Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Philosophisches zum Nachdenken
closs
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#51 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Do 15. Dez 2016, 07:31

Novalis hat geschrieben: Selbst die Bewusstseinsforschung ist größtenteils außenorientiert, ist primär materialistisch, obwohl Bewusstsein immateriell ist.
Diese Entwicklung ist unvermeidbar. - Denn sobald man dem Glauben anhängt, Geist sei primäres Produkt der Materie, UND sich nicht einmal bewusst ist, dass dies ein Glaube und kein Wissen ist, KANN man nicht anders interpretieren.

Pluto
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#52 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Do 15. Dez 2016, 08:24

closs hat geschrieben:Ein "echter" geistiger Mensch empfindet zwar genau wie jeder Mensch von sich aus ("anthropozentrisch"), gibt diesen Anthropoznetrismus aber ab, indem er ihn ausdrücklich NICHT als Maß der Dinge versteht (deshalb: theozentrisch). - Das ist beim Naturalismus/Materialismus genau andersrum (deshalb: anthropoznetrisch).
In meiner Erfahrung ist genau das Gegenteil der Fall.
Viele alte Mythologien enthalten Schöpfungsgeschichten, die aber gerade in den griechischen und römischen Mythologien fehlten. Wie Aristoteles, glaubten auch die späteren Philosophen, die Welt sei schon immer vorhanden gewesen. In ihrem damals zyklischen Zeitbild gab es keinen Platz für die Vorstellung eines Anfangs von Allem. Im Gegensatz dazu, hat das Christentum vom alten Judentum eine Geschichte der Schöpfung geerbt, in der Gott in klar nachvollziehbaren Schritten zuerst das Licht, dann die Erde und die Himmelskörper, und schließlich das Leben auf der Erde kreierte. Gott schuf Adam und danach aus ihm auch Eva. Nach dieser Geschichte war es der Mensch der den Tieren und Pflanzen ihre Namen gab. Damit erhielt er die Herrschaft über alle anderen Lebewesen. Gott hat alles ausschließlich für die Menschheit geschaffen — Alles was Gott mit seiner Schöpfung hervorbrachte war da, um dem Wohl des Menschen zu dienen; obwohl Gott den Mensch aus einem Erdklumpen schuf, ist er dennoch nicht Teil der Natur, sondern er wurde als Ebenbild Gottes erschaffen.

Mit dieser Schöpfungsgeschichte ist das Christentum die deutlich anthropozentrischste Religion die die Welt jemals gesehen hat. Der Mensch teilt somit die Transzendenz Gottes und steht laut der Bibel mit Gott über der Natur. Diese Vorstellung steht nicht nur im krassen Gegensatz zum Glauben der alten Heiden und der meisten asiatischen Religionen, sondern widerspricht auch den Erkenntnisse der modernen Biologie die unsere wahre niedere Herkunft offenbart.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#53 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Do 15. Dez 2016, 08:29

closs hat geschrieben:Diese Entwicklung ist unvermeidbar. - Denn sobald man dem Glauben anhängt, Geist sei primäres Produkt der Materie, UND sich nicht einmal bewusst ist, dass dies ein Glaube und kein Wissen ist, KANN man nicht anders interpretieren.
Kann ich alles unterschreiben. Nur das mit dem Glauben dass Materie Ursprung von Geist sei, musst du revidieren. Die Fakten die für diese Theorie sprechen sind nämlich erdrückend, während das Postulat, dass Geist der Ursprung von Materie sei, von keiner einzigen Beobachtung gestützt wird. Letzterer Gedanke entstammt dem alles überschattendem anthropozentrischen Gedanken (Wunschvorstellung) einer kleinen Minderheit von spirituell denkenden Menschen.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#54 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Do 15. Dez 2016, 10:25

Pluto hat geschrieben:Mit dieser Schöpfungsgeschichte ist das Christentum die deutlich anthropozentrischste Religion die die Welt jemals gesehen hat.
Ich verstehe Deinen Gedankengang, der auf der Ebene, in der Du ihn formulierst, durchaus richtig ist - die Ebene ist aber falsch. - Konkret:

