Hiob, Gott und Teufel

Themen des alten Testaments
closs
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#371 Heidegger, der Mensch und seine Philosophie (2)

Beitrag von closs » Di 18. Nov 2014, 08:52

Münek hat geschrieben: Sollte ich da schweigen? Tue ich nicht!
Darfst Du auch nicht. - Aber Du solltest Deine Strategie ab und zu mal überdenken. - Was tust Du?

Du schaust Dir Bibelzitate recht genau an, vernetzt sie auch, recherchierst sie auch und nimmst dann die historisch-kritische Methode als Ausgangspunkt einer geistigen Auslegung - auf Basis einer agnostischen, also unspirituellen Grundhaltung. Das funktioniert nicht - aus mindestens 4 Gründen:

1) Bibelzitate kann man nur bedingt vergleichen, weil sie sich auf einen speziellen Zusammenhang beziehen (können).
2) Das Verständnis in der Zeit, als die Texte geschrieben wurden, kann ein anderes sein als heute.
3) Die historisch-kritische Methode ist wichtig für historische und quellen-kritische Arbeiten, aber nicht für geistige Auslegung.
4) Ohne eigenen spirituellen Ansatz sieht man grundsätzlich nur Puzzles, für die der Klebstoff zum Zusammenfügen fehlt, wenn man keine spirituelle Ahnung (im wörtlichen Sinn gemeint) hat.

Mit anderen Worten: Ein geistig geküsstes Bild von Gott und Welt muss a priori da sein, wenn man die Bibel mehr als historisch-kritisch, nämlich geistig-inhaltlich, verstehen will - denn dafür wurden die Texte ja zusammengestellt.

Mir kommt das alles so vor, als wäre die Welt taub und würde sich mit dieser Taubheit auf die Noten auf J.S.Bach stürzen und "nachweisen", dass seine Musik beschissen sein müsse, weil .... - ohne jemals einen Ton gehört zu haben bzw. hören zu können. - Diese Taubheit möchte ich gleichsetzen mit der spirituellen Taubheit unserer Zeit.

Man sieht sich mit geistigen Werken der Epochen konfrontiert (egal ob das jetzt die Bibel, Meister Eckarts Mystik, Bachs Werk, Kants und Hegels Philosophie, Wagners "Ring" oder sogar Thomas Mann ist) und interpretiert sie mit dem agnostischen und unspirituellen Inventar der eigenen Zeit und lehnt dann entweder ab oder akzeptiert sie im Sinne des Verständnisses der eigenen Epoche - wobei es wahrscheinlich sogar das bessere Los ist, abgelehnt zu werden, weil dann wenigstens nicht entstellt wird.

Gerade heute früh habe ich wieder mal einen neuen Artikel über Heidegger gelesen - der Hintergrund: Es wurden wieder einmal Notizen gefunden, die Hinweise darauf geben, dass er Antisemit war. - Von seiner Philosophie kein Wort. - Man hat den Eindruck, als würde man sich damit den Weg freikaufen, ihn nicht verstehen zu müssen - politisch unkorrekt - puuh, der Kelch Heidegger geht an mir vorüber. - ODER: Man kennt Heidegger doch, interpretiert ihn aber im Sinne des materialistischen Mainstreams - dann allerdings wäre es wirklich gescheiter, ihn an sich vorbei gehen zu lassen und ihn für spätere Generationen aufzuheben.

Bei Luther und Wagner ist es zu spät - die beiden sind zwar ausgewiesene Antisemiten, aber halt schon etabliert - kann man nichts machen.

So kann man keine Geistesgeschichte studieren - in der Peripherie des Biografistischen und Historisch-Kritischen. - Aber man tut es, weil es a) viel schwieriger wäre, so richtig in Denkweisen einzusteigen (egal ob Bibel, Wagner oder Heidegger), UND weil es b) dort kaum noch etwas an Meriten zu holen gibt. - Da geht man lieber in die Peripherie und macht eine Dissertation mit dem Titel "Goethes Darmflora und Klolektüre im Kontext der Zweitfassung der Walpurgisnacht im Urfaust" (ist natürlich erfunden - aber allein, dass man darauf hinweisen muss, spricht schon für sich).

Um es in den Worten meines Profs zu sagen, dessen Name in meinem Nickname Eingang gefunden hat: "We have a loss of center" - der Verlust der Mitte, des Zentrums, der Substanz - zugunsten von peripheren Scharmützeln. - Das scheint mir die gute Zusammenfassung eines damals über 80Jährigen zu sein, die wunderbar das Problem des 20. und 21. Jh. zusammenfasst - und was eben auch Deinen Ansatz zu betreffen scheint.

Die Frage aus meiner Sicht lautet: (A) Löst man sich so weit wie möglich von der eigenen Zeit, wenn man sich Werke der Vergangenheit antut, oder (B) tut man es nicht. - Aus meiner Sicht geht an Variante (A) kein Weg vorbei, wenn man in die Mitte will.

