Ich ist nicht Gehirn

Philosophisches zum Nachdenken
ThomasM
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#51 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von ThomasM » Di 9. Feb 2016, 16:34

Pluto hat geschrieben: Schuldfähigkeit halte ich für einen "alten Zopf" aus einem stark christlich (biblisch) geprägten Rechtssystem.
Der Mensch ist nicht wirklich schuldfähig, dennoch trägt er Verantwortung für sein Handeln.
Der erste Satz ist so nicht korrekt. Schuldfähigkeit ist ein klarer juristischer Begriff, der wenig mit der christlichen Tradition zu tun hat.

Für mich ist dies eindrücklich geworden, an einem Fall, den ich selbst erlebt hatte.
Eine ehemalige Nachbarin hatte schwere Depressionen, ausgelöst durch eine zerbrechende Ehe.
In einem solchen depressiven Anfall hat sie ihr kleines Kind (4 Jahre) dermaßen stark umklammert, unfähig, sich zu bewegen, dass es erstickte.

Die Frau wurde wegen der Depressionen nicht schuldfähig gesprochen. Sie wurde nach der U-Haft (bis zum Prozess dauerte es zwei Jahre) freigelassen.

Wenn du den Begriff Schuldfähigkeit abschaffst, musst du einen neuen Begriff einführen, der genau diese Situation von der unterscheidet, wo eine Frau ihr Kind ermordet, nur weil es ihr lästig ist. Das Motiv, der innere Zustand, die möglichen Handlungsoptionen spielen eben doch eine wesentliche Rolle in der Beurteilung einer Tat.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#52 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Di 9. Feb 2016, 17:09

ThomasM hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Schuldfähigkeit halte ich für einen "alten Zopf" aus einem stark christlich (biblisch) geprägten Rechtssystem.
Der Mensch ist nicht wirklich schuldfähig, dennoch trägt er Verantwortung für sein Handeln.
Der erste Satz ist so nicht korrekt. Schuldfähigkeit ist ein klarer juristischer Begriff, der wenig mit der christlichen Tradition zu tun hat.
Natürlich ist unser System auf dem christlich/biblischen Recht aufgebaut. Worauf denn sonst?

Selbst das Sammeln von Holz am Sabbat wurde mit dem Tod geahndet wurde. Was ich damit sagen will ist, dass jedes kleinste Vergehen oft mit brutalen körperlicher Vergeltung bis hin zur Todesstrafe geahndet wurde. Das alte römisch/christlichen Gesetz baute deshalb auf Abschreckung und Erniedrigung des Täters auf.
Was wir aber brauchen ist mehr: Wir brauchen nicht die Vergeltung, sondern die Besserung und Wiedereingliederung des Verbrechers in die Gesellschaft.

"Der Mann hat wurde bestraft und hat Busse getan."
Mir ist das sowohl zu wenig, als auch zu viel, denn in meinem Verständnis fehlt hier die Aufarbeitung des Vergehens durch einen Prozess der Reue.

ThomasM hat geschrieben:Wenn du den Begriff Schuldfähigkeit abschaffst, musst du einen neuen Begriff einführen, der genau diese Situation von der unterscheidet, wo eine Frau ihr Kind ermordet, nur weil es ihr lästig ist. Das Motiv, der innere Zustand, die möglichen Handlungsoptionen spielen eben doch eine wesentliche Rolle in der Beurteilung einer Tat.
Genau das tue ich doch...

Mein Begriff heißt Verantwortung.

