Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Politik und Weltgeschehen
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Novas
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#1 Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von Novas » Mi 28. Mär 2018, 20:20

SamuelB hat geschrieben:Wir haben es im übertragenen Sinne also mit Spätfolgen dieser Ungleichbehandlung zu tun.

Naja, wir sollten mal aufhören ständig alles auf Religion zu reduzieren oder eine „Muslimifizierung“ von Problemen zu betreiben, die in Wahrheit bildungsbezogene, soziale und wirtschaftliche Probleme sind :) der Islam wird als Bedrohung an die Wand gemalt, obwohl stattdessen Kapitalismuskritik notwendig wäre. Wir müssen aufwachen und die wirklichen Fragen stellen:

Wie kommt es, dass die extremen Kluft zwischen Arm und Superreich noch immer nicht auf der Agenda der Weltpolitik ist?

Daran ist der Islam garantiert nicht Schuld. Im Gegenteil: er könnte ein Teil der Lösung sein, da die Zakāt (die Unterstützung der Bedürftigen durch eine für alle Muslime verpflichtende Sozialabgabe) zu den 5 Säulen des Islam gehört. Diese soziale Dimension gehört zweifellos zu den schönen Seiten dieser Religion. „Individuen sind heute reicher als Staaten“ (Jean Ziegler, Wie kommt der Hunger in die Welt?, S. 151) soetwas wie Judenhass ist ein Symptom für tieferliegende Probleme. Im Islam gibt es übrigens auch ein Zinsverbot. Lange vor Karl Marx formulierte der Qur´ān eine Kapitalismuskritik. Der pakistanische Philosoph und Dichter Dr. Muhammad Iqbal (1877-1938) beschrieb das folgendermaßen:

„Was ist der Qur´ān? Für die Reichen eine Todesnachricht, für die Habelosen ein Beschützer. Erwarte nichts Gutes von jenen, die an Gold (Reichtum) festhalten“

Für den muslimischen Schriftsteller Dr. Hassan Hathout besteht in der Gegenwart kein Zweifel daran, dass der Kapitalismus vornehmlich die Ursache für diverse negative Entgleisungen und eine Gefahr für den Weltfrieden ist. Danach ist der Kapitalismus nicht nur für die Kluft zwischen Reich und Armut verantwortlich, sondern soll des Weiteren noch explizit für die Zerstörung der Ökologie bestimmend sein:

„Für den wohlhabenden Teil der Menschheit vergewaltigt die industrialisierte Welt die Umwelt und verschmutzt, vergiftet, und tötet sie, mit dem Ziel, die Reichen reicher zu machen um ihr Konsumverhalten auszuweiten, ihren Luxus zu mehren und sich ihren Vergnügungen hinzugeben“ (Zitiert aus: Muslimisches denken verstehen, S. 116, Hrsg. American Trust Publications, 2. Auflage, 2015)

Soll der Mensch dem Kapital dienen oder das Kapital dem Menschen? Schon Jesus ermahnte die Pharisäer auf die Gefahr des Beherrschtsein von Geld mit dem eindringlichen Satz:

„Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, Gott und den Mammon“ (Lk 16, 13)
Zuletzt geändert von Novas am Mi 28. Mär 2018, 20:33, insgesamt 1-mal geändert.

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ProfDrVonUndZu
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#2 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von ProfDrVonUndZu » Mi 28. Mär 2018, 20:32

Der Antisemitismus der arabischen Welt ist eine Form der Kapitalismuskritik. Sie richtet sich aber hauptsächlich auf das "Finanzjudentum" als Feindbild.
"Viele, die leben, verdienen den Tod. Und manche, die sterben, verdienen das Leben. Kannst du es ihnen geben? Dann sei auch nicht so rasch mit einem Todesurteil bei der Hand." - Gandalf in J.R.R Tolkien - Herr der Ringe, Band 1

Novas
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#3 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von Novas » Mi 28. Mär 2018, 20:40

ProfDrVonUndZu hat geschrieben:Der Antisemitismus der arabischen Welt ist eine Form der Kapitalismuskritik. Sie richtet sich aber hauptsächlich auf das "Finanzjudentum" als Feindbild.

Richtig. Struktureller Antisemitismus und verkürzte Kapitalismuskritik. Klar ist auch, dass mangelnde Bildung einer der Gründe dafür ist, weshalb solche Feindbilder existieren.

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SamuelB
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#4 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von SamuelB » Mi 28. Mär 2018, 20:42

Die lehnen doch auch Zinsen ab.


