alles fliesst...

Literatur, Malerei, Bildhauerei
Lena
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#131 Re: alles fliesst...

Beitrag von Lena » Sa 8. Apr 2017, 16:53

erbreich hat geschrieben: Irgendetwas bewegt mich seit 30 Jahren mich alle ca. fünf Jahre zu "erneuern", indem ich mich - auch äusserlich - von alten "Zöpfen" verabschiede. Ist schon fast ein Ritual... könnte aber gut sein, dass es diesmal das letzte Mal gewesen ist und ich diesen alten Zopf des jahrelangen Wuchern-Lassens von Haar und Bart diesmal definitiv hinter mir lasse... (das gegenwärtige Avatar stammt übrigens von 1987 und ist nach dem ersten Kahlschlag entstanden).

Danke für die Info. Spannend. So passiert einem im Alter das vielleicht nicht was ich gestern im Altersheim erlebte: Eine junge Frau wollte eine Bewohnerin zum Duschen/Baden abholen. Die alte Dame war total entrüstet. Eine andere hätte ihr gesagt sie würde sie baden. Das mache sie jetzt ganz durcheinander. So ging das mit oftmaligen Wiederholungen weiter. So viel ich von ihr weiss ist sie nicht dement. Ich denke, mit der Zeit, vor allem wenn man nicht mehr so viel neues erlebt, wird man eigen. Hält sich an kleinen Dingen fest, die im Grunde genommen nicht wirklich wichtig sind. Das sehe ich heute schon bei mir und versuche mich dagegen zu wehren, indem ich bewusst das neue und andere bejahe und nicht auf gewohntem beharre.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

erbreich
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#132 Re: alles fliesst...

Beitrag von erbreich » So 9. Apr 2017, 06:58

Lena hat geschrieben:Ich denke, mit der Zeit, vor allem wenn man nicht mehr so viel neues erlebt, wird man eigen. Hält sich an kleinen Dingen fest, die im Grunde genommen nicht wirklich wichtig sind.
Ja, an Dingen, die keinen wahren Halt bieten können, weil sie veränderlich und vergänglich sind.

Das sehe ich heute schon bei mir und versuche mich dagegen zu wehren, indem ich bewusst das neue und andere bejahe und nicht auf gewohntem beharre.
:thumbup:
Loslassen. Immer und immer wieder. Nicht anhaften.
Was hart wird, zerbricht.
Was nicht hart wird - sich nicht der Illusion des Beharrens hingibt - fliesst... (womit wir wieder beim Thema wären).

Novas
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#133 Re: alles fliesst...

Beitrag von Novas » So 9. Apr 2017, 07:13

erbreich hat geschrieben:
Lena hat geschrieben:Ich denke, mit der Zeit, vor allem wenn man nicht mehr so viel neues erlebt, wird man eigen. Hält sich an kleinen Dingen fest, die im Grunde genommen nicht wirklich wichtig sind.
Ja, an Dingen, die keinen wahren Halt bieten können, weil sie veränderlich und vergänglich sind.

Das sehe ich heute schon bei mir und versuche mich dagegen zu wehren, indem ich bewusst das neue und andere bejahe und nicht auf gewohntem beharre.
:thumbup:
Loslassen. Immer und immer wieder. Nicht anhaften.
Was hart wird, zerbricht.
Was nicht hart wird - sich nicht der Illusion des Beharrens hingibt - fliesst... (womit wir wieder beim Thema wären).


Einverstanden :thumbup: Möge der Schöpfer seine herrlichsten Segnungen zu Dir rüber fließen lassen, mein reicher Bruder.
Auf der Welt gibt es nichts, was weicher und dünner ist, als Wasser. Doch um Hartes und Starres zu bezwingen, kommt nichts diesem gleich. Daß das Schwache das Starke besiegt, das Harte dem Weichen unterliegt, jeder weiß es, doch keiner handelt danach[...]Das Harte und Starre begleitet den Tod. Das Weiche und Schwache begleitet das Leben[...]dem wahrhaft Vollkommenen strömt alles zu. ~ Lao Tse
Quelle

