Evangelium besser verstehen

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michaelit
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#1 Evangelium besser verstehen

Beitrag von michaelit » Do 3. Dez 2015, 16:53

Hallo,

ich habe kürzlich einen längeren Aufsatz über das Thema "Präterismus - der Sinn des Evangeliums" geschrieben. Ich wollte ihn mal hier hereinstellen und eure Meinung wissen. Falls ihr gegen Allversöhnung und Universalismus seid braucht ihr euch nicht bemühen, ich möchte eine konstruktive Diskussion. Danke.

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Ich sehe das Evangelium von Jesus nun zumindest teilweise als das Evangelium eines Propheten in der Tradition von Jesaja und Jeremiah. Ein großer Teil von Jesu' Sprüchen und Aussagen kommt daher daß Jesus wußte, die Römer sind jetzt die Herren von Israel, aber nach Gottes Willen. Prinzipiell schien Gott in Jesus der Ansicht zu sein daß Israel und seine Religion nicht mehr tragbar war. Es war viel Gutes in Vergessenheit geraten, unter anderem die Mehrfachbedeutungsauslegung der hebräischen Bibel. Man verstand das Gesetz nicht mehr richtig und ließ sich auch nichts sagen. Gott war nur noch Vollstrecker von Strafe an Sündern die aus diesem Dilemma nicht herauskamen. Oder er war Segner der Gerechten die damit großtun konnten und die sich quasi als selige Elite der israelischen Gesellschaft betrachteten, weit vor den normalen Leuten die eben ihre Sünden hatten die sie laut den Pharisäern von Teilhabe in der religiösen Hierarchie ausschlossen.

All das war bei Gott nicht mehr tragbar. Deshalb hatte er die Römer ins Land geholt die dann dort herrschten und es eigentlich besser machten als es vorher die Pharisäer und Sadduzäer taten. Es gab aber jüdisches Zelotentum welches unbedingt einen jüdischen Nationalstaat wollte und nur noch auf einen Kriegsmessias wartete um gegen Rom zu rebellieren und dabei von Gott gesegnet zu sein. Doch Gott in Jesus wollte das nicht und gab allen Juden die zuhörten eine Ausbildung in verschiedenen Gebieten so daß sie später wenn Rom zuschlagen würde um die Rebellion zu beenden, wußten was sie tun mußten um nicht zusammen mit den Zeloten unterzugehen.

Hier sehe ich vor allem erst einmal die Bergpredigt. Wenn ein Jude von einem Römer bedroht wurde, sollte er die andere Wange hinhalten. Wenn ein römischer Soldat, nach geltendem römischen Militärrecht, einen Juden aufforderte eine Meile mitzugehen und sein Gepäck zu tragen, sollte der Jude zwei Meilen mitgehen. Wenn ein Römer jemanden berauben wollte, also sprich das Gewand fordern, sollte er ihm auch den Mantel geben um den Römer zu beschämen (nicht alle Römer waren materialistisch, es gab viele unter ihnen die Ehre darin sahen niemandem sein Letztes weg zu nehmen). Es galt auch nicht lüstern zu sein, dagegen zu zeigen daß man kein Lotterleben führt, wie es auch in Griechenland und Rom oft im Gespräch hochkam, denn auch Römer und Griechen kannten die Tugend und hielten immer wieder viel von ihr.

Nun war Jesus aber auch mehr als ein Prophet, als Sohn Gottes war er ein Teil von Gott und wollte aus Israel's Ablehnung, das heißt daraus daß Gott dem ungehorsamen Israel nicht vollends gegen Rom helfen konnte, eine Erwählung der Welt machen. Irgendwann, gar nicht soviel später, würde Rom selbst Gott in Jesus erkennen und moralische Ideen wie die der Bergpredigt als göttlich erkennen.

Ich glaube das ist ein großer Teil des Evangeliums, und viele der Glaubensforderungen Jesu' kam daher daß er wollte daß Israel soweit es geht mitzieht, so daß möglichst viele Menschen bei Roms Niederschlagung der zelotischen Aufstände ihren Ausweg haben würden. Es geht hier nicht um ein Strafgericht nach dem Tod welchem man, um nicht der Hölle anheim zu fallen, durch Glauben an Jesus entgehen könnte. Es ging darum daß die Leute zuhören, daß hier ein Ernst Gottes war was ihr Land betraf.

