Arnold Benz: Evolution und Schöpfungstheologie

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scienceandnonduality
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#1 Arnold Benz: Evolution und Schöpfungstheologie

Beitrag von scienceandnonduality » Do 23. Jul 2015, 08:40

Ein guter Text von Arnold Benz ( Prof. Dr. Arnold Benz leitet Projekte im Bereich der Plasma-Astrophysik am Institut für Astronomie der ETH Zürich) zum Thema "Evolution und Schöpfungstheologie".

Gott und Darwin sind keine Alternativen, sondern Antworten auf verschiedene Fragen, die sich auf verschiedene Wahrnehmungen der Wirklichkeit beziehen. Es bleibt eine theologische Fragestellung, die naturwissenschaftliche Informationen einbeziehen muß.

Die Frage, ob Gott die Menschen erschaffen hat oder ob sie nach der Darwinschen
Theorie entstanden sind, ist keine biologische Frage. Vielmehr geht es den meisten
Fragenden um die viel tiefere Grundfrage, ob die Welt ein mechanisches Getriebe sei, das durch Zufall und Gesetzmäßigkeit unbeirrbar seinen Lauf nimmt, oder ob es auch Freiheit
und Verantwortung gibt und eine gütige Macht letztlich alles in ihrer Hand hält.

Extreme Vereinfachungen

Die biologische Frage ist seit dem 19. Jahrhundert schon längst entschieden.
Auch auf theologischer Seite wurde bereits im 19. Jahrhundert darauf hingewiesen,
daß der Gottesglaube gut mit der Evolutionstheorie leben kann. Und doch wird die Frage „Gott oder Darwin?“ heute immer noch als ein Entweder-oder gehandelt. Religiöse Scharfmacher instrumentalisieren das Problem, um ihre Anhängerschaft zu vermehren. Sie behaupten, die Wissenschaftler versuchten, die Spiritualität aus dem Leben der Menschen zu drängen. Wie wenn sich an der biologischen Evolution die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz Gottes entscheiden würde! Traurig, daß ausgerechnet diese Hardliner mit dem Verharren auf der biologischen Ebene die spirituelle Dimension in der Frage nach der vorfindlichen Welt aus den Augen verlieren.

Auf der anderen Seite gibt es ebenso radikale Positionen, die genauso in der biologischen Fragestellung im 19. Jahrhundert stehen geblieben sind. Sie sprechen von einem kulturellen Konflikt und versuchen ebenfalls Anhänger hinter sich zu scharen. Wehret den Anfängen, wenn irgendwo in der amerikanischen Provinz eine Schulbehörde eine Dummheit macht! Sie bezeichnen sich selbst als konsequent und merken nicht, daß der moderne Materialismus eine Annahme, nicht ein Ergebnis der Naturwissenschaft ist.

Einige prominente Vertreter dieser radikalen Linie sind Physiker. Sie gießen Öl ins Feuer, indem sie auf der Verkürzung der Frage auf die naturwissenschaftliche Ebene beharren. Was immer die Motive und Erfahrungen dieser Materialisten sind, sie schaden mehr als sie
nützen. In vielen Ohren klingt die Behauptung mit, daß die Physik die Grundlage der Wirklichkeit sei und alles weitere Illusion und Wunschdenken. Das ist zwar durchaus möglich, aber eine unbewiesene und wahrscheinlich unbeweisbare Behauptung. Ich vermute, daß sie heute bei einer großen Mehrheit in unserer Gesellschaft auf Kopfschütteln stößt.

Für sie ist Physik nicht nur verbunden mit großartigen Entdekkungen, welche bald einmal alles erklären und die Menschheit mit immer neuen Errungenschaften beglücken werden,
sondern eines der unbeliebtesten Fächer im Gymnasium, das sie nur noch in verblassender Erinnerung haben. Der Anspruch auf vollständige Beschreibung der Wirklichkeit ist unverständlich geworden und wird daher mehr und mehr als Arroganz empfunden.

Wenn Radikale es schaffen, eine Mehrheit von politisch aktiven Menschen so zu brüskieren, daß sie sich der Wissenschaft entfremdet, wird dies politische Konsequenzen haben.

