Die Seele und der Kapitalismus

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Novas
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#1 Die Seele und der Kapitalismus

Beitrag von Novas » Mo 18. Mai 2015, 15:42

»Ein weißer Amerikaner konnte es nicht erwarten, endlich ins Landesinnere vorzustoßen. Um früher an sein Ziel zu gelangen, zahlte er seinen Trägern ein zusätzliches Gehalt, damit sie schneller gingen, und über mehrere Tage lang legten die Träger ein
schnelleres Tempo vor.

Eines Abends jedoch setzten sie sich alle auf den Boden, legten ihr Bündel ab und weigerten sich weiterzugehen. So viel Geld er ihnen auch anbot, die Träger rührten sich nicht von der Stelle. Als der Forscher sie schließlich nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, erhielt er folgende Antwort: ›Wir sind so schnell gegangen, dass wir nicht mehr recht wissen, was wir tun. Darum warten wir, bis unsere Seele uns eingeholt hat.‹«

Paul Coelho

ThomasM
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#2 Re: Die Seele und der Kapitalismus

Beitrag von ThomasM » Di 19. Mai 2015, 10:22

Novalis hat geschrieben:»Ein weißer Amerikaner konnte es nicht erwarten, endlich ins Landesinnere vorzustoßen. Um früher an sein Ziel zu gelangen, zahlte er seinen Trägern ein zusätzliches Gehalt, damit sie schneller gingen, und über mehrere Tage lang legten die Träger ein
schnelleres Tempo vor.

Eines Abends jedoch setzten sie sich alle auf den Boden, legten ihr Bündel ab und weigerten sich weiterzugehen. So viel Geld er ihnen auch anbot, die Träger rührten sich nicht von der Stelle. Als der Forscher sie schließlich nach dem Grund ihres Verhaltens fragte, erhielt er folgende Antwort: ›Wir sind so schnell gegangen, dass wir nicht mehr recht wissen, was wir tun. Darum warten wir, bis unsere Seele uns eingeholt hat.‹«

Paul Coelho
Daraufhin erhöhte der Amerikaner (Hinweis. weißer Amerikaner ist Rassismus) den Lohn nochmals um 10%.

Am nächsten Tag ging die Mehrzahl der Träger im schnelleren Tempo weiter. Sie sagten sich >Wir wissen zwar nicht, warum dieser Amerikaner ins Landesinnere vorstoßen will. Wir gehen dahin, um gutes Geld zu verdienen und unseren Kindern eine bessere Zukunft zu geben.<

Die Träger, die zurückblieben, sind beim Warten auf ihre Seele verhungert.

Ich
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Savonlinna
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#3 Re: Die Seele und der Kapitalismus

Beitrag von Savonlinna » Di 19. Mai 2015, 11:20

Einseitige Ablehnung oder Befürwortung des Kapitalismus halte ich für grundfalsch.

Man kann nicht sagen:
Der Kapitalismus ist gut, weil man ohne ihn seine Kinder nicht ernähren kann.
Oder: Der Kapitalismus ist schlecht, weil man durch ihn seine Seele verliert.

Der Thread ist in das Unterforum "Philosophie" eingeordnet worden, das gefällt mir, weil man da versuchen kann, dem Phänomen ein wenig auf den Grund zu kommen.

Meine momentanen Positionen:

a. Der Kapitalismus hat die "Entfremdung" mit sich gebracht, die Entfremdung zwischen Mensch und Mensch und zwischen Mensch und seiner Arbeit. Hier folge ich vor allem dem frühen Karl Marx, aber auch denen, die auf ihn in dieser Hinsicht aufgebaut haben, zum Beispiel Erich Fromm.
Immer dann, wenn man rein aus Leistungsgründen etwas tut - seinen Partner wählt, seine Arbeit wählt -, verliert der Mensch an das, was Novalis als "Seele" bezeichnet.

b. Der Kapitalismus ist entstanden, als die Menschen in Europa sich dermaßen vermehrt haben, dass viele verhungerten oder in elenden Wohnungen leben mussten.
Man erfand darum Maschinen, die mehr produzieren konnten, und so gab es auch mehr Nahrungsmittel, um die Menschen zu ernähren.

a. und b. zusammengenommen zeigen, dass der Kapitalismus Not linderte als auch neue Not schuf.
Diese beiden Seiten finden wir übrigens bei praktisch allen Dingen dieser Welt. Sie helfen in der einen Hinsicht und schaden in einer anderen.

Also muss man versuchen - und versuchte es auch -, die negativen Auswirkungen des Kapitalismus zu beseitigen.

Qualmten in meiner Jugend noch im Ruhrpott die Schornsteine giftiges Zeug fast ungebrochen heraus, sodass jede Straße anders stank und in Duisburg ein geparktes Auto tagsüber mit einer Drecksschicht überzogen wurde, so ist das heute nicht mehr der Fall.

Standen ebenfalls in meiner Jugend Menschen an den Fließbändern, die den ganzen Tag nur ein- und dieselbe Bewegung machten, so machen heute dieselbe Arbeit meistens Maschinen.

Dadurch wird der Mensch - wenn ich wieder die Begriffe des frühen Karl Marx benutze - instand gesetzt, seine "Entfremdung" zwischen Mensch und Arbeit aufzuheben, zumindest zu verbessern.
Er kann nach Arbeit suchen, die ihn als Mensch mehr erfüllt.
Es ist außerdem erreicht worden, dass der Arbeitstag keine 12 Stunden mehr vorschreibt und dass die Kinderarbeit bei uns verboten ist.
Das war zu Beginn der Industrialisierung noch anders.