Das kann man auch gut sehen am Gerichtsdiskurs von Matthäus Kapitel 25. Diejenigen die sich um Leidende kümmerten, um irgendwelche die in Not waren, wurden dann von den Römern verschont denn soviel Mitleid hatten sie. Doch die mit dem Schwert in der Hand würden nicht verschont, diejenigen denen die Notleidenden egal waren.

Es handelt sich also bei den Evangelien größtenteils um einen Versuch Gottes sein Volk vor einem Bösen zu retten, dem Angriff der Römer. Da aber große Teile der Juden diesem Aufruf Gottes widerstanden wurden diese auch nicht gerettet, und Gott wollte dann auch nicht mehr daß Israel weiter so besteht und viele Juden gingen danach in die Diaspora.

(Ich sage das keineswegs in antisemitischem Sinn, die Juden wissen selbst daß sie damals vieles falsch gemacht haben. Sie hätten ja nicht unbedingt Jesus vertrauen müssen, es hätte gereicht wenn sie dem Gesetz der Nächstenliebe in ihrem Gesetz gefolgt wären. Jesus spricht ja auch zu dem Jüngling der ihn nach dem ewigen Leben fragt und zitiert ihm die 10 Gebote. Es hätte gereicht wenn er diese befolgt hätte, und mit Jesus erlangt man nur Perfektion.)

Kastanienbaum
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#2 Re: Evangelium besser verstehen

Beitrag von Kastanienbaum » So 13. Dez 2015, 15:21

Hallo,

michaelit hat geschrieben:Falls ihr gegen Allversöhnung und Universalismus seid braucht ihr euch nicht bemühen, ich möchte eine konstruktive Diskussion. Danke.
Bevor dir hier keiner antwortet, tue ich es zumindest. Dir steht es natürlich frei, diese entsprechend zu ignorieren :D

Deine Schlussfolgerung ist ja die hier:
michaelit hat geschrieben:Es handelt sich also bei den Evangelien größtenteils um einen Versuch Gottes sein Volk vor einem Bösen zu retten, dem Angriff der Römer.
Der Angriff der Römer war ja die Folge dessen, dass die Juden Jesus abgelehnt haben. Dementsprechend hatten die Evangelien vor allem den Zweck, über das Leben und Wirken der Person Jesu zu berichten. Und schließlich über seinen Tod am Kreuz und die Auferstehung – wodurch wir freien Zugang zu Gott haben können. Die zentrale Aussage der Evangelien finden wir in Johannes 3,16:
Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat.
Die Evangelien verkünden das Evangelium, durch welches wir ewiges Leben haben können, wenn wir an Gottes Sohn glauben.
michaelit hat geschrieben:Da aber große Teile der Juden diesem Aufruf Gottes widerstanden wurden diese auch nicht gerettet, und Gott wollte dann auch nicht mehr daß Israel weiter so besteht und viele Juden gingen danach in die Diaspora.
Ganz schwieriges Thema. Ich gebe dir in so fern Recht, dass die Ereignisse um 70 n. Christus eine Strafe Gottes waren. Jedoch hat Gott sein Volk nicht verworfen, sondern stellt es am Ende der Tage wieder her. Heute existiert ja wieder ein Staat Israel, und viele Juden sind aus der Diaspora zurückgekehrt.

michaelit
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#3 Re: Evangelium besser verstehen

Beitrag von michaelit » Mi 16. Dez 2015, 07:08

Hallo Kastanienbaum,

danke für deine Antwort auf mein Posting.

Ich denke wirklich daß das Drängende und laut Rufende in den Evangelien diesem Konflikt von Judäa mit Rom geschuldet ist. Jesus wußte als Prophet daß es schlecht ausgehen würde damit, so setzte er alles darein daß soviele Menschen wie möglich aus diesem Konflikt herauskommen würden. Und er mußte das teilweise verdeckt tun damit er nicht vor seiner Zeit festgesetzt werden würde - wie es dann auch geschah als die Pharisäer Jesus gegen Pilates ausspielten.

