Ich ist nicht Gehirn

Philosophisches zum Nachdenken
Salome23
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#41 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Salome23 » Mo 8. Feb 2016, 21:39

Thaddäus hat geschrieben: Er - Prof. Ansgar Beckermann - liegt also morgens im Bett und möchte eigentlich nur weiterschlafen und nicht in die Universität fahren.
Das kenn ich...
Geht mir jeden Morgen so. :D
P.S.:... ein Computer kennt so ein Gefühl allerdings nicht 8-)

JackSparrow
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#42 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Di 9. Feb 2016, 11:33

Thaddäus hat geschrieben:Obwohl nun alle Aktionspotenziale in Beckermanns Gehirn so feuern, dass er eigentlich lieber im Bett bleiben möchte, entscheidet er sich
Sein Instinkt (hier: die Angst eines Säugetiers vor Statusverlust im Rudel) zwingt den Herrn Professor dazu, widerwillig auf seinen Schlaf zu verzichten und sich der fremden Entscheidung des Rudelführers unterzuordnen. Was er keinesfalls getan hätte, wenn er sich seiner Position bereits sicher gewesen wäre. Amén.

Natürlich ist so, dass der Anruf der Sekräterin in seinem Gehirn etwas auslöst.
Vielleicht löst das auch einen Hormonschub aus und der Herr Professor eilt freiwillig zu seiner Sekretärin, ohne im geringsten an der Wahl interessiert zu sein.

Welche Erregungspotenziale also nachweislich in seinem Hirn auftreten, hängt eben auch von diesem Anruf wesentlich ab,
Außerdem von seinem Blutbild (Blutzuckerschwankungen, Hormonschwankungen, Vitaminmangel usw. hat alles einen Einfluss auf das Verhalten), von seiner Hirnstruktur (wäre er manisch-depressiv, hätte er vielleicht trotzdem weitergeschlafen) sowie vom äußeren Erscheinungsbild der Sekretärin.

Physikalische Determination und das Handeln aus guten Gründen schließen sich also nicht zwangsläufig gegenseitig aus!
Natürlich nicht. Der Körper hat immer einen biologisch guten Grund für sein Handeln, und dem Großhirn wird hinterher auch irgendwann mal einer einfallen. Sollte mal jemand nachfragen, muss man dem Anderen schließlich eine Antwort liefern können.

Pluto
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#43 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Di 9. Feb 2016, 12:03

Salome23 hat geschrieben:P.S.:... ein Computer kennt so ein Gefühl allerdings nicht 8-)
Wenn man ihm das einprogrammiert, kann er selbst das.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Salome23
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#44 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Salome23 » Di 9. Feb 2016, 13:04

Pluto hat geschrieben:
Salome23 hat geschrieben:P.S.:... ein Computer kennt so ein Gefühl allerdings nicht 8-)
Wenn man ihm das einprogrammiert, kann er selbst das.
Red doch ned so an Stuss...
Computer haben keine Emotionen, du kannst ihm höchstens Worte eingeben, die ein Gefühl beschreiben.

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#45 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Di 9. Feb 2016, 13:12

Salome23 hat geschrieben:Red doch ned so an Stuss...
:shock:

Salome23 hat geschrieben:Computer haben keine Emotionen, du kannst ihm höchstens Worte eingeben, die ein Gefühl beschreiben.
Genau das meine ich. Es muss nicht echt sein, nur gut genug um andere zu täuschen. :wave:

Wenn ich dem Computer die Worte "Ich liebe dich" eingebe, und ihm die Regeln gebe, wann und unter welchen Umständen er das sagen soll, dann wird er es auch tun. Es kommt NUR darauf an, wie gut die Programme sind.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Halman
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#46 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Di 9. Feb 2016, 13:43

Thaddäus hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: [...]
So wie ich die Hirnfoscher Kornhuber und Deecke verstanden habe, meinten sie den Ausstieg aus den "Naturgesetzen", sie negieren also, dass ist möglich ist, aus der Physik und der [Bio]Chemie auszusteigen (was einer supernaturalistischen Seele vermutlich möglich wäre). Wenn der Mensch sich entscheidet, den Hungertod in Kauf zu nehmen, so entscheidet er dies mit seinem Gehirn und auch bei diesen Hirnfunktionen werden Natrium- u. Kalium-Ionen sowie Neurotransmitter beteiligt sein - da gibt es keinen Austieg aus der Natur.
Natürlich gibt es so gesehen keinen Ausstieg aus der Natur.
In der philosophy of mind gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Richtungen. Die eine ist der Kompatibilismus. Der Kompatibilismus ist der Auffassung, dass eine physikalisch-neuronale Determintaion verträglich ist mit der Auffassung, dass es trotzdem Freiheit gibt. Die andere, der Imkompatibilismus, ist der Aufassung, es könne keine Freiheit geben, wenn die Physik des Gehirns determinstisch ist und neuronale Bereitschaftspotenziale Millisekunden vor den bewussten Entscheidungen bereits gemessen werden können.

