Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

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ThomasM
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#1 Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von ThomasM » Do 28. Jan 2016, 15:54

Thema abgetrennt aus: Das Gehirn und unser Bewusstsein.


Der Libet Versuch ist ein klassischer Versuch, der zeigt, wie Entscheidungsprozesse im Gehirn ablaufen.
Libet hatte gezeigt, dass bereits bevor ein Mensch eine Entscheidung trifft, die Bereitschaft für diese Entscheidung im Gehirn anläuft.

Das hatte man dahingehend interpretiert, dass der Mensch in seiner Entscheidung unfrei ist.
Aktuelle Versuche schwächen diese Schlussfolgerung ab. Sie zeigen, dass eine Reaktion im Gehirn vorbereitet wird, aber bis kurz vorher noch abgebrochen werden kann
http://www.spektrum.de/news/unser-wille ... n=ZON_KOOP
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SilverBullet
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#2 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von SilverBullet » Do 28. Jan 2016, 17:56

ThomasM hat geschrieben:Libet hatte gezeigt, dass bereits bevor ein Mensch eine Entscheidung trifft, die Bereitschaft für diese Entscheidung im Gehirn anläuft.
Ich verstehe die Libet-Experimente so, dass man eine Gehirnaktivität (in einem bestimmten Versuchsaufbau) als einen Vorlauf zum „bewussten Verstehen der Entscheidung“ wertet.

D.h. die Forscher können den „Weg zur Entscheidung“ an den Messwerten ablesen, bevor der Mensch sagen kann „jetzt habe ich mich entschieden“.

Frage-Formulierungen der Art „entscheide Ich oder mein Gehirn?“ und „entscheidet der Mensch oder sein Gehirn?“ verdeutlichen aus meiner Sicht einen vollkommen falschen Ansatz.

ThomasM hat geschrieben:Das hatte man dahingehend interpretiert, dass der Mensch in seiner Entscheidung unfrei ist.
Aktuelle Versuche schwächen diese Schlussfolgerung ab. Sie zeigen, dass eine Reaktion im Gehirn vorbereitet wird, aber bis kurz vorher noch abgebrochen werden kann
Wer bricht die Entscheidung ab?
=> das aktive Gehirn

Warum muss der Mensch etwas sein, das unabhängig vom Körper existiert (eine Art „mentaler Kern“)?
Weil die Texte von uralten Kulturen gerne so verstanden werden?
Weil irgendwelche Philosophen, Bedeutungszusammenhänge, die sich evolutionär auf Basis eines Körperbezugs entwickelt haben, durch ihr Denken, auf einen „unsichtbaren Anteil“ im Hintergrund beziehen wollen?

Es gibt das aktive Gehirn - mehr wurde bisher nicht gefunden und es sieht in keiner Weise danach aus, dass noch „Feenstaub“ entdeckt werden könnte.

Ich denke, man sollte sich langsam damit anfreunden, dass ein Mensch (voll und ganz) aus dem Körper besteht und dass das Mentale keine eigene Denk-Funktion/Denk-Instanz darstellt, sondern dass das „Berechnen der mentalen Zusammenhänge“ eine Funktion ist, die der Köper benötigt.

Anders gesagt:
Der Körper wird nicht durch „das Bewusstsein“ gesteuert, sondern der Körper steuert sich selbstorganisierend, indem er „Bewusstseinszusammenhänge“ fortlaufend berechnet -> das Bewusstsein hat somit keine Eigenständigkeit und kann keine, vom Gehirn, unabhängigen Entscheidungen treffen.
Der Körper braucht nicht „ein Bewusstsein“, sondern er braucht die Berechnung.

Dass es darin zu Konstellationen kommt, in denen sich das Verstehen eines „Ichs mit Handlungsmöglichkeiten“ ergibt, liegt an der evolutionären Entstehung der Funktion.
Die „mentalen Zusammenhänge“ sind das funktionale Ablaufergebnis, aus einer evolutionären Entwicklung, bei der zu keiner Zeit ein „Verständnis des eigenen/mentalen Seins“ zur Verfügung stand.

Umgekehrt kann man auch sagen:
Das Fehlen dieses „Verständnisses des eigenen/mentalen Seins“ ist ein sehr starkes Indiz für eine evolutionäre Entwicklung und gegen jegliche Ideen eines absichtlichen Designs.

