Goethes Wertschätzung der Evangelien

Philosophisches zum Nachdenken
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Novas
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#1 Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von Novas » Di 26. Mai 2015, 07:22

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:J.W.v. Goethe
Genau so. - Weisst Du zufällig, wo er das sagt?

Johann Peter Eckerman: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens - Kapitel 330
Sonntag, den 11. März 1832 :wave:

http://gutenberg.spiegel.de/buch/-1912/330

"Wir wissen gar nicht«, fuhr Goethe fort, »was wir Luther und der Reformation im allgemeinen alles zu danken haben. Wir sind frei geworden von den Fesseln geistiger Borniertheit, wir sind infolge unserer fortwachsenden Kultur fähig geworden, zur Quelle zurückzukehren und das Christentum in seiner Reinheit zu fassen. Wir haben wieder den Mut, mit festen Füßen auf Gottes Erde zu stehen und uns in unserer gottbegabten Menschennatur zu fühlen. Mag die geistige Kultur nun immer fortschreiten, mögen die Naturwissenschaften in immer breiterer Ausdehnung und Tiefe wachsen, und der menschliche Geist sich erweitern, wie er will, – über die Hoheit und sittliche Kultur des Christentums, wie es in den Evangelien schimmert und leuchtet, wird er nicht hinauskommen!

Je tüchtiger aber wir Protestanten in edler Entwickelung voranschreiten, desto schneller werden die Katholiken folgen. Sobald sie sich von der immer weiter um sich greifenden großen Aufklärung der Zeit ergriffen fühlen, müssen sie nach, sie mögen sich stellen, wie sie wollen, und es wird dahin kommen, daß endlich alles nur Eins ist.

Auch das leidige protestantische Sektenwesen wird aufhören, und mit ihm Haß und feindliches Ansehen zwischen Vater und Sohn, zwischen Bruder und Schwester. Denn sobald man die reine Lehre und Liebe Christi, wie sie ist, wird begriffen und in sich eingelebt haben, so wird man sich als Mensch groß und frei fühlen und auf ein bißchen so oder so im äußeren Kultus nicht mehr sonderlichen Wert legen.

Auch werden wir alle nach und nach aus einem Christentum des Wortes und Glaubens immer mehr zu einem Christentum der Gesinnung und Tat kommen.«

Das Gespräch wendete sich auf große Menschen, die vor Christus gelebt, unter Chinesen, Indiern, Persern und Griechen, und daß die Kraft Gottes in ihnen ebenso wirksam gewesen als in einigen großen Juden des Alten Testamentes.
Auch kamen wir auf die Frage, wie es mit Gottes Wirkungen stehe in großen Naturen der jetzigen Welt, in der wir leben.

»Wenn man die Leute reden hört,« sagte Goethe, »so sollte man fast glauben, sie seien der Meinung, Gott habe sich seit jener alten Zeit ganz in die Stille zurückgezogen, und der Mensch wäre jetzt ganz auf eigene Füße gestellt und müsse sehen, wie er ohne Gott und sein tägliches unsichtbares Anhauchen zurechtkomme. In religiösen und moralischen Dingen gibt man noch allenfalls eine göttliche Einwirkung zu, allein in Dingen der Wissenschaft und Künste glaubt man, es sei lauter Irdisches und nichts weiter als ein Produkt rein menschlicher Kräfte.

Versuche es aber doch nur einer und bringe mit menschlichem Wollen und menschlichen Kräften etwas hervor, das den Schöpfungen, die den Namen Mozart, Raffael oder Shakespeare tragen, sich an die Seite setzen lasse. Ich weiß recht wohl, daß diese drei Edlen keineswegs die einzigen sind, und daß in allen Gebieten der Kunst eine Unzahl trefflicher Geister gewirkt hat, die vollkommen so Gutes hervorgebracht als jene Genannten. Allein, waren sie so groß als jene, so überragten sie die gewöhnliche Menschennatur in eben dem Verhältnis und waren ebenso gottbegabt als jene.

