Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Politik und Weltgeschehen
2Lena
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#1 Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von 2Lena » Do 23. Apr 2015, 08:28

Zwischen Träumen, Illusion und Realität ein paar Gedanken ...

Den Streik der Bahnangestellten habe ich überstanden, teils fast allein im Zug, zum Teil in vollen Waggons voll frustrierter Fahrgäste, die mitten in der Fahrt um ihr Weiterkommen bangten.

Es war nicht so, dass sie sich nicht bei dem Personal oder wirklich grad 10 Minuten vor Beginn der Reise im Internet erkundigt hätten ... Manche stiegen sogar ein, im Bewusstsein, dass die Anzeigetafel am Bahnsteig stimmt! Das empfand ich persönlich als pure Schickane der Fahrgäste, nachdem alle Medien so fürsorglich auf diese beiden Informationen hinwiesen. Für die "armen" Gehaltsempfänger hätte wirklich jeder Verständnis gehabt.

Außerdem fiel "nur" jeder zweite Zug aus. Das heißt aber, dass in Gegenden, wo stündlich ein Zug geht, schon mal grad zwei Stunden verpasst werden durch den Anschluss, und kommt der nur im Zweistundentakt - oje.

Vielleicht machte die Bahn ein heimliches Komplott mit Hotels, Imbissstuben, Wirtshäusern und Museen? Zählte sie am Ende gar die mobilen Autobesitzer?
Oder will sie durch die allgemeine Miss-stimmung jedem weiteren Streik vorbeugen?

Natürlich beschäftigte mich das Thema "Gehalt" auf der ganzen Reise! Hing doch davon der Kauf und die Haltung eines eigenen Fahrzeugs ab. Es war der Stolz der ersten Generation, die es sich leisten konnte, knapp mit dem Gehalt (von zwei) vor ein paar Jahrzehnten - so ein Auto zu fahren - oder andere Luxusgüter zu erhalten.

Die Illusion macht heute vielen zu schaffen.
Zwischen nicht durchdachtem Traum und magerer Wirklichkeit ...
Ein paar Eindrücke:

Ein (noch nicht im Management) sitzender Studierter, Angestellter einer Autofirma, gut gekleidet. Sein Arbeitstag beginnt vor 6 Uhr. Um halbsieben sitzt er im Zug. Er kommt gegen acht heim - wenn die Bahn nicht streikt. Dann tut es weh. Er braucht ein Taxi, weil der Anschluss auf dem Land nicht mehr möglich ist. Er unterhält sich frustriert über die Situation mit Kollegen, denen es ähnlich ergeht. Logisch wäre, eine naheliegende Wohnung zu beziehen. Aber das können sie sich nicht leisten und finden nichts Passendes. Andere Familienmitglieder haben zudem die gleiche Prozedur - in die entgegengesetzte Richtung.

Da war eine aufgeregte Mami, die wegen dem Streik nach der Arbeit ihr Kind vom Kindergarten nicht abholen konnte und vergeblich ihren Freundeskreis abtelefonierte. Auch sie braucht das Geld, um teure Mieten zu bezahlen und ihren Kindern ein "normales" Leben zu bieten.

Etliche ruhige Studenten saßen im Zug, denen alles egal war, was um sie herum passiert. Offenbar stammten sie aus "guten Häusern". Ihre Eltern halten sie vermutlich sorglos, durch Immobilienbesitz und gutes Einkommen. Gleichaltrige aus anderen Kreisen lärmten rum, Bier trinkend, tobend, tätowiert, agressiv angezogen. Voll Frust gegen die Regierung, sagten sie die übelsten Wirtshaussprüche. Eine mutige Studentin brachte sie zur Besinnung (unter viel Lärm) ...

Werden die Klüfte größer oder kleiner werden?

ThomasM
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#2 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von ThomasM » Do 23. Apr 2015, 09:49

Nette Beobachtungen.

Es gibt eben zwei Mächte, die unterschiedliche Zielgruppen im Sinn haben.

Da ist das Bahn-Management, dessen Hauptfokus die Kunden sind, also die Leute, von denen du schreibst. Denn das sind die Leute, die das Geld reinbringen. Wo das Management nur zu gerne dafür sorgen würde, dass die glücklich und zufrieden sind, unabhängig von Herkunft, Farbe und Geschlecht (Hauptsache, sie kaufen Fahrscheine).

Und da ist eine Gewerkschaft, deren Hauptfokus - ähem - die Gewerkschaft ist. Die Mitarbeiter sind eher so etwas wie Schafe. Kunden kommen bei denen gar nicht vor. Denen sind die Fahrgäste also egal, aber das auch unabhängig von Herkunft, Farbe und Geschlecht.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#3 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von Pluto » Do 23. Apr 2015, 10:40

ThomasM hat geschrieben:Nette Beobachtungen.

