Ich ist nicht Gehirn

Philosophisches zum Nachdenken
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Thaddäus
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#21 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 20:03

Pluto hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Geht mir auch so.
Es ist interessant, dass manche Menschen so wahnsinnig gerne eine Maschine sein möchten. :)
Sind wir wieder neim Homunculus im Schädel angelangt? :o
Von meiner Seite aus nicht.

Pluto hat geschrieben:Was bringt dich auf die kuriose Idee, dass einige von uns das möchten?
Es ist nicht so sehr, das "möchten", sondern dass wir (sehr komplexe) Maschinen sind. Es gibt in der gesamten Neurobiologie keinen einzigen Hinweis, dass irgend eine steuernde Kraft fehlen würde.
Aber warum möchtest du eine Maschine sein, der keine steuernde Kraft fehlt, die also in jedem Falle fremdgesteuert IST?

Salome23
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#22 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Salome23 » So 7. Feb 2016, 20:03

Thaddäus hat geschrieben: Dass dieser Kampf dann nicht zu seinen Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung hat der Hund in vorherigen Rangkämpfen gemacht.
Ja.Mein Kater auch. Nützt aber nix, der is so doof und probierts immer wieder :D

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Thaddäus
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#23 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 20:07

Salome23 hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben: Dass dieser Kampf dann nicht zu seinen Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung hat der Hund in vorherigen Rangkämpfen gemacht.
Ja.Mein Kater auch. Nützt aber nix, der is so doof und probierts immer wieder :D
Katzen nehme ich von meiner Theorie ausdrücklich aus! :lol:
Die sind ein ganz eigener Kosmos an spannenden Verhaltensweisen!
Denen traue ich auch zu, hungrig vor ihrem Napf zu sitzen, nicht zu fressen und zu denken, was für ein Blödmann doch ihr menschlicher Büchsenöffner ist, der mal wieder nicht die richtige Geschmacksrichtung eingekauft hat. :lol:

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#24 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » So 7. Feb 2016, 20:46

Thaddäus hat geschrieben:Der Hund "wählt" vermutlich gar nicht, sondern folgt einfach seinem Instinkt,
Wenn ein Mensch seinem Instinkt folgt, behauptet er hinterher, er hätte es so gewählt. Das kann der Hund leider nicht tun, da es ihm an den dafür erforderlichen Grammatikkenntnissen mangelt.

Dass dieser Kampf dann nicht zu seinen Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung hat der Hund in vorherigen Rangkämpfen gemacht
Ja, wenn im Blut die Geschlechtshormone ansteigen, entscheidet sich unser "freier Wille" plötzlich dazu, unsere Autoritäten in Frage zu stellen und zu prüfen, ob der Kampf zu unseren Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung bezeichnen wir als die sogenannte "Pubertät".

Vielleicht sind viele deutsche Männer einfach ein bisschen verweichlicht.
Daran hab ich keine Zweifel. Da männliche Eigenschaften im Alltag nur noch selten benötigt werden, wird die Testosteron-Produktion auf ein Minimum gedrosselt, woraufhin der "freie Wille" den Männern sagt, dass sie sich in Zukunft vielleicht doch lieber etwas femininer verhalten sollten. Was aber bei Flüchtlingen, die aus Kriegsgebieten kommen und mit vielen anderen männlichen Flüchtlingen zusammen leben müssen, mit Sicherheit nicht der Fall ist.

Es ist interessant, dass manche Menschen so wahnsinnig gerne eine Maschine sein möchten.
Ich verarbeite Informationen und zeige dann ein Verhalten. Es ist interessant, wie viele Hypothesen und Theorien sich der Mensch auszudenken vermag, nur um dieser simplen Realität nicht ins Gesicht sehen zu müssen.

Wobei es natürlich Aufgabe der Männer ist, der Realität ins Gesicht zu sehen. Bei Frauen ist eine ausgeprägte Imaginationskraft eventuell der Reproduktion förderlich.

