Hiob, Gott und Teufel

Themen des alten Testaments
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Bastler
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#1 Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 11:01

Ein gläubiger Jude kennt eine alte, reichlich absurde, aber sehr inspirierende Geschichte. Von einem frommen Hiob aus dem unbekannten Land Nirgendwoistan. Oder Mittelerde. Oder biblisch: Uz. Ein Märchen, das äthiopische Züge trägt.

Solche Storys sind in seiner Zeit allseits bekannt. Märchenhaft - und mit seinem jüdischen Glauben allerdings nicht wirklich verträglich. Man muss bedenken, dass der gläubige Jude in der Zeit NACH dem babylonischen Exil lebt. Da hat der jüdische Glaube bereits einige Entwicklungsstufen hinter sich. Das Märchen, das er vorfindet, klingt in seinen Ohren wie eben ein altes Märchen aus überwundener Vorzeit.

Aber die Faszination an Märchen scheint mit wachsendem Alter sogar eher zuzunehmen. Ein abstruses Gottesbild, bei dem Gott und der Teufel mehr oder weniger auf einer Stufe stehen. Dann aber liest er in dem Märchen von einer noch abstruseren Wette. Der arme Hiob wird zum Spielball dieser Wette. Der Teufel wettet mit Gott, dass er (der Teufel) selbst den besten und frömmsten Anhänger Gottes umpolen kann, falls ihm Gott nur erlaube, ihm Leiden und Schaden zuzufügen.

Hier wird es ein erstes Mal philosophisch. Hier steht die Frage auf der Tagesordnung, ob Menschen nur dann zu Gott halten und ihm vertrauen können, wenn Gott ihnen gegenüber auch ein Wohltäter ist. Ist es nicht so, dass Menschen, sobald ihnen Übles widerfährt, anfangen mit Gott zu hadern? Ihm Vorwürfe machen?

Im Märchen ist nun von dem Superhelden Hiob zu lesen. Manno, ist der Junge ein guter Dulder. Alles wird ihm genommen. Er wird krank und leidend. Und er hat keine Ahnung, warum? Wieso sendet ihm Gott so ein Elend? Von der himmlischen Wette weiß er ja nichts.

Aber der liebe Hiob bleibt bei seinem Glauben. Mustergültig.
1, 21 Dann sagte er: Nackt kam ich hervor aus dem Schoß meiner Mutter; / nackt kehre ich dahin zurück. / Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; / gelobt sei der Name des Herrn.
22 Bei alldem sündigte Ijob nicht und äußerte nichts Ungehöriges gegen Gott.

Seine Frau allein bleibt ihm erhalten. Ein wahrer Satansbraten, eine Versucherin. Hiob widersteht auch dieser Herausforderung.
2, 9 Da sagte seine Frau zu ihm: Hältst du immer noch fest an deiner Frömmigkeit? Lästere Gott und stirb!
10 Er aber sprach zu ihr: Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? Bei all dem sündigte Ijob nicht mit seinen Lippen.

Alle Herausforderungen hat Hiob bestanden. Er hat die Wette für Gott gewonnen. Und - richtig schön märchenhaft: Das Gute gewinnt! - Gott gibt dem Hiob alles, was er früher hatte, als Lohn in doppelter Menge zurück. Witzig in unseren Augen: Auch seine Söhne. Die alten bleiben zwar tot. Aber dafür eben ein paar neue.

Dieses alte Märchen liest der gläubige Jude. Und anscheinend beschäftigt ihn die Geschichte. Die ganze märchenhafte Szenerie ist zwar absurd - aber die Frage, wieso Gott Leiden zulässt, ist eine der großen Menschheitsfragen und betrifft auch ihn.

Der gläubige Jude kennt eine andere Erklärung, nämlich die jüdische Erklärung. Diese Erklärung heißt nicht "Gott macht Dich zum Spielball absurder Wetten mit dem Teufel", sondern "Du bist selber schuld an dem Leiden. Weil Du nämlich ein Sünder bist. Dein Leiden ist die Strafe für Deine Sünde."

Klingt erst mal gut. Aber stimmt das? Ist das nicht ein Schönreden Gottes?

Die Erklärung mit der absurden Wette erscheint doch manchmal einsichtiger, als die Erklärung mit der eigenen Schuld.
Auch den Brävsten und Gottesfürchtigsten kann das entsetzlichste Leiden treffen.
Da kommt die Gedankenwelt des gläubigen Juden durcheinander.

Gott hat die Welt als superduper Paradies geschaffen. Wer ist daran schuld, dass wir nicht mehr im Paradies sind? Natürlich nicht Gott! Das widerspräche der althergebrachten Vorstellung. Die Menschen sind Schuld! Weil sie sich haben verführen lassen, sein zu wollen wie Gott. Weil sie Gott nicht vertraut haben. So ist es seit Adam und Eva!

"Ja, schon!", denkt der gläubige Jude. "Aber nicht immer."

Der gläubige Jude ist nicht nur dieser philosophischen, theologischen und moralischen Gedanken fähig, sondern auch des Schreibens. Also setzt er sich hin und schreibt.
"Was glaube ich über die Frage, warum Gott auch schuldlosen Menschen entsetzliches Leid zufügt?"

