Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Politik und Weltgeschehen
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sven23
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#1 Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von sven23 » Fr 23. Jan 2015, 15:28

Was sind eigentlich religiöse Gefühle, von denen in letzter Zeit immer wieder gesprochen wird?
Sind es besonders schützenswerte Gefühle, darf man den Grund für die Gefühle kritisieren oder sich gar darüber lustig machen?

http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=48933
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closs
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#2 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von closs » Fr 23. Jan 2015, 16:35

sven23 hat geschrieben:Was sind eigentlich religiöse Gefühle, von denen in letzter Zeit immer wieder gesprochen wird?
Es gibt etwas reduktiv schwer Fixbares, was man mit "Pietät" umschreiben kann. - Beim Holocaust ist es Teil des Political-Correctness-Kanons, diese Pietät zu bemühen - insofern kennt man diesen Begriff "Pietät" noch irgendwie.

Als Hilfe für diejenigen, die danach fragen, was religiöse Gefühle seien, könnte man pragmatisch antworten: "Muslime fühlen sich genauso verletzt, wenn Mohamed verhöhnt wird, wie ein Jude sich verletzt fühlt, wenn ein Holocaust-Opfer verhöhnt wird". - Die Gründe dazu sind unterschiedlicher Natur - die Verletzung ist vergleichbar. - Vielleicht hilft das.

Nota bene: Christen betrifft das auch - aber hier gibt es die christliche "Waffe" der Nachsicht und Barmherzigkeit - die allerdings manchmal vergessen wird. - Aber ich kann Dir sagen, was ich empfinde, wenn ich die von Magdalena verlinkten anti-christlich super-herben "Charlie"- und "Titanik"-Karikaturen sehe: Als erstes ein Erschrecken über die Verfasser und dem Publikum, die so etwas gut finden. - Ehrlich - mein erster Impuls war große Sorge um diese Menschen.

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sven23
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#3 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von sven23 » Fr 23. Jan 2015, 17:54

closs hat geschrieben:"Muslime fühlen sich genauso verletzt, wenn Mohamed verhöhnt wird, wie ein Jude sich verletzt fühlt, wenn ein Holocaust-Opfer verhöhnt wird". - Die Gründe dazu sind unterschiedlicher Natur - die Verletzung ist vergleichbar. - Vielleicht hilft das.

Es ist aber ein großer Unterschied, ob man sich auf ein reales Ereignis bezieht, bei dem viele Menschen unendliches Leid erfahren haben, oder ob man sich auf eine projizierte Figur bezieht, von der man nicht mal weiß, ob sie überhaupt existiert.
Oder im Falle des Islam, der einen Propheten vergöttert, der einen doch recht zweifelhaften Charakter hatte. Es muß immer noch erlaubt sein, einen Mann zu kritisieren, der zu Gewalt im Namen Gottes aufruft und der mit über 50 Jahren Geschlechtsverkehr mit einer 9-jährigen hatte. Darüber darf man sich auch zu Not satirisch äußern.
Wenn sich einige dadurch beleidigt fühlen, dann sagt das ja auch einiges über diese Leute selbst aus.
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#4 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von closs » Fr 23. Jan 2015, 18:42

sven23 hat geschrieben:Es ist aber ein großer Unterschied
Es geht erstmal darum, dem Außenstehenden zu erklären, wie er "religiöse Gefühle" überm Daumen einordnen soll - Gründe für das eine oder das andere spielen da erstmal keine Rolle.

sven23 hat geschrieben: der zu Gewalt im Namen Gottes aufruft und der mit über 50 Jahren Geschlechtsverkehr mit einer 9-jährigen hatte
Die Shoa wurde auch mit (angelblichen) Schandtaten der Juden begründet - so kommt man einer Antwort der von Dir gestellten Frage nicht näher.

Ich habe die Shoa hier eingeführt, damit Du ein Dir Unbekanntes (religiöse Gefühle) mit einem Dir Bekannten (Shoa) halbwegs orten kannst.

