Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Philosophisches zum Nachdenken
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Ska'ara
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#331 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Ska'ara » Di 26. Feb 2019, 22:14

closs hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 20:28
"Unter "Wirklichkeit" verstehe ich nichts Ontisches, sondern eine menschen- wahrnehmungs-abhängige Größe" - das wäre ein klares Statement.
Wir nehmen nur einen Teil der Wirklichkeit wahr und werten es dann oft als ein Ganzes. Leider erfassen wir nicht alles, teils aus Mangel an Wissen, teils aus Mangel an Vorstellungsvermögen. Die Wirklichkeit ist also mehr oder weniger unbekannt und muss teilweise erraten werden. Logik allein reicht dann nicht aus. Da die Menschen alle einen unterschiedlichen Wissensstand und verschiedene Erfahrungswerte haben, kommen sie auch zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dennoch gibt es keine unterschiedlichen Wirklichkeiten, nur unterschiedliche Wahrnehmungen.

closs
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#332 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Di 26. Feb 2019, 22:30

Ska'ara hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:14
Wir nehmen nur einen Teil der Wirklichkeit wahr und werten es dann oft als ein Ganzes. Leider erfassen wir nicht alles, teils aus Mangel an Wissen, teils aus Mangel an Vorstellungsvermögen. Die Wirklichkeit ist also mehr oder weniger unbekannt und muss teilweise erraten werden. Logik allein reicht dann nicht aus. Da die Menschen alle einen unterschiedlichen Wissensstand und verschiedene Erfahrungswerte haben, kommen sie auch zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Dennoch gibt es keine unterschiedlichen Wirklichkeiten, nur unterschiedliche Wahrnehmungen.
Sehe ich ganz genauso - allerdings: Dass ist eine DEFINITIONS-Frage - andere Foristen scheinen unter "Wirklichkeit" das zu verstehen, was der Mensch wahrnimmt. - Nicht-Wahrgenommenes ist dann also KEINE Wirklichkeit.

Das heisst dann aber AUCH, dass "Wirklichkeit" und "das, was der Fall ist" semantisch komplett unterschiedlich besetzt sind - :lol: es sei denn, man definiert auch "das, was der Fall ist" wahrnehmungs-abhängig. - Mich interessiert jetzt die Antwort auf die Frage:

Wenn wir uns ins Jahr 5000 v.Chr. zurückversetzen und annehmen, dass wir als damalige Menschen damals keine Ahnung hatten, dass es Dinosaurier vor 200 Mio jahren gab, SIND diese doch trotzdem vor 200 Mio jahren in den Steppen rumgelatscht - oder etwa NICHT?

Ist die Antwort "Ja, sie sind damals in den Steppen rumgelatscht" wäre dies keine "Wirklichkeit" im Sinne mancher Foristen, weil sie dann ohne anthrozentrische Absegnung vor 5000 Jahren in den Steppen rumgelatscht wären. --- Wäre es dann im Sinne mancher Foristen trotzdem "der Fall gewesen, dass sie vor 5000 Jahren in den Steppen rumgelatscht wären?

Insofern sind unsere (also hier: Deine und meine) Auffassung weniger kompliziert: "Wirklichkeit" ist ein Synonym für "das, was der Fall ist/war" - egal ob mit oder ohne anthropozentrische Zertifizierung. - Warum schließt sich da nicht jeder an? - Welche Kräfte halten ab, sich anzuschließen? - Ich bin nach wie vor sehr verwundert.

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Münek
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#333 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Münek » Di 26. Feb 2019, 22:42

closs hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 21:16
Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 21:04
Theozentrisch denken vermag nur ein Gott. Wie ein Gott denkt, weiß niemand. Deswegen ist Deine Aufforderung, nicht anthropozentrisch zu denken, höchst albern.
Mit "anthropozentrisch" ist gemeint, dass man den Menschen zum Entscheider dessen macht, was sein darf und was nicht.
Auf unserem Planeten ist der Mensch in der Tat der entscheidende Entscheider. Mein Goldhamster und der Mann im Mond sind es nicht.

closs hat geschrieben:"Ontologisch" heißt dagegen, dass das, was der Fall ist, unabhängig davon IST, ob und was der Mensch diesbezüglich entscheidet.
Sehr richtig!

Wenn der Mensch entscheidet, der Mond hätte die Gestalt eines Würfels, läge er "ontologisch" daneben. Wenn ich mich hingegen entscheide, ein Glas Bier zu trinken, wird die "Ontologie" (= Wirklichkeit) höchstwahrscheinlich kein Veto erheben, dass ich dies
tatsächlich tue.


