die schatten der wahrheit

Literatur, Malerei, Bildhauerei
erbreich
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#1 die schatten der wahrheit

Beitrag von erbreich » Sa 24. Jun 2017, 12:13

die schatten der wahrheit
sie leuchten nicht
im dunkel
und zeigen nicht
den weg ans licht

sie führen viel mehr
mich ins gericht
wo bekennend
in tränen
ich busse tu
und schliesslich umkehr
und eingeh
in tiefe ruh

doch immer noch
fehlt
zur freude
das licht
und trauer
und müdigkeit
umgeben mich

dicht

ist der nebel
die schleier sind schwer
die nacht bleibt
dunkel
der dämonen heer
lagert sich um mich
in meinem verlies

gefangen

in reue
in scham
und in wut
hab ich bekannt zwar
was not mir tut

doch
immer noch
weigert mein herz
sich
zu tun
was verstand
und gewissen
und gott
vor mich stellen
als offenen weg
den zu gehen ich hätte
wenn ich den mut
und die kraft
und den willen
dieses zu tun
und jenes zu lassen
doch endlich ergreifen
und in tat und wahrheit
ihn treten würde

den weg

der ich bin
der ich bin da

heisst

und nur darauf wartet
dass ich ihn tretend
bilde
und bildend geh
geh! geh!
ruft dreimal mir zu
der mich ins licht zu führen gedenkt
und mich eingehen sehen möcht
in meine ruh
die die seine ist
und für mich
den christ
genauso da
wie für jeden
andern
der dies

nicht ist

der teufel
ausserhalb meiner
nein
tief in mir drin
dieser satan sitzt
und munkelt
und dunkelt
und flüstert
und quält
meine seele
mein gewissen
mein herz
meinen geist
und mein körper leidet
und schmerzt
und ist schwer
von seinen lügen
die mich betrügen
wollen
doch bleibe ich standhaft
stehen

in meiner haft

er wütet
und tobt
um mich
wie ein gast
ohne anstand
der kommt
in das meine
das gottes sohn
schon längst sich
zum seinen
erkoren zum lohn

doch jener wilde dunkle fürst
pocht auf sein recht
aus sohnesstand
den er verspielt

durch eigne hand

wollt er das land
gewinnen
das sein erbe längst schon wär gewesen
und in wut entbrannt
der träger
des lichts

doch achtung:

trägt er denn nicht heute noch
das licht
das er zwar selber nicht
ist
doch sein bruder
er ist’s!

der teufel
unter qualen
obschon er’s nicht will
trägt
das kreuz
daran geschlagen
sein bruder des lichts
sterbend ruft:
es ist vollbracht!

so komm nun zur ruhe
mein freund
und gequälter
dein bruder ist tot
und auferstanden
ins ewige licht
zur seite des vaters

siehst du ihn nicht?

das kreuz
mit dem toten
bruder
du trägst
einen schemen
vergangenheit

die gegenwart aber
ist licht und leben

von sterben
befreit
er auch dich
du dunkler

dein vater vergibt
und nimmt dich an
auf dass er alles
in allen
sein kann

erbreich - 06.02.07

Novas
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#2 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von Novas » Sa 24. Jun 2017, 12:57

erbreich hat geschrieben:so komm nun zur ruhe
mein freund
und gequälter
dein bruder ist tot
und auferstanden
ins ewige licht
zur seite des vaters

siehst du ihn nicht?

das kreuz
mit dem toten
bruder
du trägst
einen schemen
vergangenheit

die gegenwart aber
ist licht und leben

von sterben
befreit
er auch dich
du dunkler

dein vater vergibt
und nimmt dich an
auf dass er alles
in allen
sein kann

erbreich - 06.02.07


Genial, vor allem das Ende :thumbup: habe ich Recht mit der Annahme, dass Du hier die dunkle Nacht der Seele beschrieben hast, sowie den Moment der Läuterung und Umkehr ins Licht? Deine Worte erinnern mich an das Gedicht „Die Auferstandenen“ von Rose Ausländer:

Wo sind

Die Auferstanden

Die ihren Tod

Überwunden haben

Das Leben liebkosen

Sich anvertrauen

Dem Wind.