Und überhaupt, was ist es und was soll es? – Gott hat sich nach den bekannten imaginierten sechs Schöpfungstagen keineswegs zur Ruhe begeben, vielmehr ist er noch fortwährend wirksam wie am ersten. Diese plumpe Welt aus einfachen Elementen zusammenzusetzen und sie jahraus jahrein in den Strahlen der Sonne rollen zu lassen, hätte ihm sicher wenig Spaß gemacht, wenn er nicht den Plan gehabt hätte, sich auf dieser materiellen Unterlage eine Pflanzschule für eine Welt von Geistern zu gründen. So ist er nun fortwährend in höheren Naturen wirksam, um die geringeren heranzuziehen.«

Goethe schwieg. Ich aber bewahrte seine großen und guten Worte in meinem Herzen."

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Magdalena61
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#2 Re: Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von Magdalena61 » Mi 27. Mai 2015, 02:49

Goethe über die Bibel:
Jene große Verehrung, welche der Bibel von vielen Völkern und Geschlechtern der Erde gewidmet worden, verdankt sie ihrem inneren Werte. Sie ist nicht etwa nur ein Volksbuch, sondern das Buch der Völker, weil sie die Schicksale eines Volks zum Symbol aller übrigen aufstellt, die Geschichte desselben an die Entstehung der Welt anknüpft und durch eine Stufenreihe irdischer und geistiger Entwicklungen notwendiger und zufälliger Ereignisse bis in die entferntesten Regionen der äußersten Ewigkeit hinausführt.
(Geschichte der Farbenlehre)
Quelle
LG
God bless you all for what you all have done for me.

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sven23
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#3 Re: Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von sven23 » Sa 30. Mai 2015, 13:32

Goethe sah die Evangelien aber auch kritisch

"Es werden wohl noch zehntausend Jahre ins Land gehen, und das Märchen vom Jesus Christus wird immer noch dafür sorgen, daß keiner so richtig zu Verstande kommt."
(Johann Wolfgang Goethe, Dichter,1749-1832)

"Eine schöne Erfindung."
(Goethe)

"Du hältst das Evangelium, wie es steht, für die göttliche Wahrheit. Mich würde eine vernehmliche Stimme vom Himmel nicht überzeugen, dass das Wasser brennt und dass das Feuer löscht, dass ein Weib ohne Mann gebiert und dass ein Toter aufersteht. Vielmehr halte ich dieses für Lästerungen gegen den großen Gott und seine Offenbarung in der Natur".
(Goethe, an Lavater, 9.8.1782)

"Die Geschichte des guten Jesus hab ich nun so satt, dass ich sie von keinem, außer von ihm selbst, hören möchte".
(Johann Wolfgang von Goethe, dt. Dichter, 1749-1832)
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Novas
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#4 Re: Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von Novas » Sa 30. Mai 2015, 19:21

Magst Du auch die Quelle angeben, sodass jeder interessierte Leser nachschauen kann, wann er welche Kommtenare von sich gab? Die Gespräche mit Eckermann entstammen den letzten Jahren seines Lebens, weshalb wir sie als gesammelte Lebensweisheit des alten Goethe betrachten können.

"Nun sag, wie hast Du's mit der Religion?", ist die berühmte Gretchenfrage an Doktor Faust in seinem Lebenswerk, worin er sich vermutlich selbst beschreibt und das soetwas wie eine philosophia perennis (ewige Philosophie) sichtbar macht. Das zeigt, dass ihn diese Frage sein ganzes Leben lang beschäftigte - und auch im Faust wird sie letztlich offen gelassen, weil der Leser sich selbst auf Wahrheitssuche begeben muss.
»Wer immer strebend sich bemüht,/Den können wir erlösen.«

