Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

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Tyrion
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#1 Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Tyrion » Do 9. Feb 2017, 22:50

Mir fällt in vielen Diskussionen auf, dass es einige religiöse Menschen gibt, für die es offenbar eine Provokation ist, wenn man nicht an einen Gott glaubt.

Schnell fallen Begriffe wie Neoatheismus (wohl als Schimpfwort gesehen), mal werden Bibelzitate gebracht, die die "Ungläubigen" entmenschlichen, also als Hunde, Säue, Schlangen, Ottern usw. bezeichnen.

Warum ist es für manche eine so große Provokation, wenn man sagt "Nein, deine Vorstellungen teile ich nicht, ich glaube nicht an Gott"?

Den Begriff Neoatheismus finde ich da besonders perfide. Früher konnte man sich nicht als Atheist outen, ohne massiv benachteiligt zu werden. Das war auch so, als nicht mehr gefoltert und verbrannt wurde.

Wer nicht an Gott glaubt, liest die Bibel nicht mit einer rosaroten Brille und übt folglich auch eher Kritik an ihr. Dann fühlen sich wiederum einige Gläubige persönlich angegriffen. Auf der anderen Seite ziehen einige Gläubige über den Koran oder andere religiöse Schriften her. Die dürfen das wohl, weil es nicht um die Bibel geht? Darf man alles kritisieren, nur die Bibel nicht?

Was ist also Atheismus?

Ist es eine Emazipation aus Jahrhunderten geistiger Unterdrückung? Ist es pure Provokation, weil es ja ach so unglaublich sein soll, nicht an Gott zu glauben? Oder ist es sogar ein schweres Verbrechen?

Gottlosigkeit wird ja immer wieder (selbst von gemäßigten Christen hier im Forum) als Negativausdruck für die aktuellen Zeiten gebraucht (In gottlosen Zeiten wie der jetzigen...). Dabei haben genau diese Gläubigen ihren Hintern im Warmen, genießen unser Staatssystem, dass endlich mal zumindest etwas solidarisch ist und den Schwachen hilft und dabei haben wir endlich mal eine längere Friedenszeit.

Warum ist gottlos ein Schimpfwort?

Wie würden Gläubige reagieren, wenn man wirklich den Begriff christlich als ernst gemeintes Schimpfwort gebrauchen würde? Würden nicht Rufe laut werden, dass das ungerecht sei, pauschalisieren würde, eine Unverschämtheit sei? Warum wird dann gottlos als Schimpfwort gebraucht?

Nun, ich bin so manches, was Christen als Schimpfwort gebrauchen (und auch Angehörige anderer Religionen). Ich bin gottlos, ja. Bin ich folglich ein Verbrecher? Oder bin ich folglich Abschaum? Müsste ich als "Neoatheist" verfolgt werden und zum Schweigen gebracht werden?

Leider ist es noch teilweise so. Es gibt sogar einen Blasphemieparagraphen und im Bayerischen Bildungsgesetz ist das oberste Gebot Ehrfurcht vor Gott. Ich habe also als Atheist nicht wirklich Meinungsfreiheit, während die Christen vom Staat geschützt werden.

Ich würde mich freuen, wenn es zu einer echten Diskussion käme. In diesem Rahmen (weil es zum Thema gehört) kann auch gerne bestätigt werden, dass Atheisten Verbrecher sind (wenn es denn begründet wird). Meine These ist allerdings: Nimmt ein Christ Meinungsfreiheit ernst, dann müsste er auch für das Recht kämpfen, dass man Atheist sein darf.

closs
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#2 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von closs » Fr 10. Feb 2017, 01:16

Tyrion hat geschrieben:Was ist also Atheismus? Ist es eine Emazipation aus Jahrhunderten geistiger Unterdrückung? Ist es pure Provokation, weil es ja ach so unglaublich sein soll, nicht an Gott zu glauben?
Es ist ganz nüchtern Ausdruck des Empfindens, dass es Gott nicht gibt.

Tyrion hat geschrieben: Meine These ist allerdings: Nimmt ein Christ Meinungsfreiheit ernst, dann müsste er auch für das Recht kämpfen, dass man Atheist sein darf.
Das ist durchaus bei vielen Christen so. - Denn jede Weltanschauung soll dem ehrlichen Status Quo des eigenen Empfindens entsprechen. - Ohne diese Authentizität kommt man nicht weiter.

