David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

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Novas
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#1 David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von Novas » Do 6. Aug 2015, 03:42

Eine Welt jenseits von Bewusstsein ist eine gedankliche Abstraktion, die nichts mehr mit der direkten Erfahrung zu tun hat. Was ist denn das wichtigste Element in unserem Leben, wenn nicht das Bewusstsein? Einerseits ist Bewusstsein der fundamentale Teil unsrer Existenz, andererseits ist es wohl das rätselhafteste Phänomen im ganzen Universum. Wer glaubt, dass Bewusstsein mit einer reduktionistischen (hirnbasierten) Theorie wirklich erklärt werden kann, der darf das gerne versuchen.

Doch man sollte auch akzeptieren, wenn sich jemand die unverschämte geistige Freiheit heraus nimmt, diesen Ansatz für unbefriedigend und wenig überzeugend zu halten. Da gibt es die Tendenz, dass man Bewusstsein reduktionistisch weg erklärt, anstatt es wirklich zu erklären.

Sehr interessant dieser Ansatz von David Chalmers:
Was Wissenschaft betrifft, bin ich im Herzen ein Materialist. Ich möchte eine wissenschaftliche Theorie zum Bewusstsein, die funktioniert. Für eine lange Zeit habe ich bei meiner Suche nach einer Theorie des Bewusstseins, die komplett physisch erklärbar ist und funktioniert, auf Granit gebissen. Ich musste aber einsehen, dass das aus systematischen Gründen nicht funktioniert. Das ist eine längere Geschichte, aber der Grundgedanke ist, dass das, was man aus reduktionistischen Erklärungen erhält, in physischer oder hirnbasierter Hinsicht, Informationen über die Funktion des Systems sind, seine Struktur und seine Dynamik, das Verhalten, das es hervorruft, großartig, um die einfachen Probleme zu lösen, wie wir uns verhalten, wie wir funktionieren. Aber wenn es um die subjektive Erfahrung geht -- Weshalb fühlt sich all das wie etwas aus unserem Inneren an -- ist das etwas von Grund auf Neues, eine viel weiter reichende Frage. Daher glaube ich, dass wir an einer Art Sackgasse angekommen sind. Wir haben diese wunderbare, großartige Kette an Erklärungen. So ist es meistens: Während die Physik die Chemie erklärt, erklärt die Chemie die Biologie, und Biologie erklärt Teile der Psychologie. Aber das Bewusstsein scheint nicht in dieses Modell zu passen.

Auf der einen Seite ist es gegeben, dass wir bewusst sind. Auf der anderen Seite wissen wir nicht, wie wir dies in unser wissenschaftliches Weltbild einordnen sollen. Daher denke ich, dass das Bewusstsein im Moment eine Art Anomalie ist, die wir in unser Weltbild integrieren müssen, aber noch nicht genau wissen wie. Konfrontiert mit solch einer Anomalie könnten radikale Ideen nötig sein, und ich glaube, wir könnten ein oder zwei Ideen gebrauchen, die anfangs verrückt wirken, bevor wir das Bewusstsein wissenschaftlich in den Griff bekommen.

Es gibt ein paar Kandidaten, die für diese verrückten Ideen in Frage kommen. Mein Freund Dan Dennett, der heute hier ist, hat eine dieser Ideen. Er meint, dass es kein schwieriges Problem mit dem Bewusstsein gebe. Das gesamte Konzept des inneren subjektiven Films basiert auf einer Art Illusion oder Verwirrung. Eigentlich müssen wir nur objektiv die Funktion des Gehirns erklären,