Aber warum möchtest du eine Maschine sein, der keine steuernde Kraft fehlt, die also in jedem Falle fremdgesteuert IST?
Weil man Milliarden Jahren Evolution größeres Vertrauen schenken darf als irgendwelchen Philosophen, die vielleicht 70-80 Jahre alt geworden sind und ihr Leben größtenteils damit zubrachten, auf einem Stuhl zu sitzen und sich für ihre privaten Misserfolge metaphysische Erklärungen zurecht zu zimmern.


Salom23 hat geschrieben:Mein Kater auch. Nützt aber nix, der is so doof und probierts immer wieder
Weil das keine Rudeltiere sind.

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Thaddäus
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#25 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 21:17

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Der Hund "wählt" vermutlich gar nicht, sondern folgt einfach seinem Instinkt,
Wenn ein Mensch seinem Instinkt folgt, behauptet er hinterher, er hätte es so gewählt. Das kann der Hund leider nicht tun, da es ihm an den dafür erforderlichen Grammatikkenntnissen mangelt.
Tja, Pech für den Hund. Vielleicht machen ja Grammatikkenntnisse das Bewusstsein aus. :lol:
Menschen folgen schon darum oftmals nicht ihren Instinkten, weil ihre Reflexionsfähigkeit sie ihren Instinkten haben entfremden lassen. Der Mensch lebt nicht mehr ausgeliefert einer Natur. Stattdessen schafft er sich Kultur! Er bestimmt mittlerweile, in welchen Biotopen er leben möchte und verändert die Biotope wenn es sein muss eben so, dass er besonders angenehm in ihnen leben kann. Wenn es irgendwo zu kalt ist, dann installiert er eine Fußbodenheizung und ist es ihm irgendwo zu warm, dann installiert er eben eine Klimaanalage. Genau das kann er und kein Schimpanse kann das! Ob es ihm letztlich zum Schaden ist oder zum Segen, dass ist eine andere Frage.

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Dass dieser Kampf dann nicht zu seinen Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung hat der Hund in vorherigen Rangkämpfen gemacht
Ja, wenn im Blut die Geschlechtshormone ansteigen, entscheidet sich unser "freier Wille" plötzlich dazu, unsere Autoritäten in Frage zu stellen und zu prüfen, ob der Kampf zu unseren Gunsten ausgehen wird: diese Erfahrung bezeichnen wir als die sogenannte "Pubertät".
In der Pubertät kommt der Mensch lediglich zu seiner Geschlechtsreife. Und was er da vor allem lernen muss ist, wie man richtig verhütet. Und wieder mal der Natur ein Schnäppchen geschlagen. Ach ich liebe den Menschen, weil er sich klug noch aus jeder Verlegenheit zu helfen weiß. Allein vor dem Tod kann er sich nicht schützen. Kommt aber vielleicht noch ...
"Viel des Unheimlichen ist, doch nichts ist unheimlicher als der Mensch!
[...]
Im erfinden Geiste nimmer verhoffter Dinge Meister,
geht er die Bahn so des Guten
wie des Bösen!" (Sophokles, Antigone)

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Es ist interessant, dass manche Menschen so wahnsinnig gerne eine Maschine sein möchten.
Ich verarbeite Informationen und zeige dann ein Verhalten. Es ist interessant, wie viele Hypothesen und Theorien sich der Mensch auszudenken vermag, nur um dieser simplen Realität nicht ins Gesicht sehen zu müssen.
Realität ist es vor allem, dass der Mensch noch zu allem biologistischen Blödsinn und allen Theorien, die ihm vor machen wollen, er sei nur ein Spielball von Naturgesetzen und also nicht frei, sagen kann: "Pfff... Du kannst mich mal, naturgesetzlicher Zwang!"
Ehre, Stolz und Freiheit sind keine Maschinen-, sondern Menschen-Eigenschaften. Wenn du beschließt, lieber eine Maschine zu sein, gibst du deine Ehre, deinen Stolz und deine Freiheit ab. Und was bist du dann? Nichts mehr ... als ein Wicht.
Na, wenns dir gefällt ... ;)

JackSparrow hat geschrieben:Wobei es natürlich Aufgabe der Männer ist, der Realität ins Gesicht zu sehen. Bei Frauen ist eine ausgeprägte Imaginationskraft eventuell der Reproduktion förderlich.
Bei manchen Männern mit mangelnden sexuellen Qualitäten ist "eine ausgeprägte Imaginationskraft" das einzige Mittel, welches der Frau noch bleibt, um sich zur Reproduktion überhaupt noch überreden zu lassen. :lol:
Zuletzt geändert von Thaddäus am So 7. Feb 2016, 22:58, insgesamt 1-mal geändert.

