Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Offensichtlich ist ihm aber nicht bewusst, dass er nur auf der Basis eines Glaubensentscheids das so sieht.
Doch - genau das ist der Fall. - "Glaubensentscheid" spielt bei Ratzinger eine große Rolle - im Grunde sagt er: "Alles was ich sage, basiert auf einem Glaubensentscheid, den ich folgendermaßen ... begründe".
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Denn wäre er sich bewusst, dass er nur auf der Basis subjektiver, nicht vermittelbarer und mit Irrtum assoziierter Gründe das Naturrecht akzeptiert, dann wäre es selbst-widersprüchlich, anderen mangelnde Vernunft vorwerfen, die seine Auffassungen in puncto Naturrecht nicht teilen.
Hermeneutische Vorannahmen haben es sich, wenn sie nicht falsifizierbar sind, an sich, dass sie absoluten Charakter haben, solange sie nicht in sich widersprüchlich sind. - Das gilt sowohl bei religiösen als auch bei säkularen Glaubens-Systemen.
Mit anderen Worten: JEDE Aussage ist absolut gesehen "selbst-widersprüchlich" und nur im Rahmen der eigenen Hermeneutik "nicht-widersprüchlich". - Es gibt keine absolute Ergebnisoffenheit.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Ratzinger meint nicht, dass seine Akzeptanz des Naturrechts auf einem Glaubensentscheid beruht, sondern auf allgemeiner menschlicher Vernunft.
Beides. - "Menschliche Vernunft" ist laut seinem Glaubensentscheid so zu definieren. - Andere definieren "menschliche Vernunft" durch andere Glaubensentscheide/Vorannahmen anders.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Denkt er das auch, was Außenstehende denken? Offensichtlich nicht.
Doch - diesbezüglich sind Theologen im Normalfall weiter als säkulare Denker, weil Theologen ständig mit der Wucht üblicher Denkweisen zu tun haben. - Aber er lehnt die Vorannahmen Außenstehender im Rahmen seines "Glaubensentscheids" ab - so wie es umgekehrt genauso ist.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Und wenn er nun sagt “diese Naturrechts-Wahrheiten sind für jeden erkennbar†– wie passt das damit zusammen
Er meint damit das in Bezug auf das, was jeder potentiell in sich trägt, und nicht in Bezug auf das, wie es versaut ist. - Er glaubt also, dass jeder Mensch jederzeit zurückgeführt werden kann auf seine eigentlichen Erkenntnis-Wurzeln.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Wie kann man da noch behaupten, Ratzinger wüsste, dass seine Konstrukte auf einem Glaubensentscheid fußen?
Gerade deshalb weiß er es. - Er sieht, dass die säkulare Gegenseiten nicht erkennt, dass ihre Aussagen glaubens-basiert sind, weiß es aber bei sich selbst. - Es gibt also aus Sicht Ratzingers ZWEI Probleme in der Auseinandersetzung mit der Säkularität:
1) "Die merken ja gar nicht, dass sie genauso wie ich ein Glaubens-System haben, wenn es auch anders inhaltlich gefüllt ist".
2) "Wie soll ich sie überzeugen, dass mein Glaubenssystem besser ist als das ihrige, wenn sie nicht mal kapieren, dass sie ein Glaubenssystem haben?"
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Ja, das ist doch genau der Knackpunkt!!! Dass er meint, jeder vernünftige “Heide†muss erkennen, dass es keine Homo-Ehe geben darf.
Richtig - so meint er das. ---- Ich versuche Ratzinger folgendes in den Mund zu legen:
"Aufgrund meines zwar nicht objektiv, aber umfassend begründbaren Glaubensentscheids weiß ich, was 'menschliche Vernunft' und 'Naturrecht' ist. - Diese beiden Begriffe sind so definiert, dass sie auch ohne christliche Glaubenswahrheiten von jedem potentiell verstanden werden können".
Mal ganz nebenbei: Geh mal durch die Kulturen der Welt - Du wirst einige vom Christentum unbeeinflusste Kulturen finden, die strikt gegen gleichgeschlechtliche Sexualität sind. - Es ist also keine Erfindung des Christentums.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Was hat sich denn geändert im Vergleich zur Kirche im Mittelalter? Ratzinger meint, dass jeder, der sein Naturrecht nicht akzeptiert, einen Defekt hat. - Wie unterscheidet sich das denn nun genau von der Einstellung von bspws. Papst Innozenz III. ?
