Ich ist nicht Gehirn

Philosophisches zum Nachdenken
ThomasM
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#1 Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von ThomasM » Di 12. Jan 2016, 14:20

Ein Philosophieprofessor wendet sich gegen die von Hirnforschern behauptete Allerklärung des menschlichen Ich durch Vorgänge im Gehirn.

Das Buch:
http://www.amazon.de/Ich-ist-nicht-Gehi ... cht+Gehirn

Besprechung des Buches in der Welt
http://www.welt.de/kultur/literarischew ... -will.html

Ich habe es noch nicht gelesen, aber es dürfte interessant sein, die Argumentation zu verfolgen.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Pluto
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#2 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Di 12. Jan 2016, 17:07

Dass schon viele Autoren behauptet haben, es fehle zum menschlichen Geist ein gewisses "Etwas", ist klar. Doch bisher ist es keinem gelungen dieses "Etwas" zu definieren oder zu erklären.

Ich bezweifle, dass Markus Gabriel, trotz seiner vermutlichen Schlagfertigkeit und der Kenntnisse alter Philosophen, dies kann.
Seis drum.
Ich werde mir das Buch besorgen, und hoffe, er kann seine Behauptungen auch mit Forschungsergebnissen belegen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

JackSparrow
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#3 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Mi 13. Jan 2016, 13:55

ThomasM hat geschrieben:Ein Philosophieprofessor wendet sich gegen die von Hirnforschern behauptete Allerklärung des menschlichen Ich durch Vorgänge im Gehirn.
Um festzustellen, dass ein substantiviertes Personalpronomen nicht das gleiche ist wie ein Gehirn, muss man nun wirklich kein Philosophieprofessor sein.

ThomasM
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#4 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von ThomasM » Mi 13. Jan 2016, 14:02

JackSparrow hat geschrieben:
ThomasM hat geschrieben:Ein Philosophieprofessor wendet sich gegen die von Hirnforschern behauptete Allerklärung des menschlichen Ich durch Vorgänge im Gehirn.
Um festzustellen, dass ein substantiviertes Personalpronomen nicht das gleiche ist wie ein Gehirn, muss man nun wirklich kein Philosophieprofessor sein.
Aber offensichtlich um zu verstehen, was mit dem Satz gemeint ist, muss man wohl studiert sein.
Ich verstehe, was er ausdrücken will.
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JackSparrow
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#5 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von JackSparrow » Mi 13. Jan 2016, 14:14

ThomasM hat geschrieben:Ich verstehe, was er ausdrücken will.
Er will ein Personalpronomen (welches sich in seiner Eigenschaft als Pro-nomen grammatikalisch bereits auf ein anderes Nomen bezieht, nämlich auf das handelnde Subjekt eines Satzes) zweckentfremden und ihm eine eigene, von der Grammatik unabhängige Existenz zugestehen.

SilverBullet
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#6 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von SilverBullet » Mi 13. Jan 2016, 15:36

ThomasM hat geschrieben:Aber offensichtlich um zu verstehen, was mit dem Satz gemeint ist, muss man wohl studiert sein.
Denkst du wirklich, dass es so schwer zu versehen ist, dass die Funktionen, die sich aus dem Ablaufen einer Datenverarbeitung ergeben, nicht mit der materiellen Realisierung dieser Datenverarbeitung gleichzusetzen sind?

Ich habe das Buch nicht gelesen, aber aus den Beschreibungen entnehme ich, dass der Philosoph in keiner Weise die Forschungsergebnisse infrage stellt, sondern die darüber hinaus, von den Wissenschaftlern geäusserten Ansichten angehen möchte.

Ich werde das Buch wohl auch nicht lesen, denn ich verspreche mir davon keinerlei neue Ansichten über die Arbeitsweise des Gehirns oder einen Entwurf für eine mögliche „Verbindung“ zwischen Bewusstseinszusammenhängen (z.B. „Ich“) und dem aktiven Gehirn.

Es wird wohl auf eine philosophische Argumentation hinauslaufen:
-viele Aussagen darüber, was "Bewusstsein" nicht sein soll
-Abstrahierungen, die das Bachgefühl in „seine Denkrichtung“ anregen sollen
-viele Beispiele, die davon ablenken sollen, dass er über die „Verbindung“ Bewusstsein/Gehirn nicht sprechen kann

_______________________________________

Um hier im Thread über konkrete Inhalte sprechen zu können, denke ich, wäre dieser Link hilfreich.

