NIETZSCHE

Philosophisches zum Nachdenken
Novas
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#11 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Novas » Sa 24. Okt 2015, 19:31

Friedrich Nietzsche

Dem unbekannten Gott

Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
daß allezeit
mich deine Stimme wieder riefe.

Darauf erglüht tief eingeschrieben
das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
Sein bin ich - und fühl die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn
und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.

Ich will dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfaßbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

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NIS
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#12 Re: NIETZSCHE

Beitrag von NIS » Sa 24. Okt 2015, 19:34

:Herz:
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Savonlinna
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#13 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Savonlinna » Sa 24. Okt 2015, 19:58

Novalis hat geschrieben:Friedrich Nietzsche

Dem unbekannten Gott

Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
heb ich vereinsamt meine Hände
zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
Altäre feierlich geweiht,
daß allezeit
mich deine Stimme wieder riefe.

Darauf erglüht tief eingeschrieben
das Wort: Dem unbekannten Gotte.
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
auch bis zur Stunde bin geblieben:
Sein bin ich - und fühl die Schlingen,
die mich im Kampf darniederziehn
und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.

Ich will dich kennen, Unbekannter,
du tief in meine Seele Greifender,
mein Leben wie ein Sturm Durchschweifender,
du Unfaßbarer, mir Verwandter!
Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

Dieses Gedicht hat Nietzsche 1864 geschrieben, da war er 20 Jahre alt.

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Queequeg
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#14 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Queequeg » So 25. Okt 2015, 07:54

Novalis hat geschrieben:Friedrich Nietzsche

Dem unbekannten Gott

....

Wie schon von Savonlinna geschrieben, verfasste Nietzsche dieses Gedicht als Zwanzigjähriger.

Die Essenz seiner Verständnisses des Christentum fasst er dann hier zusammen:

– Hiermit bin ich am Schluß und spreche mein Urtheil. Ich verurtheile das Christenthum, ich erhebe gegen die christliche Kirche die furchtbarste aller Anklagen, die je ein Ankläger in den Mund genommen hat. Sie ist mir die höchste aller denkbaren Corruptionen, sie hat den Willen zur letzten auch nur möglichen Corruption gehabt. Die christliche Kirche ließ Nichts mit ihrer Verderbniß unberührt, sie hat aus jedem Werth einen Unwerth, aus jeder Wahrheit eine Lüge, aus jeder Rechtschaffenheit eine Seelen-Niedertracht gemacht. Man wage es noch, mir von ihren »humanitären« Segnungen zu reden! Irgend einen Nothstand abschaffen gieng wider ihre tiefste Nützlichkeit: sie lebte von Nothständen, sie schuf Nothstände, um sich zu verewigen... Der Wurm der Sünde zum Beispiel: mit diesem Nothstande hat erst die Kirche die Menschheit bereichert! – Die »Gleichheit der Seelen vor Gott«, diese Falschheit, dieser Vorwand für die rancune aller Niedriggesinnten, dieser Sprengstoff von Begriff, der endlich Revolution, moderne Idee und Niedergangs-Princip der ganzen Gesellschafts-Ordnung geworden ist, – ist christlicher Dynamit... »Humanitäre« Segnungen des Christenthums! Aus der humanitas einen Selbst-Widerspruch, eine Kunst der Selbstschändung, einen Willen zur Lüge um jeden Preis, einen Widerwillen, eine Verachtung aller guten und rechtschaffnen Instinkte herauszuzüchten! Das wären mir Segnungen des Christenthums! – Der Parasitismus als einzige Praxis der Kirche; mit ihrem Bleichsuchts-, ihrem »Heiligkeits«-Ideale jedes Blut, jede Liebe, jede Hoffnung zum Leben austrinkend: das Jenseits als Wille zur Verneinung jeder Realität; das Kreuz als Erkennungszeichen für die unterirdischste Verschwörung, die es je gegeben hat, – gegen Gesundheit, Schönheit, Wohlgerathenheit, Tapferkeit, Geist, Güte der Seele, gegen das Leben selbst ...

Diese ewige Anklage des Christenthums will ich an alle Wände schreiben, wo es nur Wände giebt, – ich habe Buchstaben, um auch Blinde sehend zu machen... Ich heiße das Christenthum den Einen großen Fluch, die Eine große innerlichste Verdorbenheit, den Einen großen Instinkt der Rache, dem kein Mittel giftig, heimlich, unterirdisch, klein genug ist, – ich heiße es den Einen unsterblichen Schandfleck der Menschheit …


wobei, wenn ich seinen Zarathustra lese ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, das Nietzsche in einer gewissen Hinsicht doch als religiöser Mensch zu bezeichnen ist.

Allerdings in einer Form der Religiösität, die eher dem All-Mystiker zugänglich wäre, vielleicht.

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#15 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Queequeg » So 25. Okt 2015, 07:59

Savonlinna hat geschrieben:
Nietzsche hat das Christentum bekämpft und kritisiert wie keiner.
Aber von Jesus selber war er deutlich ergriffen. Wegen der Wehrlosigkeit, seiner Liebe zu allen, auch denen, die ihn quälten.
Darüber kann man vor allem in Nietzsches "Der Antichrist" lesen, einem seiner letzten Werke.