Die Toleranz. - Während man damals seine Wahrheiten aufgrund weltlicher Macht durchprügeln konnte, geht das heute (gottseidank) nicht mehr. - Heute versteht sich die Kirche eher unter folgendem Aspekt - siehe Matth. 9:
11 Und als die Pharisäer es sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Lehrer mit den Zöllnern und Sündern?
12 Als aber er es hörte, sprach er: Nicht die Starken brauchen einen Arzt, sondern die Kranken.
13 Geht aber hin und lernt, was das ist: "Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer." Denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.
Frage zurück: Was hat sich seit dem Mittelalter an 7 + 5 = 11 geändert?
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
In der Gewaltbereitschaft bei Meinungsverschiedenheiten (Innozenz III. ließ die Katharer abschlachten)? Das kann es nicht sein, denn dann wäre es auch unfair Naturalisten mit der Kirche des Mittelalters zu vergleichen.
Korrekt. - Das ist das ewige Problem der Kirche, dass ihre Botschaft göttlich ist, aber ihre Boten menschlich. - Konkret: Man darf das NT nicht an historischen Handlungsweisen der Kirche messen - noch konkreter: Die Kirche war oft fast umfänglich und ist immer wieder partiell in den FÄngen des Bösen und somit Ausdruck des Bösen.
Das heißt: Als Rezipient kirchlicher Botschaften muss man "aufgeklärt" im Sinne Kants sein: "Aude sapere" - kann man nur jeweils selbst machen - und dabei irrt man gelegentlich (wer Umwege macht, lernt die Gegend kennen). - Genau so ist es gemeint - aber man muss erstmal das Prinzip begriffen haben.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Die Interpretation eines Textes lässt sich danach bewerten, wie nahe sie dem kommt, was der Original-Autor vermitteln wollte.
Streng genommen nein (Dein Ansatz ist der historisch-kritische Ansatz) - bewerten lässt sich die Interpretation danach, was der Text bedeutet! - Das kann etwas ganz anderes sein.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Daher ist es ein unsinniges Argument zu sagen: “Du hast recht, wenn Du darauf hinweist, dass hier von Texten gesprochen wird (ich beziehe es auf die Realität) - aber: Welchen Sinn haben Texte, wenn sie nichts mit der Realität zu tun haben?â€
Historisch-kritisch hast Du vermutlich recht - mein (hermeneutischer) Ansatz ist meistens ein ontischer. - Zwei Sichtweisen.
Claymore hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:18
Gratulation, jetzt hast du zum ersten (!!!) mal, nach endlosem Nachfragen, etwas gebracht, das möglicherweise deine These stützt.
Die ganze Sache ist sowas von selbstverständlich für mich, dass ich geradezu hilflos vor Deinen Fragen stehe. - Wenn Du mich fragen würdest, warum der Mund im Gesicht vorne in der Mitte halb unten ist und nicht seitlich am Magen, weil man da bequemer mit dem Löffel hinkommt, hätte ich ähnlich zu kämpfen.
closs hat geschrieben: ↑So 18. Nov 2018, 10:19
Du solltest ein Beispiel bringen, wie der hermeneutische Zirkel direkt (unmittelbar) auf die Realität angewendet werden kann.
Zunächst: Mir fällt auf Anhieb nichts ein, was nicht mit Worten/Texten verbunden wäre, wenn man darüber spricht/schreibt. - Ansonsten:
* Geschichtlich (= "real") hatte Jesus entweder eine Naherwartung oder keine (ontisch ist nur EINE Antwort richtig). - Je nach hermeneutischer Vorannahme kommt man bei identischen Quellen zu ja oder nein - jeweils in sich geschlossen widerspruchsfrei.
* Noch mal geschichtlich: "War der Bau der Berliner Mauer richtig oder falsch? - Je nach hermeneutischer Vorannahme kommt man bei identischen Quellen zu ja oder nein - jeweils in sich geschlossen widerspruchsfrei.
Wäre das in Deinem Sinne ausreichend? --- Ansonsten gilt das möglicherweise auch bei der Quantenphysik - siehe Schrödingers Katze. Bei "Ich messe" kommt was anderes raus als bei "Ich messe nicht". - Damit ist die Grundlage der Hermeneutik angesprochen, nämlich die Anthropozentrität ("Messen tut immer ein Ich"). - Aber möglicherweise sollten wir an dieser Stelle nicht so weit denken.