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#26 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » So 7. Feb 2016, 21:37

JackSparrow hat geschrieben: Wenn ein Mensch seinem Instinkt folgt, behauptet er hinterher, er hätte es so gewählt. Das kann der Hund leider nicht tun, da es ihm an den dafür erforderlichen Grammatikkenntnissen mangelt.
Und hier noch ein ganz anderer Beweis in Trailerform dafür, dass der Mensch noch alle Grenzen sprengen kann, wenn er es will. Ein ausgezeichneter Trailer zu einem sehr guten Film, den ich jedem nur ans Herz legen kann, der nicht schon längst von sich glaubt, er sei eine Maschine und er könne keine natur-oder gottgegebenen Grenzen sprengen!



"Das menschliche Streben sollte keine Grenzen kennen. Wie schlimm das Leben auch scheinen mag: solange ich lebe, hoffe ich."

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#27 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Mo 8. Feb 2016, 00:30

Thaddäus hat geschrieben:Tja, Pech für den Hund. Vielleicht machen ja Grammatikkenntnisse das Bewusstsein aus
Ja, durchaus. Ohne Sprache könnte man sich weder irgendwelche Dinge über sich selbst einreden, noch könnte man von irgendjemand anderem gesagt bekommen, man sei gerade "bei Bewusstsein". Man wüsste quasi überhaupt nichts über irgendwas.

Menschen folgen schon darum oftmals nicht ihren Instinkten, weil ihre Reflexionsfähigkeit sie ihren Instinkten haben entfremden lassen.
Was sind Emotionen wie Angst, Wut oder Eifersucht denn anderes als Instinkte, die sich in bestimmten Situationen einstellen, weil der Körper sie für biologisch sinnvoll hält. Da wir in einer verweichlichten Gesellschaft voller Heuchler leben, kann man mit den eigenen Instinkten heutzutage leider kaum noch irgendwas anfangen, außer ihre Existenz eben so gut wie möglich abzustreiten.

Der Mensch lebt nicht mehr ausgeliefert einer Natur. Stattdessen schafft er sich Kultur!
Der Hirsch nutzt sein Geweih, um den Weibchen zu imponieren; der Pfau nutzt seine Schwanzfedern, um den Weibchen zu imponieren; und der Mensch nutzt seine Kultur, um den Weibchen imponieren. Würden Statussymbole keine Rolle spielen, würden wir heute noch in Tierfellen rumlaufen. Wie heißt es doch: "If a man could fuck in a cardboard box he wouldn't buy a house."

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#28 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mo 8. Feb 2016, 03:04