Ich erwarte nicht, dass man meine Vermutung so einfach nachvollziehen kann (vielleicht liege ich ja auch falsch), aber ich würde natürlich gerne „Mäuschen sein“, wenn Religions- und Philosophieanhänger zum ersten Mal verstehen, was das letztlich bedeutet :-)

Vor diesem Hintergrund beobachte ich das Hin du Her um das Libet-Experiment mit einem gewissen Lächeln…

ThomasM
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#3 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von ThomasM » Fr 29. Jan 2016, 13:52

SilverBullet hat geschrieben: Anders gesagt:
Der Körper wird nicht durch „das Bewusstsein“ gesteuert, sondern der Körper steuert sich selbstorganisierend, indem er „Bewusstseinszusammenhänge“ fortlaufend berechnet -> das Bewusstsein hat somit keine Eigenständigkeit und kann keine, vom Gehirn, unabhängigen Entscheidungen treffen.
Der Körper braucht nicht „ein Bewusstsein“, sondern er braucht die Berechnung.
Das kann nur jemand sagen, der nicht weiß, was Berechnung ist.

Um deine Behauptung zu beweisen, müsstest du zuerst definieren, was "Bewusstsein" eigentlich ist. Da scheitert es doch bereits.
Bewusstsein ist nicht das ganze Gehirn, denn es gibt nachweislich unbewusste Vorgänge.
Und Komplexität ist auch nicht gleich Bewusstsein, denn dann hätten die Recht, die sagen, dass der Kreislauf der Natur auf der Erde ein Bewusstsein hat (Gaia Hypothese).

Die wesentliche Frage ist "Ist das Ganze größer als die Summe der Teile"?
Das lässt sich unabhängig von Glaubensvorstellungen und auch ganz physikalisch/biologisch diskutieren.
Deine Verwendung des Wortes "selbstorganisiert" ist zwar sehr modern und hört sich auch ganz hochgelehrt an. Das Wort ist aber leer, denn damit ist immer noch nicht gesagt, was Bewusstsein ist und wie es zustande kommt.
Es erklärt auch nicht, wie Entscheidungen zustande kommen.

Das Libet Experiment zeigt, dass im Gehirn gewisse Bewegungsabläufe antizipiert und "in Bereitschaft" gehalten werden.
Das ist evolutionär logisch, denn wenn die Vorbereitung einer Bewegung Zeit kostet, dann ist es vorteilhaft, diese bereit zu halten, um schneller reagieren zu können.
Wir finden also, dass in einer gegebenen Situation das Gehirn vermutlich mehrere verschiedene Bewegungsreaktionen bereithält. Eine davon wird dann umgesetzt. Aber welche?
Aus Erfahrung wissen wir, dass es trainierte, automatisierte Bewegungsabläufe gibt, gerade im Sport sind die ziemlich wichtig. Das ist so etwas, wie Berechnung, eine Funktion wird aufgerufen.

Aber die Mehrheit der Entscheidungen sind nicht dieser Art. Was triggert sie? Wie kommen sie zustande?
Darum geht es.
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SilverBullet
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#4 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von SilverBullet » Fr 29. Jan 2016, 20:07

ThomasM hat geschrieben:Das kann nur jemand sagen, der nicht weiß, was Berechnung ist.
Hast du deshalb keinerlei Informationen geliefert, was für dich „Berechnung“ sein soll?

Tatsache ist, dass Neuronen Eingangspotentiale sammeln (Aufsummieren=Addition) und beim Überschreiten eines Kriteriums (Limitvergleich=Subtraktion) das gesammelte Potential weitergeben.

Des Weiteren werden diese Potentiale auf eine nicht zufällige Weise im Gehirn durch neuronale Verbindungen geschleust.

Diese Vorgänge lassen sich (zumindest für wenige Neuronen) mathematisch beschreiben.

Ich sehe nicht, wo der Einsatz des Wortes „Berechnung“ problematisch sein soll.

Der Vorteil von „Berechnung“ ist, dass er unmissverständlich die Normalität verdeutlicht. Da ist keine Magie, keine „im Hintergrund agierende Unsichtbarkeit“, beteiligt.

Ich denke, dass der Begriff damit ausreichend begründet ist.