Hemul
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#372 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Hemul » Di 18. Nov 2014, 13:32

Münek hat geschrieben: Zum Beispiel auch die Fähigkeit, sich in einem Forum anderen Menschen gegenüber
schlicht allgemeinverständlich auszudrücken. Das ist nicht nur eine Frage der Bil-
dung, sondern vor allem auch der HÖFLICHKEIT und des RESPEKTS den Diskussions-
partnern gegenüber. Das scheinst Du echt nicht in die Reihe zu kriegen.
PS :)
Zum Glück verstehen wir beide uns auch ohne Dolmetscher-gell? Wir zeigen immer klare Kante-da weiß jeder von uns sofort wo er dran ist. ;) Schade nur, dass du dich immer so sehr ärgerst wenn du mir nicht wechseln kannst-echt schade. :wave:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

Pluto
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#373 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Pluto » Di 18. Nov 2014, 14:34

closs hat geschrieben:So kann man keine Geistesgeschichte studieren - in der Peripherie des Biografistischen und Historisch-Kritischen. - Aber man tut es, weil es a) viel schwieriger wäre, so richtig in Denkweisen einzusteigen (egal ob Bibel, Wagner oder Heidegger), UND weil es b) dort kaum noch etwas an Meriten zu holen gibt. - Da geht man lieber in die Peripherie und macht eine Dissertation mit dem Titel "Goethes Darmflora und Klolektüre im Kontext der Zweitfassung der Walpurgisnacht im Urfaust" (ist natürlich erfunden - aber allein, dass man darauf hinweisen muss, spricht schon für sich).
Wenn man Objektvität in der Hermeneutik der Geistesgeschichte sucht, führt IMO kein weg am historisch-kritischen Weg vorbei. Nur so kann man die Art von Belibigkeit ausschließen, die du mit deinem letzten Beispiel verdeutlichst.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

closs
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#374 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von closs » Di 18. Nov 2014, 14:44

Pluto hat geschrieben:Wenn man Objektvität in der Hermeneutik der Geistesgeschichte sucht, führt IMO kein weg am historisch-kritischen Weg vorbei.
Wörtlich verstanden ist dieser Satz absolut richtig.

Das Problem: Geistige Inhalte lassen sich auf dem historisch-kritischen Weg nicht erschließen. Kleine Einschränkung: Es kann historisch-kritische Hinweise geben, die die Erschließung geistiger Inhalte erleichtern. Aber auch das ist nicht Erschließung, sondern Hilfe zur Erschließung.

Pluto hat geschrieben:Nur so kann man die Art von Belibigkeit ausschließen
Man sollte vielleicht zwischen "Beliebigkeit" und "Nicht-Objektivität" unterscheiden. - "Beliebig" dürfen geistige Erkenntnisse nicht sein - nicht-objektiv sind sie trotzdem.

Pluto
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#375 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Pluto » Di 18. Nov 2014, 14:57

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn man Objektvität in der Hermeneutik der Geistesgeschichte sucht, führt IMO kein weg am historisch-kritischen Weg vorbei.
Wörtlich verstanden ist dieser Satz absolut richtig.
Mein ich doch. 8-)

closs hat geschrieben:Das Problem: Geistige Inhalte lassen sich auf dem historisch-kritischen Weg nicht erschließen.
Liegt das Problem vielleicht darin, dass die geistigen Inhalte beliebig sind?

closs hat geschrieben:Man sollte vielleicht zwischen "Beliebigkeit" und "Nicht-Objektivität" unterscheiden. - "Beliebig" dürfen geistige Erkenntnisse nicht sein - nicht-objektiv sind sie trotzdem.
Darüber dass Goethes Darmflora objektiv existierten, besteht kein Zwiefel, aber die Interpretation, dass diese mit seiner Klolektüre etwas zu tun haben könnten, bleibt beliebig.

Der Punkt ist doch... Verlässt man den historisch-kritischen Weg, wird (fast) jede Interpretation beliebig.
Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#376 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von closs » Di 18. Nov 2014, 15:30

Pluto hat geschrieben:Der Punkt ist doch... Verlässt man den historisch-kritischen Weg, wird (fast) jede Interpretation beliebig.
Eben nicht - mal ein praktisches Beispiel:

Wenn 10 geistig fähige Pianisten ein Stück hören, wissen sie sofort, wenn es schlecht gespielt ist (selbst wenn es technisch perfekt gespielt wäre) - es ist dabei vollkommen egal, woher auf der Welt diese Pianisten kommen. - Das heisst aber NICHT, dass diese 10 Pianisten sich auf EINE Interpretation einigen könnten. - Trotzdem wird jeder der 9 Pianisten, die den 10. spielen hören, seine Interpretation verstehen und gutheißen können ("Ach - so meint der/die das").

Spontaner Vergleich: Es gibt unendlich viele Primzahlen, trotzdem sind (bei weitem) nicht alle Zahlen Primzahlen. - In diesem Sinne erkennen echte Künstler sofort, ob die Interpretation des anderen eine "Primzahl" (Du verstehst das Bild?) ist oder irgendeine von 1000en Zahlen dazwischen, die nicht dazu taugen.