Kein Engel

Verrät

Ihre Spur.

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fin
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#3 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von fin » Sa 24. Jun 2017, 13:02

Lieber erbreich, alle Achtung.

Mir würde es helfen, wenn du es noch zeitlich (biographisch) einordnen könntest, in Bezug auf deine Abkehr vom Christentum und Hinwendung zum Buddhismus. Vielen Dank.

erbreich
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#4 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von erbreich » Sa 24. Jun 2017, 13:53

Novalis hat geschrieben:habe ich Recht mit der Annahme, dass Du hier die dunkle Nacht der Seele beschrieben hast, sowie den Moment der Läuterung und Umkehr ins Licht?
Ja, die - in irgendeiner Form - immer wieder zu erlebende "Dunkle Nacht" oder das - immer mal wieder - zu durchquerende "finstere Tal" (s. Psalm 23). Danke für den Text von Rose Ausländer.

@ fin
Im Laufe des Jahres 2007 (der Text ist vom Februar) habe ich meine vorherige (1979 bis 1999) satipatthana-vipassana-Meditationspraxis wieder aufgenommen. Dabei möchte ich festhalten, dass es für mich heute keine Abkehr mehr gibt von den einzelnen Phasen meines Lebensweges: Alles hatte - und hat noch immer - seine Zeit und seinen Wert und ist integraler Bestandteil meiner heutigen Existenz.

Novas
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#5 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von Novas » Sa 24. Jun 2017, 14:02

erbreich hat geschrieben:Dabei möchte ich festhalten, dass es für mich heute keine Abkehr mehr gibt von den einzelnen Phasen meines Lebensweges: Alles hatte - und hat noch immer - seine Zeit und seinen Wert und ist integraler Bestandteil meiner heutigen Existenz.

Das geht mir ähnlich. Die Beschäftigung mit anderen Religionen hat mein Christsein verfeinert und vertieft. Ich bin sehr dankbar dafür, denn darin erkenne ich die göttliche Gnade, die in meinem Leben wirkt. Wenn jemand lieber sein ganzes Leben auf einen bestimmten religiösen Tellerrand begrenzt bleibt, dann akzeptiere ich das, aber ich könnte das nicht.

Das würde Leid (duḥkha) für mich bedeuten, denn es liegt in der Natur der Liebe das Andere kennenlernen zu wollen, sich immer weiter auszudehnen und immer größere Kreise der Einheit zu ziehen, wie es die tanzenden Derwische zum Ausdruck bringen.

Heut ist Reigen, Tanz ist, Tanz ist, Tanz!
Licht ist heut und Glanz ist, Glanz!
Abschied von Verstand ist, vom Verstand,
Weil die Liebe ganz ist, ganz ist, ganz."
(Rumi, Gedicht Nr. 18 in "Traumbild des Herzens")
Zuletzt geändert von Novas am Sa 24. Jun 2017, 14:23, insgesamt 1-mal geändert.

erbreich
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#6 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von erbreich » Sa 24. Jun 2017, 14:22

Lieber Novalis, es zeigt sich ja seit vielen Jahren, dass wir uns in unserer je eigenen Spiritualität nicht sehr weit entfernt voneinander bewegen. Ich kann dich jedenfalls meist sehen (manchmal mithilfe eines Fernrohrs), und wenn ich dich aus den Augen verloren habe, tauchst du im nächsten Moment wieder um die Ecke auf und wir können uns zuwinken. Ich finde das schön. :)

...und danke für den Link, habe das Sufi-Music-Video gleich meiner "Musik für die Seele" - Playlist hinzugefügt. Im Moment läuft es im Hintergrund.

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#7 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von fin » Sa 24. Jun 2017, 14:43

-- Schöne Verbindungen --

erbreich hat geschrieben: Ich kann dich jedenfalls meist sehen (manchmal mithilfe eines Fernrohrs), ...
Spoiler
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Bild
Dann sehe ich ihn auch ...
Rose und Fuchs sollten sich auch irgendwo tummeln.

erbreich hat geschrieben:Alles hatte - und hat noch immer - seine Zeit und seinen Wert und ist integraler Bestandteil meiner heutigen Existenz.
Ja, verstehe.