ThomasM hat geschrieben:Um deine Behauptung zu beweisen, müsstest du zuerst definieren, was "Bewusstsein" eigentlich ist. Da scheitert es doch bereits.
Damit habe ich vielleicht schon begonnen:

Ich verwende das Wort „Bewusstsein“ nur noch selten, weil ich den Begriff „Verstehen“ für viel exakter halte.
„Verstehen“ ist hierbei ein spezieller Umgang mit Bedeutungszusammenhängen (Abläufe), in dem es zu Reaktionszwängen kommt, d.h. es können keine zweifelnden Reaktionen stattfinden. „Verstehen“ ist dabei ein Begriff für die korrekte Integration und Verwaltung von Bedeutungszusammenhängen in einer Schalttechnik (im Sinne der Möglichkeiten des Gesamtsystems).

Die phänomenale Situation „Ich sehe eine blaue Fläche“ (hier nur sprachlich angedeutet), besteht aus einzelnen Verstehzwängen, nach dem Motto: die Möglichkeiten des Umganges (Reaktion) mit dieser Situation schliessen zweifelnde Aspekte vollständig aus.

D.h. es wird nicht das Bewusstsein gesucht, sondern es werden die Mechanismen/Regeln gesucht, nach denen Neuronen einem bestimmten Schaltablauf folgen.

Das ist selbstverständlich unglaublich schwer (zumal die Abläufe auch noch sehr stark optimiert arbeiten), aber es hat direkt mit dem Gehirn zu tun, d.h. man könnte tatsächlich einzelne Beweise oder Gegenbeweise finden.

Beispiel:
Aktuell vertreten Neurowissenschaftler die Hypothese, dass die Gehirnnetzwerke nicht zufällig sind, d.h. es handelt sich nicht um eine Art „wilden Verstärkerapparat für eine Intelligenz im Hintergrund“, sondern es geht um gezielte Abläufe (Berechnungen).

ThomasM hat geschrieben:Und Komplexität ist auch nicht gleich Bewusstsein
Ich habe dieses Argument nie vertreten und finde es sogar eher unvernünftig, denn aus Komplexität ergibt sich keine Funktion.

Ich vermute, dass diese Behauptung, philosophisch auf das Bauchgefühl abzielen soll und/oder aus der Zeit stammt, da die Neuronenverteilung im Gehirn als zufällig angesehen wurde.

ThomasM hat geschrieben:Die wesentliche Frage ist "Ist das Ganze größer als die Summe der Teile"?
Nein, das ist sogar die schlechteste aller Fragen, weil diese „Emergenz-Frage“ nur innerhalb einer fertigen Wahrnehmung vorkommt.
D.h. dass „das Ganze mehr ist, als die Summe der Einzelteile“ ist ein Urteil aus Wahrnehmungssicht, also „Jemand“ vergibt Bedeutungen.

Rund ums Gehirn geht es aber um die Herstellung von Wahrnehmung, d.h. man vermischt Herstellung mit Anwendung, wodurch der „Emergenzansatz“ (zumal gar kein Inhalt vorliegt) ein gigantischer Reihenfolgenfehler ist.

ThomasM hat geschrieben:Deine Verwendung des Wortes "selbstorganisiert" ist zwar sehr modern und hört sich auch ganz hochgelehrt an. Das Wort ist aber leer, denn damit ist immer noch nicht gesagt, was Bewusstsein ist und wie es zustande kommt.
„Selbstorganisierend“ verdeutlicht, dass es keine weitere Organsiationsintelligenz ausser den Vorgängen im Gehirn gibt.
D.h. beim Heranwachsen des Gehirns werden Neuronen und Basisverschaltungen über die Gene gebildet. Die Strukturen haben sich hierbei evolutionär entwickelt und können über die Arten hinweg, ähnlich wieder gefunden werden.

Beim Lernen bildet das Gehirn neue Verbindungen und ändert die Gewichtungen der Neuronen. Hierbei bedeutet „selbstorganisierend“ dass es Gehirnvorgänge sind, aus denen sich die Funktionalität dieses Umbaus (Plastizität) ergeben.
Träume spielen dabei (aus meiner Sicht) eine gewichtige Rolle, sozusagen das „Ausprobieren des Umbaus“.

