Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

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ThomasM
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#1 Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von ThomasM » Do 27. Nov 2014, 11:17

Da Pluto angeregt hat, dazu mal einen thread zu eröffnen, tue ich das hiermit.

Um klar zu machen, worum es mir geht, hole ich ein wenig aus. Ich schildere zuerst den Zustand der Physik im Rahmen der klassischen Physik.
Mit der klassischen Physik meine ich die klassische Mechanik (Newton, Lagrange, Hamilton) und die klassische Elektrodynamik (Maxwell).

Die genaue mathematische Begründung dieser Modelle spielt hier jetzt keine allzu große Rolle, der wesentliche Punkt ist, dass es die folgenden Grundsätze gibt.
- Es gibt die Größen Ort (3 Dimensionen) und Impuls (Geschwindigkeit) für die Beschreibung der klassische Massen
- Es gibt jeweils ein Feld, das vom Ort abhängig ist für die Beschreibung der elektrischen Kraft und magnetischen Kraft
- Die Gleichungen, die diese Größen miteinander zu den dynamischen Gleichungen verbanden, waren Gleichungen der ersten Ordnung in der Zeit

Wir haben es hier also mit einer direkten physikalischen Beschreibung der wahrnehmbaren Größen (Masse, elektromagnetische Kraft) zu tun, die auch auf direkte Messungen von Ort und Geschwindigkeit beruhen. Die Modelle sind also eine unmittelbare Beschreibung der Erfahrung.
Die Tatsache, dass die Gleichungen in der ersten Ordnung der Zeit sind, hat eine bedeutsame Konsequenz.

- Kennt man den Zustand des Universums zu einem Zeitpunkt vollständig (alle Massen, alle elektromagnetischen Felder), dann kann man jeden Zustand des Universum in alle Zukunft 100% genau berechnen.

Zwar gibt es in dieser Modellierung auch so etwas wie Zufall (Boltzmanns statistische Mechanik), dieser Zufall ist aber nicht prinzipieller Natur, sondern eine Konsequenz der praktischen Unfähigkeit, einen Zustand beliebig genau festzustellen.

Eine solche Modellierung der Realität hat keinen Platz für Gott. Man kann vielleicht noch sagen, dass irgendjemand diesen ominösen Anfangszustand hergestellt haben muss, aber danach wird Gott überflüssig, denn alles verläuft wie eine Maschine, die vor sich hin schnurrt. Es gibt kein Schicksal und keinen freien Willen, alles ist festgelegt. Sogar ein Eingreifen Gottes ist nicht möglich, denn jedes Eingreifen wäre ein Widerspruch zu den physikalischen Gesetzen.

Das alles änderte sich mit der Entwicklung der Quantenmechanik, die 1925 begann. Die wesentliche Änderung, die diese Modellierung mit sich brachte, ist die Erkenntnis, dass eine direkte Beschreibung der beobachtbaren Größen (Ort, Impuls, Kraft, etc) nicht möglich ist. Die Grundsätze der Modellierung sind nun:
- Die Grundgröße der Modellierung ist die Wellenfunktion. Die Wellenfunktion ist nicht direkt beobachtbar. Sie beschreibt die beobachtbaren Größen indirekt, indem man mit ihrer Hilfe Wahrscheinlichkeiten der Größe von Ort, Impuls, Kraft etc ausrechnen kann.
- Die dynamische Gleichung ist immer noch erster Ordnung in der Zeit (Kleiner Hinweis: Eigentlich zweiter Ordnung, aber es ist nur eine Lösung physikalisch sinnvoll), aber die Entwicklung ist jetzt in der Wellenfunktion.

Die Aussage von oben verändert sich daher fundamental. Sie lautet jetzt.

- Kennt man den Wahrscheinlichkeitszustand des Universums komplett, dann kann man die Entwicklung der Wahrscheinlichkeiten bis in alle Zukunft ausrechnen.

