Goethe: Prometheus und Ganymed

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closs
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#1 Goethe: Prometheus und Ganymed

Beitrag von closs » Mi 30. Okt 2013, 22:06

Thema abgetrennt aus: Unterordnung


Demian hat geschrieben:Das ist keine Idealisierung der Dummheit, sondern eine Zurechtweisung des unseligen Anthropozentrismus. Das gilt auch oder vorallem für Christen die mit Bibelzitaten um sich werfen ...
Exakt. - Und es gilt auch für den Anthropozismus der Wissenschaften, die die Welt monopolistisch nach ihrem Bilde gesehen haben will. - Diese Art von Anthropozismus weltlicher Weisheit thematisiert auch Goethe:

Prometheus

Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöh'n!
Mußt mir meine Erde
Doch lassen steh'n,
Und meine Hütte,
Die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Glut
Du mich beneidest.

Ich kenne nichts Ärmeres
Unter der Sonn' als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich

Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Toren.

Da ich ein Kind war,
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Kehrt' ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär
Ein Ohr zu hören meine Klage,
Ein Herz wie meins,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.

Wer half mir
Wider der Titanen Übermut?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du's nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest, jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden dadroben?

Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Tränen gestillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herren und deine?

Wähntest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehn,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Blütenträume reiften?

Hier sitz' ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,

Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!

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Demian
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#2 Re: Unterordnung

Beitrag von Demian » Mi 30. Okt 2013, 22:24

closs hat geschrieben:Diese Art von Anthropozismus weltlicher Weisheit thematisiert auch Goethe

Gut, dass Du geschrieben hast: er thematisierte diesen Anthropozismus. Eine Christin sagte mir mal, dass sie zwar seine Leiden des jungen Werther verehren würde, aber Goethe ansonsten ablehne, aufgrund seiner Gottlosigkeit - als Beweismaterial diente dieses Gedicht. Aber ein Dichter stellt nicht seine persönliche Meinung dar, sondern ein Sujet - er fühlt sich ein in alles mögliche ( Baudelaire thematisierte in seinen Les Fleurs du mal das Böse - allerdings um aus Empörung beim Leser das Gute zu provozieren; damals hat man das nicht verstanden und sein großartiges Werk verboten ) - vorallem Goethe war sehr oft mit sich uneins und blieb zeitlebens ein Suchender. Ich glaube Zeus brachte hier mal ein Goethezitat, in dem er sich kritisch über Jesus äußerte - aber gerade das ist bei ihm unangebracht, weil er sich oft selbst widersprach. An anderer Stelle sagte er mal, die Bibel sei ihm zeitlebens eine Quelle der Weisheit gewesen. :)

closs
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#3 Re: Unterordnung

Beitrag von closs » Mi 30. Okt 2013, 22:37

Pluto hat geschrieben:Das sieht Popper aber anders
Popper meint doch gerade die Welt-Weisheit.

Pluto hat geschrieben:Verstehe nicht was du damit meinst.
Laut ZEIT wurde dieser Begriff geprägt, um auf eine nächste Periode der Menschheit hinzuweisen, in der der Mensch als Hybrid zwischen Mensch und Maschine bzw. mit von vorneherein getunten Genen als zielwürdig erscheint.

Demian hat geschrieben: als Beweismaterial diente dieses Gedicht.
Da hat diese Christin übersehen, dass man "Prometheus" nur zusammen mit "Ganymed" lesen darf:


Ganymed

Wie im Morgenglanze
Du rings mich anglühst,
Frühling, Geliebter!
Mit tausendfacher Liebeswonne
Sich an mein Herz drängt
Deiner ewigen Wärme
Heilig Gefühl,
Unendliche Schöne!
Daß ich dich fassen möcht'
In diesen Arm!



Ach! an deinem Busen
Lieg' ich, schmachte,
Und deine Blumen, dein Gras
Drängen sich an mein Herz.
Du kühlst den brennenden
Durst meines Busens,
Lieblicher Morgenwind!
Ruft drein die Nachtigall
Liebend nach mir aus dem Nebeltal.
Ich komm', ich komme!
Wohin? Ach, wohin?

Hinauf! Hinauf strebt's.
Es schweben die Wolken
Abwärts, die Wolken
Neigen sich der sehnenden Liebe.
Mir! Mir!
In eurem Schoße
Aufwärts!
Umfangend umfangen!
Aufwärts an deinen Busen,
Alliebender Vater!


Demian hat geschrieben: weil er sich oft selbst widersprach
Ich weiß nicht, ob das so richtig ist. - Ich würde eher sagen, dass er dialektisch (also perspektivisch) gearbeitet hat - und da kommt es zu Widersprüchen - siehe Prometheus und Ganymed.

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#4 Re: Unterordnung

Beitrag von Demian » Mi 30. Okt 2013, 22:50

closs hat geschrieben:Ich weiß nicht, ob das so richtig ist. - Ich würde eher sagen, dass er dialektisch (also perspektivisch) gearbeitet hat - und da kommt es zu Widersprüchen - siehe Prometheus und Ganymed.

Dichterisch gesehen ja - aber was seine persönliche Meinung angeht war er desöfteren Wandlungsprozessen unterworfen ( wohl auch nicht ganz frei von Selbstdarstellung, ebenso bei dem von mir verehrten Rainer Maria Rilke ). Mancher Christ könnte das als einen Mangel auslegen, für mich ist es eher eine glaubwürdige Art Dichtung und Wahrheit in ein sinnvolles Verhältnis zueinander zu bringen. Dichtung und Wahrheit hieß seine Biografie; die des Jesus von Nazareth könnte man ebenso betiteln. ;)

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#5 Re: Unterordnung

Beitrag von closs » Mi 30. Okt 2013, 22:55

Pluto hat geschrieben:Gibt es denn eine andere Weisheit?
Natürlich: Es gibt geistige Weisheit - also Weisheit in Bezug auf die eigene Existenz. - Ein Naturalist wie Popper blendet das aus - nicht sein Betätigungsfeld.

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