ThomasM hat geschrieben:Es erklärt auch nicht, wie Entscheidungen zustande kommen
Man muss hierbei zwei „Anteile“ unterscheiden:
1.
Die eigentliche Handlung der Entscheidung ist für ein Schaltwerk trivial, denn es macht sozusagen nicht anderes, als dass an jedem Knotenpunkt eine Entscheidung getroffen wird.
2.
Das tatsächliche Ablaufen einer Entscheidung mit anderen Vorgängen zu koordinieren. Hierbei spielt (so vermute ich) das „Verstehen“ eine zentrale Rolle, d.h. für den „zentralen Herzschlagablauf der Bedeutungszusammenhänge“ (das Verstehen) muss das Stattfinden der „Neuronal-Entscheidung“ in einen systemweiten Kontext gebracht werden.

Wie die Forscher herausgefunden haben, gibt es die 200ms-Grenze des „Point-Of-No-Return“, d.h. in dieser Zeit müssen Schaltabläufe stattfinden, ohne dass es zu einer eingreifenden Anpassung kommen kann.
Hier würde ich das Aufbereiten der „Neuronal-Entscheidung“ ins „Verstehen“ ansetzen.

ThomasM hat geschrieben:Aus Erfahrung wissen wir, dass es trainierte, automatisierte Bewegungsabläufe gibt, gerade im Sport sind die ziemlich wichtig. Das ist so etwas, wie Berechnung, eine Funktion wird aufgerufen.
Bei den automatisierten Abläufen sprichst du also durchaus von „Berechnung“.

OK, wo im Gehirn soll die Grenze verlaufen, zumal „bewusste Abläufe“ mit der Zeit automatisiert werden und das Gehirn einheitlich aus Neuronen und Verschaltungen aufgebaut ist?

ThomasM hat geschrieben:Aber die Mehrheit der Entscheidungen sind nicht dieser Art. Was triggert sie? Wie kommen sie zustande?
Tatsächlich?

Was, wenn das gar nicht stimmt, wenn es einheitlich nur Berechnungen gibt, aber bestimmte Vorgänge auf Grund von Bewertungsmechanismen, in einen systemweiten Abgleich/Kontrolle (das Verstehen) eingebunden werden?

ThomasM
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#5 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von ThomasM » Mo 1. Feb 2016, 21:44

SilverBullet hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Das kann nur jemand sagen, der nicht weiß, was Berechnung ist.
Hast du deshalb keinerlei Informationen geliefert, was für dich „Berechnung“ sein soll?
...
Ich sehe nicht, wo der Einsatz des Wortes „Berechnung“ problematisch sein soll.
Entschuldigung SilverBullet, ich habe bemerkt, dass ich vergessen habe, dass nicht jeder die Ausbildung genossen hat, die ich habe. Und tatsächlich kann ich meine Abwehrhaltung gegen Berechnung nicht wirklich beweisen, nur begründen. Ich hole mal etwas weiter aus (übrigens der folgende Beitrag ist vollkommen unabhängig von jeglichem weltanschaulichen Material).

Berechnung ist ein sehr allgemeiner Begriff, der dem entspricht, was heutzutage in den normalen Computern vor sich geht. Ein Algorithmus läuft ab und vollzieht seinen Dienst, er liefert von einer Ausgangsbasis aus ein Ergebnis.
Formal hat diese Funktionsweise bereits Turing auf den Punkt gebracht. Die Turing Maschine ist zwar nicht das effizienteste, was es gibt, aber sie kann alles, wirklich alles, was heutzutage ein Computer auch kann. Eine Turing Maschine besteht aus extrem einfachen Elementen und jede Berechnung kann damit durchgeführt werden.

Betrachtet man diese Elemente ein wenig, dann stellt man fest, dass eine Berechnung ein sehr abstraktes Ding ist. Auch ein mathematischer Beweis ist eine Berechnung. Alles, was man dazu braucht, ist ein Beginn und ein paar Regeln. In der Mathematik sind das die Axiome.
Betrachtet man nun die Eigenschaften einer Berechnung, dann stellt man fest, dass sie aus abzählbar vielen, eventuell abzählbar unendlich vielen, Einzelschritten besteht. Wesentlich ist hierbei die Abzählbarkeit.

Diese Eigenschaft hat Gödel ist geradezu genialer Weise ausgenutzt. Er zeigte, dass es innerhalb eines Berechnungsschemas (einer Mathematik) wahre Sätze gibt, bei denen man nicht mit demselben Schema beweisen kann, dass sie wahr sind. Gödel versetzte der Hoffnung Hilberts, die Mathematik aus sich selbst als konsistent beweisen zu können, den Todesstoß. Interessant ist die Art und Weise, wie Gödel diesen Beweis führte. Er benutzte einen selbstbezüglichen Satz und die Tatsache, dass eine Berechnung (ein Beweis) aus abzählbaren Elementen besteht.

