Heidegger, der Mensch und seine Philosophie

Philosophisches zum Nachdenken
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sven23
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#11 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von sven23 » Sa 22. Nov 2014, 08:12

closs hat geschrieben: Gerade heute früh habe ich wieder mal einen neuen Artikel über Heidegger gelesen - der Hintergrund: Es wurden wieder einmal Notizen gefunden, die Hinweise darauf geben, dass er Antisemit war. - Von seiner Philosophie kein Wort. - Man hat den Eindruck, als würde man sich damit den Weg freikaufen, ihn nicht verstehen zu müssen - politisch unkorrekt - puuh, der Kelch Heidegger geht an mir vorüber. - ODER: Man kennt Heidegger doch, interpretiert ihn aber im Sinne des materialistischen Mainstreams - dann allerdings wäre es wirklich gescheiter, ihn an sich vorbei gehen zu lassen und ihn für spätere Generationen aufzuheben.

Seine Nazi Vergangenheit gehört nun mal zu seiner Biografie.
Sein Werk sollte davon unabhängig betrachtet werden, aber es ist schon eine interessante Frage, ob "geistige Erkenntnisse" per se einen Menschen "besser" machen. Zumindest haben sie Heidegger nicht davon abgehalten, mit einem totalitären Regime zu symphatisieren, was natürlich wieder hervorragend zu dem totalitären Gott des AT paßt, aber das wäre ein eigenes Thema.

closs hat geschrieben: Bei Luther und Wagner ist es zu spät - die beiden sind zwar ausgewiesene Antisemiten, aber halt schon etabliert - kann man nichts machen.

Doch, kann man schon. Ihren Antisemitismus darf man ruhig erwähnen und verurteilen.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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closs
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#12 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von closs » Sa 22. Nov 2014, 09:22

sven23 hat geschrieben: Ihren Antisemitismus darf man ruhig erwähnen und verurteilen.
Das wird ja auch gemacht - und da hat auch keiner etwas dagegen. - Trotzdem muss man Werk und Biografie kategorial trennen. - Erst wenn man das getan hat, kann man sekundär prüfen, welche biografistischen Elemente interessant fürs Werk sind - Beispiel: "Loge" (allein der Name!) in Wagners "Ringe" verkörpert das von Wagner so gesehene Urbild des Juden.

sven23 hat geschrieben: aber es ist schon eine interessante Frage, ob "geistige Erkenntnisse" per se einen Menschen "besser" machen
Das ist wirklich eine gute Frage - denn es gibt oft im Leben "dissoziative Identitätsstörung", was der Volksmund "Schizophrenie" nennt. - So etwas kann es auch sozial bedingt geben ("am Tag Juden vergasen und abends Hausmusik unter den 'Betenden Händen' von Dürer machen", wie Adorno festgestellt hat - oder "Asylanten abweisen, aber Krippenspiele gutfinden").

Insonfern: Geistige Erkenntnisse sind das eine - ob sie durchsacken in die eigenen Handlungsweisen, ist etwas ganz anderes.

sven23 hat geschrieben:Zumindest haben sie Heidegger nicht davon abgehalten, mit einem totalitären Regime zu symphatisieren
Dazu gäbe es viel zu sagen - zunächst konkret: Ein französischer Heidegger-Kenner UND Jude hat vor einiger Zeit in der ZEIT die deutsche Öffentlichkeit bezichtigt, Empörungs-Wellen als Ersatzhandlung für inhaltliche Beschäftigung zu bevorzugen - das richtige Stichwort reiche und schon regne es Reflexe. - Auf Heidegger bezogen hat dieser Wissenschaftler gemeint, dass er anfangs bis ca. 1935 tatsächlich Hoffnungen hatte, dass der Nationalsozialismus das Land aus der Krise führen könne - dann habe er sich im wesentlichen zurückgezogen.

Über der Herfallen über Heideggers Aussagen zur jüdischen und europäischen (?) Denkweise und Weltschau hat sich besagter Heidegger-Kenner besonder geärgert, weil dies geistes-geschichtlich langfristig gemeint und begründbar gewesen sei - dass solche Aussagen jetzt im Kontext des Nationalsozialismus verwendet würden, fand er unsäglich.

Das weniger Konkrete, aber Aktuellere wäre: Wer bei der Fuchsjagd auf Wulff mitgemacht hat, hätte im Großen und Ganzen auch bei Juden-Pogromen mitgemacht - es ist dieselbe Grundhaltung. - Mit anderen Worten: Wir sollten insgesamt unsere egozentrierte Empörungs-Onanismen etwas im Zaum halten, wenn wir doch selber im Glashaus sitzen - dass die Wulff-Jagd keine ernste Folgen hatten (aufgrund stabiler Rechtsverhältnisse), ist keine Entschuldigung für die Täter.

Der Satz Brechts "Der Schoß ist fruchtbar noch" gilt auch noch heute - nur halt subtiler.

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sven23
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#13 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von sven23 » Sa 22. Nov 2014, 09:34

closs hat geschrieben: Das weniger Konkrete, aber Aktuellere wäre: Wer bei der Fuchsjagd auf Wulff mitgemacht hat, hätte im Großen und Ganzen auch bei Juden-Pogromen mitgemacht - es ist dieselbe Grundhaltung. -

Das ist eine böswillige Unterstellung. Wulffs Verfehlungen waren zwar nicht justiziabel, aber in der Summe so zahlreich und ausreichend für einen Rücktritt, auch aus politischer Hygiene. Zum Glück haben wir noch einen etwas höheren Hygienelevel als das Italien eines Berlusconi.
Ansonsten ist der Vergleich unzulässig. Man könnte dann genau so behaupten: wer die Grausamkeiten des AT Gottes verteidigt, begeht auch Grausamkeiten an seinen Mitmenschen. So simpel ist es dann doch nicht.
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#14 Re: Heidegger, der Mensch und seine Philosophie

Beitrag von closs » Sa 22. Nov 2014, 09:42

sven23 hat geschrieben:Ansonsten ist der Vergleich unzulässig.
Historisch sowieso - psychologisch wahrscheinlich nicht. - Das wäre ein eigenes Thema.

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