Hass & Gewalt

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
erbreich
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#71 Re: Hass & Gewalt

Beitrag von erbreich » Do 5. Feb 2015, 11:54

Pluto hat geschrieben:Das wäre dann der Mensch seinen endgültigen Frieden im Nirwana, dem Buddhistischen Nichts, sprich der Tod.
Nibbana ist nicht "Nichts". Aber um das zu erkennen, muss man sich schon selber in das Thema einarbeiten. Dazu schrieb Nyanaponika in Im Lichte des Dhamma:

Als die Kenntnis der buddhistischen Lehren den Westen in der Anfangszeit gerade erreicht hatte, fassten die meisten Autoren und Gelehrten (mit wenigen Ausnahmen wie Schopenhauer und Max Müller) Nibbana als reines und blosses Nichtsein auf. Deshalb beschrieben westliche Autoren voreilig den Buddhismus als eine nihilistische Lehre, welche die Vernichtung als das höchste Ziel verkünde, eine Auffassung, die von diesen Autoren als philosophisch absurd und ethisch verwerflich abgelehnt wurde. Ähnliche Äusserungen kann man manchmal auch heute noch in voreingenommener nicht-buddhistischer Literatur lesen. Ende Zitat aus dem Kapitel "Anatta und Nibbana". Nyanaponika erörtert in diesem Kapitel weiter ausführlich "das nihilistisch-negative Extrem" (der Tod als Erlösung), "das positiv-metaphysische Extrem" (ewige erlöste Existenz) und "die Überwindung der Extreme" als die buddhistische Lehre des "mittleren Weges".

Da aber diese Ziele unerreichbar sind, muss der sündige Mensch immer wiederkehren, um es ein weiteres Mal zu probieren.
Das Ziel, Gier, Hass und Verblendung im eigenen Geist zu überwinden, ist erreichbar. Wir können das schon im Kleinen erkennen, wenn wir in einer ganz alltäglichen Situation es schaffen, in einer entsprechenden Situation statt z.B. mit Neid oder Ärger mit Mitfreude und Gleichmut zu reagieren. Es ist durchaus möglich, den Geist in dieser Weise zu trainieren (nicht anders, als es auch möglich ist, den Körper in bestimmter Weise zu trainieren).

Die buddhistische Lehre geht darüberhinaus davon aus, dass es ebenfalls möglich ist, den Geist durch intensives Training (anders gesagt: durch Dekonditionierung des Geistes von den gewohnheitsmässigen begehrlichen, aversiven und ichbezogenen Reaktionen) vollständig von den (karmisch) unheilsamen Verhaltensmustern zu befreien. Das ist das Vertrauen, die Zuversicht (saddha) des Buddhisten, letztlich der Sinn seiner Existenz (wir können es auch seinen "Glauben" nennen).

Pluto
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#72 Re: Hass & Gewalt

Beitrag von Pluto » Do 5. Feb 2015, 13:03

erbreich hat geschrieben:
Als die Kenntnis der buddhistischen Lehren den Westen in der Anfangszeit gerade erreicht hatte, fassten die meisten Autoren und Gelehrten (mit wenigen Ausnahmen wie Schopenhauer und Max Müller) Nibbana als reines und blosses Nichtsein auf. Deshalb beschrieben westliche Autoren voreilig den Buddhismus als eine nihilistische Lehre, welche die Vernichtung als das höchste Ziel verkünde, eine Auffassung, die von diesen Autoren als philosophisch absurd und ethisch verwerflich abgelehnt wurde. Ähnliche Äusserungen kann man manchmal auch heute noch in voreingenommener nicht-buddhistischer Literatur lesen. Ende Zitat aus dem Kapitel "Anatta und Nibbana". Nyanaponika erörtert in diesem Kapitel weiter ausführlich "das nihilistisch-negative Extrem" (der Tod als Erlösung), "das positiv-metaphysische Extrem" (ewige erlöste Existenz) und "die Überwindung der Extreme" als die buddhistische Lehre des "mittleren Weges".
Okay. Danke für die Aufklärung. :D

