Savonlinna hat geschrieben:Queequeg hat geschrieben:
Von einem, sich allgemein liberalisierenden Christentum zu sprechen, das halte ich für falsch
Natürlich wäre das falsch, da das Christentum sich gleichzeitig radikalisiert hat.
Das hier hatte ich geschrieben:
Savonlinna hat geschrieben:
Die Gottesvorstellung verändert sich.
Sie ist teilweise diesseitig.
Und das ist ja doch wohl korrekt, nehme ich an.
Ich sagte auch schon, dass in den Endachtundsechziger/Siebziger Jahren in den theologischen Fakultäten der Unis eine starke Säkularisierung zu beobachten war.
Die Evangelische Theologie, teilweise auch die Katholische, war damals von der Studentenbewegung stark beeinflusst, man griff Karl Marx auf, diskutierte ihn in Basisgruppen in Verbindung mit dem Christentum.
Jürgen Moltmann, der neben Hans Küng damals in Tübingen lehrte, schrieb in seinem Vorwort zu dem Buch "Wir wollen hier auf Erden schon..." von Gerhard Marcel Martin:
"'Wozu braucht man denn Gott?', fragten revolutionär engagierte Theologiestudenten in einer großen Tübinger Diskussion.'
So, nun ist Zeit, dir ausführlich und wie versprochen zu antworten.
Was die geschichtlichen Werdegänge angeht, in den sechziger Jahren war ich noch ein Jüngling mit gar lockigem Haar und bin, was die Vorgänge dieser Jahre angeht, auf die Berichte der mir "vorauseilenden" Generationen angewiesen. Und einen Stillstand in Sachen Theologie, Säkularisierung und Liberalisierung wird es in Deutschland wohl eher nicht geben, dazu ist und war der Mai des Jahres 1945 zu einschneidend, in allen Bereichen des Lebens der Deutschen.
Kurz ein Wort zu H. Küng: ich weiß nun nicht, warum dieser aufrechte und mutige Mann von einigen Christen so sinnenlos angefeindet wird, ich fand die Schriften dieses Menschen recht lesenswert, damals, sie gaben mir, damals, doch einige recht interessante Gedanken-Impulse.
Weiter.
Es begann, zu meinem Riesen-Erstaunen, eine Renaissance des Pietismus. Und, als Gegenzug, eine Renaissance des aktiven Atheismus.
Beide radikalisierten sich an ihren Außenflügeln.
Nach meiner Einschätzung gehen beide Radikalisierungen zumindest in Deutschland zurück, aber ich habe nicht genug Material, um das professioenll einschätzen zu können.
Aber die Säkularisierung der Theologie, von der ich sprach, ist nicht wirklich verschwunden.
Wann immer ich in Kontakt komme mit Kirchentag oder Kirche, stoße ich auf ihre Spuren.
du schreibst von der Sicht und Warte in Deutschland aus. Ich sehe unsere Diskussion mehr "in die Welt gehoben", und da speziell von meinen Erfahrungen in Mittelamerika und auch Russland heraus und da ist doch vieles anders, sehr anders, einmal so ausgedrückt.
In Mittelamerika verharrt oft alles im ewig Gestrigen und die Trauung eines homosexuellen Paares bedeute auch heute noch das Todesurteil für den Priester, der diese Trauung vornimmt. In Mittelwesten der USA, vor allem im Bible Belt bedeutet das öffentliche Bekenntnis zum Atheismus dann immer noch Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, oft auch Einsamkeit und Diskriminierung, und viele dieser mutigen Menschen werden verteufeln und dämonisiert. In den Großstädten der USA allerdings schreitet der Atheismus voran, langsam, aber sicher, wie in vielen christlichen Ländern dieser Welt auch.
In Russland spielt die Religion fast deckungsgleich genau wieder diese unselige Rolle wie im Zarentum, unter Putin wurde die russischen orthodoxe Kirche dann endgültig wieder zum willigen Handlanger der jeweiligen Regierung.
Du siehst also, die Welt des Glaubens ist oft recht bunter, oft auch "schwärzer" und vielfältiger, als unsere Sich aus Deutschland heraus es uns gestattet.
Ich persönlich sehe den Atheismus als absolute Notwendigkeit, um den politischen und auch kulturellen Status quo zu wahren, auch als Notwendigkeit der Kritik und zur Offenlegung der immer noch geschehenen Verbrechen der Kirchen und damit meine ich nicht nur den weltweiten Kindesmissbrauch der katholischen Kirche.
Schlusswort: ich meine, das der Atheismus nachdenklicher, offener und selbstkritischer geworden ist. Der Atheismus sieht sich in Verantwortung genommen, gerade weil dieser immer mehr im Licht der Öffentlichkeit steht und das ist eine sehr gute, eine wohl auch fruchtbringende Entwicklung, in Deutschland, in Europa, schließlich in der christlichen Welt überhaupt.
Denn viele Christen haben es immer noch nicht begriffen, wie nutzbringend, wie wertvoll der Atheismus auch und gerade für die Christen, für das Christentum sein kann.
Schalom dir und allen Usern dieses Forums