Ansgar Beckermann hält das - meiner Meinung nach zurecht - für ein philosophisches Scheinproblem.
Darin stimme ich ihm zu, ich bin nämlich Kompatibilist. ;) Dagegen mag man einwenden, dass unser Unterbewusstsein bereits vor unserer bewussten "Entscheidung" unser Handeln bestimmt, doch wer so argumentiert, ist sich offenkundig nicht dessen bewusst, dass unser Bewusstsein die Möglichkeit hat, durch ein „Veto“ den unbewussten Handlungsimpuls zu korrigieren, sofern sich der Mensch vor der Ausführung der beabsichtigten Handlung bewusst wird.
Am Do 30. Apr 2015, 15:10 kam ich zu folgendem Fazit:
Willensfreiheit im Sinne absoluter Freiheit im abstrakt philosophischen Sinne zu fordern, ist sinnfrei, da es für physische Wesen nun mal keine Freiheit von der Physik geben kann. Der Begriff macht nur Sinn, wenn man ihn relativiert.
Unser Wille ist dann frei, wenn dass, was wir als Willen bezeichnen, frei ist, zu wollen. Ob dieses Wollen physikalisch determiniert ist, spielt m. E. für den Freiheitsbegriff keine Rolle. Es geht nicht um die Frage, ob ich etwas anders wollen könnte, sondern darum, ob der Wille frei von Zwängen ist.

Thaddäus hat geschrieben:Physikalische Determination und das Handeln aus guten Gründen schließen sich also nicht zwangsläufig gegenseitig aus!
Vielen Dank für ein anschauliches Beispiel. Ich denke, dass Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin zu Recht die öffentliche Debatte über die Verantwortlichkeit des Menschen kritisiert, die durch die Hirnforscher Wolf Singer und Gerhard Roth ausgelöst wurde.
Im Rahmen einer PN-Diskussion mit einem User in einem anderem Forum hatte ich mal eine Quelle von Julian Nida-Rümelin rausgesucht, die ich leider nicht mehr im Web finde. Immerhin habe noch das Zitat:
Zitat aus 1. Intellektualität und Freiheit. Die Konzeption Nida-Rümelins:

"Meine Freiheit ist bedingt, sie ist nicht unbedingt: Die Lebenserfahrungen, aber auch die biografischen Forschungen der Psychologie legen nahe, dass der Selbsterfindung und dem radikalen Neubeginn enge Grenzen auferlegt sind" (S. 158).
- s. 4. Absatz

Zitat aus Absatz 9:
Sie setzt Freiheit voraus und "hat [mithin] zur Prämisse, dass sich Menschen von Gründen affizieren lassen" (S. 128).
- s. 9. Absatz
Ich stimme mit Dir, Thaddäus, darin überein, dass unsere willentlichen Entscheidungen stehts auf Gründen beruhen, welche es auch immer sind. Wir sind insofern frei, als dass wir die Autoren unseres Lebens sind. Dies drückte Nida-Rümelin im folgendem Satz sehr treffend aus:
Zitat von Julian Nida-Rümelin (s. Seite 15 der PDF-Datei):
„Es ist ein Respekt, der darauf beruht, dass wir uns wechselseitig als autonome Akteure ansehen, als Autoren unseres Lebens, als Wesen, die sich von Gründen affizieren lassen, die in der Lage sind, Gründe abzuwägen und auf Grund dieser Abwägung urteilen und entscheiden.“
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#47 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Di 9. Feb 2016, 15:01

Halman hat geschrieben:Willensfreiheit im Sinne absoluter Freiheit im abstrakt philosophischen Sinne zu fordern, ist sinnfrei, da es für physische Wesen nun mal keine Freiheit von der Physik geben kann.
Wäre unser Körper unserem Willen unterworfen, würde die gesamte Spezies aussterben. Wir würden dann sogar aufs Essen verzichten, da uns ohne jedes Hungergefühl die Nahrungsbeschaffung sicherlich irgendwann langweilig werden würde.