Aber gab es in deinem Leben nicht einen Zeitpunkt oder Zeitfenster, wo du dich vom Christentum losgelöst und Frieden im Buddhismus fandest oder erinnere ich das falsch. Mich würde sehr interessieren, wo du dich auf deinem spirituellen Lebensweg befunden hast, als du besagtes Gedicht geschrieben hast.

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#8 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von Novas » Sa 24. Jun 2017, 15:48

fin hat geschrieben:-- Schöne Verbindungen --

erbreich hat geschrieben: Ich kann dich jedenfalls meist sehen (manchmal mithilfe eines Fernrohrs), ...
Spoiler
Zeigen
Bild
Dann sehe ich ihn auch ...
Rose und Fuchs sollten sich auch irgendwo tummeln.

erbreich hat geschrieben:Alles hatte - und hat noch immer - seine Zeit und seinen Wert und ist integraler Bestandteil meiner heutigen Existenz.
Ja, verstehe.

Aber gab es in deinem Leben nicht einen Zeitpunkt oder Zeitfenster, wo du dich vom Christentum losgelöst und Frieden im Buddhismus fandest oder erinnere ich das falsch. Mich würde sehr interessieren, wo du dich auf deinem spirituellen Lebensweg befunden hast, als du besagtes Gedicht geschrieben hast.


Vielleicht befand er sich hier:

Bild

http://findinggraceatthecenter.com/even ... dyashanti/

Sehr hervorhebenswert:


Jesus und Buddha: Die Integration der Pfade von Buddha und Christus

• Der Buddha und der Christus sind Symbole für zwei spirituelle Ansätze, die verschiedene Facetten / Ansätze des Wegs zur Klarheit über das Leben / die Wirklichkeit / "Gott" hervorheben,
• Der Buddha ist derjenige, der "auf und aussteigt", indem er das Meer von Samsara überschreitet. Der Christus ist derjenige, der "hinunter und hinein" das gleiche Meer von Samsara / menschlichen Zustand / Leiden hinabsteigt, um die göttliche Menschlichkeit mitleidig zu verkörpern und den menschlichen Zustand zu umarmen, um denen zu dienen, die in Unwissenheit verloren sind. Du brauchst beide Ansätze ... Das braucht das andere. Sie sind gegenüberliegende Seiten der "Münze" des Erwachens.
Zuletzt geändert von Novas am Sa 24. Jun 2017, 15:56, insgesamt 1-mal geändert.

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#9 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von fin » Sa 24. Jun 2017, 15:52

Novalis hat geschrieben:
fin hat geschrieben:-- Schöne Verbindungen --

Bild

http://findinggraceatthecenter.com/even ... dyashanti/

und Entsprechungen - ich innere mich!

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#10 Re: die schatten der wahrheit

Beitrag von erbreich » Sa 24. Jun 2017, 20:50

fin hat geschrieben:Mich würde sehr interessieren, wo du dich auf deinem spirituellen Lebensweg befunden hast, als du besagtes Gedicht geschrieben hast.
Ich habe mich am Ende meines (insgesamt 7 Jahre dauernden) Weges im evangelikal-charismatischen Umfeld befunden. Der Text "die schatten der wahrheit" entstand 12 Tage vor dem Beginn der hier bereits als "Poetische Katharsis"verlinkten metanoia (in der Bedeutung von Sinnesänderung, Wandlung, Umkehr) zu meiner vorher bereits 20 Jahre gedauert habenden buddhistischen Meditationspraxis.

Wie Novalis seine verschiedenen spirituellen Erfahrungen in sein christliches Lebensverständnis integriert, so integriere ich meine christliche Erfahrung in mein buddhistisches Lebensverständnis (in das ich 1979 im Alter von 21 Jahren eingetreten bin).

Bild

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