Um es etwas provokativ zu sagen:
Ein authentischer Atheist (= jemand, der aus ehrlichem Herzen glaubt, dass es Gott nicht gibt) ist Gott näher als ein unehrlicher Christ. - Letztlich läuft es auf Röm. 2,14f heraus
14 Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz.
15 Sie zeigen damit, dass ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab

Tyrion hat geschrieben:Wer nicht an Gott glaubt, liest die Bibel nicht mit einer rosaroten Brille und übt folglich auch eher Kritik an ihr.
Die Realität ist meistens anders: Man kritisiert etwas, bevor man etwas versteht.

Dieser Befund hat nichts mit der Bibel zu tun, sondern ist ein allgemeines Phänomen:
Meinungs-Gesellschaft = Ich-Orientierung + sich über Kritik positionieren. - Mit Substanz hat es sehr oft nichts zu tun.

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lovetrail
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#3 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von lovetrail » Fr 10. Feb 2017, 07:57

ich denke Atheismus ist eine Art Rebellion im rationalen Gewande. Wobei der Verstand dieses Motiv der Rebellion verdrängt oder vergessen haben kann.

Rebellion wogegen?

Einerseits gegen Heuchelei, Gewalt, falsche Autorität, Aberglauben

andererseits aber auch gegen den wahren Gott und seine Gebote?
Warum auch gegen den? Warum nicht gläubig sein und dabei kritisch mit den Pseudochristen und Pseudokirchen umgehen?
Weil man sich bedroht und verurteilt fühlt. Man liebt die Sünde und die Lüste des Fleisches. Und man spürt, dass es dafür eine Abrechnung geben wird. Und deshalb lehnt man Gott instinktiv ab. Ähnliches sehen wir beim liberalen, progressiven Christentum (manchmal auch Hypergrace genannt).

Soweit meine jahrelange Beobachtung in unzähligen Diskussionen mit Atheisten.

LG
Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!

Mimi
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#4 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Mimi » Fr 10. Feb 2017, 08:09

Hallo,
closs:
Ein authentischer Atheist (= jemand, der aus ehrlichem Herzen glaubt, dass es Gott nicht gibt) ist Gott näher als ein unehrlicher Christ. - Letztlich läuft es auf Röm. 2,14f heraus
Der Ansicht bin ich ebenso.
@Tyrion:
Aus Deiner Sichtweise und Empfindung heraus beziehst Du sehr offen und
ehrlich Position.
Tyrion:
…die die "Ungläubigen" entmenschlichen, also als Hunde, Säue, Schlangen, Ottern usw. bezeichnen.
Zumindest im NT sind speziell mit Schlangen/Ottern ja gerade auch die Pharisäer angesprochen, die sich seinerzeit als die Gläubigsten, bzw. die Gerechtesten hielten.
LG
"Jedes menschliche Wunschbild,
das in die christliche Gemeinschaft mit eingebracht wird,
hindert die echte Gemeinschaft und muss zerbrochen werden,
damit die echte Gemeinschaft leben kann."
Dietrich Bonhoeffer

JackSparrow
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#5 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von JackSparrow » Fr 10. Feb 2017, 08:25

lovetrail hat geschrieben:Einerseits gegen Heuchelei, Gewalt, falsche Autorität, Aberglauben
andererseits aber auch gegen den wahren Gott und seine Gebote?
Würde mir jemals ein wahrer Gott seine Gebote mitteilen, würde ich diese einer Evaluation unterziehen und anschließend vielleicht dagegen rebellieren oder auch nicht.

Bis es soweit ist, muss ich mich bedauerlicherweise darauf beschränken, die hirnrissigen, ungenauen, unlogischen und oftmals beleidigenden Aussagen seiner selbsternannten Anhänger zu boykottieren.

Warum nicht gläubig sein und dabei kritisch mit den Pseudochristen und Pseudokirchen umgehen?
Gern. Was genau soll ich glauben?

Weil man sich bedroht und verurteilt fühlt.
Beleidigt und bevormundet.

Man liebt die Sünde und die Lüste des Fleisches.
Du nicht?

Novas
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#6 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Novas » Fr 10. Feb 2017, 08:47

Tyrion hat geschrieben:...die die "Ungläubigen" entmenschlichen, also als Hunde, Säue, Schlangen, Ottern usw. bezeichnen.