Ich stimme mit Dir, Thaddäus, darin überein, dass unsere willentlichen Entscheidungen stehts auf Gründen beruhen, welche es auch immer sind.
Nur werden in unserer Gesellschaft die meisten Menschen schon von Kindheit an zu Lügnern und Heuchlern erzogen und es würde ihnen im Traum nicht einfallen, ihren Mitmenschen die wahren Beweggründe ihres Handelns mitzuteilen. Da kommt ihnen ein "freier Wille" als vorgeschobene Begründung sehr gelegen.

die in der Lage sind, Gründe abzuwägen und auf Grund dieser Abwägung urteilen und entscheiden
Und die tatsächlich glauben, eine Alternative zu haben. Aber immer erst hinterher, nachdem der Körper sich schon entschieden hat.

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#48 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Salome23 » Di 9. Feb 2016, 15:10

JackSparrow hat geschrieben: Wir würden dann sogar aufs Essen verzichten, da uns ohne jedes Hungergefühl die Nahrungsbeschaffung sicherlich irgendwann langweilig werden würde.
Schatz, stell dir vor, es soll sogar Menschen geben die sich auf die Jagd nach einer "Pizza" begeben nur weil sie grade Appetit(Lust) darauf haben und nicht weil der Magen knurrt...

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#49 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von ThomasM » Di 9. Feb 2016, 15:46

Salome23 hat geschrieben: Schatz, stell dir vor, es soll sogar Menschen geben die sich auf die Jagd nach einer "Pizza" begeben nur weil sie grade Appetit(Lust) darauf haben und nicht weil der Magen knurrt...
Es gibt sogar die, die sich auf Grund der unzähligen Warnungen vor jeglichen Nahrungsmitteln oder dem Glauben an das fit-jung-schön des Essens enthalten und hungern, obwohl der Magen knurrt.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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#50 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Di 9. Feb 2016, 16:08

Halman hat geschrieben:Ich denke, dass Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin zu Recht die öffentliche Debatte über die Verantwortlichkeit des Menschen kritisiert, die durch die Hirnforscher Wolf Singer und Gerhard Roth ausgelöst wurde.
Im Rahmen einer PN-Diskussion mit einem User in einem anderem Forum hatte ich mal eine Quelle von Julian Nida-Rümelin rausgesucht, die ich leider nicht mehr im Web finde. Immerhin habe noch das Zitat:
Zitat aus 1. Intellektualität und Freiheit. Die Konzeption Nida-Rümelins:

"Meine Freiheit ist bedingt, sie ist nicht unbedingt: Die Lebenserfahrungen, aber auch die biografischen Forschungen der Psychologie legen nahe, dass der Selbsterfindung und dem radikalen Neubeginn enge Grenzen auferlegt sind" (S. 158).
- s. 4. Absatz

Zitat aus Absatz 9:
Sie setzt Freiheit voraus und "hat [mithin] zur Prämisse, dass sich Menschen von Gründen affizieren lassen" (S. 128).
- s. 9. Absatz
Ich stimme mit Dir, Thaddäus, darin überein, dass unsere willentlichen Entscheidungen stehts auf Gründen beruhen, welche es auch immer sind. Wir sind insofern frei, als dass wir die Autoren unseres Lebens sind. Dies drückte Nida-Rümelin im folgendem Satz sehr treffend aus:
Zitat von Julian Nida-Rümelin (s. Seite 15 der PDF-Datei):
„Es ist ein Respekt, der darauf beruht, dass wir uns wechselseitig als autonome Akteure ansehen, als Autoren unseres Lebens, als Wesen, die sich von Gründen affizieren lassen, die in der Lage sind, Gründe abzuwägen und auf Grund dieser Abwägung urteilen und entscheiden.“
Ich bin ebenfalls Kompatibilist. Allerdings habe ich ein gewisses Verständnis für die Haltung von Singer und Roth, dass unser Rechtssystem auf der falschen Prämisse der Schuldfähigkeit aufbaut. Schuldfähigkeit halte ich für einen "alten Zopf" aus einem stark christlich (biblisch) geprägten Rechtssystem.

Der Mensch ist nicht wirklich schuldfähig, dennoch trägt er Verantwortung für sein Handeln.
Das ist nicht spitzfindig, weil man Schuld vergeben kann, Verantwortung aber nicht. Diese Verantwortung ist es, die uns rechtfertigt, wenn wir Menschen die gegen unsere Regeln (Gesetze) verstoßen, bestrafen. Das Ziel ist aber nicht die Strafe, sondern die Besserung. Ohne das Besserungs-Motiv sehe ich die Strafe als sadistischen Racheakt der Gesellschaft (im Sinne der Bibel) gegenüber dem Verbrecher.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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