(Bedingunsloses) Grundeinkommen

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Demian
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#31 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von Demian » Do 9. Mai 2013, 15:21

piscator hat geschrieben: Die weitaus meisten Befürworter, die ich persönlich kenne, kommen aus dem Hartz IV Bereich, das sind aber nicht die armen Schweine, die arbeitslos wurden, dann einfach Pech hatten und auf Hartz IV sind, sondern der so genannte Hartz IV-Adel, der es prinzipiell ablehnt, zu arbeiten und nach Möglichkeiten sucht, alimentiert zu werden, ohne etwas dafür tun zu müssen.

Das sind Ressentiments, nichts weiter. Selbst wenn jemand BGE bekäme und gar nicht mehr arbeiten möchte - was ohnehin nur eine Minderheit tun würde, weil es dem menschlichen Wesen widerspricht ( Citius, altius, fortius ) - so stünde ihm dies natürlich offen. Aber warum aus Geiz, ein anderer könnte etwas geschenkt bekommen, auf die Freiheit, die alle dadurch bekommen, verzichten? Es geht ja nicht um ein Leben in Saus und Braus, sondern um ein Existenzminimum, das unabhängig von einer vorher geleisteten Arbeit jedem zukommt, einfach aufgrund der Tatsache, weil er ein Mensch ist, weil man ihm das Menschenrecht zuspricht, unabhängig sein zu dürfen. Es geht um einen Paradigmenwechsel: vom Müssen zum Wollen.

piscator
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#32 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von piscator » Fr 10. Mai 2013, 09:45

Nein, das sind keine Ressentiments, das sind Erfahrungen.

Ich habe im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit Kurse zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen gemacht, da haben viele schon ein Problem damit,
morgens aufzustehen und einen strukturierten Tagesablauf durchzuführen.

Vor kurzem habe ich interimshalber über mehrere Monate den Posten eines Personalvorstands bei einem mittelständischen Unternehmen innegehabt. Da wurden
ständig ungefähr 150 Mitarbeiter (ungelernte) für Montagearbeiten zu einem Stundensatz mit EUR 13,50 EUR gesucht.

Das Ergebnis war deprimierend. Wer glaubt, dass man Transferleistungsempfängern einfach nur Geld in die Hand geben muss, damit diese anfangen, ihr Leben in
den Griff zu bekommen, der ist naiv.
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closs
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#33 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von closs » Fr 10. Mai 2013, 10:17

piscator hat geschrieben:Wer glaubt, dass man Transferleistungsempfängern einfach nur Geld in die Hand geben muss, damit diese anfangen, ihr Leben in
den Griff zu bekommen, der ist naiv.
Das glaube ich auch schon. - Hypothetische Frage: Wie hätte sich ein heutiger Transferleistungsempfänger in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts verhalten?

Die Antwort kennen wir natürlich nicht. - Aber die Frage weist auf die Rolle einer allgemeinen Stimmung in der Gesellschaft hin, die Einfluss hat auf das Befinden des Einzelnen. - Ein Versuch:

In den 50ger Jahren waren die Erwachsenen froh, überlebt zu haben (ü-b-e-r-l-e-b-t-!!!). - Es war kein Krieg mehr, es ging aufwärts, man konnte sich satt essen (Wohlstandsbauch), man war froh, eine Wohnung zu haben, es warm zu haben, satt werden zu dürfen. - Jeder hatte Motivation zu arbeiten: Es geht aufwärts. - Es gab für die Masse so gut wie KEINEN Urlaub, es gab so gut wie KEIN TV, so gut wie KEIN Auto in der Familie, ein Telefonhäuschen gab es in jedem Ort (großer Fortschritt). - Gearbeitet hat man 2000 statt 1400 h pro Jahr. - Die REALE Kaufkraft war NIEDRIGER als bei einem heutigen Transferleistungsempfänger. - Großer Vorteil: Es ging kaum einem besser als dem anderen - man war nicht sozial ausgegrenzt, wenn man wenig hatte.

Diesem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der zufriedenen Bedürfnis-Konzentration auf Fundamentales stehen heute in zweiter (!) Generation selbstverständliche Ansprüche nach Urlaub, TV, Auto, Handy und PC gegenüber - von modischen Anforderungen von Kind an (!) - gab es damals auch nicht - ganz abgesehen.