Jetzt hatte ich bei dir @Novalis im ersten Satz 'Mumifizierung' gelesen. :mrgreen:

Novas
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#5 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von Novas » Mi 28. Mär 2018, 20:51

SamuelB hat geschrieben:Jetzt hatte ich bei dir @Novalis im ersten Satz 'Mumifizierung' gelesen. :mrgreen:

:o :D



Mumifizierung ist Versteinerung, ist die Methode, alles, was sich am Menschen härten lässt, von dem zu trennen, was flüssig ist, atmet und lebt. Die Mumie ist der perfekt gestaltete Tod und ein passendes Symbol für den Zustand der spätkapitalistischen Gesellschaftsordnung (im Endstadium kurz vor dem Herztod)
Zuletzt geändert von Novas am Mi 28. Mär 2018, 21:03, insgesamt 2-mal geändert.

closs
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#6 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von closs » Mi 28. Mär 2018, 20:52

Novalis hat geschrieben:Naja, wir sollten mal aufhören ständig alles auf Religion zu reduzieren oder eine „Muslimifizierung“ von Problemen zu betreiben, die in Wahrheit bildungsbezogene, soziale und wirtschaftliche Probleme sind
Wie wahr. - Im Grunde sprechen wir von einem gruppen-dynamischen Effekt: Fühlt man sich unwohl und kann nicht gegen die "Mächtigen" gewinnen, sucht man als Blitzableiter eine Minderheit. - Normalerweise hat dies in der europäischen Geschichte die Juden getroffen - heute geht das nicht mehr, also sucht man sich andere Minderheiten.

Dazu kommt: Die als religiös wahrgenommene Dominanz der Muslims ist nichts anderes als Ausdruck der religiösen Schwäche des Christentums - bzw. des spirituellen Analphabetismus der säkularen Gesellschaft, die diesen Mangel zudem als "aufgeklärt" feiert. - Insofern geraten die Muslims bei uns in die Zange: Hier rechts-konservative Leitkultur-Fetischisten, dort spirituelle Bewusstlosigkeits-Kultur agnostischer Prägung.

Dabei haben wir eine so gute Verfassung - warum sich einfach mal dran halten? Religionsfreiheit. - Es müsste genügen, auf die Haltung staatlicher Gesetze zu beharren. - Alles andere ist frei.

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SamuelB
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#7 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von SamuelB » Mi 28. Mär 2018, 21:05

Wir können die Probleme gern mumifizieren... :lol:
Was hältst du von dem Film?

Und - zurück zum Thema - lehnst du Zinsen als Preis für Geld ab? Es soll ja Leute geben, die von Zinserträgen ziemlich gut leben können. Andere werden von Zinsen aufgefressen.

JackSparrow
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#8 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von JackSparrow » Mi 28. Mär 2018, 21:11

Novalis hat geschrieben:der Islam wird als Bedrohung an die Wand gemalt, obwohl stattdessen Kapitalismuskritik notwendig wäre. Wir müssen aufwachen und die wirklichen Fragen stellen:
1. Warum stammen 4 von 5 Terroristen aus dem islamischen Millieu?
2. Warum respektieren 4 von 5 angeblich hilfesuchenden islamischen Flüchtlingen weder unsere Frauen noch unsere Demokratie?
3. Warum jammern Leute im Internet über den Kapitalismus, anstatt einfach in die Politik zu gehen, dem Volk ihre überzeugenden Alternativen vorzustellen und sich dann demokratisch wählen zu lassen?

Daran ist der Islam garantiert nicht Schuld. Im Gegenteil: er könnte ein Teil der Lösung sein, da die Zakāt (die Unterstützung der Bedürftigen durch eine für alle Muslime verpflichtende Sozialabgabe) zu den 5 Säulen des Islam gehört.
Solch eine Sozialversicherung zur Unterstützung Bedürftiger sollte unbedingt auch im bösen kapitalistischen Deutschland eingerichtet werden.

Novas
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#9 Re: Wir brauchen Kapitalismuskritik und nicht Islamkritik

Beitrag von Novas » Mi 28. Mär 2018, 22:03

SamuelB hat geschrieben:Wir können die Probleme gern mumifizieren... :lol:

Das versucht doch schon Merkel. Nur ist es da eine Muttifizierung :lol: aber das ist sicher vergleichbar mit einer Mumifizierung.

