Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

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closs
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#61 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 10:55

sven23 hat geschrieben:Ja eben, und das spricht doch gerade gegen ein universelles Gewissen.
Umgekehrt - es spricht für ein universales Gewissen, bis es kulturell gestaltet, koloriert, kontaminiert wird. - Zuvor verhalten sich Kinder doch auch schon nach Regeln, die sie allerdings nicht kennen. - Oder denkst Du, ein Kannibalen-Kind würde auf die Idee kommen, seinen Spielkameraden aufessen wollen? - Im Gegenteil: Er wird sich universal sozial verhalten.

sven23 hat geschrieben:Das Gewissen meldet sich doch nur, wenn gegen die Regeln verstoßen wird, die die eigene Gruppe sich selbst gegeben hat.
Dreimal NEIN. - Das Gewissen ist schon da, BEVOR die Gruppe Regeln gibt. - Wobei dieses Gewissen natürlich noch nicht formuliert oder kognitiv hinterfragt ist.

sven23 hat geschrieben:Die Regeln bestehen dabei aus sozialen Normen und Tabus.
Das ist die Gesellschafts-Praxis. - Das Gewissen ist aber nicht Folge davon, sondern Regulativ dafür: "Was an sozialen Normen und Tabus widerspricht meinem Gewissen"?

Verstehst Du?

sven23 hat geschrieben:Deshalb war es z. B. auch im 2. Weltkrieg möglich, daß sich "normale" Familienväter zu freiwilligen Erschießungskommandos an Kindern und Frauen meldeten oder in Einsatzgruppen unglaubliche Grausamkeiten gegen die Zivilbevölkerung begingen.
Halte Dich fest: Das war gewissens-konform im Sinne DEINER Definition. - Und diejenigen, die das Gewissen über gesellschaftliche Normen setzen konnten, konnten Widerständlicher werden.

sven23 hat geschrieben:Und Gehorsam gegenüber Gott ist ein sehr dominantes Motiv in der Bibel.
Und sollte ein Synonym sein für Gewissens-Bindung anstelle von gesellschaftlicher Norm-Bindung. - Und jetzt kommt leider der Punkt: War das so in der Geschichte? - Die Antwort ist NEIN - denn im Namen des universalen Gewissens (also Gottes) wurden weltliche Ziele verfolgt. - Das Gewissen wurde also vergewaltigt.

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sven23
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#62 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von sven23 » Do 14. Mai 2015, 11:00

barbara hat geschrieben: Tatsache ist, es GIBT eine Instanz, die ist NICHT das Über-Ich, da sie sich nicht an den kollektiv und aktuelle vorhandenen gesellschaftlichen Regeln orientiert, sondern sie hat mit einem tieferen Bewusstsein für das Recht und das Unrechte zu tun - wenn nötig, auch entgegen allen Über-Ich-Regelwerken.
Das zu belegen ist schwierig, weil man als Vergleich eine Art Kaspar Hauser bräuchte, der nicht durch Sozialisierung "kontaminiert" ist.
Wenn es aber eine kulturübergreifende Regel geben sollte, die immer und überall gelten soll, dann müßte diese identfizierbar sein.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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#63 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von Pluto » Do 14. Mai 2015, 11:03

closs hat geschrieben:
sven23 hat geschrieben:Und Gehorsam gegenüber Gott ist ein sehr dominantes Motiv in der Bibel.
Und sollte ein Synonym sein für Gewissens-Bindung anstelle von gesellschaftlicher Norm-Bindung. - Und jetzt kommt leider der Punkt: War das so in der Geschichte? - Die Antwort ist NEIN - denn im Namen des universalen Gewissens (also Gottes) wurden weltliche Ziele verfolgt. - Das Gewissen wurde also vergewaltigt.
Dieser Missbrauch der Götter war in der Geschichte der Menschheit schon seit jeher das wirkliche Problem.

Wie hilft uns das zwischen den Götter zu unterschieden? Welcher Gott ist der "Bessere"?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#64 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 11:06

Pluto hat geschrieben:Kennst du das Essay von Willard Quine zum Thema, Was es gibt und zu den verwandten Problemen der Nichtexistenz und der Universalien?
Habe Deinen Link dazu gelesen: Das ist Analytische Philosophie!!! - Mit anderen Worten: Hier geht es um Wahrnehmung und nicht um Meta-Physik. - Realien nimmt man als solche nicht wahr, sondern nur in ihren konkreten Ableitungen (Die Realie Mensch erfahre ich durch die Einzelperson Pluto).