Ich würde ihn weder einseitig für oder gegen das Christentum einsetzen, damit wird man seinem reichhaltigen Leben und Denken nicht gerecht, denn er hat sich immer die Freiheit bewahrt eine neue Perspektive einzunehmen. Wenn man lebt und denkt, dann bleibt man in Bewegung... wie Dr. Heike Spies vom Goethe-Museum in Düsseldorf über seine Italien-Reise schreibt, wichtig war ihm: "die Begegnung mit der Gebäudestruktur, mit der Kunst, mit den Menschen und mit der Natur. Und so sieht er sich in diesem Winter 1786 alle Kirchen an und er ist auch in der Sixtinischen Kapelle unterwegs[...] In diesem Zusammenhang begegnet er ganz natürlich den Menschen, die eben dort auch beten, die die Heiligen dort besuchen. Er schließt sich beobachtend an. Es ist das Betrachten, das Wahrnehmen und die Erfahrung, nicht die Teilnahme. Goethe ist eher ein Beobachter von etwas Fremdem, um daraus auch für sich einen Effekt abzuleiten."

Zu Kanzler von Müller sagte er 1830: "Mir bleibt Christus immer ein höchst bedeutendes, aber problematisches Wesen" - aber das ist Christus ja auch! Romans 12:1-2: I appeal to you therefore, brothers, by the mercies of God, to present your bodies as a living sacrifice, holy and acceptable to God, which is your spiritual worship. Do not be conformed to this world, but be transformed by the renewal of your mind, that by testing you may discern what is the will of God, what is good and acceptable and perfect.

;)

Novas
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#5 Re: Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von Novas » Sa 30. Mai 2015, 20:26

"Man hatte nämlich bisher auf Treu und Glauben angenommen, dass dieses Buch der Bücher in einem Geiste verfasst, ja dass es von dem göttlichen Geiste eingehaucht und gleichsam diktiert sei. Doch waren schon längst von Gläubigen und Ungläubigen die Ungleichheiten der verschiedenen Teile desselben bald gerügt, bald verteidigt worden. Engländer, Franzosen, Deutsche hatten die Bibel mit mehr oder weniger Heftigkeit, Scharfsinn, Frechheit, Mutwillen angegriffen. Und ebenso war sie wieder von ernsthaften, wohldenkenden Menschen einer jeden Nation in Schutz genommen worden.
Ich für meine Person hatte sie lieb und wert: Denn fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung schuldig. Und die Begebenheiten, die Lehren, die Symbole, die Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir eingedrückt und war auf eine oder die andere Weise wirksam gewesen.
" Johann Wolfgang von Goethe
http://www.goethe-museum.com/Anmerkunge ... g%2089.pdf
http://www.deutschlandfunk.de/goethe-un ... _id=219186
http://gutenberg.spiegel.de/buch/dichtu ... eil-7130/9

Karl Friedrich Bahrdt (1741 - 1792) hat Goethes apositionelle Grundhaltung treffend beschrieben: "Er hat rechts und links Orthodoxen und Ketzern Ohrfeigen ausgeteilt und - im Grunde mit dem lieben Publikum seinen Spaß gehabt."

:mrgreen:

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sven23
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#6 Re: Goethes Wertschätzung der Evangelien

Beitrag von sven23 » Sa 13. Jun 2015, 12:44

Besonders bizarr war Goethes Streit mit Newton. Obwohl er im Unrecht war, fehlte es Goethe an Einsicht. Im Gegenteil offenbart sich hier eine Seite an sich, die man so nicht von ihm kannte.

"Nun konnte sich jeder davon überzeugen, dass er, Johann Wolfgang Goethe, »der Einzige« war und blieb, der »das Rechte weiß«, wie er später zu Protokoll gab. Und zwar »allein«, »unter Millionen«, »mit einem Bewusstsein der Superiorität«. Der unsympathischste Goethe, dem man begegnet, ist der Autor der Farbenlehre ."

"Er irrt, und zwar auf entschiedene Weise.« Von Wahnbildern, Irrtum, fixen Ideen ist im Weiteren die Rede, und das sind nur die sanftesten Beschreibungen der Newtonschen Optik, gegen die hier der Dilettant Goethe antritt, der die Farbenlehre zeitlebens als sein bedeutendstes Werk ansah. Beides, die Maßlosigkeit der Polemik und der gegen Newton gerichtete Vorwurf des bewussten Forschungsbetrugs sind indes so provozierend sturköpfige Dokumente des Goetheschen Denkens, dass man sie doch gern verstünde."
Quelle
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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