Die Ausformung einer geistigen Wahrnehmung ist selbstverständlich anthropozentrischer als die Ausformung einer naturwissenschaftlichen Wahrnehmung - das heisst: Das Subjekt (= Mensch) geht methodisch bei geistigen Dingen anthropozentrischer ran als bei der Naturwissenschaft. - Das hat aber einen einfachen Grund:

Darstellung von Meta-Naturalistischem ("Geist"/"Gott") erfolgt IMMER anthropozentrisch, weil das Objekt nicht im Original darstellbar ist - man "Gott"/"Geist" als Entität nicht in den naturalistischen Raum "beamen" und ihm sagen: "So, wir vermessen Dich jetzt mal". - Bei Naturalistischem geht das viel besser, weil das Objekt auf selber Ebene ist wie das Subjekt - man muss es NICHT in den naturalistischen Raum "beamen", weil es schon da ist, und kann ihm folglich leicht sagen: "So, wir vermessen Dich jetzt mal".

Insofern ist Naturwissenschaft in der Tat weit weniger anthropozentrisch als Theologie - INSOFERN ist das so. - ABER: Auf höherer Ebene als der methodischen Ausformung, also oberhalb der operativen Ebene, gibt es eine andere Ebene, die ich hier zur Grundlage für das Urteil "anthropozentrisch - ja oder nein" macht.

Diese Ebene ist die Einordnungs-Ebene dessen, was ich ausfomungs-mäßig/operativ tue - und da ist der Naturalismus anthropozentrischer als die Theologie - also umgekehrt. - Denn:

Die (christliche) Theologie sagt:
"Wir wissen, dass das, was wir untersuchen, in seinem Wesen jenseits unseres Wahrnehmungs-Horizonts ist, weshalb wir unsere menschlich-armselige Wahrnehmung NICHT zum Maßstab machen. - Wir schließen vielmehr über Gefühl, Intellekt, Philosophie und Theologie auf das, was wir deutlich, aber nicht fassbar wahrnehmen. - Hermeneutisch ergibt sich dabei ein immer dichteres Gebilde, das in sich widerspruchsfrei und plausibel ist, aber trotzdem noch in seinem Wesen nicht Teil des naturalistischen Raums ist".

Die Naturwissenschaft/der Kritische Rationalismus sagt:
"Wir wissen beileibe nicht alles, beachten aber nur das, was nach unserer Methodik nachweisbar ist - alles andere ist irrelevant".

Der geistige Mensch macht also etwas zum Maßstab, was ein Naturalist aus methodischen Gründen nicht beachten kann. - Der geistige Mensch gibt den Maßstab weg in immer dichter Wahrgenommenes, aber trotzdem nicht Messbares - der Naturalist reißt den Maßstab an sich, in dem er nur das beachtet, was er mit menschlicher Methodik im Griff hat. - Deshalb ist Naturalismus/Materialismus substantiell anthropozentrisch.

Pluto hat geschrieben:Nur das mit dem Glauben dass Materie Ursprung von Geist sei, musst du revidieren. Die Fakten die für diese Theorie sprechen sind nämlich erdrückend, während das Postulat, dass Geist der Ursprung von Materie sei, von keiner einzigen Beobachtung gestützt wird.
Dasselbe in Grün. - Ich verstehe Deinen Gedankengang, der auf der Ebene, in der Du ihn formulierst, durchaus richtig ist - die Ebene ist aber falsch. - Konkret:

Naturwissenschaft kann per Definition nur die Natur beobachten - sie kann NICHT beobachten, WARUM es Natur gibt. - Weiterhin: Naturwissenschaft kann nicht unterscheiden, ob geistige Abläufe im Gehirn primäre Produktionen der Materie oder Umsetzung von Geist sind, die sich der Materie bedienen, um im materiellen Raum umgesetzt zu werden. - Warum? Weil sie exakt (!) dasselbe beobachten würde.