"Beliebig" wäre, wenn jeder den Anspruch haben dürfte, dass seine Interpretation geistig satisfaktionsfähig wäre (eine große Gefahr in unserer Meinungs-Gesellschaft). - "Möglich" ist, was von dazu berufenen Menschen "erkannt" wird. - Das muss nicht heißen, dass der "normale" Mensch ausgeschlossen wäre - im Gegenteil: Viele Laien merken von sich aus, wenn etwas geistig funzt - ohne das Wort "geistig" in den Mund zu nehmen.

Trotzdem: Geistige Dinge sind im ursprünglichen Wortsinn "esoterisch" - also nur einem begrenzten „inneren“ Personenkreis zugänglich. - Man könnte (aufgrund der Kontaminierung des Wortes "Esoterik") auch von einer "Aristokratie des Geistes" sprechen. - Hinwiederum: Zu dieser Aristokratie gehören unversaute Kinder allemal - wir reden also nicht von irgendeiner strengen Gralsrunde.

Mein Verdacht: Die Fähigkeit zum Selbst-Erkennen geistiger Dinge ist inzwischen (zumindest in den maßgeblichen Stellen der Gesellschaftskuktur) so degeneriert, dass man sich dieses Gut über Objektivierung erschleichen möchte. - Der Vorteil dabei: Man braucht dann nichts selber zu erkennen und kann trotzdem mitreden.

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#377 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Pluto » Sa 22. Nov 2014, 09:39

Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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#378 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Münek » Do 11. Dez 2014, 18:27

closs hat geschrieben:
Pluto hat geschrieben:Wenn man Objektvität in der Hermeneutik der Geistesgeschichte sucht, führt IMO kein weg am historisch-kritischen Weg vorbei.
Wörtlich verstanden ist dieser Satz absolut richtig.

Das Problem: Geistige Inhalte lassen sich auf dem historisch-kritischen Weg nicht erschließen. Kleine Einschränkung: Es kann historisch-kritische Hinweise geben, die die Erschließung geistiger Inhalte erleichtern. Aber auch das ist nicht Erschließung, sondern Hilfe zur Erschließung.

Es wird nicht als Aufgabe der "historisch-kritischen Exegese" angesehen, unmittelbar
eine Basis für das christliche Leben zu geben, sondern nur die HISTORISCHE Bedeu-
tung
eines Bibeltextes herauszuarbeiten. Die historisch-kritische Methode ist bis heute
in der evangelischen und katholischen Kirche die Standardmethode der Bibelauslegung.

(Quelle: Wiki)

Wenn ein Bibelleser glaubt, den Bibeltexten "geistige Inhalte" entnehmen zu können, ist
dies seine subjektive Einschätzung, d.h. sein höchstpersönlicher Glaube. Dieser kann na-
turgemäß nicht Gegenstand wissenschaftlicher Forschung und Lehre an den theologischen
Fakultäten sein.

Ihr das als Schwäche anzulasten, wie Du dies kürzlich in einem anderen Thread getan hast,
ist - mit Verlaub - Unsinn.

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#379 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von closs » Do 11. Dez 2014, 21:03

Münek hat geschrieben:Es wird nicht als Aufgabe der "historisch-kritischen Exegese" angesehen, unmittelbar eine Basis für das christliche Leben zu geben, sondern nur die HISTORISCHE Bedeutung eines Bibeltextes herauszuarbeiten.
Super Definition - genau so.

Münek hat geschrieben:Ihr das als Schwäche anzulasten, wie Du dies kürzlich in einem anderen Thread getan hast, ist - mit Verlaub - Unsinn.
Wenn ich das getan habe/hätte, hast Du recht. - Die Diskussion lief allerdings die ganz Zeit anders rum - nämlich als sei Historisch-Kritisches substantielle Größe zur geistigen Erschließung des Christlichen - was es eben nicht ist.

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#380 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Münek » Do 11. Dez 2014, 23:29

closs hat geschrieben:
Münek hat geschrieben:Es wird nicht als Aufgabe der "historisch-kritischen Exegese" angesehen, unmittelbar eine Basis für das christliche Leben zu geben, sondern nur die HISTORISCHE Bedeutung eines Bibeltextes herauszuarbeiten.
Super Definition - genau so.

Münek hat geschrieben:Ihr das als Schwäche anzulasten, wie Du dies kürzlich in einem anderen Thread getan hast, ist - mit Verlaub - Unsinn.
Wenn ich das getan habe/hätte, hast Du recht. - Die Diskussion lief allerdings die ganz Zeit anders rum - nämlich als sei Historisch-Kritisches substantielle Größe zur geistigen Erschließung des Christlichen - was es eben nicht ist.

Ja, Du hast diesbezüglich von einem Schwachpunkt der historisch-kritischen
Auslegungsmethode gesprochen. Und das ist in der Tat Unfug, weil es eben nicht
ihre Aufgabe ist, zum Glauben zu führen.

Im Übrigen ziehe ich Deine Behauptung in Zweifel, dass hier in der Diskussion "die
ganze Zeit" die Ansicht vertreten worden sein soll, die historisch-kritische Exegese
sei "substantielle Größe zur geistigen Erschließung des Christlichen". Davon habe
ich nichts mitbekommen.

Wer hat und in welchen Beiträgen diese These vertreten? :o :o :o

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