Das heißt unterm Strich: Damals konnte man sein Selbstwertgefühl mit weit weniger befriedigen als heute - oder knapp gesagt: Damals war man "Winner", heute ist man "Loser". - Und das macht es so schwierig. - Übergeordnet nennt man das "Dekadenz".

Neulich kam mal ein Film über den Flughafen FRA, in dem die dortigen "Heinzelmännchen" portraitiert wurden (Toiletten-Säuberer, Boden-Wischer, Brief-Dienst - also all die Jobs, die auf "unqualifizierter Ebene" im Hintergrund gemacht werden mussten). - Fast alle waren Ausländer, die ein freundliches Gesicht gehabt habe. ("Ja - bin froh für Job - wichtig, dass keine Bakterie in Klo - Familie freut sich für Geld - bin glücklich"). Sobald ein deutscher Name eingeblendet war, konnte man fast sicher sein, dass es sich um einen Übergewichtigen mit Loser-Gesichtsausdruck gehandelt hat. Die Alkoholiker hat man wahrscheinlich erst gar nicht gesehen.

Was kann der Übergewichtige mit Loser-Gesichtsausdruck dazu? - Wahrscheinlich sehr wenig. - Die Krankheit der Dekadenz hat eben auch die unteren gesellschaftlichen Ebenen erreicht. - Und da wirkt sie mehr als "oben", denn: Ein gerissener, intelligenter Mensch kann Dekadenz für sich nutzen - und damit oben bleiben.

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#34 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von piscator » Fr 10. Mai 2013, 11:24

Im Prinzip haben wir in Deutschland zwei Parallelgesellschaften:

Auf der einen Seite die Superreichen, die ihr auf legalem Vermögen dorthin bringen, wo deutlich weniger oder gar keine Steuern zu zahlen sind, die aber hier auf unsere Kosten leben, weil sie die Sicherheit und die Infrastruktur dieses Landes schätzen.

Das können natürliche Personen, aber auch Firmen bzw. Gesellschaften sein.

Auf der anderen Seite ist dies ein großer Teil der Transferleistungsempfänger, auch diese Leute nutzen die Infrastruktur und die Sicherheit, werden zusätzlich von uns alimentiert, tragen aber eben sowenig zur Gesellschaft bei, weil sie einfach in Ruhe gelassen werden wollen.

Und wer zahlt das alles? Das sind wir, der so genannte Mittelstand, das fängt beim Hilfsarbeiter an und endet beim Chef einer mittelständischen Firma.

Da beinhaltet die Infrastruktur, wie Straßen, Telefon, Schulen, Verwaltungen, Gerichtswesen, die Sicherheit wie Bundeswehr und das Polizeiwesen und vieles andere.

Mangels Steuern wird das nicht von den Superreichen mitfinanziert, aber auch nicht von den Transferleistungsempfängern.

Unsere Gesellschaft stellt über die Transferleistungen, dass jeder bei Bedarf eine Grundsicherung erhält. Das ist mehr, als es in der Mehrzahl anderer zivilisierter Staaten gibt.

Dass man dafür Anträge auffüllen und gelegentlich bei einem Amt vorbeischauen muss, ist nur recht und billig.

Ich behaupte nach wie vor, dass es er überwiegenden Mehrzahl der BGE-Befürworter nur darum geht, auf Kosten der Leistungsträger bequem in ihre spezielle Parallelgesellschaft abzutauchen
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#35 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von Demian » Fr 10. Mai 2013, 18:12

...
Zuletzt geändert von Demian am Fr 10. Mai 2013, 18:34, insgesamt 1-mal geändert.