Insofern ist das alles Glaubenssache. Der eine glaubt, dass die Welt nur aus dem naturalistischen Raum besteht und erklärt alles auf dieser Basis. - Der andere glaubt, dass der naturalistische Raum nur eine Erscheinungsform einer "höheren Welt" ist, die ihrerseits NICHT naturalistischer Art ist.

Beide haben glaubens-konforme Begründungen. - Die eine Auffassung (nämlich die naturalistische) ist anthropozentrisch, weil sie das, was sie naturwissenschaftlich mit MENSCHLICHER Wahrnehmung begründet - die andere Auffassung (nämlich die spirituelle) ist NICHT anthropozentrisch, weil sie den Menschen und dessen Wahrnehmungs-Methoden NICHT als Maßstab setzt, sondern diesem an eine höhere und anthropozentrisch nicht verstehbare Instanz übergibt.

Nebenbei haben wir hier die Quintessenz des Buches "Hiob", in dem die Freunde Hiobs eine dem Naturalismus entsprechende Auffassung haben, wonach das, was ist, FÜR UNS kausal verständlich sein muss, maßstäblich zu sein hat - während Hiob eine spirituelle Auffassung hat, wonach es eine höhere Vernunft gibt, die auch dann maßstäblich ist, wenn wir sie nicht verstehen.

Ein weiteres "Nebenbei" ist:
Unter spirituellen Gesichtspunkten ist Hiob im tiefsten Sinne des Wortes "aufgeklärt" - und naturalistischen Gesichtspunkten würde man die Freunde Hiobs als aufgeklärter verstehen als Hiob. - Also genau umgekehrt.

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#55 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Do 15. Dez 2016, 11:13

closs hat geschrieben:Die Ausformung einer geistigen Wahrnehmung ist selbstverständlich anthropozentrischer als die Ausformung einer naturwissenschaftlichen Wahrnehmung - das heisst: Das Subjekt (= Mensch) geht methodisch bei geistigen Dingen anthropozentrischer ran als bei der Naturwissenschaft.
Ja.
Aber in diesem Fall habe ich nicht die Naturwissenschaft gemeint sondern die Menschheit im Allgemeinen, und das Christentum im Vergleich zu anderen Religionen.

closs hat geschrieben:Die (christliche) Theologie sagt:
"Wir wissen, dass das, was wir untersuchen, in seinem Wesen jenseits unseres Wahrnehmungs-Horizonts ist, weshalb wir unsere menschlich-armselige Wahrnehmung NICHT zum Maßstab machen.
Ja, das stimmt. Aber das Problem liegt wo anders.
Es liegt im Glauben, der Mensch sei durch seine Transzendenzfähigkeit etwas Besseres als andere Lebewesen (siehe Genesis). Sie behaupten eine Trennung zwischen Mensch und Tier in dem sie den Tieren jegliche Form von Seele oder Denkvorgängen absprechen. Zum Vergleich siehe Descartes' "Maschinen" ohne ewige Seele.

closs hat geschrieben:Wir schließen vielmehr über Gefühl, Intellekt, Philosophie und Theologie auf das, was wir deutlich, aber nicht fassbar wahrnehmen. - Hermeneutisch ergibt sich dabei ein immer dichteres Gebilde, das in sich widerspruchsfrei und plausibel ist, aber trotzdem noch in seinem Wesen nicht Teil des naturalistischen Raums ist".
Der Gedanke, dass der Mensch etwas Besseres, Höheres ist als das Tier, entstammt eindeutig dem alten jüdischen Glauben, der in der Genesis beschrieben wird. Dabei sollte uns heute klar sein, dass sehr viele Tiere kein "es" sind sondern sie verdienen das man sie mit dem Prädikat "wer" anspricht.
Genau diesen Unterschied anerkennt aber die Bibel nicht indem sie den Menschen über die Tiere erhebt (Genesis 1,28).