Wenn du zu schnell gefahren bist, kann ich deine Schuld begleichen, in dem ich den Strafzettel bezahle. Falls man sich schuldig gemacht hat, kann Jemand diese Schuld vergeben. Doch die Verantwortung für sein Handeln trägt weiterhin derjenige der das Gesetz gebrochen hat. Verantwortung für eine Straftat kann man nicht abstreifen oder Jemand anderem übergeben.
Nicht einmal Jesus Christus kann uns von der Verantwortung für eine Tat befreien!
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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Thaddäus
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#53 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » Di 9. Feb 2016, 20:15

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Obwohl nun alle Aktionspotenziale in Beckermanns Gehirn so feuern, dass er eigentlich lieber im Bett bleiben möchte, entscheidet er sich
Sein Instinkt (hier: die Angst eines Säugetiers vor Statusverlust im Rudel) zwingt den Herrn Professor dazu, widerwillig auf seinen Schlaf zu verzichten und sich der fremden Entscheidung des Rudelführers unterzuordnen. Was er keinesfalls getan hätte, wenn er sich seiner Position bereits sicher gewesen wäre. Amén.
Möge sich der Sinn dieser Worte einem Biologisten erschließen ...

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Natürlich ist so, dass der Anruf der Sekräterin in seinem Gehirn etwas auslöst.
Vielleicht löst das auch einen Hormonschub aus und der Herr Professor eilt freiwillig zu seiner Sekretärin, ohne im geringsten an der Wahl interessiert zu sein.
Wenn des Professors Sekräterin eine scharfe Maus ist, dann ist das ja wohl auch ein guter Grund ins Büro zu fahren ... :lol:

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Welche Erregungspotenziale also nachweislich in seinem Hirn auftreten, hängt eben auch von diesem Anruf wesentlich ab,
Außerdem von seinem Blutbild (Blutzuckerschwankungen, Hormonschwankungen, Vitaminmangel usw. hat alles einen Einfluss auf das Verhalten), von seiner Hirnstruktur (wäre er manisch-depressiv, hätte er vielleicht trotzdem weitergeschlafen) sowie vom äußeren Erscheinungsbild der Sekretärin.
Ja, - und außerdem hängt das Verhalten des Professors auch davon ab, ob es Straßen, Telefone und Sekräterinnen gibt. Gäbe es das alles nicht, hätte er weiterschlafen können, was allerdings voraussetzt, dass es Betten gibt und der Mann noch müde ist.
Zudem: hat der Professor Hormanschwankungen, weil seine Sekretätin sexy ist oder ist sie sexy, weil er Homonschwankungen hat? :yawn:

JackSparrow hat geschrieben:
Thaddäus hat geschrieben:Physikalische Determination und das Handeln aus guten Gründen schließen sich also nicht zwangsläufig gegenseitig aus!
Natürlich nicht. Der Körper hat immer einen biologisch guten Grund für sein Handeln, und dem Großhirn wird hinterher auch irgendwann mal einer einfallen. Sollte mal jemand nachfragen, muss man dem Anderen schließlich eine Antwort liefern können.
Oh, du kennst einen biologischen Grund dafür, warum manche Menschen sich mit Modallogik beschäftigen? Und sich einen andern Grund nachträglich ausdenken, als den eigentlichen biologischen, um sich rechtfertigen zu können. :lol:

JackSparrow
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#54 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Di 9. Feb 2016, 20:55

Thaddäus hat geschrieben:Möge sich der Sinn dieser Worte einem Biologisten erschließen ...
Den eigenen sozialen Status zu sichern, ist Säugetieren wichtiger als Schlaf. Also muss der Professor aus biologischen Gründen zur Wahl fahren...

Zudem: hat der Professor Hormanschwankungen, weil seine Sekretätin sexy ist oder ist sie sexy, weil er Homonschwankungen hat?
Interessante Frage. Einerseits steigt der Testosteronspiegel nachweislich an, wenn man eine attraktive Frau sieht. Andererseits hält man nachweislich umso mehr Frauen für attraktiv, desto höher der Testosteronspiegel ist. Der Fortpflanzungstrieb muss der Natur also so extrem wichtig gewesen sein, dass sie dafür gleich zwei gegenseitige Verstärker eingerichtet hat.

