Atheismus als gottgewollt

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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michaelit
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#1 Atheismus als gottgewollt

Beitrag von michaelit » Mo 12. Jan 2015, 20:29

Hallo,

ja ich weiß mein Thema klingt seltsam, aber ich meine es ernst.

Ich sehe Gott als den Geist, als Inspiration, so ähnlich wie früher Poeten und Musiker an den Geist dachten. Nur ist eben für mich der Geist nicht nur Musik und Poesie sondern auch handelnde Gottheit.

Wie paßt das zu Atheismus? Atheismus, ernster Atheismus jedenfalls, darf für mich nicht gegen den Geist gehen. Atheismus ist für mich immer auf unbewiesene, leere Gottesbilder gemünzt. Atheismus wird dann fehlerhaft wenn man einen Sinn für Gott bekommen hat der der Prüfung standhält.

Manchmal war Atheismus wie der Atheismus des Kaufmannes der entdeckt hat daß Religion eine unnötige Ausgabe darstellt. Aber manchmal bedeutete Atheismus auch die Rettung aus einem unverständlichen Wirrwarr das nicht mehr glaubhaft ist.

Ich betrachte mich als Theist, ganz allgemein gesprochen, und unter einigen Vorbehalten, aber gelegentlich brauche ich immer noch Atheismus, denn die Reise zu Gott führt vorbei an vielen Gottesbildern die man ablegen muß. Gerade wenn man als relativ mündiger Mensch durch die Bibel blättert findet man viele Vorstellungen von Gott die der Prüfung nicht standhalten. Den Weltenvernichter der Sintflut gab es nicht. Den absoluten Herrscher von Sinai gab es nicht. Den alten Mann auf dem Thron gibt es vermutlich nicht.

Was für mich bleiben sind Geist und dann irgendwie auch Jesus. Für mich heißt Jesu' Aufforderung, suche Gott und laß dich nicht verbiegen. Lebe deinen Traum. Sei nicht nur passiv, gehe auch in die Aktivität. Sieh die Herrlichkeit des Guten und wie einfach es ist mit Gott Frieden zu haben, da er Liebe ist.

Aber das Wort Gott ist mangelhaft solange man es aus dem Historisch gewachsenen Kontext benutzen muß. Die Gottesvorstellung ist genauso mangelhaft wie die Religion. Und auch Jesus ist uns von der Bibel selbst, von den kirchlichen Glaubenssätzen und von den vielen Meinungen verdunkelt. Da kann man manchmal auch nur noch Atheist sein wenn man sein Leben vor dem Glauben retten will.

Aber so ganz ein 1000% Atheist sein, geht das überhaupt? Ich denke das geht nicht solange man selbst Geist hat, also dieses Mehr an Selbst und Erkenntnis und Bedürfnis und Bewußtsein und Reflexion. Gerade in der menschlich komplexen Subjektivität braucht es ein Gegenüber das zum Menschen paßt. Und dieses Gegenüber muß so sein daß es mehr ist als der Mensch. Es müßte meiner Ansicht nach ein ewiges Gegenüber sein, eines das es schon immer gab.

Atheismus ist dabei eine Vorstufe, in gewisser Hinsicht ist es auch eine Religion. Viele Atheisten gehen durch eine Schule und benötigen Religionen damit sie ihren Atheismus entwickeln können. So ganz den 1000% Atheisten gibt es nicht, wie gesagt. Ich glaube Atheisten geht es oft um Stabilität, um die Beibehaltung einer Weltanschauung die ihnen dann doch die meiste Freiheit gibt einfach Mensch zu sein, einfach sie selbst zu sein. Ohne daß sie das schaffen, meiner Ansicht nach, denn sie werden durch Gottnegierung am Ende selbst ähnlich den negierten Göttern.

Ich wäre gerne einfach nur ich selbst. Aber ist nicht der Mensch und sein Ich ein genauso großes Geheimnis wie Gott? Wer kann sagen daß er der ist der er denkt daß er es ist?

Es hängt daran daß der Mensch endlich ist. Und dort wo er unendlich ist, ist er schwach und spürt seine Schwäche. Das was dem Menschen bekannt ist, das bleibt ihm nicht erhalten. Der Tod der sich manchmal so leicht ignorieren läßt, wird immer schwieriger zu ertragen je öfter man ihm darin begegnet daß liebgewonnene Menschen sterben und einen allein lassen. Da werden dann die Wahrheiten des Lebens zu einem Schmerz den man nicht ertragen kann, wo man sich nicht einfach ablenken kann und weitermachen kann wie bisher. Da fängt man wirklich zu fragen an.