Es "ist der Fall", dass ich ein Glas Bier trinke. Ich habe es so entschieden. Punkt. :smiley15:

closs hat geschrieben:Noch deutlicher: Wenn wir uns ins Jahr 5000 v.Chr. zurückversetzen und annehmen, dass wir als damalige Menschen damals keine Ahnung hatten, dass es Dinosaurier vor 200 Mio jahren gab, SIND diese trotzdem vor 200 Mio jahren auf den Steppen rumgelatscht.
Wenn vor 5000 Jahren die damaligen Menschen annahmen, die unbewegliche Erde und damit der Mensch stünden im Mittelpunkt der Welt und der sie umkreisenden Gestirne, ist dies ontologisch falsch. Die augenscheinliche Wahrnehmung entpuppte sich als Trugschluss.

closs hat geschrieben:Ihre Existenz ist NICHT von anthropozentrischen maßstäben abhängig.
Richtig. Die Existenz der Dinosaurier ist nicht davon abhängig, dass der Homo sapiens ihre Existenz Millionen Jahre nach ihrem Aussterben feststellte.

closs hat geschrieben:Theozentrisch ist wieder was anderes.
Gewiss - theozentrisch (Gott im Mittelpunkt = unbewiesene Fiktion) ist etwas anderes als anthropozentrisch (Mensch im Mittelpunkt = nachgewiesene Wirklichkeit).

Deshalb ist es brotlose Kunst, zwischen menschlichem Denken und göttlichem Denken zu unterscheiden. Wir wissen ja nicht einmal, ob Gott existiert. Wie wollen wir dann wissen, was göttlichem Willen entspricht?

closs
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#334 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 27. Feb 2019, 07:44

Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Wenn der Mensch entscheidet, der Mond hätte die Gestalt eines Würfels, läge er "ontologisch" daneben. Wenn ich mich hingegen entscheide, ein Glas Bier zu trinken, wird die "Ontologie" (= Wirklichkeit) höchstwahrscheinlich kein Veto erheben, dass ich dies
tatsächlich tue.
Der Spur nach: ja. - Wichtig ist, dass Du überhaupt zwischen "Sein" ("ontisch") und "Wahrnehmung" desselben kategorial unterscheidest.

Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Wenn vor 5000 Jahren die damaligen Menschen annahmen, die unbewegliche Erde und damit der Mensch stünden im Mittelpunkt der Welt und der sie umkreisenden Gestirne, ist dies ontologisch falsch.
Davon abgesehen, dass wir NIE "wissen", was ontisch wahr ist, stimme ich Dir voll zu.

Aber das geht an der absurden Frage vorbei: "Gibt es Dinosaurier erst dann vor 200 Mio Jahren, nachdem der Mensch Knochen oder sonstige Hinweise von ihnen gefunden hat?". - Und um diese Frage geht es - denn sie muss mit JA beantwortet werden, wenn man Wirklichkeit und Wahrnehmung NICHT kategoral unterscheidet.

Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Richtig. Die Existenz der Dinosaurier ist nicht davon abhängig, dass der Homo sapiens ihre Existenz Millionen Jahre nach ihrem Aussterben feststellte.
Genau. - Aber eben dieses wird indirekt behauptet.

Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Mensch im Mittelpunkt = nachgewiesene Wirklichkeit
"METHODISCH nachgewiesen", aber doch nicht "ontisch nachgewiesen". - "Anthropozentrisch eingeordnet", aber doch nicht "notwendigerweise wahr".

Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Deshalb ist es brotlose Kunst, zwischen menschlichem Denken und göttlichem Denken zu unterscheiden
Darum geht es hier nicht (es gibt theologische/philosophische Fragen, bei denen diese Unterscheidung wichtig ist) - hier geht es um eine erkenntnis-theoretische/ontologische Fragestellung.

Pluto
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#335 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Pluto » Mi 27. Feb 2019, 09:46

closs hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 07:44
Wichtig ist, dass Du überhaupt zwischen "Sein" ("ontisch") und "Wahrnehmung" desselben kategorial unterscheidest.
Ja, das ist richtig.
Mir scheint dies eine Diskussion um des Kaisers neue Kleider zu sein.
Wie würdest du feststellen wollen, dass "ontisch" und "Wahrnehmung/Messung" nicht dasselbe sind?

closs hat geschrieben:Davon abgesehen, dass wir NIE "wissen", was ontisch wahr ist, stimme ich Dir voll zu.
Du nimmst also nur an, dass ontisch etwas anderes ist als das was wir wahrnehmen oder messen?

Aber das geht an der absurden Frage vorbei: "Gibt es Dinosaurier erst dann vor 200 Mio Jahren, nachdem der Mensch Knochen oder sonstige Hinweise von ihnen gefunden hat?". - Und um diese Frage geht es - denn sie muss mit JA beantwortet werden, wenn man Wirklichkeit und Wahrnehmung NICHT kategoral unterscheidet.