Bild


Jesus hat das zweifellos genau so gesehen, denn er hat die Begriffe Weg, Wahrheit und Leben aufeinander bezogen. Die Wahrheit ist demnach ein Lebensweg, sie ist in lebendiger Bewegung und entfaltet sich, in dem der Mensch sich bewusst dafür entscheidet den Weg zu gehen. Die frühen Christen nannten sich die Gemeinschaft auf dem Weg. Solch ein Weg ist für mich der Glaube Jesu, der das Bewusstsein des Menschen öffnet und weitet für die Lebensfülle, nicht ein starres Glaubenssystem. Der Mensch wächst hinein in die Wahrheit, wie ein Baum, der dem Licht entgegen wächst und dabei immer mehr Früchte hervor bringt. Wie ein Fluss ins größere Meer mündet, so vereinigt sich die Seele mit Gott. Dabei gibt sie ihre begrenzte Identität auf (durchaus im buddhistischen Sinne: das kleine, vergängliche Selbst, welches sich von der restlichen Existenz als getrennt und unabhängig erlebt, wird als Illusion durchschaut, die Lehre von Anātman), aber dabei verliert sie sich nicht, sondern sie gewinnt ihre größere Identität, ihr wahres Selbst und wahres Sein.

„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20)

Ich denke bei diesen Worten des Heiligen Paulus (Friede sei mit Ihm) immer wieder an dieses Zen-Koan:

Zeig mir dein Urangesicht vor der Geburt deiner Eltern

CHRISTUS = DAS URANGESICHT, kannst Du mit dieser Formel etwas anfangen? Das ähnelt sehr diesem schönen Kurzgedicht von Rose Ausländer:


Vor seiner Geburt

war Jesus

auferstanden

Sterben gilt

nicht

für Gott

und seine Kinder

Wir sind Auferstandene

vor unserer Geburt


~ Rose Ausländer

Dazu sei gesagt, dass das Wort Auferstehung von vornherein impliziert, dass wir wieder und wieder aufstehen und uns an rein gar nichts in dieser Welt bleibend klammern, da unsre wahre Heimat woanders ist. Dem Auferstandenen kann nur folgen, wer selbst zum immerfort Auferstehenden wird. Noch sind wir zu Hause, in dieser Welt in der alles verfließt, aber wirklich daheim sind wir im Himmel :) So wie das wahre Heimatland von Meeresfischen nicht das Aquarium im Zoo, sondern der große weite Ozean ist. Der Dichter Novalis, nach dem ich mich hier benannte, fasste es im Heinrich von Ofterdingen in einem Satz zusammen:

»Wo gehn wir denn hin?« »Immer nach Hause.«

Oder wie Buddhisten zu sagen pflegen: „nibbāna“ oder „das reine Land“ (im Reine-Land-Buddhismus)

erbreich
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#134 Re: alles fliesst...

Beitrag von erbreich » So 9. Apr 2017, 18:21

Novalis hat geschrieben: Die Wahrheit ist demnach ein Lebensweg, sie ist in lebendiger Bewegung und entfaltet sich, in dem der Mensch sich bewusst dafür entscheidet den Weg zu gehen.
Ja, Wahrheit ist gelebte Wirklichkeit.

so vereinigt sich die Seele mit Gott. Dabei gibt sie ihre begrenzte Identität auf (durchaus im buddhistischen Sinne: das kleine, vergängliche Selbst, welches sich von der restlichen Existenz als getrennt und unabhängig erlebt, wird als Illusion durchschaut, die Lehre von Anātman), aber dabei verliert sie sich nicht, sondern sie gewinnt ihre größere Identität, ihr wahres Selbst und wahres Sein.
Ich kann diese Ausdrucksweise von dir schon annehmen, Novalis, und ich akzeptiere, dass du das so siehst. Es ist aber nicht "buddhistisch", diesen Anspruch kannst du meines Erachtens nicht erheben. Anatta - Nicht-Ich - und Sunnata - Leerheit - sind umfassend und gelten nicht bloss für ein "kleines, vergängliches Selbst" und dann wird doch ein absolutes Atta (wahres Wesen, wahres Selbst, ewige Seele) definiert. Auch nibbana ist anatta und sunnata, also eben ohne ein Selbst, leer an einem Selbst.