Und da fragt man dann auch Gott, selbst wenn man eigentlich auf Atheismus disponiert ist.

JackSparrow
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#2 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von JackSparrow » Di 13. Jan 2015, 12:00

michaelit hat geschrieben:Was für mich bleiben sind Geist und dann irgendwie auch Jesus.
Das ständige Gelaber über geistige Dinge (geistiges Leben, geistiger Tod, geistige Erkenntnis, geistige Götter, geistiger Zustand, geistige Küchenmöbel und geistige Zimmerpflanzen) ist so ziemlich das Abschreckendste und Übelkeitserregendste am Christentum. Wenn sowieso alles nur geistig ist, ist man als Atheist deutlich besser dran. Geistige Dinge vergehen, doch Materie besteht ewig.

Sieh die Herrlichkeit des Guten und wie einfach es ist mit Gott Frieden zu haben, da er Liebe ist.
Wenn heutzutage ein Politiker das Gesetz rausbringen würde, dass ungehorsame Kinder vor den Toren der Stadt zu steinigen sind, würde ihn niemand als "die Liebe" bezeichnen. Man würde ihn stattdessen für etwas mental gestört halten und ihn seines Amtes entheben. Frieden mit Gott beinhaltet offenbar auch jede Menge Heuchelei.

Aber ist nicht der Mensch und sein Ich ein genauso großes Geheimnis wie Gott?
Gott ist kein Geheimnis. Jeder, der will (viele wollen es leider nicht), kann persönlich in der Bibel nachlesen, was sich verschiedene Leute früher unter einem Gott vorstellten.

closs
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#3 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von closs » Di 13. Jan 2015, 12:16

JackSparrow hat geschrieben:Geistige Dinge vergehen, doch Materie besteht ewig.
Genau umgekehrt. :lol:

michaelit
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#4 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von michaelit » Di 13. Jan 2015, 12:27

Geist und Materie sind wie Yin und Yang. Der Geist eines Musikstücks kann sich ändern je nachdem wie das Musikstück interpretiert wird. Auch Materie ändert sich im Lauf der Zeit, die Atomhaufen verlieren an Masse und Kohäsion, oder gewinnen dazu durch den Druck etwa eines Erdbebens. Es scheint als ob sich Geist und Materie verschieden ändern. Materie und Geist scheinen auch ineinander überzugehen. Man sagt etwa, die Sonne lacht heute. Ist das wirklich nur subjektiv oder kann der Geist der Sonne, in seiner materiellen Verkleidung, tatsächlich lachen? Will der Geist eines Dings vielleicht gar nichts außer daß das Ding so bleibt wie es ist? Oder reden die Geister miteinander in einer unbekannten Sprache mit unbekannten Begriffen, und die Welt ist ein lebendiger Tanz aus Geist und Materie? Auch im Menschen ist dieses Yin und Yang. Der eine Mensch ist geistig gesonnen, der andere ist materialistisch. Aber auch materialistisches Denken kann man als geistig verstehen, etwa wenn man das Leben als Abenteuer auffaßt, oder als schicksalshaft, als einen Kampf zwischen dem dennoch-sinnvollen wie bei Sisyphus und dem Sinnlosen bzw dieser Antikraft in unserer Vernunft, diesem Mephisto in uns, der dann doch zu nihilistisch denkt wenn man es richten mag. Bei mir ist es so daß ich die Zueignung von Goethe's Faustdrama sehr liebe. Es muß etwas geben was mehr ist als das Leichte und das Schwere im Leben, ein Ziel, eine Erlösung die uns trifft. Ein Happy End irgendwie.

JackSparrow
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#5 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von JackSparrow » Di 13. Jan 2015, 12:51

michaelit hat geschrieben:Der Geist eines Musikstücks kann sich ändern je nachdem wie das Musikstück interpretiert wird.
Die Interpretation des Musikstücks ist vergänglich. Die Elementarteilchen, auf welchen die Noten des Musikstücks gedruckt sind, sind unvergänglich. Das Papier kann zerfallen, aber die Atome des Papiers bleiben ewig die gleichen. Geist ist eine fluktuierende Erscheinung, doch Materie ist unsterblich.