und dann haben wir alles erklärt, was erklärt werden muss. Ich sage: Nur zu mit diesem Gedanken! Das ist die Art radikaler Ideen, die wir erforschen müssen, wenn wir eine rein reduktionistische und hirnbasierte Theorie des Bewusstseins suchen. Aber diese Ansicht für mich und viele andere nicht zufriedenstellend, da sie die Existenz des menschlichen Bewusstseins nahezu verleugnet. Ich gehe also in eine andere Richtung. In der verbleibenden Zeit möchte ich auf zwei verrückte Ideen eingehen, von denen ich denke, dass sie vielversprechend sein könnten. Die erste verrückte Idee besagt, dass das Bewusstsein fundamental ist. Physiker sehen einige Aspekte des Universums als fundamentale Bausteine: Raum, Zeit und Masse. Sie stellen fundamentale Gesetze auf, die auf ihnen basieren, wie die Gesetze der Schwerkraft oder der Quantenmechanik. Diese fundamentalen Eigenschaften und Gesetze werden durch nichts noch Grundlegenderes erklärt. Sie werden vielmehr als urtümlich gesehen, und auf ihrer Grundlage ist die Welt aufgebaut. Manchmal kommt es vor, dass die Liste der fundamentalen Dinge erweitert wird.

Im 19. Jahrhundert fand Maxwell heraus, dass man das Phänomen des Elektromagnetismus nicht durch existierende fundamentale Dinge erklären kann: Raum, Zeit, Masse, Newton's Gesetze. Also stellte er fundamentale Gesetze des Elektromagnetismus auf und erklärte die elektrische Ladung als ein fundamentales Element, um welches sich diese Gesetze drehen. Ich glaube, wir befinden uns mit dem Bewusstsein in der gleichen Situation. Wenn man Bewusstsein mithilfe der existierenden Elemente nicht erklären kann -- Raum, Zeit, Masse, Ladung -- dann ist die logische Schlussfolgerung, dass man die Liste erweitern muss. Die natürliche Konsequenz wäre, das Bewusstsein selbst als fundamentales Element zu erklären, zu einem elementaren Baustein der Natur.

Das heißt nicht, dass man keine Wissenschaft damit treiben kann. Es öffnet den Weg, um Wissenschaft damit zu treiben. Was wir dann ergründen müssen, sind fundamentale Gesetze, auf denen das Bewusstsein beruht, die das Bewusstsein mit anderen fundamentalen Elementen verbindet: Raum, Zeit, Masse, physische Prozesse. Physiker sagen manchmal, wir benötigen fundamentale Gesetze, die so simpel sind, dass man sie auf die Vorderseite eines T-Shirts drucken kann. Ich glaube, wir sind mit dem Bewusstsein in solch einer Situation. Wir möchten fundamentale Gesetze finden, die so einfach sind, dass man sie auf ein T-Shirt drucken kann. Wir wissen bisher noch nicht, welche Gesetze das sind, aber wir arbeiten daran.

Die zweite verrückte Idee ist, dass das Bewusstsein universal sein könnte. Jedes System könnte eine gewisse Art an Bewusstsein haben. Diese Sichtweise wird manchmal als Panpsychismus bezeichnet: "Pan" steht für alles, "psych" für Geist, jedes System ist bewusst, nicht nur Menschen, Hunde, Mäuse, Fliegen, sondern sogar Rob Knight's Mikroben, elementare Partikel. Sogar jedes Photon hat ein gewisses Maß an Bewusstsein. Dieser Ansatz sagt nicht, dass Photonen intelligent sind oder denken können. Ein Photon ist nicht angsterfüllt, und denkt: "Ah, ich bewege mich nahezu mit Lichtgeschwindigkeit. Ich kann nie abbremsen und mich mal ausruhen." Nein, so nicht. Aber der Gedanke ist, dass Photonen vielleicht eine gewisse Art an rohem, subjektivem Gefühl haben, eine Art primitiven Vorreiter des Bewusstseins.

Das mag für Sie ein wenig idiotisch klingen. Ich meine, weshalb sollte jemand etwas so Verrücktes denken? Zum Teil liegt das in der ersten verrückten Idee begründet, dass das Bewusstsein fundamental ist. Wenn es fundamental ist, wie Raum, Zeit und Masse, ist anzunehmen, dass es auch universal sein könnte, so wie sie es sind. Man muss auch sagen, dass diese Idee, die uns zwar widersinnig erscheint, für Menschen anderer Kulturen aber weit weniger widersinnig ist, in Kulturen, die den menschlichen Geist in stärkerem Einklang mit der Natur sehen.