Mit anderen Worten: Quine's Aufsatz ist eine Apologie des Nominalismus, aber keine Antwort darauf, "Nominalisten" oder "Realisten" recht haben.

Pluto hat geschrieben:so ist eine Verfeinerung der ethischen und moralischen Ideale durchaus eine bessere Anpassung.
Dann wäre "Ethik" lediglich eine utilitaristische Größe - warum nennt man nicht einfach "Gesetze" oder "Regeln"?

Pluto hat geschrieben:Dass Gut und Böse immer relativ zu einem gewählten System sind, steht doch außer Frage, oder?
Wenn ich Dich richtig verstanden habe, ist das System der Mensch selbst: "Was ist für MICH gut und böse". - Demnach wäre das Ich die absolute Instanz?

closs
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#65 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 11:08

Pluto hat geschrieben:Wie hilft uns das zwischen den Götter zu unterschieden? Welcher Gott ist der "Bessere"?
Sobald der Komparativ ins Spiel kommt, ist das Thema bereits verfehlt. - Allenfalls kann man fragen "Welcher Gott ist DER eine Gott".

Pluto hat geschrieben:Dieser Missbrauch der Götter war in der Geschichte der Menschheit schon seit jeher das wirkliche Problem.
Deshalb spricht Jesus vom Satan als "Fürsten der Welt", also Chef des Daseins.

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sven23
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#66 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von sven23 » Do 14. Mai 2015, 11:12

closs hat geschrieben: Zuvor verhalten sich Kinder doch auch schon nach Regeln, die sie allerdings nicht kennen. - Oder denkst Du, ein Kannibalen-Kind würde auf die Idee kommen, seinen Spielkameraden aufessen wollen? - Im Gegenteil: Er wird sich universal sozial verhalten.
Das ist Unsinn, dann müßtest du von Kaspar Hausers ausgehen, die es aber nicht gibt. Alle Kinder unterliegen von Anfang an einer Sozialisation, mal mehr, mal weniger.

closs hat geschrieben: Das Gewissen ist schon da, BEVOR die Gruppe Regeln gibt. - Wobei dieses Gewissen natürlich noch nicht formuliert oder kognitiv hinterfragt ist.
Das ist aber lediglich eine Behauptung, die du nicht belegen kannst.

closs hat geschrieben: "Was an sozialen Normen und Tabus widerspricht meinem Gewissen"?
Verstehst Du?
Das wäre eine neue Ebene, nach der Art: muß ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich kein schlechtes Gewissen habe. ;)

closs hat geschrieben: Halte Dich fest: Das war gewissens-konform im Sinne DEINER Definition. - Und diejenigen, die das Gewissen über gesellschaftliche Normen setzen konnten, konnten Widerständlicher werden.
Was anderes habe ich nie behauptet. Das "schlechte Gewissen" meldet sich immer dann, wenn es eine Diskrepanz zwischen Regeln und eigenem Verhalten gibt, oder die Regeln selbst den eigenen Wertvorstellungen widersprechen, die aber zuvor aufgrund von Sozialisation entstanden sind.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#67 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von sven23 » Do 14. Mai 2015, 11:15

closs hat geschrieben:Sobald der Komparativ ins Spiel kommt, ist das Thema bereits verfehlt. - Allenfalls kann man fragen "Welcher Gott ist DER eine Gott".
Ist aber im Grunde dieselbe Frage in einem anderen Gewand.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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#68 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von barbara » Do 14. Mai 2015, 11:19

sven23 hat geschrieben: Das zu belegen ist schwierig, weil man als Vergleich eine Art Kaspar Hauser bräuchte, der nicht durch Sozialisierung "kontaminiert" ist.
Wenn es aber eine kulturübergreifende Regel geben sollte, die immer und überall gelten soll, dann müßte diese identfizierbar sein.

Es gibt WIRKLICH genug Beispiele, wo Menschen sich nicht an die aktuell geltenden Regeln halten, sondern das tun, was menschlich ist - weil sie fühlen, dass es das Richtige ist.

Lies doch wieder mal das Tagebuch der Anne Frank, zum Beispiel. Oder die Geschichte der Geschwister Scholl.