Und - zurück zum Thema - lehnst du Zinsen als Preis für Geld ab? Es soll ja Leute geben, die von Zinserträgen ziemlich gut leben können. Andere werden von Zinsen aufgefressen

Ich denke, dass das Kapital dem Menschen dienen sollte und nicht der Mensch dem Kapital. Ein Wirtschaftsmodell sollte das Gemeinwohl an die erste Stelle setzen und ein „Gleichgewicht zwischen den Extremen“ in allen Dingen erstrebt werden. Nach dem Scheitern des Kommunismus schien der Kapitalismus der Gewinner der Geschichte zu sein, weshalb Francis Fukuyama vor einigen Jahren noch von „dem Ende der Geschichte“ schrieb. Der „American Way of Life“ sei das bestmögliche System (Vgl. Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir? Verlag Kindler 1992). Er ging davon aus, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die ganze Welt die Lebensphilosophie des Westens, einschließlich seines Witschaftssystems, als vollkommen alternativlos übernehmen würde. Doch ist diese Aussage richtig, wenn wir uns den Zustand der Welt anschauen? Das halte ich für sehr zweifelhaft. Interessant finde ich, dass ausgerechnet Papst Franziskus zum großen Stichwortgeber wurde:

„Ach, wie möchte ich eine arme Kirche für die Armen!“

In diesem Falle hat er den Puls der Zeit richtig erfühlt. Noch wesentlich kritischer war jedoch der Satz in seinem apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ (die Freude des Evangeliums): „Diese Wirtschaft tötet.“ die Medien haben sofort mit Empörung reagiert und ihn als Marxist tituliert, obwohl er einfach nur Jesus beim Wort nimmt, wie oben aufgeführt (Lk 16, 13) „Kapitalismus“ ist zweifellos ein umstrittener Begriff. Ich verwende ihn im Sinne des französischen Sozialisten Louis Blanc (1811-1882) der den Kapitalismus als „die Aneignung des Kapitals durch die einen unter Ausschluss der anderen“ verstand (was dann kein wirklich „freier Markt“ und keine wirklich „soziale Marktwirtschaft“ sein kann). Wenn ein Wirtschaftsmodell darauf ausgerichtet ist, immer mehr und immer schneller zu produzieren und zu konsumieren, egal ob es nützlich oder unnütz, schädlich oder sogar tödlich ist, ohne an das Wohl des Menschen zu denken, dann kann ich damit sowohl auf der Basis der Vernunft, als auch meiner religiösen Werte nicht einverstanden sein.

Gewisse Wertvorstellungen dürfen nicht zur Disposition stehen. Heute befinden wir uns in einem globalen Kampf für soziale Gerechtigkeit, Frieden, Umweltschutz und eine menschenwürdige Zukunft und vorallem die Kinder Abrahams sollten einander dabei die Hände reichen. Wenn sie das jetzt nicht kapieren, wann denn dann? Zu deiner Frage: alrahman.de: Riba im Koran – Zins oder Wucherzins? „riba“ ist der arabische Begriff für Zins oder Wucher. Der Vers 2:275 aus dem Koran spricht das an:

2:275 Diejenigen, die die Riba verzehren, stehen nicht anders da, als wie derjenige dasteht, der vom Teufel durch Erfassung erschlagen ist. Dies deswegen, weil sie sagten, der Handel sei wie die Riba. Doch Gott erlaubte den Handel und verbot die Riba …

Ebenso gibt es weitere Stellen, die zu beachten sind (2:261-281, 3:130-133, 30:39 und 4:161-162)
der Qur’an fordert das Zinsverbot (2: 275-279; 3: 130) unmissverständlich, doch das gilt im Grunde auch für Juden und Christen nach Deuteronomium, Kapitel 23, Absatz 20 und 21. Welche genauen Wirkungen hat die Verzinsung auf die Ökonomie? Und inwiefern wird eine von Verzinsung befreite Gesellschaft produktiver, stabiler und gerechter werden? Sehr sympathisch finde ich die Ideen von Jacque Fresco, einer der wohl interessanten Zukunftsforscher, Gründer von „The Venus Project“, in welchem er die Idee einer ressourcenbasierten Wirtschaftsordnung beschreibt.



Die Ressourcenbasierte Wirtschaft

Wir rufen zu einer ehrlichen Neugestaltung unserer Kultur auf, in der die uralten Unzulänglichkeiten des Krieges, der Armut, des Hungers, der Schuld und der unnötigen Leiden der Menschen nicht nur als vermeidbar, sondern auch als absolut inakzeptabel gesehen werden. Alles andere hat lediglich den Fortbestand derselben Probleme zur Folge, die unserem jetzigen System innewohnen. - Jacque Fresco

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