Daran zeigt sich, dass die physikalische Beschreibung der Realität sich gewandelt hat von der Beschreibung des Ist in eine Beschreibung der Möglichkeiten. Welche der Möglichkeiten jetzt tatsächlich zu einem Zeitpunkt eintritt ist unbekannt. Dies wird durch die Physik nicht bestimmt, die Zukunft ist offen.

Dazu gibt es noch die Entdeckung des Chaos bzw. der Konsequenzen der nichtlinearen Dynamik. Die Tatsache, dass klassische Gleichungen hochgradig nicht-linear sind, hat zur Konsequenz, dass sich die Unfähigkeit zur Vorhersage der Zukunft von den mikroskopischen Systemen in das ganze Universum verbreitet. Typisches Beispiel ist die Unfähigkeit, das Wetter auf längere Zeiträume vorherzusagen. Diese Unfähigkeit ist jetzt nicht mehr praktischer Natur, sondern prinzipiell.
Daher bin ich auch davon überzeugt, dass die Eigenschaften quantemechanischer Systeme übertragbar sind auf recht große Gebilde, wie Zellen, Neuronen, Menschen. Prinzipiell sind das klassische Gebilde, aber sie werden beeinflusst von Zustandsänderungen, die sich klassisch nicht mehr erfassen lassen.

Die Konsequenz für die Weltanschauung ist fundamental. Gott wird wieder zu einer Denkmöglichkeit.
Wichtig ist: Das ist kein Beweis Gottes, das ist keine Methode, um Gott zu messen.
Aber: Es gibt die Freiheit, die Existenz und das Handeln Gottes in unserer Welt anzunehmen, ohne den physikalischen Beschreibungen zu widersprechen.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

closs
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#2 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von closs » Do 27. Nov 2014, 12:25

ThomasM hat geschrieben: Es gibt die Freiheit, die Existenz und das Handeln Gottes in unserer Welt anzunehmen, ohne den physikalischen Beschreibungen zu widersprechen.
Das ist eigentlich der entscheidende Satz, der Grundlage für interdisziplinäres Denken zwischen Spiritualität und Naturwissenschaft ermöglichen sollte. - Eine mögliche Frage wäre bspw.: Wie diszipliniert müssten man mit dieser Freiheit umgehen? - Will heißen: Wie würde man zwischen Willkür-Gerede und realistischen geistigen Ansätzen unterscheiden können? - Ginge das?

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Janina
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#3 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von Janina » Do 27. Nov 2014, 12:31

ThomasM hat geschrieben:Dazu gibt es noch die Entdeckung des Chaos bzw. der Konsequenzen der nichtlinearen Dynamik. Die Tatsache, dass klassische Gleichungen hochgradig nicht-linear sind, hat zur Konsequenz, dass sich die Unfähigkeit zur Vorhersage der Zukunft von den mikroskopischen Systemen in das ganze Universum verbreitet. Typisches Beispiel ist die Unfähigkeit, das Wetter auf längere Zeiträume vorherzusagen. Diese Unfähigkeit ist jetzt nicht mehr praktischer Natur, sondern prinzipiell.
Das Chaos ist aber eine Fortführung der klassischen Mechanik. Die Unvorhersagbarkeit kommt nicht aus der Quantenmechanik.
Deswegen haben wir die QM im Grunde gar nicht gebraucht, um auf den Zufall zu stoßen.

ThomasM hat geschrieben:Daher bin ich auch davon überzeugt, dass die Eigenschaften quantemechanischer Systeme übertragbar sind auf recht große Gebilde, wie Zellen, Neuronen, Menschen.
Die Übertragung ist aber umgekehrt. Die Statistik wurde von chaotischen oder unscharf gemessenen Systemen auf die QM übertragen.

ThomasM hat geschrieben:Die Konsequenz für die Weltanschauung ist fundamental. Gott wird wieder zu einer Denkmöglichkeit.
Es gibt die Freiheit, die Existenz und das Handeln Gottes in unserer Welt anzunehmen, ohne den physikalischen Beschreibungen zu widersprechen.
Da ist er wieder, der übliche Denkfehler: Gott wird damit wieder zum Lückenfüller degradiert. Wer schon zu Zeiten der klassichen Physik Gott in seine Wissenslücken verdrängt hat (Kreationismus), lässt ihm mit der QM auch nicht mehr Raum.