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Allerdings kenne ich das Buch Wille und Gehirn von den Hirnforschern Hans Helmut Konrhuber und Lüder Deecke. Daraus möchte ich aus den Seiten 87-88 meiner Meinung nach für diese Diskussion sehr wichtige Gedanken zitieren:
Zitat aus Wille und Gehirn:
In der inneren Führung durch Willen im Bunde mit der schöpferischen Fähigkeit des Frontalhirns liegt die Freiheit zu neuen Lösungen, Freiheit nicht gegen, sondern mit der Natur. Ausstieg aus der Natur ist unmöglich; auch für geistige Tätigkeit, die ja Informationsverarbeitung durch Ordnungsänderung ist, ist Energie nötig. Der Wille steht nicht über dem Gehirn, der Geist sitzt nicht hinter dem Gehirn. Bei einer Verletzung der Retina des Auges z.B. sieht das Sehhirn (der visuelle Cortex) den Defekt als dunkles Skotom. Hingegen wird ein akuter Ausfall der ganzen Sehrinde (durch bilateralen Gefäßinsult der Arteria calcarina) nicht wahrgenommen: Der Patient ist blind, ohne dies zu sehen (Rindenblindheit, auch Seelenblindheit genannt). ... Das Seelische lebt nicht außer dem Gehirn, sondern es ist der Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn, das bewusste Sehen ist beim Menschen eine Funktion der Hirnrinde (...). Ähnlich ist es mit dem Gewissen: wenn es durch Läsion des Frontalhirns verschwindet, merkt der Mensch den Verlust zunächst nicht; er kann sich sogar fröhlich einer Witzelsucht hingeben, durch leidvolle Erfahrung und Übung kann er aber einsichtiger werden.
Ich denke, dass diese Ausführung aufgrund ihrer Evidenz auf Basis empirischer Daten stichhaltig ist. Was meint ihr dazu?
Man kann dem Text auf dem ersten Blick leicht zustimmen. Schaut man jedoch genauer hin, kann man ihm vor allem deshalb leicht zustimmen, weil er an den entscheidenden Punkten recht oberflächlich bleibt.
Dies mag damit zusammenhängen, dass es nur ein Zitat ist. Der eigentliche Textteil des Buches, indem die Hirnforscher Kornhuber und Deecke ihre Argumentation entfalten, umfasst die Seiten 7 bis 115. Dem zitierten Abschnitt gingen also rund 80 Buchseiten voraus. Leider ist es hier nicht möglich, den gesamten Buchtext zu präsentieren, dafür müsstes Du das Buch entweder in der einer Bücherrei ausleihen oder käuflich erwerben.

Thaddäus hat geschrieben:Drei Bemerkungen fallen mir zu diesem Text ein:

1.
Die empirischen Befunde ergeben in der Tat, dass geistige Tätigkeiten des Menschen ganz offensichtlich ohne oder mit beschädigtem Gehirn nicht oder nur eingeschränkt bzw. verändert möglich sind. Mentale Zustände und geistige Aktivitäten hören auf, wenn das Gehirn abstirbt und wird es verletzt oder durch Krankheit in seiner Funktionsweise beeinträchtigt, ändern sich Verhaltensweisen, die Intelligenz kann eingeschränkt werden, der Charakter eines Menschen kann sich verändern, Sprache kann verloren gehen und erst durch Übung wieder erworben werden usw.usf. Dies alles deutet darauf hin, dass mentale Zustände, geistige Tätigkeiten, der Charakter und das Verhalten eines Menschen etc. direkt von Funktionen in seinem Gehirn und also vom Gehirn selbst abhängig sind.
Diese Korrelation von Geist und Gehirn weist aufgrund des Befundes meiner Meinung nach auf eine kausale Korrelation zwischen Geist und Gehirn in dem Sinne hin, dass das Gehirn den Geist durch neurologische Erregunsmuster erzeugt. Geist verstehe ich in diesem Zusammenhang nicht als "Stoff" irgendweiner Art, sondern als System hochkomplexer Prozesse.
Um dies zu untermauern, möchte ich einige Zitate aus meinen Buch anführen, indem es um die kausalen Beziehungen zwischen Hirn-Läsionen und Störungen des Geistes geht.
Zitat aus Wille und Gehirn (Seiten 43-44):
Wir kennen die Lokalisation des Willens im Frontalhirn vor allem aus den Folgen von Hirnläsionen beim Menschen, gewisser Vorstufen des Willens aber auch aus Hirnläsionen, Faserverbindungen (Jones & Powell 1970, Nauta 1971, Kawamura 1977, Pandya & Yeterian 1990) und Nervenzelltätigkeit (Fuster & Rolls) im Gehirn von Affen, seit 1965 aber auch aus den elektrischen Hirnpotentialen und Hirnmagnetfeldern beim Menschen (Kornhuber & Deecke, Lang et al.) sowie in letzter Zeite auch aus bildgebenden Verfahren, ...
Die Farbmakierungen sind von mir.
Zitat aus Wille und Gehirn(Seiten 46):
Aber auch diese Erfahrungen nahm man seltsamerweise kaum zur Kenntnis, denn bis vor kurzem wurde die Diskussion in den USA über die Funktion des präfrontalen Cortex oft durch den Begriff "working memory" (...) beherrscht, der von Goldman-Rakic eingeführt wurde, aber nur eine Umbenennung der 1935 von Jacobsen bei Affen entdeckten Störung des Kurzzeitgedächnisses durch Läsionen der fronto-lateralen Konvexität war.

Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 54 ):
Weiter gelten als Frontalhirntests der Contingency Naming Test, der Rey Complex Figure Test (Anderson et al. 2002) und der Trail Making Test (Moll et al. 2002) Erhöhte Ablenkbarkeit nach präfrontalen Läsionen wurde auch bei Affen bestätigt (Grüninger & Pribram 1969).
Auf Seite 67f. wird u.a. auf die Auswirkungen im Sozialverhalten bei Läsionen der Amygdala bei Affen eingegegangen:
- Ausschaltung der Amygdala bei erwachsenen Affen führt zu weniger Misstrauen (daher bei Kameraden beliebt)
- "beidseitige Läsionen der Amygala bei Affen in früher Kindheit (Alter 2 Wochen)" führt zu "Enttäuschungen durch zu große Sorglosikeit" und somit kausal zu mehr Ängstlistkeit im Sozialverhalten, aber keineswegs autistisch und ansonsten unaufällig. (Prather et al. 2001).

Thaddäus hat geschrieben:2.
Freiheit ist ein zu komplexer Begriff, als das man ihn durch die Verortung in den Frontallappen bereits hinreichend erklärt hätte.
Freiheit gemäß der Natur wurde bereits von den Epikureern (die lange vor dem Auftreten Jesu Atomisten waren und eine atomistische Physik vertraten) in ein schönes erklärendes Bild gefasst. Sie sprachen davon, man solle sich einen Hund vorstellen, der an einen Wagen angeleint ist. Setzt jemand den Wagen (mit einem Pferd) in Bewegung, muss der Hund ihm folgen. Er kann nun zweierlei tun: sich gegen diesen "natürlichen Zwang" sträuben, dann wird er trotzdem dahin gezogen, wo der Wagen hinfährt. Nur geht es dem Hund dabei schlecht. Oder er folgt dem Wagen "freiwillig" und wird dann zwar immer noch in die Richtung des Wagens gezogen, aber es geht ihm dabei besser, weil er keine Kräfte aufwendet, um sich zu sträuben, und er wird nicht durch den Staub geschleift, was für den Hund nur Leid (Schmerz/Unlust) und Unglück bedeutet. "Freiheit" hat er freilich nur innerhalb der Grenzen seiner Leine. Aber eine gewisse Freiheit hat er.
Insbesondere im ersten Kapitel beginnen die Hirnforscher mit einem kurzen philosophischen Einstieg (Kant, Kierkegaard, Sokrates, Albert Schweitzer und Spinoza). Der Begriff der Freiheit wird thematisiert und die Autoren gehen von Graden der Freiheit aus, nicht von absoluter Freiheit.
Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 19):
Wirkliche Freiheit ist Fähigkeit, ist Tugend im antiken Sinne; sie ist immer relativ: ein Nüchterner ist freier als ein Betrunkener, ein Erwachsener freier als ein Kleinkind, ein Mensch freier als ein Affe, aber auch ein Affe freier als ein Wurm (Kornhuber 1984). Ein Mensch ist weit mehr als ein sprechender Affe. Ein Affe hat keine Langzeitplanung, keine Kreativität, keine Verantwortlichkeit (außer für eigene Junge), keine Vernunft und folglich nur Vorstufen von Willen.
Die philosophische Betrachtung ist der Einstieg in die neurologische Analyse und am Schluss erfolgt ein Fazit, das in folgenden Worten der Autoren gut zum Ausdruck kommt:
Der Mensch kann tun, was er will, aber nicht wollen, was er will, behauptet Schopenhauer – unzutreffend, denn der Mensch kann keineswegs alles tun, was er will, und er kann in vieler Hinsicht doch auch lernen zu wollen, was er will.
Meiner Meinung nach ein sehr lesenswertes und differenziertes Buch, alledings auch recht anspruchsvoll.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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Halman
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#29 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mo 8. Feb 2016, 03:07