closs hat geschrieben:Die Naturwissenschaft/der Kritische Rationalismus sagt:
"Wir wissen beileibe nicht alles, beachten aber nur das, was nach unserer Methodik nachweisbar ist - alles andere ist irrelevant".
Nein. Wie oft muss man eigentlich wiederholen, dass die Naturwissenschaft nichts ausschließt und nichts voraussetzt, sondern die Natur beobachtet und beschreibt, bzw modelliert?
Die NW sagt entsprechend auch, dass sie nur einen Bruchteil dessen versteht, was ist; über den Rest kann sie aber mit Gewissheit sagen: Andere wissen auch nicht mehr: Sie tun nur so.

closs hat geschrieben:Der geistige Mensch macht also etwas zum Maßstab, was ein Naturalist aus methodischen Gründen nicht beachten kann.
Was soll dieses mystische "etwas" sein? Bisher konnte kein Theologe dieses "etwas" erklären, außer in vagen Phrasen zu behaupten es käme von einem mystischen höheren Wesen.

Ist es am Ende vielleicht nur spirituelles Wunschdenken oder geistige Selbstbefriedigung? — Und falls nicht, wie will man es von der Illusion unterscheiden?

closs hat geschrieben:Naturwissenschaft kann per Definition nur die Natur beobachten - sie kann NICHT beobachten, WARUM es Natur gibt.
Das ist richtig.
Die Theologie erhebt den Anspruch, solche "warum" Fragen zu beantworten. Doch seit mindestens 3000 Jahren war sie nicht im Stande diese Frage zufriedenstellend zu beantworten. Es ist Zeit, dass die Theologen ihr monopolistisches Denken hinsichtlich dieser "warum" Fragen, aufgeben.

closs hat geschrieben:Weiterhin: Naturwissenschaft kann nicht unterscheiden, ob geistige Abläufe im Gehirn primäre Produktionen der Materie oder Umsetzung von Geist sind, die sich der Materie bedienen, um im materiellen Raum umgesetzt zu werden. - Warum? Weil sie exakt (!) dasselbe beobachten würde.
Kein Hirnforscher würde dem widersprechen, denn Gedanken und Ideen sind geistige Vorgänge.
Die Frage ist nur, woher kommt dieser Geist?
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#56 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Do 15. Dez 2016, 12:17

Pluto hat geschrieben:sondern die Menschheit im Allgemeinen, und das Christentum im Vergleich zu anderen Religionen.
Das wäre eine Frage für vergleichende Religionswissenschaftler.

Pluto hat geschrieben:Es liegt im Glauben, der Mensch sei durch seine Transzendenzfähigkeit etwas Besseres als andere Lebewesen (siehe Genesis).
Nicht "besser", sondern weiter entwickelt. - Ein Schimpanse ist nicht "besser" als eine Antilope.

Pluto hat geschrieben:Sie behaupten eine Trennung zwischen Mensch und Tier in dem sie den Tieren jegliche Form von Seele oder Denkvorgängen absprechen.
Nee - so ist das nicht. - Man spricht aus Glaubensgründen ihnen die Fähigkeit ab, ein eigenes reflektierendes "Cogito" in den Kontext des "Woher komme ich"/"WOhin gehe ich?" zu haben - wenn es anders wäre, würde man gleichzeitig wissen, dass ihnen dies von Antilope und Schimpanse verziehen werden würde - aber man glaubt es einfach nicht.

Pluto hat geschrieben:Wie oft muss man eigentlich wiederholen, dass die Naturwissenschaft nichts ausschließt und nichts voraussetzt, sondern die Natur beobachtet und beschreibt, bzw modelliert?
Wie oft muss man antworten, dass dieses Argument vorbeigeht? - Die Naturwissenschaft schließt nichts in der Natur aus und ist diesbezüglich vorsetzungsfrei (lassen wir mal ganz grundlegende Dinge hier weg). - Aber sie kann es nur auf die Natur beziehen und nicht auf das, was plausiblerweise geistig darüber steht. - WAS diesbezüglich plausibel ist, kann NAturwissenschaft nicht ermessen, eben weil sie nur die Natur beobachten kann.

Pluto hat geschrieben: Bisher konnte kein Theologe dieses "etwas" erklären
Das stimmt nicht. - Dieses "etwas" ist von der Richtung her sehr genau definiert, nur eben aus Erden-Sicht ("Materie") zu weit weg.