R.F.
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#4 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von R.F. » Do 27. Nov 2014, 18:55

ThomasM hat geschrieben: - - -
- Kennt man den Zustand des Universums zu einem Zeitpunkt vollständig (alle Massen, alle elektromagnetischen Felder), dann kann man jeden Zustand des Universum in alle Zukunft 100% genau berechnen.
Donnerwetter!
ThomasM hat geschrieben: Eine solche Modellierung der Realität hat keinen Platz für Gott.
Eine anmaßende Formulierung. Besonders im Hinblick darauf, dass eine solche Modellierung möglicherweise meilenweit von der Realität entfernt ist.
ThomasM hat geschrieben: Sogar ein Eingreifen Gottes ist nicht möglich, denn jedes Eingreifen wäre ein Widerspruch zu den physikalischen Gesetzen.
Gott setzte sich über Naturgesetze, nach denen Leben nicht von selbst entstehen kann, hinweg, und schuf das Leben in allen Ausprägungen...

ThomasM hat geschrieben: Das alles änderte sich mit der Entwicklung der Quantenmechanik, die 1925 begann. Die wesentliche Änderung, die diese Modellierung mit sich brachte, ist die Erkenntnis, dass eine direkte Beschreibung der beobachtbaren Größen (Ort, Impuls, Kraft, etc) nicht möglich ist. Die Grundsätze der Modellierung sind nun:
- Die Grundgröße der Modellierung ist die Wellenfunktion. Die Wellenfunktion ist nicht direkt beobachtbar. Sie beschreibt die beobachtbaren Größen indirekt, indem man mit ihrer Hilfe Wahrscheinlichkeiten der Größe von Ort, Impuls, Kraft etc ausrechnen kann.
- Die dynamische Gleichung ist immer noch erster Ordnung in der Zeit (Kleiner Hinweis: Eigentlich zweiter Ordnung, aber es ist nur eine Lösung physikalisch sinnvoll), aber die Entwicklung ist jetzt in der Wellenfunktion.

Die Aussage von oben verändert sich daher fundamental. Sie lautet jetzt.

- Kennt man den Wahrscheinlichkeitszustand des Universums komplett, dann kann man die Entwicklung der Wahrscheinlichkeiten bis in alle Zukunft ausrechnen.

Daran zeigt sich, dass die physikalische Beschreibung der Realität sich gewandelt hat von der Beschreibung des Ist in eine Beschreibung der Möglichkeiten. Welche der Möglichkeiten jetzt tatsächlich zu einem Zeitpunkt eintritt ist unbekannt. Dies wird durch die Physik nicht bestimmt, die Zukunft ist offen.
- - -
Du hättest bei den Forumsteilnehmern ein Stein im Brett, wenn Du Dich etwas allgemeinverständlicher ausdrücken würdest. Ich zitierte vor nicht langer Zeit zum Thema Quantentheorie aus der Zeitschrift “Spektrum der Wissenschaft”. Dieser Artikel war recht leicht zu verstehen. Jedenfalls solltest Du ein Beispiel an Freund Einstein nehmen. Der nämlich schaffte es, in allgemeinverständlichen Worten sein physikalisches Weltbild unter die Leute zu bringen.

Pluto
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#5 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von Pluto » Do 27. Nov 2014, 19:42

R.F. hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:- Kennt man den Zustand des Universums zu einem Zeitpunkt vollständig (alle Massen, alle elektromagnetischen Felder), dann kann man jeden Zustand des Universum in alle Zukunft 100% genau berechnen.
Donnerwetter!
Ja. Da staunt der Laie, gell?

R.F. hat geschrieben:Gott setzte sich über Naturgesetze, nach denen Leben nicht von selbst entstehen kann, hinweg, und schuf das Leben in allen Ausprägungen...
Wie hat Gott das gemacht, Erwin?
Läuft es nicht aufs selbe hinaus, ob man sagt, der Schöpfer der Welt sei Gott oder Natur gewesen?