Es handelt sich um ein Radio-Interview zum Buch „Ich ist nicht Gehirn“

Einige Punkte zum Link, die mir wichtig erscheinen:
(ich habe versucht, die Punkte so zusammenzufassen, wie sie aus Sicht des Autors vertreten werden – es ist also nicht meine Sicht)

00:55
Philosophen behaupten nicht/kaum „Ich ist identisch mit Hirn“, aber einige Neurowissenschaftler

01:20
Körperlosen Geist gibt es nicht. Der ganze Organismus ist eine, biologisch teilweise beschreibbare Voraussetzung, dass wir bewusst sind. Wir sind bewusste Lebewesen.

01:50
Es ist falsch zu fragen, wo das Bewusstsein angesiedelt ist.
Erklärung anhand des Beispiels: Fahrradfahren.

02:30
Wo ist das „Missing Link zwischen Geist und Körper“?
Beispiel: „Etwas wahrnehmen“ ist ein bewusster Zustand. Dazu wird das, in bestimmten Bereichen, aktive Gehirn benötigt. Das was ich sehe, ist dann ja nicht identisch mit einem Gehirnzustand.
Der Gesamtvorgang der Wahrnehmung (mit Gehirn) schliesst also Dinge ein, die sich aus trivialen Gründen nicht im Gehirn abspielen können.

03:15
Postulat als „Dualität zwischen Gehirn und Geist“.
Seele ist nicht vorgesehen.
„Geist“ ist die Fähigkeit sich ein Bild von sich selbst zu machen.
„Ich verstehe mich als…“ ist eine „geistige Einstellung“

05:00
Im Buch wird der „Neurozentrismus“ angegriffen, weil er gefährlich ist.
Neurozentrismus-Irrtum1:
„Wir sollen verstehen können, was Geist ist, indem das Gehirn untersucht wird“
Neurozentrismus-Irrtum2:
„Wir sollen menschliches Verhalten verstehen können, indem evloutionsbiologische Kategorien bemüht werden“

05:55
„das ich“ (aus der Philosophie des Mittelalters) ist die Summe der (für uns) positiven Selbst-Bilder.
(„Rechtfertigungsoberfläche unseres alltäglichen Erlebens“)

07:05
„Ich“ gibt es somit eigentlich gar nicht, weil es die Summe von „etwas Anderem“ ist.
Keine Substanz.

07:30
Spannung mit der Neurowissenschaft…
_______________________________________

Es wird niemanden überraschen, dass ich mich vor allem an Punkt 02:30 stosse (bei 01:20 rümpfe ich auch ein wenig die Nase -> unnötige Abstraktion), weil ich denke, dass der Philosoph hier extrem „naiv“ vorgeht und in keiner Weise nach einer Realisierung der Wahrnehmungssituation sucht.

Er verwendet lediglich den Vorgang der Wahrnehmung, um die Wahrnehmung zu analysieren, ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen, die sich aus Erkenntnissen der Realisierung ergeben können.

Hierbei verwendet er also eine Voraussetzung, die er nicht bewiesen hat und die sich auch in keiner Weise auf die sensorische Wahrnehmungstechnik abbilden lässt.

Dass die Wahrnehmung durchaus „gerne“ von den eigentlichen Sachverhalten abweicht, ist eigentlich eine Binsenweisheit, die durch unzählige Täuschungssituationen, Verletzungen und Krankheiten experimentell belegt ist.

Dies beachtet er aber nicht. Er sagt letztlich:
„das, was ich feststelle, ist das, was vorhanden ist“ – sozusagen: „auch der Täuschungsinhalt ist ein vorhandenes Ding“

Tatsächlich müsste er sich aber zuerst um „das Feststellen“ kümmern, um sagen zu können, in wie weit es dort auf „vorhandene Dinge“ ankommt.

(Ich vermute, dass er auf diese Zusammenhänge in dem Buch nicht eingeht)

Pluto
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#7 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Mi 13. Jan 2016, 16:43

ThomasM hat geschrieben:
JackSparrow hat geschrieben:Um festzustellen, dass ein substantiviertes Personalpronomen nicht das gleiche ist wie ein Gehirn, muss man nun wirklich kein Philosophieprofessor sein.
Aber offensichtlich um zu verstehen, was mit dem Satz gemeint ist, muss man wohl studiert sein.
Ich verstehe, was er ausdrücken will.
Ja.
Er [Gabriel] versucht damit eine Antwort auf das hervorragende Buch von Prof. Dick Swab, Wir sind unser Gehirn zu geben — Ein wirklich empfehlenswertes Buch eines der führenden niederländischen Neurologen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

ThomasM
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#8 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von ThomasM » Mi 13. Jan 2016, 21:04

Erst einmal danke, SilverBullet für diese Zusammenfassung.