Pluto hat geschrieben: Und falls nicht, wie will man es von der Illusion unterscheiden?
Mit Mitteln des Kritischen Rationalismus geht das NICHT - und trotzdem verstehen sich geistige MEnschen weltweit auf Anhieb.

Pluto hat geschrieben: Doch seit mindestens 3000 Jahren war sie nicht im Stande diese Frage zufriedenstellend zu beantworten.
Eben weil das Objekt ("Gott") zu weit weg ist - es ist ein Sisyphos-Werk. - Man hat NICHT die Möglichkeit des Kritischen Rationalismus, einen beliebigen Status Quo als "Wahrheit, bis man weiter ist" zu definieren - man weiß von vorne herein, dass das nicht geht.

Pluto hat geschrieben:Die Frage ist nur, woher kommt dieser Geist?
Dies ist naturwissenschaftlich nicht ermittelbar. - Erklären kann man es - dazu gibt es viele Ansätze (egal, ob emotional oder intellektuell).

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#57 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Pluto » Do 15. Dez 2016, 13:47

closs hat geschrieben:Nicht "besser", sondern weiter entwickelt.
Irgendwie schon "besser", denn nach christlicher Auffassung, hat nur der Mensch eine unsterbliche Seele.
Warum nicht auch Tiere?

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Sie behaupten eine Trennung zwischen Mensch und Tier in dem sie den Tieren jegliche Form von Seele oder Denkvorgängen absprechen.
Nee - so ist das nicht. - Man spricht aus Glaubensgründen ihnen die Fähigkeit ab, ein eigenes reflektierendes "Cogito" in den Kontext des "Woher komme ich"/"WOhin gehe ich?" zu haben
Und wo ist da der Unterschied, zu dem was ich gesagt habe?

closs hat geschrieben:wenn es anders wäre, würde man gleichzeitig wissen, dass ihnen dies von Antilope und Schimpanse verziehen werden würde - aber man glaubt es einfach nicht.
Doch genau so ist es. Tiere können verzeihen, aber sich auch rächen.
Dazu gibt es Geschichten über die Beziehung Mensch/Tiger... http://www.4religion.de/viewtopic.php?p=226591#p226591

closs hat geschrieben:Wie oft muss man antworten, dass dieses Argument vorbeigeht? - Die Naturwissenschaft schließt nichts in der Natur aus und ist diesbezüglich vorsetzungsfrei (lassen wir mal ganz grundlegende Dinge hier weg). - Aber sie kann es nur auf die Natur beziehen und nicht auf das, was plausiblerweise geistig darüber steht. - WAS diesbezüglich plausibel ist, kann NAturwissenschaft nicht ermessen, eben weil sie nur die Natur beobachten kann.
Genau da lieg das Problem:
Bevor du so etwas behauptest, solltest du zeigen, dass es mehr gibt als nur die Vorstellung eines "Mehr". Doch das kannst du nicht.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Bisher konnte kein Theologe dieses "etwas" erklären
Das stimmt nicht. - Dieses "etwas" ist von der Richtung her sehr genau definiert, nur eben aus Erden-Sicht ("Materie") zu weit weg.
Ja es kommen Antworten, aber diese sind nicht in der Lage eine ernsthafte Überprüfung stand zu halten.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben: Und falls nicht, wie will man es von der Illusion unterscheiden?
Mit Mitteln des Kritischen Rationalismus geht das NICHT - und trotzdem verstehen sich geistige MEnschen weltweit auf Anhieb.
Genau das bezweifle ich. Solche Vorstellungen sind "privater Natur". Es ist unmöglich zu wissen wie jeder Mensch einfache Dinge wie Farben empfindet, geschweige denn komplizierte Begriffe wie die Transzendenz.

closs hat geschrieben:Eben weil das Objekt ("Gott") zu weit weg ist - es ist ein Sisyphos-Werk. - Man hat NICHT die Möglichkeit des Kritischen Rationalismus, einen beliebigen Status Quo als "Wahrheit, bis man weiter ist" zu definieren - man weiß von vorne herein, dass das nicht geht.
Darum unterscheidet man ja zwischen Glaube und Wissen. Doch du willst mir ständig weis machen, dass spirituelle Menschen "wissen". Wie das gehen soll kannst du aber auch nicht erklären.