R.F. hat geschrieben:Du hättest bei den Forumsteilnehmern ein Stein im Brett, wenn Du Dich etwas allgemeinverständlicher ausdrücken würdest.
Hattu Probleme, lieber Erwin?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#6 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von ThomasM » Do 27. Nov 2014, 20:31

Hallo Janina
Janina hat geschrieben: Das Chaos ist aber eine Fortführung der klassischen Mechanik. Die Unvorhersagbarkeit kommt nicht aus der Quantenmechanik.
Das hatte ich ja auch geschrieben.
Aber in der Klassik ist diese Unvorhersagbarkeit nur eine Konsequenz unseres Unvermögens. In der QM ist sie eine prinzipielle Eigenschaft des Universums.

Janina hat geschrieben: Da ist er wieder, der übliche Denkfehler: Gott wird damit wieder zum Lückenfüller degradiert. Wer schon zu Zeiten der klassichen Physik Gott in seine Wissenslücken verdrängt hat (Kreationismus), lässt ihm mit der QM auch nicht mehr Raum.
Tut mir leid, ich verstehe diesen Einwand nicht.
Ich hatte ja begründet, dass das Problem aus der QM nichts mit Wissenslücken zu tun hat (wie in der Klassik), sondern eine prinzipielle Eigenschaft der Natur ist. Selbst wenn wir alles über unser Universum wüssten, aber auch alles und vollständig, so könnten wir seine Zukunft nicht vorhersagen.
Und hast du dir einmal klar gemacht, wie sehr dieser prinzipielle Zufall alles, aber auch wirklich alles beherrscht? Ich kenne kein einziges physikalisches oder sonstwie naturwissenschaftliches Phänomen, das nicht zufällig ist.

Damit entsteht ein weiter Raum, ein sehr weiter Raum. Wieso sollte die QM Gott keinen Raum lassen?

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

ThomasM
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#7 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von ThomasM » Do 27. Nov 2014, 20:36

R.F. hat geschrieben: Gott setzte sich über Naturgesetze, nach denen Leben nicht von selbst entstehen kann, hinweg, und schuf das Leben in allen Ausprägungen...
Klar. Gott erschafft ein komplexes Universum mit komplexen Spielregeln und wirft direkt anschließend alles über den Haufen. Du hast aber merkwürdige Vorstellungen von Gott und unbiblische auch noch dazu.
R.F. hat geschrieben: Du hättest bei den Forumsteilnehmern ein Stein im Brett, wenn Du Dich etwas allgemeinverständlicher ausdrücken würdest.
Es tut mir leid, wenn ich dich intellektuell überfordere.
Also kümmere dich lieber um deine Apokalypse und lass die anderen eine sachliche Diskussion führen.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Halman
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#8 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von Halman » Do 27. Nov 2014, 21:38

ThomasM hat geschrieben:Die Tatsache, dass die Gleichungen in der ersten Ordnung der Zeit sind, hat eine bedeutsame Konsequenz.

- Kennt man den Zustand des Universums zu einem Zeitpunkt vollständig (alle Massen, alle elektromagnetischen Felder), dann kann man jeden Zustand des Universum in alle Zukunft 100% genau berechnen.
Der Laplacesche Dämon einer totaldeterminierten Welt.

ThomasM hat geschrieben:Zwar gibt es in dieser Modellierung auch so etwas wie Zufall (Boltzmanns statistische Mechanik), dieser Zufall ist aber nicht prinzipieller Natur, sondern eine Konsequenz der praktischen Unfähigkeit, einen Zustand beliebig genau festzustellen.

Eine solche Modellierung der Realität hat keinen Platz für Gott.
Newton war meiner Kenntnis nach Determinist und glaubte an Gott. Ein solches Weltbild halte ich logisch durchaus für vertretbar, denn physikalische Festlegung ist verschieden von bewusster Planung. Außerdem wäre es sehr wohl möglich, dass ein allmächtiger Gott jenseits der Naturgesetze steht und diese aus göttlicher Sicht nicht fundamental sind. Dann könnte er auch Wunder wirken - dafür müsste man allerdings das naturalistische Weltbild aufgeben.
Dass gem. Deiner Logik in einer totaldeterminierten Welt kein Platz für Gott ist, folgt nach meinem bescheidenen Verständis aus dem Naturalismus. Dies ist eine naturphilosophische Betrachtung (Metaebene), die man teilen kann, aber nicht zwingend vertreten muss.