Eine tiefere Motivation kommt von der Idee, dass der vielleicht einfachste und beste Weg, die fundamentalen Gesetze zwischen Bewusstsein und physischer Verarbeitung zu finden, darin besteht, Bewusstsein mit Information zu verbinden. Wo immer es Informationsverarbeitung gibt, gibt es Bewusstsein. Komplexe Informationsverarbeitung, wie in Menschen -- komplexes Bewusstsein. Einfache Informationsverarbeitung -- einfaches Bewusstsein.

Spannend ist, dass in den letzten Jahren ein Neurowissenschaftler, Giulio Tononi, den Ansatz dieser Theorie konsequent mit einer mathematischen Theorie entwickelt hat. Er nimmt mathematisches Maß der Informationsintegration, welches er "Phi" nennt, um die Informationsmenge in einem System zu messen. Und er vermutet, dass Phi mit Bewusstsein einhergeht. Im menschlichen Gehirn also, eine unfassbar große Menge an Informationsintegration, ein hohes Level an Phi, eine Menge Bewusstsein. In einer Maus, mittlere Menge an Informationsintegration, noch immer sehr hoch -- signifikantes Level an Bewusstsein. Aber wenn wir weiter gehen zu Würmern, Mikroben, Partikeln, nimmt Phi stark ab. Die Informationsintegration sinkt, ist aber immer noch größer als Null. Laut Tononi's Theorie wird es immer noch Bewusstsein geben, das ungleich null ist. In der Tat schlägt er damit ein fundamentales Gesetz des Bewusstseins vor: hohes Phi, hohes Bewusstsein. Ich weiß nicht, ob diese Theorie richtig ist, aber es könnte die aktuell führende Theorie in der Wissenschaft des Bewusstseins sein, und sie diente der Verknüpfung einer ganzen Reihe wissenschaftlicher Daten. Außerdem ist sie einfach genug, um sie auf die Vorderseite eines T-Shirts zu drucken.

Eine weitere finale Begründung ist, dass Panpsychismus uns dabei helfen könnte, das Bewusstsein in die physische Welt zu integrieren. Physiker und Philosophen haben often beobachtet, dass die Physik kurioserweise abstrakt ist. Sie beschreibt die Struktur der Realität mithilfe einer Reihe von Formeln, aber sie sagt uns nichts über die Realität, die ihr zugrunde liegt. Wie Stephen Hawking sagt: "Was haucht den Formeln Leben ein?" Nach Ansicht des Panpsychismus kann man die Formeln der Physik lassen, wie sie sind, aber man kann sie nutzen, um den Strom des Bewusstseins zu erklären. Das ist es, was die Physik letztendlich macht, den Strom des Bewusstsein erklären. Folglich ist es das Bewusstsein, das den Formeln Leben einhaucht. Aus dieser Sicht baumelt das Bewusstsein nicht außerhalb der physischen Welt als eine Art Extra. Es befindet sich genau in ihrem Zentrum.
https://www.ted.com/talks/david_chalmer ... anguage=de

Novas
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#2 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von Novas » Do 6. Aug 2015, 03:46

Die Wissenschaft ist von Natur aus objektiv, während das Bewusstsein von Natur aus subjektiv ist. Wenn die Forschung Bewusstsein betrachtet, dann betrachtet sie hauptsächlich die Korrelation zwischen den verschiedenen Bereichen des Gehirns und den damit einhergehenden Bewusstseinszuständen. Da wäre die Arbeit von Nancy Kanwisher zu erwähnen: http://nancysbraintalks.mit.edu/

Das ist sehr interessant, hilfreich und wunderbar, aber es ist eben bei weitem keine Erklärung des Bewusstseins. Ich denke an folgende Worte, die David Chalmers Daniel Denett erwiderte: „Die einfachste Art, eine Theorie über das Bewußtsein aufzustellen ist, seine Existenz zu verleugnen. Solche Theorien sind zwar elegant, das Problem aber lösen sie nicht.