Gödels Vorgehensweise kann man auch auf das Gebiet der Berechnung selbst anwenden. So habe ich vor einiger Zeit im Spektrum der Wissenschaft gelesen, dass man eine Zahl konstruieren kann, die sich mit keinem Computer der Welt (also mit keiner Turing Maschine) berechnen lässt. Schon das zeigt, dass Berechnung nicht alles ist. es gibt schlicht Dinge, die sich nicht berechnen lassen. Und schlaue Gehirne, wie die von Gödel, sind ganz von alleine darauf gekommen.

Das ist doch etwas nettes Selbstbezügliches. Ist es tatsächlich denkbar, dass man eine Berechnungsmaschine (Gehirn) konstruieren kann, die Sätze über Unberechenbarkeit ausrechnen kann?

In Bezug auf das Funktionieren eines Gehirns kann man dazu eine klare Antwort nicht geben.
Gibt es Berechnungsvorgänge im Gehirn? Ganz sicher.
Sind alle Vorgänge im Gehirn Berechnungsvorgänge? Ich bezweifle das stark.

Dabei benutze ich nicht nur Gödels und Turings Leistungen, sondern auch meine Erfahrungen ind er Physik. Quantenvorgänge sind eigentlich Vorgänge, die keiner Berechnung entsprechen, aber sie können mit hinreichender Genauigkeit durch eine Berechnung angenähert werden. Nichts anders habe ich während meiner Zeit als Naturwissenschaftler gemacht.

Ich vermute stark, dass es Vorgänge im Gehirn gibt, die sich nicht durch klassische Berechnungen darstellen lassen. Vielleicht durch Quantenberechnungen. Das weiß ich nicht, dazu verstehe ich QuantenComputing bislang zu wenig.

Aber ich bin sicher, dass Berechnung alleine nicht ausreicht.
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Pluto
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#6 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von Pluto » Mo 1. Feb 2016, 23:55

ThomasM hat geschrieben:
SilverBullet hat geschrieben: Anders gesagt:
Der Körper wird nicht durch „das Bewusstsein“ gesteuert, sondern der Körper steuert sich selbstorganisierend, indem er „Bewusstseinszusammenhänge“ fortlaufend berechnet -> das Bewusstsein hat somit keine Eigenständigkeit und kann keine, vom Gehirn, unabhängigen Entscheidungen treffen.
Der Körper braucht nicht „ein Bewusstsein“, sondern er braucht die Berechnung.
Das kann nur jemand sagen, der nicht weiß, was Berechnung ist.
Gödel mag ja in der Mathematik Recht gehabt haben, aber dass das Gehrin als reine Turingmaschine arbeitet, ist heutiger Stand der neurowissenschaftlichen Forschung.

ThomasM hat geschrieben:Gödels Vorgehensweise kann man auch auf das Gebiet der Berechnung selbst anwenden. So habe ich vor einiger Zeit im Spektrum der Wissenschaft gelesen, dass man eine Zahl konstruieren kann, die sich mit keinem Computer der Welt (also mit keiner Turing Maschine) berechnen lässt. Schon das zeigt, dass Berechnung nicht alles ist. es gibt schlicht Dinge, die sich nicht berechnen lassen. Und schlaue Gehirne, wie die von Gödel, sind ganz von alleine darauf gekommen.
Gut möglich, dass eine konstruierte Zahlenfolge nicht berechnet werden kann.
Aber woher willst du denn wissen, dass das Gehirn so arbeitet?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

JackSparrow
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#7 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von JackSparrow » Di 2. Feb 2016, 00:12

SilverBullet hat geschrieben:Aktuell vertreten Neurowissenschaftler die Hypothese, dass die Gehirnnetzwerke nicht zufällig sind, d.h. es handelt sich nicht um eine Art „wilden Verstärkerapparat für eine Intelligenz im Hintergrund“, sondern es geht um gezielte Abläufe (Berechnungen).
Alles andere wäre Energieverschwendung, und eine "Intelligenz im Hintergrund" wäre völlig nutzlos, wenn sie nicht auf ganz normale Weise mit dem Rückenmark und dem Hypothalamus verbunden wäre und dort bestimmte Aktionen auslösen könnte.


