber meine doch nicht, dass Du selber interpretations-frei wärest. - Deine Zitate Tillichs passen bisher sehr gut in mein Weltbild - und nu?

Savonlinna hat geschrieben:Ich sage also mal: Gott sei das Unergründbare. Bzw. das, was unergründbar ist. Einverstanden?
Ja - eine notwendige, aber nicht hinreichende Definition. - EIN Aspekt.

Savonlinna hat geschrieben:Was also ist Gott für Dich in diesem Zusammenahng?
Das bezog sich auf den Punkt zuvor: Das Unergründbare, an dem wir im Seienden durch Thematisierung teilhaben können. - Offenbarungen als "Krücken" im Dasein, um an etwas auf Daseins-Ebene an etwas teilzuhaben, an dem wir in dessen Wesens-Dimension NICHT teilhaben können.

Savonlinna hat geschrieben:Nähme ich mal alle "Iche" zusammen, dann wäre die Fähigkeit, "ich" zu sagen, aber nicht nur sich selber damit zu meinen, Gott.
Ein vorsichtiges: Einverstanden.

Savonlinna hat geschrieben:ich sage ja zu allem Möglichen "ich", was gar nicht von mir stammt, aber als von mir stammend wahrnehme.
Das verstehe und kenne ich SO nicht.

Savonlinna hat geschrieben:Gelänge es, zu allem, was der Mensch als "seiend" deutet, "ich" zu sagen: dann wäre vielleicht das Gottesbewusstsein erreicht.
Einverstanden?
Nicht ganz. - Ich denke, dass wir bei UNSEREM Namen gerufen sind - dass es also nicht unsere Aufgabe sein soll, unser Bewusstsein (als Ich-Bewusstsein) auf andere(s) auszuweiten.

Wenn Du aber theoretisch meinst im Sinne von "KÖNNTEN wir es, dann hätten wir etwas auf dem Weg zu Gottes-Bewusstsein erreicht", dann stimme ich Dir zu. - Aber wirklich nur theoretisch und nicht als Ziel.

Savonlinna hat geschrieben:Hegel spricht von der dialektischen Aufhebung, wo Gegensätze eben durch dialektisches Denken als nicht-gegensätzlich erkannt werden. Möglicherweise meinst Du das - und nicht die "Aufhebung jeglicher Dialektik".
Ich meine "das" UND auch die "Aufhebung der Dialektik" selbst. - Wenn es also nichts mehr aufzuheben gibt, weil alles aufgehoben ist. - Denn das ist die Voraussetzung für "Alles in Einem" in "Pax et Lux".

Savonlinna hat geschrieben:Dann wäre Gott erneut ein Synonym für das Unergründbare, aber konkret Vorhandene.
Das passt.

Savonlinna hat geschrieben:Ein Kunstbegriff, wo das "Über" irgendwie räumlich oder hierarchisch gemeint ist.
Ich würde eher sagen: Wo das Zeitliche aufgehoben ist - es also in sich trägt, aber nicht selbst zeitlich ist. - WIE das "aussehen" soll, weiss ich nicht, weil unsere Wahrnehmung dafür nicht gemacht ist - aber man kann damit göttliche Dinge erklären, die sonst nicht erklärbar wären.

Savonlinna hat geschrieben:Dann wäre Gott das, was in uns als Nicht-Zeitlichem entdeckt wurde.
Dann wäre das, was uns als nicht-zeitlich erscheint, eine Ahnung von der Über-Zeitlichkeit Gottes.

Savonlinna hat geschrieben:Warum denken manche sich Gott als allmächtig?
Er wäre nur dann NICHT allmächtig, wenn er Geister gerufen hätte, die er nicht mehr loskriegt. - Theoretisch möglich.

Mein Grundgedanke pro Allmacht (und Allwissen) ist:
Wenn alles außer Gott tieferer Dimension ist als Gott UND aus Gott stammt: Wie könnte es die höhere Dimension NICHT beherrschen (außer er will es selber so haben)?

Savonlinna hat geschrieben:Ich habe vorhin überlegt, ob dieses Allmachtdenken nicht eher symbolisch Satan zuzuschreiben wäre.
"Fürst der Welt", also des Daseins, wäre der biblische Ausdruck dazu. - Aber auch: Der Satan ist der Prokurist Gottes - der Satan ist weder Geschäfsführer noch Gesellschafter. - Insofern ist es geliehene Macht - also eben KEINE Allmacht.