ThomasM hat geschrieben:Man kann vielleicht noch sagen, dass irgendjemand diesen ominösen Anfangszustand hergestellt haben muss, aber danach wird Gott überflüssig, denn alles verläuft wie eine Maschine, die vor sich hin schnurrt.
Dass der Regen gem. den Naturgesetzen von selbst zu seiner Zeit fällt muss Gott nicht davon abhalten, vom transzendeten Bereich darin durch ein Wunder einzugreifen. Es sei denn, man will ihm die ihm in der Bibel zugesprochene Allgewalt als Allheerscher absprechen.
Ja, ich weiß, ganz schön kühn von mir als Laie hier so aufzutreten. ;)

ThomasM hat geschrieben:Es gibt kein Schicksal und keinen freien Willen, alles ist festgelegt.
Als Kompatibilist bin ich diesbezüglich zu einer gegenteiligen Auffassung gelangt: Weicher Determinismus mit schwacher Kausalität, indem Ursache und Wirkung nichtlinear zusammenhängen, bedingt Willensfreiheit. Wie sollte denn Interdeterminsmus eine Basis für Willensfreiheit sein?

ThomasM hat geschrieben:Sogar ein Eingreifen Gottes ist nicht möglich, denn jedes Eingreifen wäre ein Widerspruch zu den physikalischen Gesetzen.
Warum sollte ein transzendenter Gott denn nicht im Widerspruch zu den physikalischen Gesetzen Wunder wirken können?

ThomasM hat geschrieben:Das alles änderte sich mit der Entwicklung der Quantenmechanik, die 1925 begann. Die wesentliche Änderung, die diese Modellierung mit sich brachte, ist die Erkenntnis, dass eine direkte Beschreibung der beobachtbaren Größen (Ort, Impuls, Kraft, etc) nicht möglich ist. Die Grundsätze der Modellierung sind nun:
- Die Grundgröße der Modellierung ist die Wellenfunktion. Die Wellenfunktion ist nicht direkt beobachtbar. Sie beschreibt die beobachtbaren Größen indirekt, indem man mit ihrer Hilfe Wahrscheinlichkeiten der Größe von Ort, Impuls, Kraft etc ausrechnen kann.
- Die dynamische Gleichung ist immer noch erster Ordnung in der Zeit (Kleiner Hinweis: Eigentlich zweiter Ordnung, aber es ist nur eine Lösung physikalisch sinnvoll), aber die Entwicklung ist jetzt in der Wellenfunktion.

Die Aussage von oben verändert sich daher fundamental. Sie lautet jetzt.

- Kennt man den Wahrscheinlichkeitszustand des Universums komplett, dann kann man die Entwicklung der Wahrscheinlichkeiten bis in alle Zukunft ausrechnen.