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#5 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von Pluto » Fr 23. Jan 2015, 19:14

closs hat geschrieben:Es gibt etwas reduktiv schwer Fixbares, was man mit "Pietät" umschreiben kann.
Pietät verbinde ich mit unseren moralisch/ethischen Werten. So z. Bsp. verstehe ich untr Pietät, den Respekt für die Unantastbarkeit der menschlichen Würde, über Tod hinaus (Achtung vor dem Grab).
Mit einer besonderen Ehrerbietung von Religionen hat das aber a priori nichts zu tun.

In der Antike war es üblich nach einem Krieg die Heligtümer und Reliquien der Gegner zu "schänden". Das tun manche Kulturen (z. Bsp. Taliban und IS) heute noch.

closs hat geschrieben:Beim Holocaust ist es Teil des Political-Correctness-Kanons, diese Pietät zu bemühen
Die Pietätlosigkeit des Holocaust hatte in erster Linie mit der Repektlosigkeit für menschliches Leben zu tun. D.h. die Unantastbarkeit des Menschen wurde verletzt.
Es war ja den Nazis im Grunde egal, ob sie Juden, Sinti und Roma, oder geistig gestörte Menschen vergasten: Sie hielten am Dogma der "arischen Rasse", und den bedingungslosen Gehorsam gegenüber dem Führer fest.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#6 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von closs » Fr 23. Jan 2015, 19:28

Pluto hat geschrieben:Pietät verbinde ich mit unseren moralisch/ethischen Werten.
"Pietät" kommt von "pius" = "fromm". - "Frömmigkeit" ist dementsprechend Ausdruck der Hinwendung zu Gott - dies kann sich auch in moralischen/ethischen Werten abbilden - aber primär ist es ein spiritueller, also transzendenter Begriff.

"Pietätlosigkeit" ist dementsprechend Ausdruck der Abwendung von Gott - dies geschieht im Holocaust durch Mord und in der Rezeption des Holocaust in Negierung dieser Morde bzw. Verhöhnung der Opfer. - Dementsprechend ist Pietätlosigkeit gegenüber Religionen die Negierung Gottes oder der Verhöhnung Gottes oder dessen Anhänger.

Im Fall "Holocaust" hat die Gesellschaft diese Pietätlosigkeit begriffen, im Fall Christentum und momentan aktuell Islam hat sie es weitgehend NICHT begriffen. - Nichtsdestoweniger fühlen sich die Anhänger der Religionen ähnlich verhöhnt wie es Juden in Bezug auf den Holocaust sind. - Unterschiedliche Gründe für dieses oder jenes ändern nichts an den ähnlichen Gefühlen der jeweils Betroffenen.

Ich verstehe Svens Tread so, dass er verstehen will, warum die momentanen Auseinandersetzungen insbesondere in Frankreich so heftig sind. - Dies hier ist eine Antwort in Bezug auf die Emotionen der Menschen (unsere Bewertung der rationalen Gründe dafür ist für diese Menschen irrelevant).

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#7 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von Pluto » Fr 23. Jan 2015, 19:55

closs hat geschrieben:Im Fall "Holocaust" hat die Gesellschaft diese Pietätlosigkeit begriffen, im Fall Christentum und momentan aktuell Islam hat sie es weitgehend NICHT begriffen.
Der Holocaust war pietätlos, weil er Menschenverachtend war.
Was du meinst ist "Gotteslästerung". Das sind zwei grundverschiedene Kategorien.

closs hat geschrieben:unsere Bewertung der rationalen Gründe dafür ist für diese Menschen irrelevant.
Verstehe ich auch so. Nur der Begriff der Gotteslästerung passt hier besser als Pietätlosigkeit.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von closs » Sa 24. Jan 2015, 00:34

Pluto hat geschrieben: Nur der Begriff der Gotteslästerung passt hier besser als Pietätlosigkeit.
Naja - "pius" ist nun mal ein theologischer Begriff.

Davon abgesehen: Natürlich gibt es Unterschiede in der Beurteilung beider Fälle - es ging hier aber darum, dass die Wirkung auf die Betroffenen vergleichbar ist - und das war doch die Frage - oder nicht?