Oh, du kennst einen biologischen Grund dafür, warum manche Menschen sich mit Modallogik beschäftigen?
Einige Modallogiker werden versuchen, mit ihrer Modallogik den Weibchen zu imponieren. Der Rest finanziert mit Modallogik seinen Lebensunterhalt. Was auf indirekte Weise natürlich ebenfalls wieder den Weibchen imponiert. Aber welcher Modallogiker würde das schon zugeben.

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Thaddäus
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#55 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » Di 9. Feb 2016, 21:20

Halman hat geschrieben: Dagegen mag man einwenden, dass unser Unterbewusstsein bereits vor unserer bewussten "Entscheidung" unser Handeln bestimmt, doch wer so argumentiert, ist sich offenkundig nicht dessen bewusst, dass unser Bewusstsein die Möglichkeit hat, durch ein „Veto“ den unbewussten Handlungsimpuls zu korrigieren, sofern sich der Mensch vor der Ausführung der beabsichtigten Handlung bewusst wird.
Es war Sigmund Freud, der herausfand, dass wir nicht Herr im eigenen Haus sind und unser Verhalten sogar maßgeblich von unbewussten Faktoren abhängt, - und das lange vor Roth und Singer. Er war aber auch derjenige, der den Sinn von Psychotherapie darin sah, uns diese unbewussten Faktoren eben bewusst zu machen, damit wir uns besser verstehen lernen (und möglicherweise aus einem Verhaltensteufelskreis ausbrechen können).
Auch insofern also volle Zustimmung zu dem, was du schreibst.

Es gibt zum Aspekt der vermeintlichen Determinertheit unsere Verhaltes auch ein interessantes Gedankenexperiment, welches auf eine infinite Entscheidungsrekursion hinausläuft:
Man nehme an, unser Verhalten sei tatsächlich vollständig (physikalisch und neurologisch und biologistisch etc.) determiniert und wenn man alle relevanten Daten von einer Person hat, kann man vorausberechnen, was er als Nächstes tun wird. Wir stellen uns vor, wir sitzen mit einem Forscher am Tisch. Er hat alle relevanten Daten von uns, an unserem Kopf sind Elektroden angebracht, die unsere Hirnströme messen usw. Vor uns liegt ein Apfel und es geht um die Frage, ob ich als Nächstes den Apfel esse oder nicht (ich bin aufgefordert innerhalb von -sagen wir 30sec. - entweder den Apfel zu nehmen und zu essen oder nicht). Im Idealfalle kann der Forscher uns gegenüber mit dem Laptopp vor sich auf "Enter" drücken und sein Programm rechnet aus, was ich gleich tun werde.
Der Forscher kann uns also sagen: "So, ich sehe jetzt hier, was sie als Nächstes tun." (Apfel nehmen und essen; nichts tun, Apfel zwar nehmen, aber nicht essen)
Interessanterweise darf er uns aber nicht sagen, was wir als Nächstes tun werden, weil sonst ein infiniter Regress entsteht. Sagt er uns nämlich, was wir gleich tun werden, bedeutet das eine neue Information für mich und ich kann jederzeit das Gegenteil des Vorhergesagten tun (und sei es nur, weil ich den Forscher ärgern will). Gelangt unsere Umentscheidung z.B. über die Elektroden an unserem Kopf wiederum in sein System, zeigt sein Programm plötzlich ein neues Ergebnis an. Informiert er uns über das neue Ergebnis, können wir uns wieder umentscheiden ... ad infintum.
Selbst, wenn es also möglich wäre, das Verhalten eines Menschen präzise vorherzusagen, funktioniert das nur, wenn diese Information nicht weitergegeben wird. Welchen Sinn hätte es aber, von jemanden zu wissen, wie er sich verhält und er verhält sich auch so, aber nur, wenn man ihm diese Information vorenthält?