Savonlinna hat geschrieben:Dann stellt man fest, dass Gott diesen Übeln ja gar nicht abhilft, und man hat ein logisches Problem.
Wenn man es falsch angeht, ja.

Savonlinna hat geschrieben:Darum fände ich es sinnvoller, Gott als die treibende Kraft anzusehen, die die Menschheit zu sich selber führen will
Ganz sicher richtig. - Aber Deinen Komparativ "sinnvoller" verstehe ich nicht. - Wie sollte das eine ("Allmacht") mit dem anderen ("treibende KRaft") etwas zu tun haben?

Savonlinna hat geschrieben:dann käme dieses "historische Gedächnis" einer Allwissenheit gleich.
Über-zeitliche Allwissenheit wäre ein zeitliches Voraus-Wissen, das weiss, dass Savonlinna am 32.12.2016 um 14:33 im Englischen Garten in München ein Eis ißt, weil es 21° C hat.

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#2443 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 14:51

JackSparrow hat geschrieben:Um methodisch-wissenschaftlich eine Objektivität nachzuweisen, muss man lediglich eine unendliche Anzahl von Messungen durchführen, die Messwerte addieren und die Summe anschließend durch unendlich dividieren.
Absolut. - Das würde ich (vielleicht etwas schlampig) als "objektiv(ierbar)e Realität" bezeichnen. - Dem wurde aber widersprochen.

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#2444 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Savonlinna » Do 19. Nov 2015, 14:51

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Warum sollte ich?
Ich weiss es doch schon.

Pluto hat geschrieben:Nicht einmal das kannst du wissen.
Pure Logik. - Wenn man setzt, dass a) menschliches Wissen und b) das, was Realität ist NICHT identisch sind, folgt daraus, dass mein Nicht-Wissen nicht heisst, dass es keine Antwort auf die gestellte Frage ist.
Da hast Du echt Recht, closs. So klar hast Du es noch nie gesagt.
Nur wenn Du "setzt", dass menschliches Wissen und das, was Realität ist, NICHT identisch sind, folgt daraus, dass es eine Realität geben kann, die menschliches Wissen nicht kennt.

Aber eben nur, wenn Du es setzt.
Wenn die Setzung Müll ist, hilft die ganze Logik nichts.
Und sie ist Müll.
Sie mag gelten, wenn Du Deine Aussage einschränkst und Du damit nur eine Position widerlegen willst, die behauptet, nur naturwissenschaftlich definierte Realität gibt es.
Dann kann man gegenbelegen, dass es auch geistige Realitäten gibt.

Deine Verallgemeinerung aber ist Schrott. Und nur gegen sie argumentiere ich an, weil man mit Schrott keine Philosophie betreiben kann, und Theologie schon mal überhaupt nicht.

Schrott ist sie darum, weil jegliche Wahrnehmung eine Form der Realität ist. Das ist nachweisbar.
Genauso gut kannst Du "setzen", dass jeder Mensch drei Beine hat. Setze es, folgere logisch daraus, dass Menschen sehr schwer laufen können (mit drei Beinen läuft es sich nicht gut), und Du hast logisch völlig Recht.

Trotzdem ist die Aussage Müll, weil Deine Setzung widernatürlich ist.
Und genauso ist es widernatürlich, oder widergeistig, dass Realität nicht durch das gebildet ist, was Wahrnehmung ausmacht.
Es sind zwei Seiten derselben Sache.
Du hast Dich damit offenbar nie beschäftigt.

Zusammenfassung:
Deine Threadaussage mag auf die Frage, ob die Naturwissenschaft das alleinige Recht habe, "Realität" zu definieren, mit "nein" zu beantworten sein.
Deine Verallgemeinerung aber, dass menschliches Wissen nicht identisch mit Realität ist, ist eben Schrott, weil längst nachgewiesen ist, dass nur die Begriffe Verschiedenes ausdrücken - der Sachverhalt aber viel komplexer ist.

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#2445 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 14:52

Pluto hat geschrieben: Doch am Ende ist die Natur die Siegerin. Menschen sind nur eine flüchtige, vorübergehende Erscheinung auf dem Planeten.
Absolut einverstanden - naturalistisch btrachtet hast Du (wie eigentlich immer) recht.

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#2446 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 15:11

Savonlinna hat geschrieben:Wenn die Setzung Müll ist, hilft die ganze Logik nichts.
Das ist immer so. - In der Regel sind logische Argumentationen fehlerfrei, aber in sich unsinnig, weil deren Grundlage nicht stimmt.