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:
Di 26. Feb 2019, 22:42
Richtig. Die Existenz der Dinosaurier ist nicht davon abhängig, dass der Homo sapiens ihre Existenz Millionen Jahre nach ihrem Aussterben feststellte.
Genau. - Aber eben dieses wird indirekt behauptet.
Wo wird das behauptet?

closs hat geschrieben:"METHODISCH nachgewiesen", aber doch nicht "ontisch nachgewiesen". - "Anthropozentrisch eingeordnet", aber doch nicht "notwendigerweise wahr".
Doch! Klar ist etwas was nachgewiesen wurde, ontisch wahr. Oder meinst du es könne falsch sein?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Janina
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#336 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Janina » Mi 27. Feb 2019, 10:28

closs hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Aber das geht an der absurden Frage vorbei: "Gibt es Dinosaurier erst dann vor 200 Mio Jahren, nachdem der Mensch Knochen oder sonstige Hinweise von ihnen gefunden hat?".
Das Dumme ist, dass es das in der Quantenmechanik gibt.
Das liegt daran, dass die QM nicht die Wirklichkeit beschreibt, sondern Wahrscheinlichkeiten.

closs
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#337 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 27. Feb 2019, 10:32

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Wie würdest du feststellen wollen, dass "ontisch" und "Wahrnehmung/Messung" nicht dasselbe sind?
Geht grundsätzlich nicht. - man kann immer nur vermuten, dass Wahrnehmung/Messung zur ontioschen Realität authentisch sind. - Oder man macht es streng wie Anton und nimmt den Begriff "Wirklichkeit" raus und arbeitet nur mit "BEobachtung" und "modell".

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Du nimmst also nur an, dass ontisch etwas anderes ist als das was wir wahrnehmen oder messen?
Nee. - Ich behauptet:
1) Wahrnehmung/Messung ist im besten Fall authentisch zu "ontisch".
2) Wenn es authentisch ist, bildet es immer nur einen Teil ab.
3) Es kann un-authentisch sein und trotz aller methodischen Korrektheit falsch sein.

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Wo wird das behauptet?
Von denen, die "Wirklichkeit" als anthropozentrische Größe verstehen ("Wirklichkeit ist das, was auf MICH/den Menschen wirkt")

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Oder meinst du es könne falsch sein?
Ja - da muss nur das Modell falsch sein und Beobachtungen falsch interpretiert sein.

closs
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#338 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 27. Feb 2019, 10:33

Janina hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 10:28
Das Dumme ist, dass es das in der Quantenmechanik gibt.
Das wäre jetzt "Wirklichkeit 2.0". Ich finde diesen Ansatz sehr interessant - allerdings sollte man ihn erst besprechen, nachdem man Grundlagen bei "Wirklichkeit 1,0" geklärt hat.

Pluto
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#339 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von Pluto » Mi 27. Feb 2019, 12:34

closs hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 10:32
Nee. - Ich behaupte:
1) Wahrnehmung/Messung ist im besten Fall authentisch zu "ontisch".
2) Wenn es authentisch ist, bildet es immer nur einen Teil ab.
3) Es kann un-authentisch sein und trotz aller methodischen Korrektheit falsch sein.
Wenn wir etwas messen, dann ist auch ontisch wahr.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Wo wird das behauptet?
Von denen, die "Wirklichkeit" als anthropozentrische Größe verstehen ("Wirklichkeit ist das, was auf MICH/den Menschen wirkt")
Eben! Also können wir es messen.
NB: Wieder verwndest du anthropozentrisch im falschen Zusammenhang.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 09:46
Oder meinst du es könne falsch sein?
Ja - da muss nur das Modell falsch sein und Beobachtungen falsch interpretiert sein.
Messfehler? Kann vorkommen.
Richtig durchgeführte Beobachtungen beschreiben die Wirklichkeit. Was fehlt?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#340 Re: Was versteht Ihr unter "Wirklichkeit"?

Beitrag von closs » Mi 27. Feb 2019, 13:44

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 12:34
Wenn wir etwas messen, dann ist auch ontisch wahr.
Glaube ich auch - ist aber nicht selbstverständlich.

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 12:34
Wieder verwndest du anthropozentrisch im falschen Zusammenhang.
Glaube ich nicht. - Unter "anthropozentrisch" verstehe ich hier, wenn man sagt "Nur das, was ICH/der Mensch messen kann, ist ontisch wahr".

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 12:34
Eben! Also können wir es messen.
1) Alles, was auf uns wirkt, ist eine Teilmenge dessen, was der Fall ist (es kann auch etwas darüber hinaus geben).
2) Es ist eine willkürliche Behauptung, dass alles, was wirksam ist, auch messbar sein muss.

Pluto hat geschrieben:
Mi 27. Feb 2019, 12:34
Messfehler? Kann vorkommen.
Das meine ich nicht. - ich meine falsche Modelle und falsche Interpretationen - unser Lieblings-Thema OHNE Diskussion: Wenn das Modell ist, dass Jesus nur Mensch ist, Jesus aber in Wirklichkeit auch göttlich ist, kommt man zu Ergebnissen, die methodisch super-richtig sein können, aber gleichzeitig ontisch genauso super-falsch sein können.

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