Descartes und die menschliche Seele

Philosophisches zum Nachdenken
Pluto
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#1 Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Mo 19. Sep 2016, 17:55

Die Unsterblichkeit der Seele entstand im 3. Jahrhundert aus der kirchlichen Philosophie. Die Idee wurde über Jahrhunderte verfeinert bis sie schließlich im 16. Jahrhundert in den Status eines kirchlichen Dogmas erhoben wurde. Im. 17. Jahrhundert wurde Descartes' Dualität von Körper und Geist dann zur allgemein anerkannten Lehre.

Wie sah Descartes selbst seine "Lehre"?

Descartes war für seine Zeit ein hochgebildeter Mathematiker und Philosoph, der (wie schon Leibniz zuvor), nicht verstand, wie ein rein materielles Gebilde wie das menschliche Gehirn in der Lage sein konnte, zu denken, und sogar die Fähigkeit besaß, seine Gedanken mittels der Symbolik der Sprache zu formulieren und anderen mitzuteilen.

Nach heutigem Wissensstand der Neurologie (Hirnforschung) ist Descartes' Vorstellung falsch. Irrte er, oder sollten wir sein (nach heutiger Aufassung ungültiges) Modell des Menschen als Herausforderung an die nachfolgenden Generationen verstehen, eine Erklärung zu finden, wie unser Gehirn in der Lage ist, Bewusstsein und schließlich die Seele zu schaffen?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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lovetrail
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#2 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von lovetrail » Mo 19. Sep 2016, 18:33

Pluto hat geschrieben:D

Descartes war für seine Zeit ein hochgebildeter Mathematiker und Philosoph, der (wie schon Leibniz zuvor), nicht verstand, wie ein rein materielles Gebilde wie das menschliche Gehirn in der Lage sein konnte, zu denken, und sogar die Fähigkeit besaß, seine Gedanken mittels der Symbolik der Sprache zu formulieren und anderen mitzuteilen.

Nach heutigem Wissensstand der Neurologie (Hirnforschung) ist Descartes' Vorstellung falsch. Irrte er, oder sollten wir sein (nach heutiger Aufassung ungültiges) Modell des Menschen als Herausforderung an die nachfolgenden Generationen verstehen, eine Erklärung zu finden, wie unser Gehirn in der Lage ist, Bewusstsein und schließlich die Seele zu schaffen?

Das Gehirn schafft nicht das Bewusstsein. Dieser Ansatz ist die Sackgasse des neuzeitlichen Naturalismus.

LG lovetrail
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lovetrail
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#3 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von lovetrail » Mo 19. Sep 2016, 18:37

In diesem Zusammenhang verweise ich gerne auf Thomas Nagel's Buch "Geist und Kosmos". Gibt es jetzt übrigens auch als Suhrkamp-Taschenbuch. Sehr zu empfehlen.

http://www.buecher.de/shop/bewusstsein/ ... /41839977/

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Halman
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#4 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Halman » Mo 19. Sep 2016, 18:46

Pluto hat geschrieben:Die Unsterblichkeit der Seele entstand im 3. Jahrhundert aus der kirchlichen Philosophie. Die Idee wurde über Jahrhunderte verfeinert bis sie schließlich im 16. Jahrhundert in den Status eines kirchlichen Dogmas erhoben wurde. Im. 17. Jahrhundert wurde Descartes' Dualität von Körper und Geist dann zur allgemein anerkannten Lehre.

Wie sah Descartes selbst seine "Lehre"?

Descartes war für seine Zeit ein hochgebildeter Mathematiker und Philosoph, der (wie schon Leibniz zuvor), nicht verstand, wie ein rein materielles Gebilde wie das menschliche Gehirn in der Lage sein konnte, zu denken, und sogar die Fähigkeit besaß, seine Gedanken mittels der Symbolik der Sprache zu formulieren und anderen mitzuteilen.
Eben habe ich mir die Diskussion über René Descartes (1596 - 1650) angesehen. Am Ende erklärt der Philosoph Wilhelm Vossenkuhl, dass Descartes ebenso Begründer des Materialismus' (Physikalismus) war wie des Idealismus.
Mein Eindruck ist, dass Descartes sich nicht zu erklären vermochte, wie eine materalistische Maschine (also der Mensch) imstande war zu Denken, imstande war, Geist hervorzubringen. Daher erschien ihm der Dualismus wohl intuitiv einleuchtener. Wer möchte, kann sich eine Lesung des alten Meisters anhören, sozusagen Descartes selbst lauschen und die Welt "zerdenken".


Pluto hat geschrieben:Nach heutigem Wissensstand der Neurologie (Hirnforschung) ist Descartes' Vorstellung falsch. Irrte er, oder sollten wir sein (nach heutiger Aufassung ungültiges) Modell des Menschen als Herausforderung an die nachfolgenden Generationen verstehen, eine Erklärung zu finden, wie unser Gehirn in der Lage ist, Bewusstsein und schließlich die Seele zu schaffen?
Deine Idee, Descartes' falsche Vorstellung von dem Dualismus und der Zirbeldrüse als Schnittstelle, als Herausforderung für die Forschung zu verstehen, gefällt mir, weil dieser Ansatz positiv und erkenntnissuchend gedacht ist.
Dabei sollte man sich meiner Meinung nach vom "Dogma" des cartesischen Dualismus' frei machen und offenlassen, ob es so eine "Schnittstelle" zwischen Materiellen und Geistigen überhaupt gibt. Ferner kann man fragen, ob das hochkomplexe Gehirn wirklich als Maschine beschrieben werden sollte.