Gerade die Bergpredigt in ihrer Radikalität macht nur richtig Sinn wenn man sie als Handlungsweise gegen angreifende Römer versteht. Die Eroberer achteten Demut - gerade aus solchen Gründen hatten sie ja den Juden eine weitgehende Autonomie erlaubt. Sie hatten sich untergeordnet. Und es war ja nicht so daß diejenigen von den Hebräern die rebelliert hatten die "Guten" waren - so wie es Josephus beschreibt waren die Zeloten zum Ende hin ganz schlimme und auch perverse Gestalten.

Deswegen sehe ich Jesus in der Tradition von Jeremiah und Jesaja. Und er rief deswegen zum Glauben auf nicht um sich selbst zu erhöhen sondern um die normalen Leute auf den Betrug der Pharisäer aufmerksam zu machen und aus deren Zelotentum herauszuholen. Gerade der Glaubensaufruf Jesu' und das radikale Gerichtsdenken mancher Christen macht in herkömmlicher Lesweise der Bibel für mich nicht soviel Sinn. Alles auf diesen Jesus laden und die anderen Götter nicht respektieren? Das ist für mich reichlich schräg.

Wenn man die alten Schriften so liest und in ihnen nach Substrukturen im Text und nach Wortspielen und so sucht, da findet man soviel, auch bei den Babyloniern, den Griechen, den Indern und Chinesen. Das heißt für mich daß es bei Gott vor allem um Geist und Liebe geht. Und das wollte Jesus auch gegenüber seinen jüdischen Volksgenossen vertreten. Er hat manisch nach einer Lösung gesucht und fand sie dann darin daß die Menschen Gottes Kinder sein sollen. Aber die harten Strafen und so die manche damit verknüpft haben wenn man Jesus nicht glaubt, die machen nur Sinn im damaligen römisch-jüdischen Konflikt.

Lena
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#4 Evangelium leben

Beitrag von Lena » Do 17. Dez 2015, 16:23

Er ist das gelebte Wort Gottes. Der Herr Jesus Christus. Er ist das Evangelium, die gute Nachricht, für jeden Menschen auf Erden. Er ist die Nahrung, das Brot des Lebens. Das ist viel mehr als verstehen. Das ist ein aus Ihm leben. Aus seinen Worten, seinem Geist, seiner Kraft, seiner Liebe, weil seine Worte - Leben bedeuten.
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

JackSparrow
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#5 Re: Evangelium besser verstehen

Beitrag von JackSparrow » Do 17. Dez 2015, 22:56

Kastanienbaum hat geschrieben:Der Angriff der Römer war ja die Folge dessen, dass die Juden Jesus abgelehnt haben.
Der Angriff der Römer war die Folge dessen, dass die jüdische Elite ihren Monotheismus nicht aufgeben und nicht den römischen Kaiser als ihr Staatsoberhaupt anerkennen wollte. Normalerweise galt in römischen Provinzen Religionsfreiheit, weil die neu hinzugekommenen Götter einfach in die römische Göttersammlung aufgenommen wurden. Dies war in Judäa aber nicht möglich.

Dementsprechend hatten die Evangelien vor allem den Zweck, über das Leben und Wirken der Person Jesu zu berichten.
Beziehungsweise über die Belagerung Jerusalems durch die Römer. Titus, welcher als Sohn des Kaisers gleichzeitig Menschensohn und Gottessohn war, lies um die Stadt einen Wall aufschütten, um die Bevölkerung auszuhungern (vgl. Lk19:43).

Wer aus der Stadt zu fliehen versuchte, wurde gekreuzigt. Denn der Menschensohn sandte seine Boten aus, um aus seinem Reich die Fallstricke zu entfernen und sie in den Hochofen des Feuers zu werfen, und da war Heulen und Zähneknirschen (vgl. Mt13:49).

Wie in literarischen Adaptionen realer Ereignisse üblich, übernimmt die Figur des Jesus einfach die Funktion des Erzählers. Er vergleicht die falschen jüdischen mit den erwünschten römischen Geboten, stellt dadurch die Juden als die bösen Schuldigen und den Kaiser als ihren göttlichen Erlöser dar. Zweck erfüllt. Amen.

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