Thaddäus hat geschrieben:Allerdings ist der Mensch in einer viel radikaleren Weise frei, als es dieses Bild nahe legt.
Wie alle Lebewesen hat auch der Mensch vielfältige Bedürfnisse. Einige sehr elementare wie z.B. Hunger und Durst, die, wenn sie nicht gestillt werden, zum Tode des Menschen führen. Und er hat einige weniger elementare Bedürfnisse, wie den Sexualtrieb, das Schlafen, den Wunsch nach Anerkennung usw. (obwohl fortgesetzter Schlafentzug einen Menschen vermutlich auch töten kann).
Nur der Mensch ist aber in der Lage, sich sogar über seine elementaren Bedürfnisse hinwegzusetzen. Stellt man einem hungrigen Hund einen Napf mit Fressen hin, dann muss man ihn mit Gewalt davon abhalten, zu diesem Napf zu laufen und daraus zu fressen. Der Hund hat keine Möglichkeit, nicht zum Napf zu laufen und zu fressen!
Ein Mensch kann kurz vor dem Hungertod stehen, aber weil er sich zu einem Hungerstreik entschlossen hat, ist es ihm wegen seines Entschlusses und wegen seiner Überzeugung (und mit der entsprechenden Willenstärke) möglich, ihm hingestelltes Essen trotz starkem Hunger nicht zu essen, - z.B. weil er sich einem bestimmten politischen System nicht beugen will oder er kämpft für bessere Haftbedingungen (wenn er z.B. ein Strafgefangener ist) usw.
Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches bewusst seinen eigenen Tod in Kauf nimmt (z.B. für eine politische Idee) oder Suizid begehen kann. Damit ist der Mensch das einzige Lebewesen, welches sich über die ihm unmittelbar gegebenen biologischen Zwänge hinwegsetzen kann. Der Mensch ist das einzige uns bekannte Lebewesen, welches "Nein!" sagen kann und danach handeln, auch, wenn es seinen Tod bedeuten sollte. Ein Entschluss von ihm - also ein geistiger Akt - kann also einen Menschen dazu bewegen, sich unmittelbar gegebenen biologischen Zwängen zu entziehen und sei es, durch die Einwilligung in den eigenen Tod. "Ausstieg aus der Natur" ist also sehr wohl dem Menschen möglich! Auch das ist ein empirisch belegter Befund.
Hmm, Deine Ausführung ist natürlich richtig (da denke ich an Mahatma Gandhi), aber ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor. So wie ich die Hirnfoscher Kornhuber und Deecke verstanden habe, meinten sie die Austieg aus den "Naturgesetzen", sie negieren also, dass ist möglich ist, aus der Physik und der [Bio]Chemie auszusteigen (was einer supernaturalistischen Seele vermutlich möglich wäre). Wenn der Mensch sich entscheidet, den Hungertod in Kauf zu nehmen, so entscheidet er dies mit seinem Gehirn und auch bei diesen Hirnfunktionen werden Natrium- u. Kalium-Ionen sowie Neurotransmitter beteiligt sein - da gibt es keinen Austieg aus der Natur.
Kornhuber und Deecke geht es darum, die Freiheit des Willens aus naturalistischer Sicht zu verteidigen. Sie sind der Auffassung, dass aus dem Umstand, dass das menschliche Gehirn auf natürliche Weise funktioniert, eben nicht folgt, dass der freie Wille eine Illusion sei, wie es die Hirnforscher Roth und Singer behaupten.
Das Bereitschaftspotential² (Kornhuber & Deecke 1964, 1965) spielt dabei eine große Rolle (s. Grafik von Wikipedia, ebenfalls im Buch Wille und Gehirn auf Seite 24).
Bild

So wie ich ihre Ausführungen verstehe, stimmen Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke mit Deiner Sichtweise grundsätzlich überein:
Zitat aus Wille und Gehirn (Seiten 21-22):
Auch eine Katze hat gewisse Freiheitsgrade in ihrem Verhalten, und sie erhält sich diese Freiheit u.a. dadurch, dass sie rechtzeitig auf Mäusejagd geht. Unsere menschliche Freiheit aber geht weit über die einer Katze hinaus; wir sind z.B. fähig, unsere Fernziele zu wählen und unser Motivrepertoire durch eigene Aktivität zu erweitern.

Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 26):
Triebe sind primitive Reglungen, etwa für die Aufrechterhaltung der Energiezufuhr durch Hunger. Triebe hat die Natur schon den Fischen gegeben, die noch keinen Neocortex (Großhirnrinde) besitzen: sie haben Ursachen in den Genen und im vitalen Bedarf des Organismus. Wille ist hingegen ein viel höhere cortikale Funktion, voll entwickelt erst beim Menschen; er hat wohlerwogene Gründe, sein Berater ist Vernunft, er berücktsichtig Werte und kulturelle Ziele, obgleich er auch Rücksicht auf vitalen Bedarf nimmt.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#30 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mo 8. Feb 2016, 03:10

Thaddäus hat geschrieben:3.
Man kann das Seelische des Menschen, seine mentalen Zustände und geistigen Tätigkeiten durchaus als "Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn" definieren, wie es der obige Text tut. Aber genau dieser "Innenaspekt der Informationsverarbeitung im Menschengehirn" ist ja das Rätsel des Bewusstseins!
Ein herkömmlicher Computer verarbeitet Informationen und zeigt dann ein bestimmtes Verhalten (spielt Schach oder übersetzt die eine Sprache in eine andere wie Google-Translate etc.). Aber wie es zu einem Innenaspekt dieser Informationsverarbeitung kommen könnte und wie man einen solchen Innensapekt einem Computer beibringen kann, das ist gerade das große Problem der KI, an denen sich die KI-Informatiker immer noch abarbeiten. Offenbar ist es nicht ganz so einfach, einem Computer Innenaspekte seiner Informationsverarbeitung beizubringen.
Das bedeutet, der obige Text lässt diese entscheidende Frage gerade außen vor. Klar kann man sagen, das Seelische und Geistige seien Innenaspekte der Informationsverarbeitung. Aber was das genau bedeutet und wie man es simulieren kann, das ist eben nicht so leicht zu klären. Ein Schachcomputer spielt eigentlich kein Schach, weil er nicht weiß, was er tut, wenn er Schach spielt. Er hat gar keine Ahnung von Schach. Ebenso wenig versteht der Google-Spanisch-Translater etwas vom Spanischen. Der Translater wendet sehr intelligent programmierte Regeln an, aber er versteht trotzdem kein Spanisch (vgl. John Searles "Chinesisches Zimmer").
Der Hirnforscher Wolf Singer räumte ein
… Wir sind jedoch noch weit davon entfernt, die Prinzipien zu verstehen, nach denen sich verteilte Prozesse im Gehirn zu kohärenten Zuständen fügen – Zuständen, die dann als Substrate von Wahrnehmungen, Vorstellungen, Entscheidungen und Handlungen dienen.
In diesem Beitrag thematisierte ich W. Singers Artikel: Das Gehirn – ein Orchester ohne Dirigent, basierend auf seinen Festvortrag auf der Jahresversammlung der Max-Planck-Gesellschaft in Rostock (2005).
Das wusste natürlich auch der 2009 verstorbene Hirnforscher Kornhuber und ich bin davon überzeugt, dass auch Prof. L. Deecke dies weiß. Ich glaube aber, dass die Hirnfoschung recht überzeugend zeigen kann, dass die Korrelation zwischen Hirnfunktionen und dem menschlichen Geist kausaler Natur ist und der Geist tatsächlich vom Gehirn auf natürliche Weise erzeugt wird.
Das Gehirn arbeitet meiner bescheidenen Kenntnis allerdings völlig anders als ein Computer.
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Das menschliche Gehirn verkörpert fraglos das komplexeste System im uns bekannten Universum – wobei komplex nicht einfach für kompliziert steht, sondern im Sinne der Komplexitätstheorie als terminus technicus spezifische Eigenschaften eines Systems benennt, das aus sehr vielen aktiven, miteinander auf besondere Weise interagierenden Einzelelementen besteht.