Ich bin davon überzeugt, dass die Hirnforschung dafür spricht, dass Geist und Bewusstsein im Gehirn entstehen.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#5 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von JackSparrow » Mo 19. Sep 2016, 20:22

Ich bezweifle die Existenz eines Bewusstseins. Wir haben das Rückenmark und diverse Hirnnerven, die Sinneseindrücke an den Thalamus leiten (nur der Riechnerv ist etwas direkter verschaltet - evolutionäres Überbleibsel von den Reptilien).

Der Thalamus entscheidet dann, ob ein Sinneseindruck ignoriert oder an die nächste Etage weitergeleitet wird (also ob überhaupt eine Wahrnehmung zustande kommt), und dann kann der Reiz an ganz verschiedene Stellen im Gehirn verteilt werden, sogar wenn er vom gleichen Sinnesorgan kommt.

Die Anzahl der möglichen Kombinationen dürfte also gegen Unendlich konvergieren, und diese verschiedenen Erregungsmuster bezeichnen wir dann eben als verschiedene "Wahrnehmungen". Irgendwie müssen wir sie ja nennen, wenn sie mehrmals täglich auftreten. Ein Geist ist dafür nicht erforderlich.

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lovetrail
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#6 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von lovetrail » Mo 19. Sep 2016, 21:15

Halman hat geschrieben: Ich bin davon überzeugt, dass die Hirnforschung dafür spricht, dass Geist und Bewusstsein im Gehirn entstehen.

Wenn der Geist lediglich ein Produkt des Gehirns wäre (bzw der Evolution des Gehirns), dann ist Gott wohl auch nur ein solches Produkt.

LG
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Halman
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#7 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Halman » Mo 19. Sep 2016, 21:54

lovetrail hat geschrieben:
Halman hat geschrieben: Ich bin davon überzeugt, dass die Hirnforschung dafür spricht, dass Geist und Bewusstsein im Gehirn entstehen.

Wenn der Geist lediglich ein Produkt des Gehirns wäre (bzw der Evolution des Gehirns), dann ist Gott wohl auch nur ein solches Produkt.

LG
Nein, ganz und gar nicht. Ich unterscheide zwischen dem Menschen als physisches Wesen und GOTT, von dem Jesus lehrte, dass er [ein] Geist ist.

Das Problem ist doch, dass das Wort "Geist" mehrdeutig ist. Zum besseren Verständnis meiner Position verweise ich auf meinen Beitrag vom Fr 6. Nov 2015, 01:58.

Der menschliche Geist ist meiner Meinung nach etwas völlig anders als Geistwesen, wie sie die Bibel beschreibt. Mir erscheint es kohärent, davon auszugehen, dass das, was wir beim Menschen "Geist" nennen, einschließlich unseres Denkens und Fühlens, durch biochemische - und bioelektrische Prozesse hervorgerufen wird. Es sind Kalium- und Nadrium-Ionen, sowie Neurotransmitter, welche unsere hochkomplexen neurologischen Erregungsmuster erzeugen. Kommen sie zum erliegen, erlischt der menschliche Geist.
Läsionen (Verletzungen) im Gehirn beeinträchtigen gem. der Erfahrung Hirnfunktionen. So führen bspw. Orbitalhirnläsionen zur Enthemmung des Sozialverhaltens und sogar zu Gewissensverlust.
Meine sehr bescheidenen Ausführungen zum Gehirn hatte ich HIER und DORT verfasst.
Für ein tieferes Verständnis empfehle ich das Buch Wille und Gehirn 2007/2009 - Kornhuber, Deecke.
Tja, ein Proton müsste man sein: Dann würde man die Quantenphysik verstehen, wäre immer positiv drauf und hätte eine nahezu unendliche Lebenszeit:-) - Silvia Arroyo Camejo

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#8 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von SilverBullet » Mo 19. Sep 2016, 22:46

Ich würde so sagen:
Irgendwann musste es soweit sein, dass „zwei Welten“ aufeinander prallen.
Die „Welt der Phantasie“ trifft irgendwann auf eine erstarkende „Welt des Ausprobierens und des Schlussfolgerns“.

Die Ideen von Descartes sind der Versuch „beide Welten“ zu verbinden.
Auf der einen Seite musste der Mensch eine herausragende Rolle spielen, wo doch „die ganze Welt nur für den erlösenden Glauben erschaffen worden sein soll“ und auf der anderen Seite führten immer mehr Zusammenhänge zu „unspektakulärem“ Modellverständnis über die Umwelt und den eigenen Körper.