Es gibt eben zwei Mächte, die unterschiedliche Zielgruppen im Sinn haben.
Stimmt. 2Lena hat den Frust der Bahnfahrer gut beschrieben.
Ich glaube, an das Bahnfahren werde ich mich nie gewöhnen. Als Student habe ich auch immer die Bahn genommen, aber das ist schon sehr lange her.
Deshalb bin ich auch passionierter Nicht-Bahn-Fahrer. Ich bekomme die Streiks nur deshalb mit, weil dann viel mehr Leute das Auto zum pendeln nehmen.

2Lena hat geschrieben:Werden die Klüfte größer oder kleiner werden?
Mit Sicherheit größer!

Aber das interessiert die streikenden Lokführer nicht, die nur egoistisch ihre eigenen Interessen verfolgen.
Zum Glück wird dies dann ein Ende haben, wenn das neue Gesetz kommt welches diese kleinen Gewerkschaften verbietet, die eine ganze Nation zur Geißel machen können.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Janina
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#4 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von Janina » Do 23. Apr 2015, 10:41

Hat nicht das Wirtschaftswunder uns einst die Unabhängigkeit von den "Öffis" beschert?
Was hindert uns?
Bild
http://de.wikipedia.org/wiki/DKW_RT_175

Der Preis wohl kaum.
http://suchen.mobile.de/motorrad/search ... pacity=250

Pluto hat geschrieben:Ich glaube, an das Bahnfahren werde ich mich nie gewöhnen. Als Student habe ich auch immer die Bahn genommen, aber das ist schon sehr lange her.
Wir hatten sogar ein Studi-Ticket. D.h. Öffi-Flatrate. Habs trotzdem nicht genutzt. Bahnfahrt zur Uni: 1 1/2 Stunden. Mit Mopped: 11 Minuten.

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sven23
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#5 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von sven23 » Do 23. Apr 2015, 12:21

Es war klar, daß man sich mit der Privatisierung der Bahn auch das Streikrecht einhandelt.
Es ist auch eine grundsätzliche Frage, ob man öffentliche Güter und Grundversorgungen immer privatisieren muß, denn es gab und gibt auch genügend negative Beispiele für Privatisierung. Es ist nicht automatisch der Königsweg.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

2Lena
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#6 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von 2Lena » Do 23. Apr 2015, 13:14

@Janina
Zu dir passt sicher das Motorrad - fetzig! Aber, du willst doch nicht Oma's und Opa's auf's Motorrad umsetzen. Wo sollen sie da ihren Rollator oder Gehstock unterbringen?

Sven23 hat geschrieben:Es ist auch eine grundsätzliche Frage, ob man öffentliche Güter und Grundversorgungen immer privatisieren muß, denn es gab und gibt auch genügend negative Beispiele für Privatisierung. Es ist nicht automatisch der Königsweg.
*Staun!
Solche Worte - von dir ...
Ich geb dir voll und ganz Recht.

Wichtige Dienstleistungen gehören als organisierte öffentliche Struktur gemacht, nicht als eine, die an den Staat Mehrwertsteuer liefert und sonst noch ein paar Geldwäschereien betreibt.

Allgemeine, praktischere Strukturen sollten geschaffen werden:

In den "Suks" des Orients war bereits so ein Beispiel vorhanden.
Eine Gasse - Schmiede ... und die wohnten auch gleich da und teilten sich ihren Tag gemütlich ein.
Eine Gasse - Färber ... ohne Fußweg zur Arbeit.
etc.

Mir kommt eine Radioreportage vor einigen Jahren immer wieder in den Sinn. Berichtet wurde von einigen findigen Erstunternehmern der ersten Industriegeneration vor vielen Jahrzehnten. Sie hatten ein großes Firmengelände, dann kam ein Park, dahinter waren die "Werkswohnungen", passende Einfamilienhäuschen oder Block's für Single. Dadurch wurde nicht nur viel Stress gespart, der durch die Pendelei entsteht, sondern auch die Zeit. Die Lebensqaulität war viel höher. Die Familie war gleich da, auch die Schule. Eine Begegnung mit Menschen, die man kannte, half mehr Freundschaften zu entwickeln. Weniger an Misstrauen kam, als wenn unbekannte Rockerbanden vorbeizogen.

ThomasM
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#7 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von ThomasM » Do 23. Apr 2015, 13:52

sven23 hat geschrieben:Es war klar, daß man sich mit der Privatisierung der Bahn auch das Streikrecht einhandelt.
Es ist auch eine grundsätzliche Frage, ob man öffentliche Güter und Grundversorgungen immer privatisieren muß, denn es gab und gibt auch genügend negative Beispiele für Privatisierung. Es ist nicht automatisch der Königsweg.
Es ist eine Frage, allerdings kenne ich genau - äh - nun ja - null Institutionen, die nicht privatisiert sind und gut und effizient laufen.
Bei manchen ist es notwendig, sie öffentlich zu halten (z.B. die Polizei wegen des Gewaltmonopols), das heißt nicht, dass die deswegen gut und effizient arbeitet.