Wenn Kinder im Spiel sind, bringen sich sowieso viele Erwachsene ohne weiteres in Lebensgefahr, um das Kind zu retten:
http://www.merkur.de/lokales/muenchen/s ... 93604.html
http://www.bild.de/news/inland/ertrinke ... .bild.html

Hier ist die gesellschaftlich akzeptierte Regelung (die auch Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter etc lernen): Selbstschutz geht vor! - aber das Gewissen meint, es ist richtig, sich ins Wasser zu stürzen, ohne Rücksicht auf eigene Verluste, um ein anderes Leben zu retten - man könnte sich nicht wieder im Spiegel anschauen, wenn man es zulässt, einen Menschen vom Ufer aus beim Ertrinken zu beobachten.

Einen Kaspar Hauser braucht man dazu nicht; Menschen sind NUR mit Sozialisierung denkbar, nur im Kontext einer Gruppe, die sie pflegt und hegt und aufzieht und lehrt.

Gewissen wird manchmal auch absichtlich ausgehebelt, wenn die Notwendigkeit dazu empfunden wird. In Segelschiffen des 18./19. Jhds wurden lebendige Tiere mitgeführt, wegen den Eiern, der Milch, aber auch um gelegentlich frisches Fleisch zu haben. Die Person, die für die Tiere sorgte, musste dabei regelmässig ausgewechselt werden - sonst kam es dazu, dass eine zu nahe, enge Beziehung zwischen Mensch und Tier aufgebaut wurde, und die Leute sich weigerten, das Tier zu schlachten.

gruss, barbara

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#69 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von barbara » Do 14. Mai 2015, 11:21

sven23 hat geschrieben: Was anderes habe ich nie behauptet. Das "schlechte Gewissen" meldet sich immer dann, wenn es eine Diskrepanz zwischen Regeln und eigenem Verhalten gibt, oder die Regeln selbst den eigenen Wertvorstellungen widersprechen, die aber zuvor aufgrund von Sozialisation entstanden sind.

Da du selbst darauf hingewiesen hast, dass es keine Kaspar Hausers gibt, kannst du auch nicht mit dieser Bestimmtheit behaupten, dass Wertvorstellungen aufgrund von Sozialisation entstehen.

Man sieht auch, dass Geschwister, die ja wohl gleich sozialisiert werden, als Mitglieder derselben Familie, aber dennoch völlig unterschiedlich sein können in der Beurteilung von Werten.

Da musst du etwas vorsichtiger sein mit Behauptungen, die du als Tatsachen darstellst, die bei näherer Betrachtung aber maximal Spekulationen sind.

gruss, barbara

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#70 Re: Soziale Konflikte weil man nichts mehr miteinander zu tun hat

Beitrag von closs » Do 14. Mai 2015, 11:35

sven23 hat geschrieben:Das ist Unsinn, dann müßtest du von Kaspar Hausers ausgehen
Nein - Kaspar Hauser konnte gerade NICHT seine natürliche (universale) Sozialisation erfahren, weil er allein war. - Der Mensch kann sich nicht entfalten, wenn er allein ist.

sven23 hat geschrieben:Das ist aber lediglich eine Behauptung, die du nicht belegen kannst.
Mütter merken das. - Oder nimm mal ein einjähriges europäisches Kind mit in die Mongolei und setze es zu den dort spielenden Kindern.

sven23 hat geschrieben:Das wäre eine neue Ebene,
Eigentlich ist es die verlorene alte Ebene.

sven23 hat geschrieben:muß ich ein schlechtes Gewissen haben, wenn ich kein schlechtes Gewissen habe.
Muss ich ein schlechtes Gewissen haben, selbst wenn ich den Normen meiner Gesellschaftsform entspreche. - Ja - das ist die richtige Frage.

Mit Erschrecken komme ich gerade darauf, dass man tatsächlich die Einhaltung der Gesetze einer Gesellschaft als Ersatz und Grundlage für "Gewissen" miss-verstehen könnte. - Hältst Du das wirklich für möglich?

sven23 hat geschrieben:eigenen Wertvorstellungen widersprechen, die aber zuvor aufgrund von Sozialisation entstanden sind.
Das ist wahrscheinlich wieder mal der Knackpunkt, der uns schnurstracks in den Themenbereich "Universalienstreit" und "Geist aus Materie"/"Materie aus Geist" führen würde (was wir jetzt sein lassen - aber es zeigt, dass es immer wieder zurückgeht auf Weichenstellungen ganz am Anfang - die Jacke, deren erster Knopf falsch geknöpft ist).

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