Will der Geist eines Dings vielleicht gar nichts außer daß das Ding so bleibt wie es ist?
Der menschliche Denkapparat will, dass alles so bleibt wie es ist. Das gibt ihm Sicherheit. Nichtexistenz kann sich der menschliche Denkapparat offenbar nicht vorstellen - obwohl er sich jede Nacht selbst abschaltet und damit keinerlei Problem zu haben scheint. Würde man dieses nächtliche Abschalten meinetwegen auf 20000 Jahre verlängern, würde dem menschlichen Denkapparat überhaupt kein Unterschied auffallen.

Es muß etwas geben was mehr ist als das Leichte und das Schwere im Leben, ein Ziel, eine Erlösung die uns trifft.
Viele Leuten wissen nicht mal, was sie vorgestern zum Frühstück gegessen haben. Sie wissen auch nicht, was sie nächste Woche zum Frühstück essen werden. Aber was in 120 Jahren, wenn der Körper zerfallen sein wird, mit ihren Denkprozessen passieren wird, das müssen sie unbedingt wissen. Das hat auch die Werbeindustrie erkannt, die den Leuten zuerst ein Problem verkauft und anschließend die passende Lösung für das Problem.

michaelit
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#6 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von michaelit » Di 13. Jan 2015, 13:09

Atome ändern sich doch auch. Verbinden sich zu Molekülen, geben Elektronen ab, verlieren winzige Teile ihrer Energie. Laut moderner Physik wird aus dem Universum irgendwann ein großer Haufen dunkler ausgebrannter und eiskalter Materie. Wenn die moderne Physik recht hat, that is.

Lena
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#7 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von Lena » Di 13. Jan 2015, 17:18

michaelit hat geschrieben: Wer kann sagen daß er der ist der er denkt daß er es ist?

Wir müssen die Meinung, dass wir uns selbst verstehen können, loswerden;
dies ist die letzte Einbildung, die verschwinden muss. Der Einzige der uns versteht, ist Gott.
Oswald Chambers


Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich's meine.
Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege
Ps 139, 23.24
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

michaelit
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#8 Re: Atheismus als gottgewollt

Beitrag von michaelit » Do 15. Jan 2015, 11:00

Hallo Lena,

damit sagst du viel Wahres, der Mensch versteht sich selbst manchmal viel zu leicht. Gerade wenn man Gott anfängt zu kennen und stückweise zu verstehen, da wird klar daß der Mensch eigentlich ein anderes Wesen ist als wie er sich selbst versteht.

Ich habe das in meinem Leben sehr deutlich vor mir, bevor ich Christus suchen begann war ich eigentlich ein Atheist wie JackSparrow hier und sah in meiner Selbstzugehörigkeit und in meiner selbstgeschaffenen Freiheit meine Erfüllung. Jetzt als Theist sind das dann doch sekundäre Dinge weil Gott gewaltig ist und beeindruckend, da klappt der einfache Rückzug in mich selbst hinein nicht mehr, und Freiheit zu bekommen muß ich anders anpacken als vorher um nicht unkohärent als Mensch zu werden. Man lernt anders zu denken und oft auch anders zu fühlen, so daß der geistliche Mensch durchscheint und nicht mehr so der natürliche Mensch. Es ist mir aber wichtig zu sagen daß auch der Christ in vielem gar nicht so anders ist wie der Atheist.

Ich hatte schon angemerkt daß es 100% Atheismus nicht gibt, kein Atheist kann ja Gott vertreiben, sein Unglaube ändert nichts an Gottes Existenz. Es ist nur so daß strenger Atheismus manchmal dazu führt daß sich Menschen in ein geschlossenes Denksystem versetzen wo es nichts Neues mehr gibt. Manchmal kann man das halten, aber ich denke man verliert dann viel an Entwicklungsmöglichkeit. Man schläft ein, man wird starr.

Entwickelter Atheismus ist dagegen widerum interessant denn er leugnet nicht Gott sondern nur falsche Gottesbilder und hat vielleicht manchmal ganz gute Erklärungen für spirituelle Phänomene. Damit das geht muß ein Atheist der Gott nicht anerkennt aber zumindest Geist anerkennen. Und er muß wirklich eine Erkenntnis haben die der Erkenntnis Gottes tatsächlich widerspricht, sonst ist er ja nur ein Leugner bzw ein Selbstverehrer ... wie bei Nietzsche, der ja nicht auf anderer Erkenntnis aufbaute sondern auf einer Art moralischen Impetus nachdem es menschlich dumm wäre einen Gott zu haben, da der Gott der Welt ja gestorben wäre. Nietzsche war Philologe und verstand einiges, aber er wollte nicht wirklich konstruktiv sein. Darin liegt seine Schwäche ... die Schwäche nietzscheanischen Atheismus jedenfalls.

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