Unterschied zwischen Theologie und Naturwissenschaften

Gewiß, die Frage, ob es denn mehr gebe, als was die Schrödinger-Gleichung beschreiben kann (einmal abgesehen von der Allgemeinen Relativitätstheorie), ist durchaus berechtigt. Hier gilt es, eine pragmatische und nichtideologische Antwort zu geben. Pragmatisches
Denken läßt uns erkennen, wo die Grenzen einer Wissenschaft sind: Sie kann nicht weiter reichen, als ihre anfänglichen Annahmen und Auswahl an Daten. Wenn Messungen und Beobachtungen objektiv sein müssen, wird ein großer Teil der Wirklichkeit außerhalb
der Laboratorien ausgeschlossen: geschichtliche Veränderungen, Kunsterlebnisse,
romantische Liebe, religiöse Visionen, aber auch berufliche Motivation und Bestätigung. An dieser Art der Wahrnehmung nimmt das Subjekt teil, sie ist aber nicht rein subjektiv oder beliebig.

Naturwissenschaft wird nie etwas Substantielles zur Beschreibung dieser Wirklichkeitsbereiche beitragen, weil diese von Anfang an ausgeschlossen wurden. Wollen wir sowohl Theologie wie Naturwissenschaft ernst nehmen, müssen wir nach den Erfahrungsgrundlagen von beiden fragen. Religion ist mehr als eine vorwissenschaftliche Erklärung der Natur. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war dieses Verständnis
zwar weit verbreitet. Damals erklärten die Physikotheologen alle neuen naturwissenschaftlichen Entdeckungen als direkte Schöpfungsideen des allwissenden,
gütigen und weisen Gottes, der zum Beispiel die Frösche grün machte, damit sie der Storch nicht sehen könne. Die Folge war, daß sich daraus der moderne Atheismus entwickelte, der genau dieses physikotheologische Gottesbild ablehnt. Wie man in der Bibel nachlesen
kann, ist dies jedoch nicht die ursprüngliche Erfahrungsgrundlage des Gottesbegriffs.

Vielmehr sind es Erfahrungen wie die Bewahrung bei der Flucht aus Ägypten, Visionen auf einem Berg und Erscheinungen nach der Hinrichtung von Jesus. Unbestreitbar, dies
sind nicht objektive Tatsachen, die naturwissenschaftlichen Kriterien genügen würden. Trotzdem haben sie mit Wirklichkeit im Leben der damaligen und zum Teil auch heutigen Menschen zu tun, geringstenfalls mit einer immensen historischen Wirkung über zweitausend Jahre.

Kurzum, die grundlegenden religiösen Wahrnehmungen sind orthogonal zu den konstituierenden Messungen der Naturwissenschaften. Daraus entwikkelten sich verschiedene Methoden der rationalen Bewältigung in Theologie und den naturwissenschaftlichen Fachgebieten. Es greift viel zu kurz, den Unterschied
nur in verschiedenen Sprachspielen bezüglich desselben Sachverhalts zu sehen. Bereits am Anfang, in der Auswahl der Wahrnehmungsgrundlagen, unterscheiden sich Religion und
Naturwissenschaften. Damit bewegen sie sich auf verschiedenen Ebenen und geben Antworten auf verschiedene Fragen.

Erklären und Deuten

Theologie erklärt nicht, wie sich das Universum entwickelte. Beantwortet jemand
die Frage nach der Herkunft des Menschen mit göttlicher Schöpfung, ist diese Antwort nicht eine kausale Erklärung auf der Ebene der biologischen Forschung. Sie ist vielmehr eine Deutung. Ein Sachverhalt kann nicht nur naturwissenschaftlich erklärt werden, er
wird oft unbewußt auch auf der Ebene von Lebenserfahrungen gedeutet. Deuten ist mehrdeutig. Das Universum wurde in der Aufklärung als Uhrwerk gedeutet, später als gigantische Rechenmaschine oder seit langem als Schöpfung. Letztere Deutung hatte
in der Vergangenheit verschiedene Gründe. Als Naturwissenschaftler bejahe
ich sie, wenn sie Erfahrungen von Gottes Güte im eigenen Leben oder in der tradierten Geschichte entspringt. Durch Deuten können Fakten in einen Sinnzusammenhang eingeordnet werden, der es erlaubt, sich in der Welt zu orientieren. Das ist durchaus legitim, solange man klar zwischen kausaler Erklärung und Deutung unterscheidet.