In deutscher Sprache:
https://www.ted.com/talks/david_chalmer ... anguage=de

barbara
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#3 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von barbara » Do 6. Aug 2015, 06:44

Wie weit sind wir schon gekommen, dass ganz natürliche, naheliegende Ideen als "verrückt" deklariert werden müssen, um sie dem Publikum schmackhaft zu machen... :?

gruss, barbara

JackSparrow
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#4 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von JackSparrow » Do 6. Aug 2015, 12:26

Novalis hat geschrieben:Solche Theorien sind zwar elegant, das Problem aber lösen sie nicht.
Welches Problem hat denn Herr Chalmers mit seinem Bewusstsein?

closs
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#5 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von closs » Do 6. Aug 2015, 13:50

Novalis hat geschrieben:Wer glaubt, dass Bewusstsein mit einer reduktionistischen (hirnbasierten) Theorie wirklich erklärt werden kann, der darf das gerne versuchen.
Das geht auch - als Modell. - Wenn dabei rauskommt, dass unter neurowissenschaftlichen Gesichtspunkt "Bewusstsein" so oder anders beschrieben werden kann, ist das ok.

Das Problem liegt woanders: Der Kritische Rationalismus, der der naturwissenschaftlichen Methodik zugrunde liegt, wird oft als Philosophie und nicht als Methodik wahrgenommen - das heisst: Man meint dann, dass die methodischen (übrigens äußerst sinnvollen) Grenzen des Kritischen Rationalismus gleichzeitig philosophischen (im Grunde: ontologischen) Charakter hätten - was natürlich auf fatale Weise falsch ist.

Folge kann sein, dass man tatsächlich meint, wissenschaftlich nicht Greifbares sei nicht existent - das ist die Falle, aus der sich offensichtlich nicht jeder befreien kann (um es sehr zurückhaltend zu sagen).

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#6 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von Scrypt0n » Do 6. Aug 2015, 14:51

Novalis hat geschrieben:Was ist denn das wichtigste Element in unserem Leben, wenn nicht das Bewusstsein?
Ganz einfach: Wasser!
;)

Novalis hat geschrieben:Einerseits ist Bewusstsein der fundamentale Teil unsrer Existenz
Das stimmt so nicht.
Es ist lediglich der fundamentale Teil, um unsere Existenz selbst wahrnehmen zu können und auch, wie wir diese wahrnehmen.

Novalis hat geschrieben:Wer glaubt, dass Bewusstsein mit einer reduktionistischen (hirnbasierten) Theorie wirklich erklärt werden kann, der darf das gerne versuchen.
Durch Eingriffe in das Gehirn verändert sich - durch missglückte Operationen zum Beispiel - auch das Bewusstsein des Patienten und damit verbunden nicht selten auch die gesamte Persönlichkeit.

Diesbezüglich ist es mehr als naheliegend, dass das eine auf dem anderen aufbaut und daraus hervorgeht.
Anders das nicht - außer mit viel Fantasie - zu erklären ist.

Pluto
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#7 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von Pluto » Do 6. Aug 2015, 15:00

Scrypt0n hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Was ist denn das wichtigste Element in unserem Leben, wenn nicht das Bewusstsein?
Ganz einfach: Wasser!
;)
Weder das eine noch das andere ist ein Element.
Wenn schon von Elementen die Rede ist, dann ist wohl Kohlenstoff das wichtigste Element.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#8 Re: David Chalmers: Wie lässt sich das Bewusstsein erklären?

Beitrag von Scrypt0n » Do 6. Aug 2015, 15:06

Pluto hat geschrieben:
Scrypt0n hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Was ist denn das wichtigste Element in unserem Leben, wenn nicht das Bewusstsein?
Ganz einfach: Wasser!
;)
Weder das eine noch das andere ist ein Element.
Kommt ganz darauf an, worauf wir uns beziehen. Da das kein Physik-Bereich ist, muss ich mich hier ja nicht auf physikalische Elemente beziehen.
Ich bezog mich vielmehr auf etwas aus der Philosophie: https://de.wikipedia.org/wiki/Vier-Elemente-Lehre

Pluto hat geschrieben:Wenn schon von Elementen die Rede ist, dann ist wohl Kohlenstoff das wichtigste Element.
Betreffend der chemischen Elemente hast du Recht.

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