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sven23
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#9 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von sven23 » Sa 24. Jan 2015, 09:14

closs hat geschrieben:Es geht erstmal darum, dem Außenstehenden zu erklären, wie er "religiöse Gefühle" überm Daumen einordnen soll - Gründe für das eine oder das andere spielen da erstmal keine Rolle.

Gilt die Achtung der religiösen Gefühle auch für die 1000 Sekten, die es z. b. allein in der Schweiz geben soll oder für die Neuguinea Schrumpfkopfindianer oder die Außerirdischen-Sekten?
Wo soll das enden und was darf man dann überhaupt noch kritisieren?

http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/ ... e-alles%3F

closs hat geschrieben: Die Shoa wurde auch mit (angelblichen) Schandtaten der Juden begründet - so kommt man einer Antwort der von Dir gestellten Frage nicht näher.

Dabei war die Kirche und das Christentum 2000 Jahre eifrig bemüht, diesen Mythos aufrecht zu erhalten. Der Jahrestag der Befreiung von Ausschwitz jährt sich zum 70. mal.
http://www.3sat.de/mediathek/?mode=play&obj=48888
In dieser Runde werden die Gründe für den Antisemtismus diskutiert. Dabei wird klar, daß Antisemitismus nie ein Randgruppenphänomen war, sondern immer aus der Mitte der Gesellschaft, ja sogar aus dem Bildungsbürgertum kam.
Harald Welzers Feststellung, daß Bildung allein kein Garant gegen Antisemitusmus ist, ist schon ein wenig ernüchternd und deprimierend zugleich.

Satire oder Karikatur über Religion muß möglich und erlaubt sein. Es ist immer noch die bessere Lösung, als Religionen wieder die Macht zu geben, aus religiösem Wahn heraus über Glauben, Leben und Tod der Menschen zu bestimmen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#10 Re: Was sind eigentlich religiöse Gefühle?

Beitrag von closs » Sa 24. Jan 2015, 11:44

sven23 hat geschrieben:Gilt die Achtung der religiösen Gefühle auch für die 1000 Sekten, die es z. b. allein in der Schweiz geben soll oder für die Neuguinea Schrumpfkopfindianer oder die Außerirdischen-Sekten?
Eigentlich sollte es Achtung für ALLE Gefühle geben - man kann ja trotzdem missionierend wirken, indem man deren Hintergründe diskutiert.

Man kann sich auch eine säkulare Gesellschaft vorstellen, die Achtung vor KEINEN Gefühlen hat - ob Schrumpfkopfindianer, Moslems oder Juden. - Das wäre sogar relativ ehrlich, weil man dann sich die eh unglaubwürdige Trennung von achtenswürden und nicht-achtenswürdigen Gefühlen sparen könnte.

Aber nochmals: Es geht momentan noch um Deine Frage, wie man religiöse Gefühle verorten kann - und da hast Du jetzt als Orientierungs-Größe, dass diese vergleichbar sind mit den Gefühlen von Juden, wenn man Witze über den Holocaust und dessen Opfer macht. - Das soll ausdrücklich kein inhaltlicher Vergleich sein, sondern ist nur deshalb herangezogen, weil das das einzige Beispiel ist, mit dem ein westlicher Säkularist etwas anfangen kann.

sven23 hat geschrieben:Satire oder Karikatur über Religion muß möglich und erlaubt sein.
Wenn dabei eine gewisse Verletzungs-Grenze überschritten ist, muss man halt auch die Folgen tragen - es soll keiner sagen, er hätte es nicht gewusst.

sven23 hat geschrieben: Es ist immer noch die bessere Lösung, als Religionen wieder die Macht zu geben, aus religiösem Wahn heraus über Glauben, Leben und Tod der Menschen zu bestimmen.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun - über den Staat als säkulare Größe gibt es in Europa seit Jahrunderten keine Diskussion mehr.

Hast Du schon mal drüber nachgedacht, dass im Gegenteil solche Karikaturen das Gegenteil Deines Anliegens befördern können? - Hier wieder Houllebecq's Satire: Die westliche Welt vertorkelt sich so sehr in ihrer Dekadenz, dass am Ende ein Muslim Präsident Frankreichs ist. - Ich finde seine (satirische) Weitsicht wirklich klasse.

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