Halman hat geschrieben: Unser Wille ist dann frei, wenn dass, was wir als Willen bezeichnen, frei ist, zu wollen. Ob dieses Wollen physikalisch determiniert ist, spielt m. E. für den Freiheitsbegriff keine Rolle. Es geht nicht um die Frage, ob ich etwas anders wollen könnte, sondern darum, ob der Wille frei von Zwängen ist.
Das ist eine berühmte Defintion der Freiheit, ich glaube von Schophenhauer. Freiheit ist das "Wollen-Können". Ich erinnere mich, einen Einwand hiergegen von Markus Gabriel gelesen zu haben, kann mich aber dummerweise nicht mehr erinnern, was sein Einwand war. :lol:

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Thaddäus
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#56 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » Di 9. Feb 2016, 21:45

Pluto hat geschrieben:Nachdem ich das noch einmal gelesen habe, stellte sich bei mir ein "Aha"-Effekt ein.
Was du (und auch Searle mit seinem chinesischen Zimmer) hier postulierst, ist dass es zwar für eine Maschine unbewusst möglich ist, Spanisch (oder Chinesisch) zu übersetzen. Daraus ziehst du den Schluss, dass ein solcher Computer niemals ein Bewusstsein haben kann, wie ein Mensch; der Computer bleibt sozusagen ein "philosophischer Zombie" — er kann kommunizieren wie ein Mensch aber ihm fehlt die "Verinnerlichung" der Informationen.
Ja. Es gibt zwar gibt einige Philosophen (vor allem Daniel Dennett und das Ehepaar Churchland), die schlictweg leugnen, dass es eine solche Verinnerlichung gibt, aber ihre Sicht ist doch sehr stark kontraintuitiv. Nun ist nicht jede Intuition von uns richtig und sei sie noch so stark, - aber unsere Gewissheit darüber, dass wir über innere emotionale und mentale Zustände verfügen, ist doch ausgesprochen stark und evident. Zudem glaube ich, dass unsere Fähigkeit, lügen und täuschen zu können, exakt darauf basiert, dass wir unmittelbare qualitative Empfindungen und uns selbst bewusste mentale Zustände haben, die aber verheimlichen können und anderen gegebenenfalls dadurch vormachen können, dass wir etwas ganz anderes fühlen und uns in ganz anderen mentalen Zuständen befinden. Lügen und täuschen zu können, scheint mir ein deutlicher Hinweis auf Intelligenz und Bewusstein zu sein, - im Sinner einer solchen "Verinnerlichung" bzw. verinnerlichten Wahrnehmung. Du schreibst in einer deiner Antworten hier von echten Gefühlen. Falsche Gefühle, also vorgetäuschte, kann es aber nur geben, wenn wir sie von unseren echten unterscheiden können.

Pluto hat geschrieben: Nun könnte man einen "Androiden" einem noch strengeren Test unterziehen...
Wir stellen dem Roboter eine Frage, die er (natürlich) bravourös beantwortet, und nun bitten wir ihn zu erklären, WIE er denn die Aufgabe gelöst hat. Nun wird er vielleicht antworten, er hätte da eine Linie gezogen, oder dort ein Bild gezeichnet... je bohrender die Fragen werden, desto reflexiver muss der Roboter antworten.

Aber sind nicht solche reflexive Antworten, Gedanken über Gedanken? Handelt es sich also um Gedanken höherer Ordnung, von denen der Kognitions-Forscher David Rosenthal meint, sie können NUR in Form von Bewusstseinszuständen auftreten.
Ich will dem nicht widersprechen. Gedanken über Gedanken sind ganz sicher ein Zeichen für Bewusstsein. Es ist allenfalls die Frage, ob Gedanken übder Gedanken haben zu können, dass Bewussstein schon hinreichend erklären können. Vielleicht müssen auch noch Gedanken über unmittelbar erlebte Emotionen hinzukommen o.ä.?