Dass der Kapitalismus bis heute immer wieder neue Schäden produziert, steht für mich außer Frage.
Aber jedem einzelnen Schaden kann man begegnen und ihn auszuräumen suchen.

Historisch ist es nun einmal so gelaufen, dass erst der Kapitalismus die Möglichkeit schuf, dass alle Menschen ernährt werden können.
Das können wir nicht mehr ändern, und es ist auch die Frage, ob es überhaupt eine andere Möglichkeit gab.
Die heutige Aufgabe aber ist, dafür zu sorgen, dass jeder Schaden sowohl ins Auge gefasst - nicht weggeblendet - wird, als auch für ihn Lösungen zu suchen und diese umzusetzen.

Novas
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#4 Re: Die Seele und der Kapitalismus

Beitrag von Novas » Di 19. Mai 2015, 14:41

ThomasM hat geschrieben:>Wir gehen dahin, um gutes Geld zu verdienen und unseren Kindern eine bessere Zukunft zu geben.<

Die Kinder sind ein guter Ansatz. ;) Denn heute scheint nicht unbedingt die familien- und zukunftsweisende Politik zu dominieren... eher die Einstellung "nach mir die Sintflut"... das kann nicht der richtige Weg sein... wir sind ein Teil des (Göttlichen) Lebens auf dieser Erde und sollten sie schützen...

Schneller, höher und weiter ergibt nur Sinn, solange es dem Leben dient, sonst leben wir schließlich seelenvergessen an ihm vorbei... und fühlen uns nicht mehr als ein Teil von allem... wie eine bessere Zukunft aussehen könnte zeigt beispielsweise Jacque Fresco mit seinem "Venus-Projekt".

ThomasM
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#5 Re: Die Seele und der Kapitalismus

Beitrag von ThomasM » Di 19. Mai 2015, 22:08

Savonlinna hat geschrieben: Der Thread ist in das Unterforum "Philosophie" eingeordnet worden, das gefällt mir, weil man da versuchen kann, dem Phänomen ein wenig auf den Grund zu kommen.
Mein Verständnis von Philosophie ist, dass sie sich auch und gerade auf die Fahnen geschrieben hat, die Begriffe, mit denen man umgeht, zu klären, zu definieren.
Und genau diese Definition von Kapitalismus fehlt noch.

So hatten wir irgendwo eine Diskussion darüber, wo closs zum Ausdruck brachte, dass der "böse" Kapitalismus für ihn nur dann gegeben ist, wenn ein Super-Reicher arme Arbeitnehmer ausbeutet und ohne viel Leistung Milliarden kassiert, z.B. durch windige Kapitalgeschäfte.
Ich hatte dagegen gesetzt, dass Kapitalismus bereits wirkt, wenn ich etwas möglichst billig erwerben möchte oder wenn ich bei einem Handel möglichst viele Vorteile für mein Angebot bekommen will. Kapitalismus durchzieht also unser Leben wie ein roter Faden und ist ein Ausdruck des Eigennutz haben wollens.

In meiner Position gibt es den Kapitalismus bereits so lange, wie es Menschen gibt und er ist eine sehr starke Triebfeder, das Leben weiterzuentwickeln und zu verbessern. Ohne Kapitalismus hätte Marco Polo oder Kolumbus keine Reise unternommen, wären die meisten technischen erfndungen ausgefallen und wir würden noch in Höhlen sitzen und frieren. Dann kann er auch einen Amerikaner dazu treiben, möglichst schnell das Landesinnere zu erforschen, weil er sich eben erhofft, als erster an die dann sehr lukarativen Geschäfte heranzukommen.

Unter entsprechenden Voraussetzungen hat der Kapitalismus dann globale Auswirkungen und kann auch zu Phänomenen wie die Kapitalkrise oder die überschäumenden Boni führen. Alles eine Frage von Angebot und Nachfrage.

Savonlinna hat geschrieben: Also muss man versuchen - und versuchte es auch -, die negativen Auswirkungen des Kapitalismus zu beseitigen.
Einverstanden. Es geht nicht darum, den Kapitalismus zu verteufeln oder abzuschaffen, sondern die rahmenbedingungen so zu gestalten, dass er positiv wirkt. Was keinesfalls einfach ist. Denn leider sind die Marktmechanismen so kompliziert, dass sie keiner wirklich versteht - was man schon an den Diskussionen rund um die Griechenland Krise sieht.

Savonlinna hat geschrieben: Dass der Kapitalismus bis heute immer wieder neue Schäden produziert, steht für mich außer Frage.
Aber jedem einzelnen Schaden kann man begegnen und ihn auszuräumen suchen.
Es ist nicht der Kapitalismus, der die Schäden produziert.
Der Kapitalismus sorgt dafür, dass die Menschen nicht stehenbleiben, nicht erstarren, sondern nach neuen Wegen, neuen Möglichkeiten suchen.
Werden welche gefunden, kann man die Auswirkungen meist nicht übersehen.
Meist sieht man die Vorteile zuerst, die Nachteile aber erst später. Wenn die dann anfangen zu schmerzen, dann wird erst dagegen etwas getan.
Grund sind also die neuen Wege.

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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