Wohl kann der Buddhist Buddha als Personifizierung von nibbana ansehen, wenn er jedoch ein ernsthafter Buddhist ist, dann weiss er auch, dass - übrigens laut Buddhas eigener Erklärung im Palikanon - "der Buddha in Tat und Wahrheit nicht einmal zu Lebzeiten (des Siddharta Gotama) gefunden werden kann", und, wie er weiter sagt, "wie viel weniger erst nach dem Erlöschen der Daseinsgruppen" (die mit dem Namen Gotama benannt werden).

„Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2,20)
Ja, da ist die "Selbstverleugnung" ein Stück weit getätigt, nur sollte nun "Christus" nicht wiederum als ein Selbst verstanden werden, das dann an die Stelle des ursprünglich gewähnten tritt. Da bewegt sich Paulus, wenn er es denn so verstanden haben sollte, "vom Regen in die Traufe"...

CHRISTUS = DAS URANGESICHT, kannst Du mit dieser Formel etwas anfangen?
Als Buddhist kann ich mit überhaupt keinem vermeintlichen UR- (Anfang oder Ur-was-auch-immer) etwas anfangen. Einen Uranfang oder ein Urangesicht oder ein Urwesen (wie z.B. ein Schöpfergott) wird vom Buddha nicht gelehrt. Er lehrte die anfangslose bedingte Entstehung. Die Selbst- und Kernlosigkeit alles Seins zusammen mit der anfangslosen abhängigen Bedingtheit - und der abhängigen Befreiung - ergibt für mich ein klares Weltbild. Es fällt mir aber nicht schwer, mir Gott als einen Uranfang vorzustellen und dann wiederum als Heimathafen, in den der Mensch zurückkehrt. Und Christus als Urangesicht, in das der Christ verwandelt wird. Nur ist es nicht meine Sprache, nicht mein Symbolismus, denn ich bevorzugt zum Verstehen des Lebens benütze.

...da unsre wahre Heimat woanders ist...
»Wo gehn wir denn hin?« »Immer nach Hause.«
Oder wie Buddhisten zu sagen pflegen: „nibbāna“ oder „das reine Land“ (im Reine-Land-Buddhismus)
Wie schon mehrmals gesagt: Nibbana ist nicht meine "Heimat", und zwar, weil da keiner ist, der Nibbana als "Heimat" bezeichnen und erleben könnte. Der Begriff "Heimat" bedingt eine Person, die diese Heimat empfinden, wahrnehmen und in ihr leben könnte: ein atta oder atman eben, eine "Seele", die in diese Heimat eingehen könnte. In Nibbana kann nichts und niemand eingehen. Nibbana ist frei von allem Etwas, eben leer an einem Ich oder Selbst. Und: Das "Reine Land" ist kein synonymer Begriff für Nibbana, bestenfalls ist es quasi als "Sprungbrett zu Nibbana" zu sehen.

Aber als Metapher, als Sinnbild, als mythologischer Symbolismus kann ich alle diese personalen Beschreibungen der Befreiung durchaus stehen lassen. Und ich habe ja auch selber Zeiten erlebt, in denen es mir eine grosse Hilfe gewesen ist, "Gott" anzusprechen und ihn zu "hören" - etwa so, wie ich als kleiner Junge meinen Teddybär angesprochen habe und er mir Antwort gegeben hat. Ich meine das nicht sarkastisch oder herablassend: Diese Gespräche mit dem Teddy waren dem kleinen Jungen oft eine grosse Hilfe und Stütze und daran ist nichts falsch oder lächerlich.

Es lässt sich kaum aus der Welt schaffen, dass die theistischen Religionen die phänomenale Weltwahrnehmung personifizieren, während der Buddhismus (und auch die Wissenschaft - ist das korrekt, Pluto?) die personale Weltwahrnehmung als blosse energetische (und chemische) Phänomene entlarven. Ich finde, das soll auch so sein und bleiben dürfen. Jede der beiden Wahrnehmungsweisen hat ihre Zeiten der Zweckdienlichkeit und ihre Zeiten der Unzweckmässigkeit.

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