ThomasM hat geschrieben:Mir fällt übrigens gerade auf, dass das Thema der aktuellen Diskussion rein gar nix mit dem threadthema zu tun hat ...
Na dann wieder zurück zum Thema physikalistische Weltanschauung!
Pluto fragte an anderer Stelle:
Pluto hat geschrieben:Thaddäus hat geschrieben:Tatsächlich muss sich die Philosophie wie alle Geisteswissenschaften heute gegen gewisse Übernahmeansprüche der Physik vor allem verteidigen, die durch manche Physiker/Naturwissenschaftler vorgetragen werden. Das ist aber recht leicht zu bewerkstelligen, weil die Naturwissenschaftler, die solche Forderungen aufstellen, sich sogleich in Widersprüche verwickeln, was ihnen oft aber nicht auffällt, weil sie schlechte Philosophen sind
Welche Widersprüche sind dies?
Der deutsche Philosoph Markus Gabriel führt in
Die Erkenntnis der Welt - Eine Einführung in die Erkenntnistheorie ein paar solcher Widersprüche auf. Die überzeugendste Argumentation bietet er, meiner Ansicht nach, in nachfolgendem kleinen Textstück. Gabriel will damit übrigens nicht sagen, dass Physik und Naturwissenschaften etwa nicht ernst zu nehmen wären! Er will lediglich darauf hinaus, dass der Physikalismus nicht die vollständige Realität beschreiben kann.
Gabriel wendet sich gegen die zentrale physikalistische These, dass alles, was existiert, im Gegenstandsbereich der Physik existiert. Oder etwas anders formuliert: Alles, was existiert, kann auf physikalische Ereignisse kausal zurückgeführt werden. Vertreter dieser These sind z.B. Rudolf Carnap, David Lewis, Daniel Dennett, Frank Cameron Jackson u.a.m. Verbreitet ist der Physikalismus unter Physikern und anderen Naturwissenschaftlern.
"Wenn die Wahrheit einer bestimmten Theorie - und der Physikalismus ist eine bestimmte Theorie - darauf zurückführbar wäre, daß ein bestimmter neuronaler Zustand in einem Gehirn besteht, wäre jede beliebige Negation des Physikalismus (der Solipsismus, Dualismus, Pluralismus usw.) genauso wahr wie der Physikalismus selbst. Man könnte den Physikalismus schon dadurch widerlegen, daß man sein Gehirn in den neuronalen Zustand eines Pluralisten versetzt, der den Gedanken denkt, daß es viele irreduzible Gegenstandsbereiche gibt. Der Physikalismus untergräbt deswegen eine entscheidende Bedingung theoretischer Behauptbarkeit. Diese besteht darin, daß man nichts behaupten kann, ohne damit Wahrheit zu beanspruchen, und daß dieser Anspruch sich an einer Norm der Wahrheit orientiert, die niemals identisch mit irgendeinem bestimmten Gegenstand sein kann oder sich nur auf einen einzigen Gegenstandsbereich beziehen kann. Denn der Wahrheitsbegriff ist, wie wir gesehen haben, an den Tatsachenbegriff gebunden. Wahrheit ist keine menschliche Fiktion oder Projektion, sie hängt nicht einmal grundsätzlich von unseren Einstellungen ab, sondern sie ist eine Eigenschaft der Weltzustände, der »Wirklichkeit« oder der »Realität«, selbst." [Markus Gabriel, Die Erkenntnis der Welt - Eine Einführung in die Erkenntnistheorie, 4. Auflage 2013, Freiburg im Breisgau 2012, © VERLAG KARL ALBER, S. 381
Wenn also der Physikalismus als Theorie wahr ist, dann liegt das nach der Grundthese des Physikalismus allein daran, dass sich das Gehirn eines Physikalisten in einem ganz bestimmten neuronalen bzw. physikalischen Zustand befindet. Denn wovon sonst, sollte die Wahrheit abhängen? Sagt man, von guten Gründen, die für den Physikalismus angeführt werden können, dann sind diese guten Gründe nach der Grundthese des Physikalismus selbst wieder auf physikalisch-kausale Ereignisse im Gehirn reduzierbar und also auf ganz bestimmte Zustände dieses Gehirns. Sie machen dann letztlich die Wahrheit der Theorie aus.
Wenn die Wahrheit einer Theorie oder Aussage letztlich von einem ganz bestimmten physikalischen Gehirnzustand abhängt, dann müsste man darüber hinaus angeben können, warum ein ganz bestimmter Hirnzustand wahr ist, ein anderer aber falsch. Da dies nach der Theorie des Physikalismus selbst aber nicht möglich ist, ist jeder physikalische Hirnzustand gleich wahr (oder falsch). Der Hirnzustand eines Solipsisten oder eines Psychopathen ist damit exakt genau so wahr (oder falsch) wie der Hinrzustand eines Physikalisten.
Der Physikalismus scheitert also an seiner eigenen Grundthese, nämlich der, dass alles, was es gibt, letztlich auf physikalische Ereignisse und ganz bestimmte Hirnzustände zurückführbar sein soll, die kausale Rollen spielen.