Savonlinna hat geschrieben:Schrott ist sie darum, weil jegliche Wahrnehmung eine Form der Realität ist. Das ist nachweisbar.
Das kommt drauf an, wie man "Realität" definiert - Naturalisten würden "geistige Realität" NICHT als "Realität" anerkennen.

Außerdem zäumst Du den Gaul von hinten auf. - Denn dass jegliche Wahrnehmung eine Form von "Realität" ist: Darüber sind wir uns einig. - Umgekehrt wird ein Schuh draus: Ist jegliche "Realität" für uns wahrnehmbar? - Das alte Thema: "Jeder Dackel ist ein Hund". - Aber gilt deshalb auch: "Jeder Hund ist eine Dackel" ---???---

Savonlinna hat geschrieben:Und genauso ist es widernatürlich, oder widergeistig, dass Realität nicht durch das gebildet ist, was Wahrnehmung ausmacht.
Genau dem widerspreche ich. - Es ist durch nichts begründbar, dass "Realität" durch Wahrnehmung "gebildet" sein MUSS.

Savonlinna hat geschrieben:Du hast Dich damit offenbar nie beschäftigt.
Doch. :lol: - Aber es scheint nicht durchzudringen.

Savonlinna hat geschrieben:Deine Threadaussage mag auf die Frage, ob die Naturwissenschaft das alleinige Recht habe, "Realität" zu definieren, mit "nein" zu beantworten sein.
OK - Häkchen.

Savonlinna hat geschrieben:Deine Verallgemeinerung aber, dass menschliches Wissen nicht identisch mit Realität ist, ist eben Schrott
Das ist NICHT meine Verallgemeinerung. - Meine Verallgemeinerung ist, dass "Realität" nicht identisch mit menschlich Wahrnehmbaren ist. - Genau umgekehrt.

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#2447 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Pluto » Do 19. Nov 2015, 18:06

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Wenn die Setzung Müll ist, hilft die ganze Logik nichts.
Das ist immer so. - In der Regel sind logische Argumentationen fehlerfrei, aber in sich unsinnig, weil deren Grundlage nicht stimmt.
Genau!
Darum ist auch der oft gepriesene "Gottesbeweis von Gödel" ein solcher Müll.

closs hat geschrieben:Es ist durch nichts begründbar, dass "Realität" durch Wahrnehmung "gebildet" sein MUSS.
Das verstehe ich nicht. Wie willst du dich anders der Wahrheit nähern?

closs hat geschrieben:Es ist durch nichts begründbar, dass "Realität" durch Wahrnehmung "gebildet" sein MUSS.
Welche begründete Alternative hast du anzubieten?

closs hat geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:Deine Threadaussage mag auf die Frage, ob die Naturwissenschaft das alleinige Recht habe, "Realität" zu definieren, mit "nein" zu beantworten sein.
OK - Häkchen.
Och... Die Wissenschaft mag ja nicht die beste aller Methoden sein um die Welt zu erforschen, aber ich meine sie ist der Methode die folgt weitaus überlegen.

closs hat geschrieben:Meine Verallgemeinerung ist, dass "Realität" nicht identisch mit menschlich Wahrnehmbaren ist. - Genau umgekehrt.
Wenn du das meinst, solltest du auch erklären können, wie die Menschheit nicht nur überlebt hat, sondern zum Herrscher der Welt wurde.
Kannst du das?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#2448 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von closs » Do 19. Nov 2015, 19:07

Pluto hat geschrieben: Wie willst du dich anders der Wahrheit nähern?
Man nähert sich der "Realität" durch Wahrnehmung - aber man MACHT dadurch keine "Realität" (wenn wir mal spezielle QM-Sachen weglassen).

Pluto hat geschrieben:Darum ist auch der oft gepriesene "Gottesbeweis von Gödel" ein solcher Müll.
Das gilt für alles. - Es gilt auch für die Setzung, jegliche "Realität" könne prinzipiell für den Menschen wahrnehmbar sein. - Deswegen heisst es doch "Setzung": Friss oder Stirb. ;)

Pluto hat geschrieben:Welche begründete Alternative hast du anzubieten?
Dass "Realität" auch dann das ist, was sie ist, wenn man sie NICHT wahrnimmt.

Pluto hat geschrieben:Die Wissenschaft mag ja nicht die beste aller Methoden sein um die Welt zu erforschen, aber ich meine sie ist der Methode die folgt weitaus überlegen.
Auch das hatten wir schon oft: "Realität", die "popperisch" zugänglich ist, ist dort bestens aufgehoben. - Das ist nach wie vor kein Thema, da nicht in Frage gestellt.