SilverBullet hat geschrieben: ...
02:30
Wo ist das „Missing Link zwischen Geist und Körper“?
Beispiel: „Etwas wahrnehmen“ ist ein bewusster Zustand. Dazu wird das, in bestimmten Bereichen, aktive Gehirn benötigt. Das was ich sehe, ist dann ja nicht identisch mit einem Gehirnzustand.
Der Gesamtvorgang der Wahrnehmung (mit Gehirn) schliesst also Dinge ein, die sich aus trivialen Gründen nicht im Gehirn abspielen können.
...
Es wird niemanden überraschen, dass ich mich vor allem an Punkt 02:30 stosse (bei 01:20 rümpfe ich auch ein wenig die Nase -> unnötige Abstraktion), weil ich denke, dass der Philosoph hier extrem „naiv“ vorgeht und in keiner Weise nach einer Realisierung der Wahrnehmungssituation sucht.
Ohne jetzt näher in die Begründung gehen zu können, nach dem, was du zusammenfasst, kommt mir dieser Punkt wie die Darstellung der Qualia Debatte vor.
Die Unterscheidung zwischen dem Akt der Wahrnehmung und der Wahrnehmung an sich liegt dort im Kern der Diskussion. Im Grund muss man sich fragen, ob man mit einer (vollständigen) Beschreibung des Aktes einer Wahrnehmung die Wahrnehmung an sich vollständig verstanden und analysiert hat.

Die Debatte hat zwei Lager und beide Lager konnten sich bis heute nicht einigen. Daraus schließe ich zumindest, dass es (philosophische) Argumente in beide Richtungen gibt, selbst wenn ich die Debatte selbst nicht in vollem Umfang erfassen kann.

Die Diskussion um das Ich und das Gehirn scheint mir dieselbe zu sein.
Untersuche ich das Gehirn und beschreibe die Vorgänge darin, dann vertreten einige Neurowissenschaftler, dass man damit alles lernt, was es über "ich" oder "Bewusstsein" oder "den Menschen" so zu lernen gibt.
Gabriel wehrt sich dagegen. Für ihn bleibt eine Lücke im Verständnis, selbst wenn man das Gehirn vollständig beschreiben würde.

Ich selbst kann die Argumente für und wider jetzt nicht widergeben, dazu habe ich mich noch zu wenig damit beschäftigt. Aber zumindest weiß ich, wie es zu bewerten ist, wenn ein Neurowissenschaftler wieder einmal herausposaunt, jetzt habe man endlich das Ich des Menschen verstanden.
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

Lena
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#9 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Lena » Do 14. Jan 2016, 11:09

Das Hirn konfiguriert so vieles unabhängig vom ich, wie der Körper selbständig arbeitet, ohne, dass das ich, mitzureden hat. Sicher ist Ich nicht das Gehirn. Meines z.B. gibt mir oft etwas als Gedankengänge vor, das ich bewusst und willentlich ablehne...Ich bin das was ich bin. Was ich bin, ist das, was ich schlussendlich auslebe. Dieses kommt für den andern als Wort und Tat zum Vorschein.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

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#10 Re: Ich ist nicht Gehirn

Beitrag von Pluto » Do 14. Jan 2016, 11:32

Lena hat geschrieben:Das Hirn konfiguriert so vieles unabhängig vom ich, wie der Körper selbständig arbeitet, ohne, dass das ich, mitzureden hat. Sicher ist Ich nicht das Gehirn.
Ganz Recht, Lena!
Deshalb ist der Titel von Markus Gabriels Buch irreführend.

Das ICH kann man mit Bewusstsein gleichsetzen, doch der große Rest wird vom Unterbewusstsein gesteuert.
Dennoch... alle unsere Körperfunktionen werden letzten Endes neuronal überwacht und gesteuert. Manche Empfindungen (Schmerz) des Körpers dringen sofort ins Bewusstsein; andere (Hunger) brauchen etwas länger, und Viele (Verdauung) sind vom Bewusstsein unabhängig.

Lena hat geschrieben:Meines z.B. gibt mir oft etwas als Gedankengänge vor, das ich bewusst und willentlich ablehne...Ich bin das was ich bin. Was ich bin, ist das, was ich schlussendlich auslebe. Dieses kommt für den andern als Wort und Tat zum Vorschein.
Genau das meine ich, wenn ich sage, dass man das ICH mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein gleichsetzen kann.
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