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Die Frage ist nur, woher kommt dieser Geist?
Dies ist naturwissenschaftlich nicht ermittelbar. - Erklären kann man es - dazu gibt es viele Ansätze (egal, ob emotional oder intellektuell).
Ich meinte es anders.
Wenn am Anfang Geist, oder wie die Bibel sagt, das "Wort" war, dann ist das eine reine Behauptung. Wenn man behauptet Geist sei zuerst dagewesen, dann sollte man auch plausibel erklären können, woher dieser Geist kommt. Doch genau das kann die Theologie nicht. Sie behauptet lediglich, dass es so war, aber ich weise das zurüvk, und sage, das Universum (oder sein Vorläufer) könnte genauso gut das ewige Sein gewesen sein.
Nochmals Carl Sagan: https://www.youtube.com/watch?v=Ag6fH8cU-MU&t=6s
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

Novas
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#58 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von Novas » Do 15. Dez 2016, 15:50

closs hat geschrieben:
Novalis hat geschrieben: Selbst die Bewusstseinsforschung ist größtenteils außenorientiert, ist primär materialistisch, obwohl Bewusstsein immateriell ist.
Diese Entwicklung ist unvermeidbar. - Denn sobald man dem Glauben anhängt, Geist sei primäres Produkt der Materie, UND sich nicht einmal bewusst ist, dass dies ein Glaube und kein Wissen ist, KANN man nicht anders interpretieren.

Du hast Recht. Daran würde ich mich noch nicht mal stören, wenn man wenigstens die ideologische Bevormundung lassen würde. Ich kann damit leben, wenn jemand glaubt, dass Geist primär ein Produkt der Materie sei. Denn ich akzeptiere, dass jeder Mensch das Recht hat eine Weltanschauung zu bevorzugen, die sich von der meinen unterscheidet. Umgekehrt habe ich die selbe Freiheit. Ich kann selbstständig denken und selbst entscheiden, was ich denke und glaube. Pluralität und geistige Offenheit finde ich gut, dann haben wir auch was zu diskutieren. Da darf es auch Streitkultur geben (solange es nicht nur Streit ist ;) ) . Was mich jedoch sehr stört, sind die erkennbaren Versuche einer ideologischen Gleichschaltung. DAGEGEN wehre ich mich.

Genau damit wendet man sich übrigens gegen die gesamte Idee der Aufklärung, die einen mündigen (selbstständig nach Wahrheit strebenden) Menschen als ihr Ideal ansah. Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass eigentlich jeder von uns gewisse Teilwahrheiten erkennt. Denn “No one is smart enough to be wrong 100% of the time” (Ken Wilber). Demnach gestehe ich dem Materialismus eine gewisse Teilwahrheit zu, aber keine absolute Wahrheit. Wenn jedoch unangemessene Absolutheitsansprüche erhoben werden, dann wehre ich mich dagegen. Denn wenn die Ganzheit des Seins auf einen Teilausschnitt reduziert wird, dann werden wir eben dieser Ganzheit nicht gerecht. Die Frage ist: wie können Körper, Vernunft, Geist und Seele gleichermaßen zu ihrem Recht kommen? Wir kommen auch nicht daran vorbei immer wieder neu über die universalen Werte des „Guten, Wahren und Schönen“ zu sprechen, weil das zum selbstverständlichen Postulat jeder Gesellschaft mit menschlichem Antlitz gehört; und naturgemäß kann Wahrheit aus vielen, nicht nur aus einer Perspektive betrachtet werden. Die religiöse Perspektive gehört dazu. Ob Richard Dawkins und die Glaubensgemeinschaft der Brights damit einverstanden ist oder nicht, spielt keine Rolle. Freiherr von Hardenberg, der auch Novalis genannt wurde, sagte es ganz passend: „Wissenschaft ist nur eine Hälfte. Glauben ist die andre.“
Deswegen habe ich mich nach ihm benannt.