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Halman
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#57 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mi 10. Feb 2016, 15:03

Pluto hat geschrieben:"Der Mann hat wurde bestraft und hat Busse getan."
Mir ist das sowohl zu wenig, als auch zu viel, denn in meinem Verständnis fehlt hier die Aufarbeitung des Vergehens durch einen Prozess der Reue.
Was, er hat Busse getan? (Sorry, die Steilvorlage war einfach zu verlockend. :lol: ;) )

Okay, ernsthaft: Im Mittelalter wurde mit dem Begriff der Buße (lat. poenitentia) viel moralischer Druck ausgeübt, um so das Volk zu knechten und sich an den Ablasshandel zu bereichern. Dies hat meiner Meinung nach nichts mit dem Urchristentum zu tun.
In Wikipedia steht unter dem Begriff Buße (Religion):
In der religiösen Bedeutung ist Buße die Umkehr des Menschen zu Gott, von dem er sich durch die Sünde entfernt hat.

Dieser Begriff ist so unterschiedlich vom Alltagsgebrauch des Worts Buße, dass er fast im Gegensatz dazu steht.
Vor einiger Zeit hatte ich das Jesus-Buch von Heiner Geißler gelesen, indem er dies u.a. thematisierte. Wie ich eben entdeckte hatte, sprach er dies auch in einer Fastenpredigt an und daraus möchte ich Folgendes zitieren:
Zitat von Heiner Geißler aus der Fastenpredigt in der Vesper am 10. März 2013:
Bild
Wenn man den Leuten ständig sagt: „Ihr seid Sünder“, dann wehren sie sich auch nicht richtig, weil sie dann dauernd mit einem schlechten Gewissen rumlaufen. Man beruft sich mit dieser Aussage „Tuet Buße“ aber völlig zu Unrecht auf Jesus. Denn der Satz „Tuet Buße“, den hat Jesus überhaupt nie gesagt. Auf Griechisch heißt dieser Satz, den Hieronymus falsch übersetzt hat: „Metanoeite“ (Mt 4,17). „Meta“ ist eine Präposition und heißt „um/nach“ und „noein“ heißt „denken“.

Also hat er zu den Leuten gesagt: „Ich sollt umdenken, von mir aus auch nachdenken. Umdenken, anders denken, als es damals Mode war, herrschende Lehre im Hellenismus. Denken, neu denken, „metanoeite“. Dann übersetzt Hieronymus es in seiner Bibelübersetzung und macht aus dem „metanoeite“ – aus dem „Umdenken“ – „poenitentiam agite“ – „Tuet Buße“. Das ist eine unverschämte Falschübersetzung. Seit dieser falschen Übersetzung laufen Jahrhunderte hindurch die Christen tief gebeugt, Schuld beladen, vom Sündenwahn um den Verstand gebracht, durch die Gegend.

Und vom Evangelium – Evangelium heißt im Griechischen „eu-angelio“ – „frohe Botschaft, gute Nachricht“ – bleibt dann praktisch so gut wie nichts mehr übrig. Tuet Buße, Ihr seid Sünder. Aber Jesus bringt eine frohe Botschaft, eine gute Nachricht.
Im biblischen Grundtext des NT steht der griechische Begriff μετάνοια (metánoia) und meint eine Herzensumkehr. Dieser Gedanke war bereits im alten Judentum bekannt. Das hebräische Wort שׁוּב (schuv o. šûb) bedeutet „umkehren“.
Ein gutes Beispiel hierfür ist Jer 31:19. In er Luther-Übersetzung steht:
19 Nachdem ich bekehrt war, tat ich Buße, und als ich zur Einsicht kam, schlug ich an meine Brust. Ich bin zuschanden geworden und stehe schamrot da; denn ich muss büßen die Schande meiner Jugend.«
In der Elberfelder Übersetzung steht:
Zitat aus Jer 31:19:
19 Denn nach meiner Umkehr empfinde ich Reue, und nachdem ich zur Erkenntnis gelangt bin, schlage ich mir auf die Hüften. Ich schäme mich und bin auch zuschanden geworden, denn ich trage die Schmach meiner Jugend.
In der Buber-Rosenzweig-Übersetzung (1929) wird der Vers mit den Worten wiedergegeben:
Zitat aus Jer 31:19:
19Ja, nach meiner Abkehr habe ichs mir leidsein lassen, nachdem mir kundward, klatschte ich mich auf die Lende, ich schämte mich, ich war gar verzagt, denn meiner Frühe Schmach muß ich tragen.
Meiner Meinung nach, ist der Gedanke die Einsicht und infolgedessen die Umkehr. Darum ja die eindringlichen Appelle in der Bibel, wie in Dtn 30:19-20 und Hesekiel (s. Hes 18:23 u. 30-32).
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#58 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Halman » Mi 10. Feb 2016, 15:09