Bei der Bahn war es vor der Privatisierung so, dass
- Keinerlei Interesse, Kosten realistisch einzuschätzen (z.B aus einer Kalkulation "Einsatz Beamte in dem und dem Bereich 1 DM pro Jahr")
- Keinerlei Interesse effizient zu arbeiten (man macht das wie immer)
- Keinerlei Interesse, für den Kunden zu arbeiten (man arbeitet ja für den Staat)
- Keinerlei Interesse an Innovation (ich habe meine Dienstvorschriften)
usw.

Die Privatisierung hat nicht nur Positives gebracht, aber wer sich zu der alten Bundesbahn zurücksehnt, hat keine Ahnung.

Gruß
Thomas

P.S. Hatte ich schon einmal erwähnt, dass ich bei dem Thema Insiderwissen besitze :roll:
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#8 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von 2Lena » Do 23. Apr 2015, 14:18

ThomasM hat geschrieben:Bei der Bahn war es vor der Privatisierung so, dass
- Keinerlei Interesse, Kosten realistisch einzuschätzen (z.B aus einer Kalkulation "Einsatz Beamte in dem und dem Bereich 1 DM pro Jahr")
- Keinerlei Interesse effizient zu arbeiten (man macht das wie immer)
- Keinerlei Interesse, für den Kunden zu arbeiten (man arbeitet ja für den Staat)
- Keinerlei Interesse an Innovation (ich habe meine Dienstvorschriften) usw.

Bitte nicht Äpfel und Birnen zusammenzählen!
Was du beschreibst, ist eine Sache der Motivation, nicht ein finanzielle Angelegenheit.
Es ist eine Angelegeheit der Ausbildung und des Verantwortungsgefühls.

Das Beispiel "Innovation" zieht längst nicht mehr in der Privatwirtschaft, eher: "wie jage ich die anderen (hauptsächlich die Arbeitswilligen) am effektivsten". Das wurde allerdings auch in sehr vielen Staatsbetrieben bereits schon mit viel Erfolg angewendet.

P.S. Das Hauptproblem bei der "Vergeltung" ist doch, dass sie Leute ins freie Räubertum ziehen lässt, nicht irgendwelche Gehaltserhöhungen oder ein Bonus. Da reicht ein Gehalt nie.

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#9 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von 2Lena » Do 23. Apr 2015, 14:36

Eigentlich habe ich das Management der Bahn (in früheren Zeiten) stets bewundert. Ich meine, die hatten doch eigentlich keine Erfahrung, als alle Gleise gelegt werden mussten. Landkauf war nötig, Trassenführung, Angestellte einstellen, Bauarbeiten erledigen, Technik bewältigen ...

Meine Großmutter kaufte sich als Teenager von dem Geld, das sie mit Unkrautfreihalten der Gleise verdiente, ihre Nähmaschine, die es heute noch gibt. Die Bahn bot in strukturschwachen Gegenden als einziger Arbeitgeber etwas Geld. Das war gar nicht viel. Doch weil fleißige Ehefrauen das Gemüse selber zogen, die Kinder ein paar Hasen fütterten, weil ein paar Hennen den Hof gackerten und der Hirt etliche Ziegen auf die Alm mit nahm, war eigentlich alles da - und niemand dachte an einen Streik. Die Bahn errichtete zahllose Werkswohnungen. Auch hier hatten die Angestellten wenig Sorgen. Weil es viele Kollegen gab, mit denen sie die Arbeit teilen konnten - und viele Fahrgäste was den Ruf der Bahn hob - hatten sie ein abwechslungsreiches und ein etwas "ruhigeres" Leben.

Wer heute im Schichtbetrieb und in langen Anfahrten und all der Hektik mit zahllosen Änderungen und Vorschriften arbeiten muss, der hat es wirklich nicht leicht - und liegt oft - gegenüber den vermeintlich großzügigeren anderen Gehältern im Hintertreffen.

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Janina
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#10 Re: Der Streik - mit dem Zug durch's Land

Beitrag von Janina » Do 23. Apr 2015, 15:50

2Lena hat geschrieben:@Janina
Zu dir passt sicher das Motorrad - fetzig! Aber, du willst doch nicht Oma's und Opa's auf's Motorrad umsetzen. Wo sollen sie da ihren Rollator oder Gehstock unterbringen?
Lach nicht, aber ich hab ne coole Oma getroffen, die mit nem fetten Chopper unterwegs war.
Aufkleber auf dem Tank: "Es ist nie zu spät, eine glückliche Kindheit zu haben"
8-) :thumbup:

Bild
http://www.lachschon.de/item/12232-Biker/

Bild
http://www.motor-talk.de/bilder/r-1200- ... 51875.html

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