Daran zeigt sich, dass die physikalische Beschreibung der Realität sich gewandelt hat von der Beschreibung des Ist in eine Beschreibung der Möglichkeiten. Welche der Möglichkeiten jetzt tatsächlich zu einem Zeitpunkt eintritt ist unbekannt. Dies wird durch die Physik nicht bestimmt, die Zukunft ist offen.
Ein interlektuell sicher tiefgründiger und höchst interessanter Ansatz, der aber eine Problematik mit sich bringt: Was ist, wenn sich der Interdeterminsmus der Quantenmechanik als falsch heraustellt? Was ist, wenn die Loop-Quantengravitation eine deterministische Beschreibung quantenmechanischer Vorgänge über nichtlokale Verbindungen ermöglicht?
Zitat aus Äquivalenzprinzip & Schleifen-Quantengravitation (PDF-Dokument, Seite 38):
Sie schreibt nicht vor, daß nur räumlich benachbarte Raumquanten miteinander verbunden sind. Hin und wieder könnten auch extrem weit entfernte Quanten miteinander verbunden sein. Solche nichtlokalen Verbindungen – so L. Smolin –
könnten der Quantentheorie vielleicht jene Zufälligkeit austreiben, die Einstein so haßte und von der er glaubte, daß
sie letztlich unserer Unkenntnis über irgendwelche noch „verborgenen Parameter“ geschuldet sei. „Die Verteilungen solcher nichtlokaler Verbindungen könnten diese verborgenen Parameter sein.“ Da sie über kosmische Distanzen reichen, könne man sie im Experiment nicht kontrollieren, wodurch uns ihre Wirkung als blanker Zufall erscheinen muß. Dann gebe es doch eine Ursache dafür, warum das Uranatom jetzt zerfällt und nicht ein paar Minuten später – nur läge sie
irgendwo in den Tiefen des Alls. Gott müßte also nicht würfeln.

ThomasM hat geschrieben:Dazu gibt es noch die Entdeckung des Chaos bzw. der Konsequenzen der nichtlinearen Dynamik. Die Tatsache, dass klassische Gleichungen hochgradig nicht-linear sind, hat zur Konsequenz, dass sich die Unfähigkeit zur Vorhersage der Zukunft von den mikroskopischen Systemen in das ganze Universum verbreitet. Typisches Beispiel ist die Unfähigkeit, das Wetter auf längere Zeiträume vorherzusagen. Diese Unfähigkeit ist jetzt nicht mehr praktischer Natur, sondern prinzipiell.
Da habe ich meine Zweifel. Hier geht es um mesokosmische, hochkomplexe Systeme. Dass diese nicht prognostizierbar sind, liegt schlicht und ergreifend daran, dass bereits kleinste Ändererungen (wie der berühmte Schmetterlingsflügelschlag) in den Anfangsbedingungen zu völlig anderen Resultaten führen können. Da wir nicht über die hypothetische Fähigkeit eines Laplaceschen Dämons verfügen, erscheinen uns komplexe Systeme subjektiv zufällig. Diese subjektive Zufälligkeit ist aber grundverschieden von dem objekten Zufall der interdeterminierten Quantenmechanik.

ThomasM hat geschrieben:Daher bin ich auch davon überzeugt, dass die Eigenschaften quantemechanischer Systeme übertragbar sind auf recht große Gebilde, wie Zellen, Neuronen, Menschen. Prinzipiell sind das klassische Gebilde, aber sie werden beeinflusst von Zustandsänderungen, die sich klassisch nicht mehr erfassen lassen.
Ist die Unschärfe der Quantenmechanik für den Mesokosmos nicht eine vernachlässigbar geringe Größe? Ein Tennisball bspw. hat eine Wellenlänge von 10^-34 m (zum Vergleich: der Druchmesser eines Protons beträgt 10^-15 m).* Die Unschärfe eine mesokosmischen Objektes ist also vernachlässigbar klein und liegt beim Tennsiball nur eine Größeneinheit über der Planck-Länge von 1,616199 · 10^−35 m (der vermutlich kleinsten Längeneinheit, der physikalische Relevanz zugesprochen werden kann).

*Diese Information entnahm ich dem Buch "50 Schlüsselideen Physik".

ThomasM hat geschrieben:Die Konsequenz für die Weltanschauung ist fundamental. Gott wird wieder zu einer Denkmöglichkeit.
Wichtig ist: Das ist kein Beweis Gottes, das ist keine Methode, um Gott zu messen.
Aber: Es gibt die Freiheit, die Existenz und das Handeln Gottes in unserer Welt anzunehmen, ohne den physikalischen Beschreibungen zu widersprechen.

Gruß
Thomas
Danke für deine interessanten Ausführungen, Thomas. :thumbup:
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Janina
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#9 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von Janina » Do 27. Nov 2014, 22:54

ThomasM hat geschrieben:Aber in der Klassik ist diese Unvorhersagbarkeit nur eine Konsequenz unseres Unvermögens.
Dieses "Unvermögen" nimmt aber so schwerwiegende Ausmaße an, dass es tatsächlich prinzipelle Eigenschaft wird.