Geprägt durch Religion war Descartes von vorn herein bereit, auf irgendein Detail, das er sich nicht „unspektakulär“ erklären konnte, mit „maximaler Begeisterung“ zu reagieren.
Sein Design des Dualismus, geboren aus Überlegungen zu „Täuschung“, „Zweifel“ und „letztlicher Erkenntnis durch das Denken“ mit dem Resultat, substanziell nicht zu „dieser körperlichen Welt“ zu gehören, enthält ein wenig von „beiden Welten“.

Sein „Falsch-Liegen“ steht auch heute noch für viele Menschen nicht fest. Selbst wenn die Philosophie mittlerweile eine „andere Richtung“ eingeschlagen haben mag, so wird sein „Entwurf“ immer noch mitgeschleift und in der Bevölkerung ist der Dualismus wohl noch sehr stark verankert (Moto: „wer entscheidet, das Gehirn oder Ich?“)

Seine „Lösung“ ist im Grunde die einfachste Idee wenn man aus einem Umfeld mit religiöser Vergangenheit kommt und keine alternativen Vorstellungen hat.

Ich würde „sein Modell“ auf keinen Fall als Herausforderung für die nachfolgenden Generationen ansehen.
Es ist maximal fatal, wenn man von einem Punkt aus die Forschung startet, bei dem man davon ausgeht, dass sich „das Mentale“ die „Wahrnehmungsaufbereitungen des Gehirns“ „ansehen“ können soll.

Die Folge ist die „Qualia“-Debatte, ein Klotz am Bein, bei dessen Infragestellen so mancher Philosoph (heute vielleicht sogar noch die meisten!) bis „aufs Messer“ kämpft.

Erst wenn man die „Qualia“-Suggestion mit enormer Anstrengung überwindet, stellt man fest, dass sich plötzlich Möglichkeiten ergeben, die menschliche Wahrnehmung ganz „unspektakulär“ zu erforschen.
Erst dann startet man rein in der „Welt des Ausprobierens und des Schlussfolgerns“.

Wir sollten aufhören Formulierungen wie „das Bewusstsein wird erschaffen“, „Bewusstsein ist Produkt vom Gehirn“, „Bewusstsein existiert“ und vor allem diesen inhaltsleeren Begriff „Geist“ als „Alternative zu Materie“ zu verwenden, ansonsten tragen wir den Nährboden für das „Falsch-Liegen“ Descartes immer weiter.

Es wird aber wohl noch lange dauern, bis die Mehrheit dabei mitmacht…

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#9 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von Pluto » Mo 19. Sep 2016, 23:45

lovetrail hat geschrieben:Das Gehirn schafft nicht das Bewusstsein. Dieser Ansatz ist die Sackgasse des neuzeitlichen Naturalismus.
Lieber lovetrail,
Descartes' Gedanke des Dualismus war natürlich sehr überzeugend. Darum fand ich das Thema auch so spannend.
Wo genau meinst du befindet sich die Schnittstelle zwischen der Seele und dem materialistischen Körper.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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lovetrail
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#10 Re: Descartes und die menschliche Seele

Beitrag von lovetrail » Di 20. Sep 2016, 08:55

Pluto hat geschrieben:
lovetrail hat geschrieben:Das Gehirn schafft nicht das Bewusstsein. Dieser Ansatz ist die Sackgasse des neuzeitlichen Naturalismus. [/quote
Descartes' Gedanke des Dualismus war natürlich sehr überzeugend. Darum fand ich das Thema auch so spannend.
Wo genau meinst du befindet sich die Schnittstelle zwischen der Seele und dem materialistischen Körper.
Lieber Pluto!

"Dualismus" ist die einfachste und gröbste Form, um die zwei Bereiche Materie und Geist zu bezeichnen.

Ich denke, was überwunden ist, das ist ein eindimensionaler Idealismus, bei dem nur der Geist real wäre. Das andere Extrem ist der heutzutage herrschende ontologische Naturalimus, bei dem Geist/Bewusstsein/Bedeutung/Sinn als Produkt des Gehirns aufgefasst werden.
Alleine schon das Alltagsverständnis widerlegt eine solche These, da wir ständig damit konfrontiert sind, wie unsere Gedanken Wirklichkeit werden. (unsere Wünsche, Ängste, Vorstellungen...).

Die Fleischwerdung des Logos in Christus zeigt mE auch den Weg, wie Geist in die Materie kommt. Der Geist existiert auch schon davor bei Gott, aber er muss sich herablassen und auf irdischer Ebene geboren werden. Das heisst, die materielle Ebene dient als Vermittlung und Ausformung des Geistigen. Und es kommt zu einem Feedback: Das Geistige beeinflusst, je mehr es erwacht, auch die Gestaltwerdung. Es ist also ein gegenseitiges Durchdringen, an deren Ende schließlich der Tod des Körpers und die Auferstehung des geistlichen Leibes steht. Dann wird der Geist die Führung erlangt haben. Bis dahin ist es ein allmählich- emergentes Erwachen.

Man sehe mir die unscharfe, unwissenschaftliche Begrifflichkeit nach. Ich hoffe aber trotzdem meinen Ansatz vermitteln zu können.

LG lovetrail
Wache auf, der du schläfst, und stehe auf aus den Toten, so wird Christus dich erleuchten!

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