Nietzsche hat geschrieben: „Das Wort schon »Christentum« ist ein Mißverständnis –, im Grunde gab es nur einen
Christen, und der starb am Kreuz. Das »Evangelium« starb am Kreuz. Was von diesem
Augenblick an »Evangelium« heißt, war bereits der Gegensatz dessen, was er gelebt: eine
»schlimme Botschaft«, ein Dysangelium.“ ...“ (Der Antichrist)

„nicht um »die Menschen zu erlösen«, sondern um zu zeigen, wie man zu leben hat. Die Praktik
ist es, welche er der Menschheit hinterließ: sein Verhalten vor den Richtern, vor den Häschern,
vor den Anklägern und aller Art Verleumdung und Hohn – sein Verhalten am Kreuz. Er
widersteht nicht, er verteidigt nicht sein Recht, er tut keinen Schritt, der das Äußerste von ihm
abwehrt, mehr noch, er fordert es heraus... Und er bittet, er leidet, er liebt mit denen, in denen, die
ihm Böses tun-“ ...“ (Der Antichrist)

Interessant dazu vielleicht ein kleiner Text aus Nietzsches Nachlass:

"Wenn ich dem Christentum den Krieg mache, so steht mir dies einzig deshalb zu, weil ich nie von dieser Seite aus Trübes oder Trauriges erlebt habe - umgekehrt die schätzenswertesten Menschen, die ich kenne, sind Christen ohne Falsch gewesen.[sic!] Ich trage es den einzelnen am letzten nach, was das Verhängnis von Jahrtausenden ist. Meine Vorfahren selbst waren protestantische Geistliche: hätte ich nicht einen hohen und reinlichen Sinn von ihnen her mitbekommen, so wüsste ich nicht, woher mein Recht zum Kriege mit dem Christentum stammte. Meine Formel dafür: der Antichrist ist selbst die notwendige Logik in der Entwicklung eines echten Christen, in mir überwindet sich das Christentum selbst."

Jaspers schrieb dazu einmal, hier aus dem Gedächtnis heraus zitiert:

"Nietzsche war ein Gegner des Christentums aus christlichen Gründen.“

das ist irgendwie nicht von der Hand zu weisen.
Zuletzt geändert von Queequeg am So 25. Okt 2015, 09:40, insgesamt 1-mal geändert.

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#16 Re: NIETZSCHE

Beitrag von NIS » So 25. Okt 2015, 09:37

"Ich weiss, wer ich bin, das ist mein Geheimnis!" (NIS)

"Ich bin weniger als Nichts vor Euch, die Finsternis!" (Immanuel, der Menschensohn)

Jesus Christus, der Sohn Gottes, ist unsere Schwester!
ARMEEN

Mein Wort gilt, Vater!
Wollen wir wetten?
:lol:
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#17 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Savonlinna » So 25. Okt 2015, 10:50

Queequeg hat geschrieben:
wobei, wenn ich seinen Zarathustra lese ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, das Nietzsche in einer gewissen Hinsicht doch als religiöser Mensch zu bezeichnen ist.

Allerdings in einer Form der Religiösität, die eher dem All-Mystiker zugänglich wäre, vielleicht.
... und etwas vom "werdenden" Gott weiß:
"Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss", schreibt Nietzsche in seinem "Also sprach Zarathustra".

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#18 Re: NIETZSCHE

Beitrag von NIS » So 25. Okt 2015, 10:53

Ich lieb Euch!
AMEN
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#19 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Queequeg » So 25. Okt 2015, 13:47

Savonlinna hat geschrieben:
Queequeg hat geschrieben:
wobei, wenn ich seinen Zarathustra lese ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, das Nietzsche in einer gewissen Hinsicht doch als religiöser Mensch zu bezeichnen ist.

Allerdings in einer Form der Religiösität, die eher dem All-Mystiker zugänglich wäre, vielleicht.
... und etwas vom "werdenden" Gott weiß:
"Der Mensch ist etwas, das überwunden werden muss", schreibt Nietzsche in seinem "Also sprach Zarathustra".

Werdenden Gott?

Muss der Mensch nicht auch Gott überwinden, um Gott zu werden?
(Im Erkennen DES?)

Ist der Mensch überwunden, hat er Gott überwunden.

(Ich versuche hier, deine Aussage zu deuten, im Sinne Nietzsches, das sich erfüllend vielleicht in Benn?)
Zuletzt geändert von Queequeg am So 25. Okt 2015, 13:55, insgesamt 1-mal geändert.

Novas
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#20 Re: NIETZSCHE

Beitrag von Novas » So 25. Okt 2015, 13:54

Savonlinna hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben:Friedrich Nietzsche

Dem unbekannten Gott

Noch einmal, eh ich weiterziehe
und meine Blicke vorwärts sende,
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zu dir empor, zu dem ich fliehe,
dem ich in tiefster Herzenstiefe
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und, mag ich fliehn,
mich doch zu seinem Dienste zwingen.

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Ich will dich kennen, selbst dir dienen.

Dieses Gedicht hat Nietzsche 1864 geschrieben, da war er 20 Jahre alt.


Ja, das ist richtig. Ich habe dieses Gedicht hier rein gesetzt, weil ich merke, dass Nietzsche gerne von atheistischer Seite vereinnahmt wird. Eine solche Vereinnahmung wird seinem Denken aber nicht gerecht.
Zuletzt geändert von Novas am So 25. Okt 2015, 13:58, insgesamt 1-mal geändert.

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