Pluto hat geschrieben:Kannst du das?
Weil die "natürliche Welt" "popperisch" zugänglich ist.

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#2449 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Do 19. Nov 2015, 19:20

SilverBullet hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Von wem oder was wird Existenz denn festgestellt? Von Menschen, die Existenzaussagen machen!
Es geht nicht um Existenz, sondern um ein Existenzverständnis.
Wie ich geschrieben habe, betrachte ich „Mensch“ in diesem Zusammenhang als Wahrnehmungssystem.
Ich ebenfalls.

SilverBullet hat geschrieben: Ein Wahrnehmungssystem kann nichts anderes machen, als wahrzunehmen.
Egal welche „Handlung“ das Gehirn durchführt, es gehört zur Wahrnehmung.
Natürlich. Insbesondere gehört zur Wahrnehmung die Interpretation aller durch Sinnesreize ausgelösten "Daten" über die afferenten Nervenbahnen.

SilverBullet hat geschrieben: Nun kann man dies dem Gehirn natürlich zum Vorwurf machen, was aber nicht viel Sinn macht.
Dass ein Wahrnehmungssystem, Wahrnehmung durchführt, wird man so schnell nicht abschaffen können.
Wer macht denn dem Gehirn dies zum Vorwurf? Ich sicher nicht.
Klar ist aber auch, dass du - unter anderem - dein Gehirn bist (und dein gesamter Körper drumherum).
Insofern ist die These absurd, das wahrnehmende Subjekt gehöre nicht zum Wahrnehmungsprozess (und wenn du nicht verstehen solltest, was wahrnehmendes Subjekt bedeuten soll, so kann ich es dir gerne sprachlich exakt erklären).

SilverBullet hat geschrieben: Es kann also nur darum gehen, wie das Verständnis in dem Wahrnehmungssystem „Mensch“ verwaltet wird, also wie man damit umgeht.
Option 1: Alles, womit sich die Wahrnehmung beschäftigt, wird als „existent“ behandelt
Option 2: Die Wahrnehmung entscheidet auf Basis des Bauchgefühls, mal so oder so
Option 3: Die Wahrnehmung entwickelt bestimmte Kriterien, auf die sie sich verlassen will
Bei deinen Optionen 1-3 geht mir viel zu viel durcheinander, was tunlichst auseinandergehalten werden muss. Man mag zwar von einem Wahrnehmungssystem "Mensch" widerspruchsfrei sprechen können, aber da Wahrnehmung ein komplexer Vorgang ist, an dem ganz unterschiedliche Organe des Menschen beteiligt sind, ist diese Redeweise eine unzulässige Simplifizierung des Wahrnehmungsprozesses.

So sind Wahrnehmungen zunächst sensorische Empfindungen. Hierzu gehört auch die unmittelbare innere Wahrnehmung z.B. bestimmter Körperfunktionen von Muskelkater bis Flatulenzen, von Schmerzen bis zum Verliebt- oder Traurigsein. Und selbstverständlich gehören die Empfindungen körperäußerer Wahrnehmungen wie z.B. die Härte der Tasten, die ich gerade tippe usw. auch dazu.

Zu Option 2: Die Wahrnehmung entscheidet gar nichts. Was sollte das auch bedeuten? Die Wahrnehmung entscheidet irgend etwas? Entscheiden bedeutet immer ein Urteilen über einen Sachverhalt. Wer urteilt denn, wenn die Wahrnehmung entscheidet? Die Wahrnehmung ist keine urteilende Instanz. Vielmehr muss offenbar über Empfindungen aus Wahrnehmungen geurteilt werden. Z.B., dass der Himmel heute besonders blau ist oder meine Magenschmerzen heftig sind oder dass ein Gestreicheltwerden schön ist.
Die Wahrnehmung hat auch kein Bauchgefühl. Was soll das bitte bedeuten? Menschen haben ein Bauchgefühl, - zumindest sagen das viele.
Der Mensch und seine Wahrnehmung sind aber nicht identisch miteinander, weil der Mensch eben viel mehr ist, als bloßes Wahrnehmen (das es nicht gibt, weil die Empfindung und das Urteil über diese Empfindung das Wichtige ist und nicht das sensorische Datum).

