Pluto hat geschrieben: ↑Mi 19. Dez 2018, 10:19
Vor rund 500 Jahren, setzte die Aufklärung ein, eine Weltanschauung basierend auf Sketizisus, Objektivität und Vernunft. Die Technologie die Jahrhunderte später aus dieser Aufklärung hervorging, beschert uns heute das Internet, smartphones und soziale Medien, die es Einigen gestattet, mit eben dieser Technologie, bizarre antwissenschaftliche Thesen aufzustellen.
Verkörpert dieser Trend zur Anti-Wissenschaft einen Angriff auf unsere innersten Werte wie z.B. die Demokratie?
Sehr verspätet antworte ich jetzt auch mal darauf.
Diese “Anti-Wissenschaft†bezieht sich in 90% der Fälle auf bestimmte, einzelne Ergebnisse, wo es wissenschaftlichen Konsens gibt. Mit
- Klimaskeptizismus
- Kreationismus
- Schädlichkeit von Gen-Food
- Impfgegnertum
- Homöopathie
hat man da das meiste abgedeckt. Der Rest sind kuriose Nischenphänomene ohne politische Organisation (dagegen sind c und e bspsws. bei den Grünen akzeptiert, a bei der AfD) und ohne Mainstream-Appeal. Insbesondere ist es
extrem selten, dass jemand
“die Verlässlichkeit der Ergebnisse von Wissenschaft in Bausch und Bogen einfach ablehnt†(Manfred Spitzer).
Man kann einen bedeutenden Unterschied zwischen den Punkten a bis e und den wissenschaftlichen Disziplinen, von denen die meiste unserer Technologie abhängt, erkennen. Punkte a bis e sind wissenschaftliche Ergebnisse, die sich nicht durch Experimente im engeren Sinn verifizieren lassen, sondern z. B. nur durch Studien; im Falle a und b kann man sie in der Gegenwart sogar kaum irgendwie direkt empirisch belegen (Punkt a: die bereits beobachtbare Erderwärmung ist nicht drastisch genug) stattdessen wird der entscheidende, letzte Schritt hier durch komplexe Schlussfolgerungen gezogen.
Von daher ist der “Anti-Wissenschaftler†nicht inkonsistent. Dagegen gilt: das Smartphone funktioniert, die Lampe brennt, das Auto fährt, die Straßenbahn setzt sich in Bewegung, das Flugzeug fliegt, etc. – auch der völlige Laie sieht hier durch sehr konkrete Vorführung ein, dass die wissenschaftlichen Theorien dahinter wohl
irgendwie eine gewisse Korrektheit erreicht haben. Es wäre daher jenseits von gut und böse an der Elektrodynamik, Festkörperphysik oder Aerodynamik fundamental zu zweifeln. Derart verrückte Menschen sind tatsächlich
extrem selten.
So paradox finde ich es also nicht, dass einzelne wissenschaftliche Ergebnisse oder Disziplinen deren Korrektheit nicht ohne größere Hürden direkt empirisch einsichtig ist, heftig von Laien kritisiert werden, während sie dabei die Technologie nutzen, die ohne Wissenschaft nicht möglich wäre.
Jerry Coyne, der sich selbst andauernd mit Kreationisten herumschlägt,
kritisiert die “etablierte Wissenschaft†namens Psychiatrie. Warum
sollte das zu kognitiver Dissonanz führen? Beim auf Facebook vernetzten Impfgegner spielt sich doch das gleiche nur auf deutlich niedrigerem Niveau ab.
Die Unterteilung in “als etablierte Wissenschaft getarnte pathologische Scheinwissenschaft†und “seriöse Wissenschaft†ist schnell gemacht. Ersteres
gibt es ja auch definitiv: Wer laienhaft dachte, dass eine Lobotomie (für die immerhin der Nobelpreis verliehen wurde) keine gute Idee oder die Freud’sche Psychoanalyse ziemlicher Unsinn ist, hatte einfach
Recht.
Es gibt mMn keine simple Abkürzung um das Problem zu lösen. Es kann keine Lösung sein von den Menschen mehr Autoritätsgläubigkeit gegenüber “der Wissenschaft†zu verlangen. Nicht bloß, weil man das nur schwer bewerkstelligen dürfte, sondern allein schon da nicht klar ist, was denn nun zur Wissenschaft dazugehört. Auch wenn vielleicht
“Wenn man keine Ahnung hat: Einfach mal Fresse halten†von Dieter Nuhr ein ganz guter Leitsatz ist, gilt das doch allein wenn man wirklich
keine Ahnung hat. Würde man als soziale Norm durchsetzen, dass man sich mit seiner Meinung komplett zurückzuhalten muss, wenn man kein entsprechendes solides Fachwissen besitzt, würde das wiederum dazu führen, dass die allermeisten Menschen (außer der ein oder andere professionelle Häretiker) jede akademisch etablierte und “Wissenschaft†genannte Kuriosität wie z. B. Genderwissenschaften kritiklos hinnehmen müssen.
Es ist verwandt mit dem Problem, das ich in dem Homöopathie-Thread bereits beschrieben habe:
Claymore hat geschrieben: ↑Sa 30. Mär 2019, 21:56
Für Fragen wie Gott gibt es keine passende Spezialisierung. Oder doch? Wären das dann die Religionsphilosophen? Es ist jedoch klar, dass da eine Selbst-Selektion stattfindet: wer will schon als Atheist Religionsphilosoph werden? Es gibt zwar atheistische Religionsphilosophen – wie der bereits genannte Graham Oppy, aber sie sind doch recht rar.
Und da sind wir wieder bei einem anderen Problem, was das oben gesagte etwas relativiert: nämlich dass es in vereinzelten Fällen diese Selbstselektion und Groupthink bei Spezialisten gibt. Wenn Informatiker eher meinen, dass Linux ein wunderschön-makelloses Betriebssystem ist, oder Kernphysiker eher meinen, dass Kernkraft doch vergleichsweise unproblematisch ist, wie ist dann das zu bewerten?