Um zu verstehen, wie einseitig der Materialismus heute ist, wie weit die ideologische Gleichschaltung fortgeschritten, dem empfehle ich einfach mal diese Sendungen hier anzuhören, weil die Romantik und der Idealismus bei uns eigentlich der letzte große Gegenentwurf waren:

Die Romantik war der letzte große Versuch, der Entzauberung der Welt durch Wissenschaftsgläubigkeit und Herrschaft der Vernunft etwas entgegenzusetzen: die Intelligenz des Herzens und der Gefühle. Die Romantik war eine Philosophie, die zur Lebenshaltung wurde. Geschaffen von Menschen, die den Machbarkeitswahn späterer Zeiten ahnten.


"Die erste Idee ist natürlich die Vorstellung von mir selbst, als einem absolut freien Wesen", heißt es in dem "ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus", verfasst von den Philosophen Hölderlin, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Schelling.





Ich denke nicht, dass wir die Zeit zurück drehen können oder das wünschenswert ist, denn ich schätze selbst die vielen Annehmlichkeiten des 21. Jahrhunderts. Heute kann man mit dem Flugzeug in drei Stunden von Frankfurt nach New York fliegen, um ein Wochenende dort zu verbringen, vorausgesetzt man kann es sich leisten. Für Goethe war noch die Italienreise eine „Weltreise“ :D Ein Beispiel für etwas, was ich großartig finde. Doch ich denke, dass vieles von dem, was damals gedacht wurde, richtig ist - und heute aufgegriffen werden kann und neugedacht werden sollte unter den Bedingungen der heutigen Zeit. Ein Philosoph der das versucht, ist Ken Wilber, weshalb ich ihn sehr schätze. Er plädiert auch für eine neue Aufklärung, die allerdings Spiritualität mitdenkt und mit beiden Seiten sieht, nicht nur einäugig:

Was, wenn sich das spirituelle Bewusstsein spiralförmig weiterentwickelt, alte Vorstellungen integriert und damit die Spaltung zwischen mythischen und aufgeklärtem Denken überwindet? Der international höchst bedeutsame Denker Ken Wilber hat in den vergangenen Jahrzehnten neue Stichworte ins Nachdenken über Glaube, Religion und Spiritualität gebracht, die Stichworte "integral" oder "transpersonal". Peter Erlenwein hat den großen amerikanischen Denker, der selten Interviews gibt, besucht -- und blickt gemeinsam mit ihm zurück auf ein Leben voller geistiger Abenteuer.
Zuletzt geändert von Novas am Do 15. Dez 2016, 16:56, insgesamt 1-mal geändert.

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#59 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Do 15. Dez 2016, 16:50

Pluto hat geschrieben:Irgendwie schon "besser", denn nach christlicher Auffassung, hat nur der Mensch eine unsterbliche Seele. Warum nicht auch Tiere?
Vermutlich, weil ein Wesen ohne bewusstes, transzendenzfähiges "Cogito" gar nicht mitkriegen würde, dass es unsterblich ist.

Pluto hat geschrieben:Und wo ist da der Unterschie, su dem was ich gesagt habe?
Dass es keine Forderung ist, sondern aus gespürten Gründen so glaubt. - Wie gesagt: Würde man sich in seinem Glauben irren, wäre keiner beleidigt.

Pluto hat geschrieben: Tiere können verzeihen, aber sich auch rächen.
Das ist sehr menschlich formuliert - möglicherweise folgen sie auch evolutionär vorgesehenen Konditionierungs-Mechnaismen. - Entscheidend wäre: Kann ein Tier per Cogito "sagen": "Ich räche mich jetzt - ich verzeihe Dir". ---???---

Pluto hat geschrieben:Bevor du so etwas behauptest, solltest du zeigen, dass es mehr gibt als nur die Vorstellung eines "Mehr". Doch das kannst du nicht.
Das wird gezeigt, seitdem es menschliche Kultur gibt - aber es ist nicht kritisch-rationalistisch nachweisbar (und das meinst Du letztlich mit "zeigen").