Im positiven Sinne ist also das buddhistische Nirwana (Nibbana?) das totale Loslösen von allem irdischem ==> ewige Erlösung durch den irdischen Tod?

erbreich hat geschrieben:Das Ziel, Gier, Hass und Verblendung im eigenen Geist zu überwinden, ist erreichbar. Wir können das schon im Kleinen erkennen, wenn wir in einer ganz alltäglichen Situation es schaffen, in einer entsprechenden Situation statt z.B. mit Neid oder Ärger mit Mitfreude und Gleichmut zu reagieren. Es ist durchaus möglich, den Geist in dieser Weise zu trainieren (nicht anders, als es auch möglich ist, den Körper in bestimmter Weise zu trainieren).

Die buddhistische Lehre geht darüberhinaus davon aus, dass es ebenfalls möglich ist, den Geist durch intensives Training (anders gesagt: durch Dekonditionierung des Geistes von den gewohnheitsmässigen begehrlichen, aversiven und ichbezogenen Reaktionen) vollständig von den (karmisch) unheilsamen Verhaltensmustern zu befreien. Das ist das Vertrauen, die Zuversicht (saddha) des Buddhisten, letztlich der Sinn seiner Existenz (wir können es auch seinen "Glauben" nennen).
Scheint mir jetzt noch ähnlicher dem Ziel der christlichen Erlösung zu sein, einfach ohne Bibel.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

erbreich
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#73 Re: Hass & Gewalt

Beitrag von erbreich » Do 5. Feb 2015, 15:44

Pluto hat geschrieben:Im positiven Sinne ist also das buddhistische Nirwana (Nibbana?) das totale Loslösen von allem irdischem ==> ewige Erlösung durch den irdischen Tod?
Ich scheine mich nicht klar genug ausdrücken zu können... vergessen wir doch in diesem Zusammenhang den Tod: Der Tod hat keinen Bezug zur Erlösung, auf jeden Fall nicht im buddhistischen Verständnis:

1. Wenn wir vom Wiedergeburtsgedanken ausgehen, dann bedeutet der Tod (eines noch den Trieben unterworfenen Menschen) bloss die Türe zur nächsten Existenz. Also keine Erlösung. Erlösung bringt nicht der Tod, sondern die Trieberlöschung, also die Überwindung der karmischen Wirkkräfte Gier, Hass und Verblendung. Der eigentliche "Trick" besteht ja darin, dass wir, um die Triebe überwinden zu können, sie vollständig kennenlernen müssen. Das heisst, wir müssen uns ihnen stellen (verdrängen, unterdrücken, verleugnen hilft nicht) und einen Weg finden, wie wir heilsam mit ihnen umgehen und ihre negativen Wirkungen überwinden und uns schliesslich ganz von ihnen befreien können.

2. Wenn wir den Wiedergeburtsgedanken aussen vor lassen und stattdessen psychologisch argumentieren, dann lässt sich sagen, dass es schlichtweg unverantwortlich ist, den Tod als Erlösung zu proklamieren (Auswüchse einer solchen Ideologie sehen wir z.B. bei Selbstmordattentätern oder auch allgemein beim Suicid). Damit will ich nicht sagen, dass es nicht durchaus sein kann, dass ein Mensch (auch ich) unter Umständen in einer konkreten, leidvollen Lebenssituation keinen anderen Ausweg mehr sehen kann als den Suicid (oder ev. auch die Beihilfe dazu). Aber eine Erlösungslehre, die diesen Namen verdient, muss einen Weg aufzeigen können, der beides überwindet, das Leben und den Tod.