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#36 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von Demian » Fr 10. Mai 2013, 18:19

piscator hat geschrieben: Ich behaupte nach wie vor, dass es er überwiegenden Mehrzahl der BGE-Befürworter nur darum geht, auf Kosten der Leistungsträger bequem in ihre spezielle Parallelgesellschaft abzutauchen

Das ist einfach ad personam ... Leistungsträger sind alle Menschen, mit allen ihren Potentialen. An diese richtet sich die Vision (!) des BGE. Es geht um ein bescheidenes, menschenwürdiges Grundeinkommen. Was hätte das mit einem „bequemen Abtauchen“ in eine „spezielle Parallelgesellschaft“ zu tun? Wenn du bessere Ideen hast, dann bringe sie in den gesellschaftlichen Diskurs ein. Nichts spricht dagegen, BGE-Modelle zu diskutieren und das Ganze dann zur Volksabstimmung zu stellen. Wenn du "der Mehrzahl der BGE-Befürworter" irgendwelche Minderwertigkeiten unterstellst, dann sagt das viel über dein Menschenbild aus, nichts aber über die Gründe dieser Debatte.

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#37 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von barbara » Sa 11. Mai 2013, 09:59

piscator hat geschrieben: Bei dem Gedanken, dass ich damit die ganzen Nazis, religiösen Verblendeten mit Dutzenden von Kindern, integrationsunwillige Muslime in den Großstadtgetthos und schwingenden Esoteriker finanzieren soll, wird mir übel.

in der Zwischenzeit tröstet dich der Gedanke, dass du die nicht-Erwerbstätigen zwar durchaus auch über deine Sozialbeiträge finanzierst, aber immerhin werden sie noch so richtig schön gedemütigt, bevor sie ihr Geld bekommen...? :shock:

grüsse, barbara

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#38 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von barbara » Sa 11. Mai 2013, 10:09

Demian hat geschrieben:Wenn du bessere Ideen hast, dann bringe sie in den gesellschaftlichen Diskurs ein.

nach längerer Beschäftigung mit der Idee halte ich auch andere Modelle für sinnvoller. Sei es Vollgeld/Monetative, die das Geldwesen von Grund auf reformiert und Staatsschulden loswird, oder auch moderne Interpretationen der uralten Idee der Geschenk-Ökonomien (nein, nicht Pyramidensysteme und Schenkkreise im üblen Sinn), wie Charles Eisenstein sie andenkt. Lokal kann durchaus auch wieder mehr Tauschhandel und Nachbarschaftshilfe gefördert werden statt ein Obligatorium von Ware gegen Geld.


Nichts spricht dagegen, BGE-Modelle zu diskutieren und das Ganze dann zur Volksabstimmung zu stellen.

in der Schweiz hat die Initiative Grundeinkommen schon die notwendige Zahl an Unterschriften gesammelt, und sie sammeln noch weiter. Ich sehe den Initiator der Initiative, Daniel Häni, mit schöner Regelmässigkeit am Bahnhof stehen und sammeln. :angel:

grüsse, barbara

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#39 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von piscator » Sa 11. Mai 2013, 12:10

barbara hat geschrieben:
piscator hat geschrieben: Bei dem Gedanken, dass ich damit die ganzen Nazis, religiösen Verblendeten mit Dutzenden von Kindern, integrationsunwillige Muslime in den Großstadtgetthos und schwingenden Esoteriker finanzieren soll, wird mir übel.

in der Zwischenzeit tröstet dich der Gedanke, dass du die nicht-Erwerbstätigen zwar durchaus auch über deine Sozialbeiträge finanzierst, aber immerhin werden sie noch so richtig schön gedemütigt, bevor sie ihr Geld bekommen...? :shock:

grüsse, barbara

Ach was. :shock: Wer redet denn von Demütigung? Das ist nur eine Masche, um den Menschen, die das Ganze bezahlen sollen, ein schlechtes Gewissen einzureden.
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#40 Re: (Bedingunsloses) Grundeinkommen

Beitrag von barbara » Sa 11. Mai 2013, 17:34

piscator hat geschrieben: Ach was. :shock: Wer redet denn von Demütigung? Das ist nur eine Masche, um den Menschen, die das Ganze bezahlen sollen, ein schlechtes Gewissen einzureden.

Ich rede von Demütigung. Es ist in der Tat demütigend, alle Monate mal aufs Amt zu wackeln und sich die Predigt der Sachbearbeiterin anzuhören. Sogar dann, wenn sie nett und freundlich ist und ihre Macht nicht missbraucht.

Ausserdem hab ich meine Versicherungsbeiträge, die mir das Recht auf die Versicherungsleistung gab, selbst einbezahlt.

grüsse, barbara

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