Wahrnehmung kann es nicht geben ohne das gleichzeitige Erzeugen von Überzeugungen und Urteilen auf der Grundlage von Empfindungen.

Zu Option 3: Desgleichen entwickelt natürlich nicht die Wahrnehmung Kriterien. Die Wahrnehmung ist lediglich ein sensorischer Akt.

SilverBullet hat geschrieben: Innerhalb von Option 3, gibt es das Kriterium der „Unabhängigkeit von der Wahrnehmung“, sozusagen, der wahrgenommene Zusammenhang korrigiert durch immer neue Blickwinkel das Wahrnehmungssystem.

Daraus ergibt sich eine ganz bestimmte Wahrnehmungshaltung:
Es kommt nicht auf "neue Bedeutungskombination in der Wahrnehmungsauswertung" an, sondern auf eine „Einwirkung“.
Neue „Ideen“ werden nicht aus der Wahrnehmung heraus eingeleitet, sondern werden „von aussen“ angestossen.
Neue "Ideen" (was immer das genau heißen mag) werden sicherlich durch äußere und innere Wahrnehmung angestoßen. Aber nicht nur!
Wenn das nämlich so simpel stimmen würde, dann könnte das "Wahrnehmungssystem Mensch" beim Spracherwerb ausschließlich Wörter verwenden und Sätze bilden, die es vorher auch gehört hat. Es könnte aber keine neuen Sätze konstruieren, die es vordem noch nie gehört hat. Genau das ist aber der Fall. Denn der Mensch ist kein Papagei, der lediglich Gehörtes (vorgesprochene Wörter und Sätze) wiederholt. Ein Papagei ist nicht dazu in der Lage, hiervon abzuweichen. Kinder schaffen es aber schon recht früh, ganz neue Sätze zu bilden (oder neue Wörter zu erfinden), die sie bis dahin noch nie gehört haben.

SilverBullet hat geschrieben: Genau dadurch steht das Wahrnehmungssystem nachvollziehbar nicht im Mittelpunkt, denn es kommt auf einen „einwirkenden Zusammenhang“ (also auf etwas Anderes) an.
Das halte ich aus genannten Gründen für falsch.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 19. Nov 2015, 19:55, insgesamt 3-mal geändert.

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#2450 Re: Und nochmal: Sein und Wahrnehmung

Beitrag von Thaddäus » Do 19. Nov 2015, 19:40

closs hat geschrieben: Frage: Angenommen, es gäbe eine geistige Existenz des Menschen nach dessen leiblichen Tod: Wie würdest Du Dir das erklären im hier gegebenen Kontext?
Gar nicht! Es kann nicht erklärt werden, außer mit einem ganzen Sack von metaphysischen Annahmen, von denen keine einzige plausibel ist oder belegt werden könnte. Dein Frage zeigt auch, dass du mich leider nicht verstanden hast (was daran liegen mag, dass ich mich missverständlich ausgedrückt habe).
Descartes definiert das Denken (das Christentum die Seele und viele den Geist) geradezu als das ganz Andere zu allem Materiellen. Die res cogitans (die denkende Sache) ist gerade nicht res extensa (die ausgedehnte Sache).
Nun soll aber die Seele/das Denken/der Geist auf die körperlichen Vorgänge kausal wirken können. Das bedeutet: was man vorher fein säuberlich voneinander getrennt hat - als eben das immaterielle Geistige und das materiell-physisch Dingliche -, soll nun wieder irgendwie zusammenwirken können. Das ergibt nicht nur keinen Sinn, es ist auch schlicht und einfach nicht plausibel zu erklären.

Bei Gott und der Welt verhält es sich prinzipiell genau so. Der immateriell, ja sogar als transzendent gedachte Gott, soll kausal-physisch in die Welt eingreifen können. Aber wie, wenn er doch gerade als immateriell und transzendent gedacht wird? Erst definiert man das Göttliche so, dass es gerade nichts Physisch-Materielles ist, dann aber soll er kausal auf die materiell-physische Welt kausal wirken können. Dieser Graben, - denn man defintorisch selbst erst geschaffen hat - kann nicht überbrückt werden. Es sei denn durch unplausible Konstruktionen. Man versucht dann lediglich aus einem Weißen irgendwie etwas Schwarzes zu machen, was naturgemäß nicht gelingen kann.

Das ist ein hypostasierender Grundfehler aller Religionen, die über einen Gottesbegriff verfügen.
Zuletzt geändert von Thaddäus am Do 19. Nov 2015, 20:01, insgesamt 3-mal geändert.

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