Der Buddhismus zeigt einen solchen Weg auf, und zwar indem er lehrt, wie sowohl das Begehren als auch die Aversion gegenüber dem Leben wie auch gegenüber dem Tod überwunden werden können. Beides wird weder begehrt, noch bekämpft. Auf diese Weise werden beide Aspekte der Existenz, Geborenwerden und Sterben, Leben und Tod, als Wirklichkeit akzeptiert, angenommen und in dieser Annahme in die eigene Existenz integrierend überwunden.

Weder die Flucht vor dem Leben und Sterben, noch das Begehren nach ihnen bringt Erlösung. Psychologisch befreiend wirkt sich aber die wirklichkeitsgemässe Erkenntnis und Annahme der leid- und todunterworfenen Existenz aus.

Scheint mir jetzt noch ähnlicher dem Ziel der christlichen Erlösung zu sein, einfach ohne Bibel.
Ohne Fremderlösung, das scheint mir der grösste Unterschied zu sein. Der Buddhist hat seinen Weg selber zu gehen. Die Gier, den Hass, die Selbstsucht in seinem Herzen kann nur er selber mit viel Geduld und Beharrlichkeit abschichten und schliesslich vollständig davon frei werden. Kein anderer kann ihm diese Arbeit abnehmen. Auch kein Gott.

Pluto
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#74 Re: Hass & Gewalt

Beitrag von Pluto » Do 5. Feb 2015, 17:19

erbreich hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Im positiven Sinne ist also das buddhistische Nirwana (Nibbana?) das totale Loslösen von allem irdischem ==> ewige Erlösung durch den irdischen Tod?
Ich scheine mich nicht klar genug ausdrücken zu können... vergessen wir doch in diesem Zusammenhang den Tod: Der Tod hat keinen Bezug zur Erlösung, auf jeden Fall nicht im buddhistischen Verständnis:
Oh! :o Aber Buddhisten sterben doch auch. Was geschieht laut Buddhismus nach dem Tod?

erbreich hat geschrieben:Ohne Fremderlösung, das scheint mir der grösste Unterschied zu sein. Der Buddhist hat seinen Weg selber zu gehen. Die Gier, den Hass, die Selbstsucht in seinem Herzen kann nur er selber mit viel Geduld und Beharrlichkeit abschichten und schliesslich vollständig davon frei werden. Kein anderer kann ihm diese Arbeit abnehmen. Auch kein Gott.
Ja. Dass Buddhismus eine Religion ohne Gott ist, habe ich schon gehört und gelesen. Das macht sie zu einer der friedlichsten Glaubensrichtungen der Welt.

Erlösung des Selbst sieht mir im Vergleich zur Erlösung durch Fremdeinwirkung nach sehr harter Arbeit aus. Eigentlich bewundernswert, wenn Jemand diese Aufgaben auf sich nimmt.
Was hat dich bewogen, diesen Weg zu gehen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#75 Re: Hass & Gewalt

Beitrag von erbreich » Do 5. Feb 2015, 19:32

Pluto hat geschrieben:Oh! :o Aber Buddhisten sterben doch auch. Was geschieht laut Buddhismus nach dem Tod?
Wie oben unter 1) gesagt: Wenn wir vom Wiedergeburtsgedanken ausgehen, dann bedeutet der Tod (eines noch den Trieben unterworfenen Menschen) bloss die Türe zur nächsten Existenz. Also keine Erlösung. Erlösung bringt nicht der Tod, sondern die Trieberlöschung, also die Überwindung der karmischen Wirkkräfte Gier, Hass und Verblendung. Das heisst: Der Mensch, der das Ziel verwirklicht hat (also die vollständige Befreiung von Gier, Hass und Verblendung) wird (mangels dieser Triebkräfte) keine erneute Existenz mehr erleben (er wird in Pali als Arahat bezeichnet).