Pluto hat geschrieben:Ja es kommen Antworten, aber diese sind nicht in der Lage eine ernsthafte Überprüfung stand zu halten.
Auch hier: "Ernsthaft" heisst aus Deinem Mund "kritisch-rationalistisch". - Und das ist eben der falsche Ansatz.

Pluto hat geschrieben:Es ist unmöglich zu wissen wie jeder Mensch einfache Dinge wie Farben empfindet, geschweige denn komplizierte Begriffe wie die Transzendenz.
Stimmt - und wieder meinst Du mit "unmöglich zu wissen" rational-kritisches intersubjektives Wissen. - Davon abgesehen: In geistigen Gesprächen interessiert man sich nicht dafür, WIE Geist vermittelt wird, sonder WAS durch ihn vermittelt wird.

Pluto hat geschrieben:dann sollte man auch plausibel erklären können, woher dieser Geist kommt. Doch genau das kann die Theologie nicht.
Im Sinne von "Was war vor dem Urknall?" hast Du recht - aber diese Fragen werden nicht thematisiert. -

"Am Anfang war das Wort" ist nichts als eine Chiffre für das, was man damit geistig ausdrücken will. - Also keine ERfindung, sondern ein Inhalt, den man benennen will.

Davon abgesehen:
Der Satz "Am Anfang war das Wort" ist auch innerchristlich einer der missverständlichsten Sätze überhaupt. Wollte man diesem Satz auf den Grund gehen, müsste man nicht nur die griechische Vorlage dazu ("logos") zu Grunde legen, sondern noch viel mehr die hebräische Vorlage zu "logos" (nämlich "memra") zugrunde legen.

So aber wird dieser Satz oft unter Christen (aus meiner Sicht primitiv) verstanden als "Die Bibel ist das Wort - am Anfang war die Bibel - unnd 'Wort' ist das, was aus dem Mund kommt" - ich hätte viel Kritisches zum Christentum zu sagen, wenn nicht noch mehr Kritisches zum ideologischen Materialismus zu sagen wäre.

Pluto hat geschrieben:ich weise das zurüvk, und sage, das Universum (oder sein Vorläufer) könnte genauso gut das ewige Sein gewesen sein.
Unter naturalistischer Perspektive ist dies naheliegend.

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#60 Re: Was ist eine zeitgemäße Leitkultur?

Beitrag von closs » Do 15. Dez 2016, 16:57

Novalis hat geschrieben:Was mich jedoch sehr stört, sind die erkennbaren Versuche einer ideologischen Gleichschaltung. DAGEGEN wehre ich mich. Genau damit wendet man sich übrigens gegen die gesamte Idee der Aufklärung, die einen mündigen (selbstständig nach Wahrheit strebenden) Menschen als ihr Ideal ansah.
Das ist ein guter Punkt - denn er trifft mit der Beobachtung zusammen, dass Materialisten dem Christentum meisten das vorwerfen, was sie selber am meisten trifft.

Novalis hat geschrieben: Heute kann man mit dem Flugzeug in drei Stunden von Frankfurt nach New York fliegen, um ein Wochenende dort zu verbringen, vorausgesetzt man kann es sich leisten. Für Goethe war noch die Italienreise eine „Weltreise“ :D Ein Beispiel für etwas, was ich großartig finde. Doch ich denke, dass vieles von dem, was damals gedacht wurde, richtig ist
Da dies "mein" Fach betrifft, kann ich Dir versichern, dass Klassik und Romantik ein kultureller und philosophischer Höhepunkt waren, der heute nicht in Sichtweite ist. Ausnahme mag der Epigone Th. Mann sein, der wie ein erratischer Block im 20. Jh. stand.

Aus meiner Sicht haben wir seit der Romantik große technische Fortschritte und genauso große geistige Rückschritte gemacht.

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