Ruth hat geschrieben: ↑Mo 22. Mär 2021, 10:16
Mirjam hat geschrieben: ↑Sa 20. Mär 2021, 21:06
Ich sehe hierin lediglich den rhetorischen Kniff eines Missionars... er will die Menschen dort "abholen", wo sie stehen, aber er hat keinen Respekt vor ihrem Standpunkt. Denn er will sie ja davon weg führen und sie von seiner eigenen Botschaft überzeugen. Von religiöser Toleranz sehe ich da nichts.
Das Problem ist, dass bei fast jeder Religion dieser Absolutheitsanspruch dieser Botschaft besteht: es gibt nur eine einzige Möglichkeit, den "wahren" Gott zufrieden zu stellen. Und wenn du diese Möglichkeit nicht nutzt, dann wirst du ewig bestraft.
Nun, das mit dem Wahrheitsanspruch muss man differenziert sehen, finde ich. "Bei fast jeder" ist weit übertrieben.
Es gibt bei verschiedenen Religionen durchaus verschiedene Ansätze, mal etwas überspitzt gesagt:
Stufe 1:
“Wir haben die wahre Religion und alle anderen Menschen auf der Welt sollen da auch mitmachen sonst sind sie verloren” : solche übergreifende und missionarische Ansprüche sehe ich eigentlich nur bei Christen, Muslimen und manchen Buddhisten.
(übrigens glaube ich durchaus, dass die große Anzahl der Gläubigen dieser Religionen durchaus mehr mit der aggressiven Mission und weniger mit der originären Überzeugungskraft zu tun hat. Aber das kann man natürlich auch anders sehen...)
Stufe 2: “
Wir haben die wahre Religion, die anderen sind im Irrtum. Das ist uns aber eigentlich egal, sollen die doch machen was sie wollen.” So in etwa würde ich das Judentum einstufen, und alle anderen Gruppen, die sich irgendwie für die Auserwählten und den ihren Gott für den einzig wahren halten... die aber damit nicht missionieren gehen.
Stufe 3: “
Wir haben unsere Religion, dass ist auch die tollste und unsere Götter sind die besten. Andere Menschen haben andere Götter, aber das ist ihre Sache, das geht uns nichts an. Natürlich können wir bei Gelegenheit auch mal einen Gott aus deren Kultur verehren und die dürfen auch gerne mal in unserem Tempel opfern, das ist kein Problem.”
So in etwa die altägyptische Auffassung, und in ähnlicher Weise bei anderen polytheistischen Systemen (Assyrer, Hethiter, Kelten, Germanen…) und zum Teil auch bei Animisten, die sehr auf den eigenen Stamm, auf die eigenen Geister und Ahnen fokussiert sind aber dabei die Existenz ANDERER Systeme durchaus nicht ausschließen.
Bei den Asiatischen und Amerikanischen Religionen kenne ich mich nicht genug aus um das einzuschätzen.
Stufe 4:
“Alle Menschen auf der Welt verehren an sich die selben Gottheiten, sie nennen sie nur bei verschiedenen Namen. Alle diese Namen und Erscheinungsformen der Götter und Göttinnen sind gleichermaßen valide, es spielt also eigentlich keine Rolle, welche Religion jemand hat.”
So sehe ich das bei den Griechen und in gewissem Maße im römischen Reich. Auch heutige esoterische und synkretistische Strömungen würde ich hier einordnen.
Allerdings gibt es auch bei solchen Konstruktionen manchmal ein gewisses Anspruchsdenken... nach dem Motto: alle beten eigentlich UNSERE Götter an, egal wie sie sie nennen, sie wissen es halt nicht besser.
Ruth hat geschrieben: ↑Mo 22. Mär 2021, 10:16
Für mich selbst war genau das der Punkt, wo ich nachdenklich wurde. Nämlich dort, wo Mission unter bestehenden Religionen betrieben wurde, und man beklagte, dass die Hörer der (einzig wahren) Botschaft verstockt wären, weil sie diese Botschaft nicht annehmen wollten. Ich habe dann darüber nachgedacht, wie ich damals noch reagiert hätte auf Missionsversuche aus anderer Religion. Ich hätte diese als Anfechtung und Angriff des "Feindes" verstanden, und alles abgewehrt, was dem, was ich gelernt hatte widersprochen hat.
Haargenau so ist es. Wer in der eigenen Religion entweder tief indoktriniert oder sehr glücklich ist, der wird einen Missionierungsversuch egal welcher Seite wohl nicht als Angebot sondern als Anfechtung wahrnehmen.
Ich meine, seht euch beispielsweise einmal an, wie manche Muslime versuchen, bei den Christen abzuwerben: Da wird dann erst einmal aufgezeigt, wie viele biblische Geschichten doch auch im Koran stehen. Und dann im zweiten Schritt wird versprochen, man wisse sogar noch mehr über Jesus und seine wahre Geschichte... Selbes Muster, meiner Meinung nach.
Ruth hat geschrieben: ↑Mo 22. Mär 2021, 10:16
Das ist inzwischen auch meine Botschaft an Menschen, die nach Gott fragen: Gott findest du nur bei Gott selbst.
Das würde ich auch unterschreiben, mit Betonung sowohl auf "nur du allein" und "nur bei Gott". Das ist der Kern.
Es ist dann wunderbar bereichernd und eine tolle Stütze im Leben, wenn man eine Gemeinschaft oder Gemeinde hat, mit der man den Weg des Glaubens gemeinsam gehen kann. Aber das darf nicht der Kern sein. Wer sich nur als gläubig betitelt, weil er oder sie teil der Gruppe sein will - oder dazu gedrängt wird! - dann hat das mit echtem Glauben nichts zu tun.
Ruth hat geschrieben: ↑Mo 22. Mär 2021, 10:16
Es sollte eigentlich gar nichts implizieren. Es ist nur eine Frage, die anregen sollte weiterzudenken und mitzudenken, und nach religionsfreien Antworten zu suchen.
Ah ok... naja, dann war meine Antwort allerdings persönlich und durch meine eigene religiöse Überzeugung geleitet... nicht wirklich "religionsfrei", sorry.
Ruth hat geschrieben: ↑Mo 22. Mär 2021, 10:16
Grundsätzlich stimme ich dir zu. Wobei ich die allgemeinen ethischen Grundsätze ein bisschen lockerer sehen würde. ... nicht gleich auf die ganze Welt bezogen. Weil es nun mal so ist, dass die Menschen individuell und unterschiedlich erzogen wurden, und deshalb auch die Begriffe, was denn "Gut oder Böse" sein soll, variieren. Ich stimme natürlich zu, dass gewisse Menschenrechte überall angestrebt werden sollten, so wie Sklavenhaltung und Gewaltausübung.
Um nichts anderes ging es mir. Artikel 1, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander wie Geschwister begegnen". Damit ist das meiste schon gesagt.
Liebe Grüße
Mirjam