ThomasM hat geschrieben:
Janina hat geschrieben:Da ist er wieder, der übliche Denkfehler: Gott wird damit wieder zum Lückenfüller degradiert. Wer schon zu Zeiten der klassichen Physik Gott in seine Wissenslücken verdrängt hat (Kreationismus), lässt ihm mit der QM auch nicht mehr Raum.
Tut mir leid, ich verstehe diesen Einwand nicht.
Der klassische "Lückenbüßergott" hat nur dort Platz, wo herkömmliche Erklärung versagt. Weil "Gott" ja nur da sein kann, wo mein Wissen nicht ist. Einfache Geister blasen daher ihre Dummheit auf, um Gott genug Raum zu geben. Weil er ja nicht da sein kann, wo ich eine "vernünftige Erklärung" weiß. Problem erkannt?

ThomasM
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#10 Re: Die Konsequenzen moderner Physik für die Weltanschauung

Beitrag von ThomasM » Fr 28. Nov 2014, 10:23

Janina hat geschrieben: Der klassische "Lückenbüßergott" hat nur dort Platz, wo herkömmliche Erklärung versagt. Weil "Gott" ja nur da sein kann, wo mein Wissen nicht ist. Einfache Geister blasen daher ihre Dummheit auf, um Gott genug Raum zu geben. Weil er ja nicht da sein kann, wo ich eine "vernünftige Erklärung" weiß. Problem erkannt?
Ich verstehe dein Problem. Aber ich sehe nicht die Verbindung zu meinen Ausführungen.
Worum es mir geht ist gut erkennbar an den Ausführungen Halmans. Zu den Überlegungen zur klassischen Physik schrieb er:

Halman hat geschrieben: Dass der Regen gem. den Naturgesetzen von selbst zu seiner Zeit fällt muss Gott nicht davon abhalten, vom transzendeten Bereich darin durch ein Wunder einzugreifen. Es sei denn, man will ihm die ihm in der Bibel zugesprochene Allgewalt als Allheerscher absprechen.
Er sieht die Determiniertheit der physikalischen Gesetze und Gott muss "vom transzendenten Bereich" her eingreifen, um es anders zu regeln. Man sagt auch "Wunder" dazu. DAS sehe ich als Lückenbüsser Gott. Gottes Handeln ist dann immer gegen die physikalischen Gesetze, konträr zu den Erkenntnissen der Naturwissenschaft. Gott ist allumfassend, aber wenn er etwas tut, ist es ein Wunder. Wo sein lenkender Einfluss ist, wenn es doch mal nach den Gesetzen der Physik geht, ist nicht erkennbar.

Du hast Recht, wenn du sagst, dass die Beschränktheit der menschlichen Möglichkeiten die klassische Zufälligkeit schon fast prinzipiell macht. Aber eben nur fast. Vom Modell her wäre eine unendliche Genauigkeit möglich.

In der QM haben wir gerade keinen Lückenbüsser Gott. Weil die Physik genau das Handeln Gottes beschreibt. Die Zufälligkeit ist inhärent, sie ist Teil des Systems. Das Handeln Gottes geschieht nicht konträr zu den physikalischen Gesetzen, sondern im Einklang dazu. Gott hat es gar nicht nötig, aus der Transzendenz heraus einzugreifen, weil er mit der Physik ein Werkzeug hat, ganz normal einzugreifen.
Man kann das vielleicht vergleichen mit einer gut und einer schlecht programmierten Anwendung. Bei der schlecht programmierten Anwendung muss ich diese anhalten und mit dem Debugger eingreifen, um das zu erreichen, was ich will. Bei einer gut programmierten Anwendung habe ich die Eingriffspunkte von vorne herein vorgesehen und kann damit die Anwendung steuern.

Es geht also weniger darum zu sagen "Gott ist da, wo ich etwas nicht weiß", als vielmehr darum, Gottes Handeln zu einem normalen Teil unseres Universums zu machen.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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