Es ist doch eher so, dass Materialisten selbst die Ansicht vertreten, dass der Mensch nichts anderes als ein Tier ist, eben ein "vornehmes Tier". Ich sehe es so, dass ausnahmslos alle Lebewesen - Pflanzen, Tiere und Menschen - gleichermaßen Teile Gottes sind (und ich spreche darum allen Lebensformen mindestens ein Fünklein Bewusstsein und eine gewisse Würde zu) Insofern blicke ich nicht auf sie herab. Der Mensch ist jedoch eine Kategorie für sich, weil er sich bewusstseinsmäßig über die restliche Natur hinaus entwickelt hat.
Was den Begriff "Ungläubiger" angeht, so muss gefragt werden, was das bedeutet: ist das nur ein Mensch der an nichts glaubt? Dann habe ich kein Problem damit. Wenn in der spirituellen Sprache jedoch davon die Rede ist, dann ist damit meistens viel mehr gemeint: ein Mensch mit einem schlechten Charakter, während ein "gläubiger" Mensch als rechtschaffen beschrieben wird, also eher das, was Goethe hier als Ideal der Menschlichkeit versteht:

Edel sei der Mensch,
hilfreich und gut;
denn das allein
unterscheidet ihn
von allen Wesen,
die wir kennen!
Das Göttliche

Es ist also hier wichtig auf den Kontext zu achten, in dem solche Worte verwendet werden. Wenn die Bibel abschätzig von "Ungläubigen" spricht, dann sind nicht Atheisten im heutigen Wortsinne gemeint, sondern Menschen die das Gute missachten, ungerecht handeln, das Schöne zunichte machen, das Edle und Heilige verspotten, die allgemein einen schlechten Charakter haben.

Schnell fallen Begriffe wie Neoatheismus (wohl als Schimpfwort gesehen),

Es gibt nun mal eine geistige Strömung, die so genannt wird, die sich unteranderem durch ein oft sehr aggressives und herablassenden Verhalten gegenüber Religion auszeichnet. Ich finde schon, dass man das benennen und kritisch betrachten sollte.
Zuletzt geändert von Novas am Fr 10. Feb 2017, 09:31, insgesamt 1-mal geändert.

Pluto
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#7 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Pluto » Fr 10. Feb 2017, 09:31

Novalis hat geschrieben:Der Mensch ist jedoch eine Kategorie für sich, weil er sich bewusstseinsmäßig über die restliche Natur hinaus entwickelt hat.
Sprichst du den Tieren damit Bewusstsein ab?
Ist das nicht dasselbe wie Descartes, als er sagte, Tiere funktionierten rein mechanistisch weil sie keine Seele haben?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
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#8 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Novas » Fr 10. Feb 2017, 09:38

Pluto hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Der Mensch ist jedoch eine Kategorie für sich, weil er sich bewusstseinsmäßig über die restliche Natur hinaus entwickelt hat.
Sprichst du den Tieren damit Bewusstsein ab?
Ist das nicht dasselbe wie Descartes, als er sagte, Tiere funktionierten rein mechanistisch weil sie keine Seele haben?

Du hast meinen Beitrag offenbar nicht ganz gelesen :)

Pluto
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#9 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Pluto » Fr 10. Feb 2017, 09:50

Novalis hat geschrieben:Du hast meinen Beitrag offenbar nicht ganz gelesen :)
Doch, das habe ich.
Du bist einerseits der Meinung, alle Wesen seien gleich, siehst aber den Mensch in einer Kategorie für sich.
Das ist eine widersprüchliche Aussage, und der Grund warum ich frage, ob du den Tieren eine Seele absprichst.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Pflanzenfreak
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#10 Re: Atheismus - Freiheit, Provokation oder Verbrechen?

Beitrag von Pflanzenfreak » Fr 10. Feb 2017, 13:59

Tyrion hat geschrieben:Warum ist es für manche eine so große Provokation, wenn man sagt "Nein, deine Vorstellungen teile ich nicht, ich glaube nicht an Gott"?
... das würde ich auch gerne wissen...
Für mich ist jeder Mensch ein Mensch und somit auf derselben Ebene wie ich. Also werde ich respektieren daß er denkt wie er denkt mit dem selben Recht das auch ich dafür einfordere daß man mich denken lässt wie ich denke.
Ich kann nicht nachvollziehen was in einem Kopf vorgeht, wenn dessen Besitzer Menschen nach Rasse, Glauben, Besitz oder was auch immer einteilt und unterschiedlich be-wertet. Jeder Mensch hat Gaben und Schwächen. Daß wir unsere eigenen Gaben für wertvoller erachten als die eines Anderen liegt nicht daran daß sie höher zu bewerten sind sondern einzig daran, daß sie uns vertrauter sind. Genauso verhält es sich auch mit dem Glauben.

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