Gott und Darwin sind Antworten auf verschiedene Fragen: nach einer Deutung, welche die Vernunft erkennt, aus der Lebenserfahrung von Welt und nach der kausalen Ursache, den die biologische Forschung erarbeitet. Deutungen beziehen sich auf das Wiedererkennen von Mustern und auf Metaphorik. Die Evolution – naturwissenschaftlich gesehen eine Folge von Katastrophen und Greueln – könnte man deuten mit dem Muster von Tod und Auferstehung, dem grundlegenden christlichen Schöpfungsparadigma von Zerfall und Neuem. Die moderne Astrophysik mit ihren düsteren Prognosen über die langfristige Zukunft des Sonnensystems und des ganzen Universums kann als fortwährende Schöpfung gedeutet werden mit immensen Möglichkeiten für Neues und existentieller Hoffnung für Gegenwart und Zukunft.

Ausweg aus der Krise

Es genügt nicht, die Extremisten auf beiden Seiten zu verurteilen. Leute, welche die Frage „Gott oder Darwin?“ stellen, suchen mehr als eine rein biologische oder trivial-religiöse Antwort. Es geht letztlich um eine theologische Debatte, zu deren Gelingen die Naturwissenschaften wesentliche Informationen beitragen müssen. Wenn sich Schöpfungstheologie nicht auf antike naturwissenschaftliche Vorstellungen sondern
auf moderne Resultate bezieht, und wenn sich die Naturwissenschaften ihres beschränkten Wahrnehmungsraums bewußt sind, kann ein Dialog durchaus konstruktiv werden.
Konstruktiv nicht für neue naturwissenschaftliche Resultate, aber für einen
weitreichenden kulturellen Gewinn.

Quelle: http://www.arnoldbenz.ch/resources/B%C3 ... Darwin.pdf
„Campassionate people are geniuses in the art of living, more necessary to the dignity, security and joy of humanity than the discoverers of knowledge“ (Albert Einstein)

Salome23
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#2 Re: Arnold Benz: Evolution und Schöpfungstheologie

Beitrag von Salome23 » Do 23. Jul 2015, 22:31

Na? Hat keiner was dazu zu sagen?
Verstehe! :geek:
Alle user sind zur Zeit damit beschäftigt irgend so einen Kessel mit ner Schnur zu messen :roll: ...
Und das bei dieser Affenhitze.... :Smiley popcorn:

ceam
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#3 Re: Arnold Benz: Evolution und Schöpfungstheologie

Beitrag von ceam » Sa 25. Jul 2015, 16:30

Wir haben diese Gruppen auch in diesem Forum. Die Materialisten, die Gläubigen aber auch die Agnostiker die zwischen beiden stehen.

In vielen Ohren klingt die Behauptung mit, daß die Physik die Grundlage der Wirklichkeit sei und alles weitere Illusion und Wunschdenken.
Ich vermute, daß sie heute bei einer großen Mehrheit in unserer Gesellschaft auf Kopfschütteln stößt.
Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung ist ungläubig, ungefähr 1/3 sind es derzeit und die Zahl steigt weiter an, man rechnet damit, dass sie in absehbarer Zeit die Mehrheit ausmachen werden.

Pluto
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#4 Re: Arnold Benz: Evolution und Schöpfungstheologie

Beitrag von Pluto » Sa 25. Jul 2015, 18:20

Die Bibel ist kein wissenschaftlicher Bericht wie die Evolution. Sie ist vielmehr ein Versuch dem Leben einen Sinn zu geben, und das funktioniert auch ganz hervorragend für diejenigen, die ansonst im Leben keinen Sinn finden. Evolution ist die Grundlage für die Entstehung der Vielfalt des Lebens und Naturwissenschaft ist der Versuch zu erklären WIE die Welt funktioniert.

Der Autor sieht hier also zwei ganz unterschiedliche Aufgabenstellungen die sich nicht überschneiden.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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