Ich denke, dass diese Aussage auch heute noch aktuell ist. Bemerkenswert ist, was Singer über dieses komplexe System im folgenden Absatz aussagt:
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Solche Systeme zeichnen sich durch eine hoch nichtlineare Dynamik aus; sie können Qualitäten hervorbringen, die aus den Eigenschaften der Komponenten nicht ableitbar sind – und sie sind kreativ: Sie können nahe zu unendlich viele Zustände in hochdimensionalen Räumen einnehmen und dabei neue, unvorhersehbare Muster ausbilden. Das liegt daran, das sie sich selbst organisieren und ohne den koordinierenden Einfluss einer übergeordneten Instanz hochgeordnete, metastabile Zustände einnehmen können.
Wolf Singer negiert kathegorisch eine übergeordnete Willens-Instanz; er ist Experte für das visuelle System und beschreibt das distributiv arbeitende Gehirn.
Doch laut Hans Helmut Kornhuber und Lüder Deecke arbeitet unser Gehirn nicht nur distributiv, sondern auch hierarchisch. In Deeckes Artikel Unter Zwang läuft alles schlechter, der auf seinen Vortrag „Freiheit und Kreativität“ (2010) basiert, wird ausgesagt:
Die Klinische Neurologie hat das größte Erfahrungsgut über Fähigkeiten und Gehirn des Menschen gesammelt. Diese Erfahrung hat zu zwei Theorien („Modellen“) über die Hirnfunktion geführt: erstens ein „hierarchisches“ System neben- und übergeordneter Zentren; dafür sprechen spezifische Ausfälle bei lokalisierten akuten Hirnläsionen, auch die Fähigkeit zur vernünftigen Selbstführung des Menschen, die Ergebnisse der funktionellen Kernspintomografie und die Hirnpotentiale. Zweitens ein verteiltes System, in dem durch Leitungen das meiste mit vielem anderen verbunden ist und das seine Leistungen stets durch ausgedehnte Zusammenarbeit hervorbringt. Dafür sprechen das assoziative Gedächtnis und die allmähliche Erholung von Funktionen (mit Hilfe von aktiver Übung) nach Läsionen, aber auch die Histologie und Hodologie cerebraler Netze.
Dies tangiert aber m.E. nicht die Korrektheit folgender Festellung von Singer:
Zitat von Wolf Singer (s. PDF-Datei):
Denn mit ihnen lassen sich Probleme der Informationsverarbeitung sehr viel eleganter bewältigen als mit linearen Operationen – etwa, wenn es darum geht, Muster zu erkennen, Kategorien zu bilden, große Mengen von Variablen assoziativ zu verknüpfen oder Entscheidungen zu treffen.
Dazu passt meiner Meinung nach ergänzend, was Kornhuber und Deecke über die Besonderheit des menschlichen Assoziatonscortex' aussagen:
Zitat aus Wille und Gehirn (Seite 91):
Dass der Mensch ein geistig überlegenes Wesen ist, ist nicht nur Tatsache, sonern vor allem auch eine Verpflichtung, ... Die Grundlage dieser Überlegenheit ist aber nicht die Zweifüßigkeit, auch nicht Lustempfindung oder limbisches System (das sich beim Menschen nicht wesentich von den Affen unterscheidet), sondern die enorme Entwicklung des Assoziatonscortex, ... Der Mensch hat aber nicht nur mehr Nervenzellen in seinem Assoziatonscortex als irgendein anders Tier einschließlich der Delphine, er hat auch infolge Zusammenarbeit mit Sprache, Kultur und langer lernender Kindheit unvergleichlich mehr Wissen, und leider hat er diese Überlegenheit oft unverantwortlich genutzt.

²Der Begriff Bereitschaftspotential ging als deutsches Fremdwort sogar im angelsächsischen Sprachraum als Fachwort ein.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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