ThomasM hat geschrieben:Ich vermute stark, dass es Vorgänge im Gehirn gibt, die sich nicht durch klassische Berechnungen darstellen lassen. Vielleicht durch Quantenberechnungen.
Neuronen kommunizieren über Neurotransmitter. Neurotransmitter werden nur freigesezt, wenn es auch ein Aktionspotenzial gibt. Und ein Aktionspotenzial gibt es nur, wenn sich die passenden Ionen in der Zelle befinden. Falls es im Neuron Quanteneffekte gibt, haben die zumindest keinen Einfluss auf das menschliche Verhalten.

ThomasM
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#8 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von ThomasM » Di 2. Feb 2016, 08:54

Pluto hat geschrieben: Gödel mag ja in der Mathematik Recht gehabt haben, aber dass das Gehrin als reine Turingmaschine arbeitet, ist heutiger Stand der neurowissenschaftlichen Forschung.
Ich habe ja betont, dass ich meine Ansicht nur begründen, nicht beweisen kann.
Man ist noch sehr am Anfang zu erkennen, wie das Gehirn arbeitet. Die klassischen Berechnungsvorgänge zu erkennen ist dabei der erste Schritt, so wie es auch einfacher war, die klassische Physik zu erkennen.

Wie oft hat man bereits gedacht, dass der aktuelle Stand der Forschung das Letzte ist, was man erkennen und erforschen kann?
Und wie oft wurde man von der Natur eines Besseren belehrt?
Kein Beweis, aber ...
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ThomasM
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#9 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von ThomasM » Di 2. Feb 2016, 09:17

JackSparrow hat geschrieben: Neuronen kommunizieren über Neurotransmitter. Neurotransmitter werden nur freigesezt, wenn es auch ein Aktionspotenzial gibt. Und ein Aktionspotenzial gibt es nur, wenn sich die passenden Ionen in der Zelle befinden. Falls es im Neuron Quanteneffekte gibt, haben die zumindest keinen Einfluss auf das menschliche Verhalten.
Siehst du nicht, dass gerade der von dir beschriebene Mechanismus die Tür für Quanteneffekte öffnet?
Die Aktivierung eines Neurons durch ein Aktionspotenzial ist nichts weitere als eine klassische elektrische Verbindung. Haben die Elektronen (oder Ionen) eine höhere Energie als die Barriere, dann feuert die Zelle, haben sie eine niedrigere Energie, dann feuert sie nicht.

Das ist exakt die Situation, in dem der Tunneleffekt zuschlägt. Teilchen tunneln durch die Barriere, obwohl ihre Energie zu niedrig ist. Die Wahrscheinlichkeikt dafür sinkt exponentiell mit der Stärke der Barriere. DER bekannteste Quanteneffekt.

Was für eine Folge hat ein Neuron, das außer der Reihe, sozusagen unerwartet feuert? Normalerweise gar keines.
Aber das Neuron ist ja nicht allein. Es gibt ein Netzwerk von Neuronen, die voneinander abhängen. Der ganze Zweck des Gehirns ist es, ein rückgekoppeltes, voneinander abhängiges Netzwerk zu schaffen.
In dem das unerwartete Feuern eines Neurons auch mal unerwartete Effekte haben kann.

Insofern ist deine Behauptung, dass die Effekte keinen Einfluss auf das menschliche Verhalten hat, erst einmal genau das: eine völlig unbewiesene und unbegründete Behauptung
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JackSparrow
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#10 Re: Abschwächung der Schlussfolgerungen aus dem Libet Versuch

Beitrag von JackSparrow » Di 2. Feb 2016, 12:48

ThomasM hat geschrieben:Das ist exakt die Situation, in dem der Tunneleffekt zuschlägt. Teilchen tunneln durch die Barriere, obwohl ihre Energie zu niedrig ist.
Der Reiz wird nur weiterbefördert, wenn das Aktionspotenzial einen bestimmten Schwellenwert überschreitet. Vorher bleiben die Natrium-Kanäle geschlossen und es sind zu wenig positive Ionen in der Zelle, um die Ladung transportieren zu können.

Offenbar hat die Evolution einen gewissen Schutz gegen Quanteneffekte eingebaut, damit kein zufälliges oder völlig irrationales Verhalten auftreten kann. Das würde ja das Überleben der Spezies gefährden.

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