JackSparrow hat geschrieben:
Halman hat geschrieben:Willensfreiheit im Sinne absoluter Freiheit im abstrakt philosophischen Sinne zu fordern, ist sinnfrei, da es für physische Wesen nun mal keine Freiheit von der Physik geben kann.
Wäre unser Körper unserem Willen unterworfen, würde die gesamte Spezies aussterben. Wir würden dann sogar aufs Essen verzichten, da uns ohne jedes Hungergefühl die Nahrungsbeschaffung sicherlich irgendwann langweilig werden würde.
Natürlich gibt es körperliche Zwänge, aber auch freie Willensentscheidungen. So habe ich entschieden, Dir auf Deinen Beitrag zu antworten. ;)

JackSparrow hat geschrieben:
Ich stimme mit Dir, Thaddäus, darin überein, dass unsere willentlichen Entscheidungen stehts auf Gründen beruhen, welche es auch immer sind.
Nur werden in unserer Gesellschaft die meisten Menschen schon von Kindheit an zu Lügnern und Heuchlern erzogen und es würde ihnen im Traum nicht einfallen, ihren Mitmenschen die wahren Beweggründe ihres Handelns mitzuteilen. Da kommt ihnen ein "freier Wille" als vorgeschobene Begründung sehr gelegen.
Häufig werden Entscheidungen rational begründet, obwohl in Wahrheit eine emotionale Motivation vorlag, wie bspw. Angst.

JackSparrow hat geschrieben:
die in der Lage sind, Gründe abzuwägen und auf Grund dieser Abwägung urteilen und entscheiden
Und die tatsächlich glauben, eine Alternative zu haben. Aber immer erst hinterher, nachdem der Körper sich schon entschieden hat.
Unser Frontalhirn ist allerdings im Stande ein Veto einzulegen.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#59 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Thaddäus » Mi 10. Feb 2016, 16:18

Halman hat geschrieben: Unser Frontalhirn ist allerdings im Stande ein Veto einzulegen.
Nein, ich würde sagen, da fängt der neurozentristische Unsinn schon an. Nicht dein Frontalhirn legt ein Veto ein. Das kann es gar nicht. Dein Frontalhirn ist nur ein Gewebelappen hinter deiner Stirn. DU legst ein Veto ein oder eben keines und DU bist eindeutig nicht identisch mit deinem Frontalhirn. ;)

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#60 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Mi 10. Feb 2016, 19:09

Halman hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Wäre unser Körper unserem Willen unterworfen, würde die gesamte Spezies aussterben. Wir würden dann sogar aufs Essen verzichten, da uns ohne jedes Hungergefühl die Nahrungsbeschaffung sicherlich irgendwann langweilig werden würde.
Natürlich gibt es körperliche Zwänge, aber auch freie Willensentscheidungen. So habe ich entschieden, Dir auf Deinen Beitrag zu antworten. ;)
Richtig Halman!
Wir haben die freie Wahl, aber NICHT den freien Willen. — Ein Riesenunterschied.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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