Es ist jedoch keineswegs zwingend, die Wiedergeburtslehre anzunehmen um den buddhistischen Weg zu gehen. Es gibt sogar berühmte buddhistische Gelehrte, die sagen, die Wiedergeburtslehre sei ein vorbuddhistisches Gedankengut, das im Buddhismus keinen Platz habe (so z.B. der verstorbene thailändische Mönchsgelehrte Buddhadasa). Für mich persönlich ist auch hierbei vor allem wichtig, ob sich eine bestimmte Vorstellung in einer konkreten Situation als (psychologisch) hilfreich erweist oder nicht. In diesem Sinne lehrte der Buddha:

Geht, Kālāmer, nicht nach Hörensagen, nicht nach Überlieferungen, nicht nach Tagesmeinungen, nicht nach der Autorität heiliger Schriften, nicht nach bloßen Vernunftgründen und logischen Schlüssen, nicht nach erdachten Theorien und bevorzugten Meinungen, nicht nach dem Eindruck persönlicher Vorzüge, nicht nach der Autorität eines Meisters! Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen. Was ich so gesagt habe, wurde eben mit Bezug hierauf gesagt.

Derart von Begierde und Übelwollen befreit, unverwirrt, wissensklar und achtsam, durchdringt der edle Jünger mit einem von Güte - von Mitleid - von Mitfreude - von Gleichmut erfüllten Geiste die eine Himmelsrichtung, ebenso die zweite, ebenso die dritte, ebenso die vierte. So durchdringt er oben, unten, quer inmitten, überall, allerwärts, die ganze Welt mit einem von Güte, Mitleid, Mitfreude oder Gleichmut erfüllten Geiste, einem weiten, umfassenden, unermeßlichen, von Haß und Übelwollen befreiten.


Und zur Frage der Wiedergeburt hat er sich ebenfalls wie folgt geäussert:

Mit einem derart von Haß und Übelwollen freien, also unbeschwerten, also geläuterten Geiste ist dem edlen Jünger noch bei Lebzeiten vierfacher Trost gewiß:
'Gibt es eine andere Welt und gibt es eine Frucht, ein Ergebnis guter und schlechter Taten, so ist es möglich, daß ich beim Zerfall des Körpers, nach dem Tode, auf glücklicher Daseinsfährte erscheine, in himmlischer Welt' -dieses ersten Trostes ist er gewiß.
'Gibt es aber keine andere Welt und keine Frucht, kein Ergebnis guter oder schlechter Taten, so lebe ich eben hier in dieser Welt ein leidloses, glückliches Leben, frei von Haß und Übelwollen' - dieses zweiten Trostes ist er gewiß.
'Wenn nun einem Übeltäter Übles widerfährt, ich aber gegen niemanden Übles im Sinne habe wie kann da wohl mir, der ich nichts Übles tue, Unheil widerfahren?' - dieses dritten Trostes ist er gewiß.
'Wenn aber einem Übeltäter nichts Übles widerfährt, so weiß ich mich hier eben beiderseits rein' - dieses vierten Trostes ist er gewiß.
(Anguttara Nikaya 3.62)


Sehr undogmatisch, sehr pragmatisch...

Erlösung des Selbst sieht mir im Vergleich zur Erlösung durch Fremdeinwirkung nach sehr harter Arbeit aus. Eigentlich bewundernswert, wenn Jemand diese Aufgaben auf sich nimmt. Was hat dich bewogen, diesen Weg zu gehen?

Das hat sich so ergeben... ich lebte (1978-1982) auf der Strasse, ziemlich tief in Alkohol und Drogen versunken und suchte Hilfe... ein Psychologe (Mirko Fryba, wurde später buddhistischer Mönch) auf der Erziehungs- und Jugendberatungsstelle in Bern führte mich in die Achtsamkeitsmeditation ein und ich begann die Lehre zu studieren (ich habe meine spirituelle Biografie vor einiger Zeit mal zu Papier gebracht: Die Schwelle).

Und was mich am Buddhismus auch immer schon sehr angesprochen hat ist das, was auch du oben erwähnt hast:

Dass Buddhismus eine Religion ohne Gott ist, habe ich schon gehört und gelesen. Das macht sie zu einer der friedlichsten Glaubensrichtungen der Welt.

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