Vorlage bleibt das Märchen mit seiner absurden Wette, mit dem (für jüdisch-nachexilische Ohren) absurde Gottesbild. Denn so absurd kommt einem das doch vor: Gott sendet sogar seinem treuesten Anhänger Leid. Und in der Realität ist es oft so, dass ein Ausgleich (wie bei Hiob am Ende) nie im Leben stattfindet. Das Leben ist nicht märchenhaft.

ThomasM
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#2 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von ThomasM » Fr 7. Nov 2014, 11:14

Die Geschichte von Hiob hat ja auch einen moderneren theologischen Namen: Das Theodizee Problem.

Man sieht, dass dieses Problem bereits die Urväter beschäftigt hat.
Diese Beschäftigung wurde in der literarischen Form der damaligen Zeit gestaltet. Aber es steht halt auch ein Antwortversuch dahinter.

Der scheitern muss, wie alle Versuche scheitern, das Theodizee Problem zu beantworten. Weil das Theodizee Problem prinzipiell nicht allgemeingültig beantwortbar ist.

Damit ist Hiob eigentlich ein früher theologisch-philosphischer Text. Ein Problem entsteht nur, wenn man Hiob
- Für eine Beschreibung einer wahren Begebenheit mit dokumentarischem Inhalt hält
- Die Antworten, die hier gegeben werden für die einzig möglichen, zulässigen und denkbaren hält.

Aber wer macht schon so etwas :engel:

Gruß
Thomas
Gott würfelt nicht, meinte Einstein. Aber er irrte. Gott nutzt den Zufall - jeden Tag.

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Bastler
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#3 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 11:30

Am Ende des zweiten Kapitels treten dann die drei "Freunde" Hiobs auf.
Literarisch geschickt gemacht:
Die drei Freunde repräsentieren nämlich die traditionelle jüdische Position: Nicht Gott ist schuld. Sondern der Mensch. So war es mit dem Paradies und der Vertreibung. So war es mit der Sintflut. So ist es immer. Es gibt keine Theodizee-Frage, höchstens eine Anthropo-dizee-Frage.

Man sieht an dem lächerlichen Aufzug, den die drei "Freunde" machen, was der gläubige Jude (also der Schriftsteller) von dieser Einstellung hält.
Er lässt sie ein Riesengedöns aufführen. Mit Asche überstreuen.
12 Als sie von fern aufblickten, erkannten sie ihn nicht; sie schrien auf und weinten. Jeder zerriss sein Gewand; sie streuten Asche über ihr Haupt gegen den Himmel.
13 Sie saßen bei ihm auf der Erde sieben Tage und sieben Nächte; keiner sprach ein Wort zu ihm. Denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war.

Man stelle sich mal vor: Man macht einen Krankenbesuch und führt so ein Theater auf. Die Elemente der Show sind natürlich alle der jüdischen Tradition entnommen, aber geradezu ins Lächerliche hinein verzerrt.

Und dann lässt der Schriftsteller die Situation eskalieren. Ich halte die folgende Stelle für den literarisch eindrucksvollsten Absturz in der ganzen Bibel.

vom "Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, gelobt sei der Name des Herrn."
Ach wie schön, wie nett, wie fromm, wie gottergeben.
Ach wie weit von der grausamen Realität des Leidens entfernt!
Ach wie naiv! Ach wie märchenhaft!

Weil mir dieser Absturz so eindrücklich ist, zitiere ich hier mal gleich das ganze dritte Kapitel. Da wird eine ganz andere Sprache gesprochen. Da ist Schluss mit lustig. Nix mehr Ergebenheit. Da schreit die gequälte Existenz. Da wünscht sich Hiob den Tod. Oder noch besser: Gar nie erst geboren zu sein. Mir geht der Text durch Mark und Bein.

Ganz klar: Der Autor kontrastiert die Naivität des Märchens mit dem Realismus, mit dem er sich des Themas annehmen will.

3, 1 Danach tat Ijob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.
2 Ijob ergriff das Wort und sprach:
3 Ausgelöscht sei der Tag, an dem ich geboren bin, / die Nacht, die sprach: Ein Mann ist empfangen.
4 Jener Tag werde Finsternis, / nie frage Gott von oben nach ihm, / nicht leuchte über ihm des Tages Licht.
5 Einfordern sollen ihn Dunkel und Finsternis, / Gewölk über ihn sich lagern, / Verfinsterung am Tag mache ihn schrecklich.
6 Jene Nacht, das Dunkel raffe sie hinweg, / sie reihe sich nicht in die Tage des Jahres, / sie füge sich nicht zur Zahl der Monde.
7 Ja, diese Nacht sei unfruchtbar, / kein Jubel komme auf in ihr.
8 Verwünschen sollen sie die Verflucher der Tage, / die es verstehen, den Levíatan zu wecken.
9 Verfinstert seien ihrer Dämmerung Sterne; / sie harre auf das Licht, jedoch umsonst; / die Wimpern der Morgenröte schaue sie nicht.
10 Denn sie hat die Pforten / an meiner Mutter Leib nicht verschlossen, / nicht das Leid verborgen vor meinen Augen.
11 Warum starb ich nicht vom Mutterschoß weg, / kam ich aus dem Mutterleib und verschied nicht gleich?
12 Weshalb nur kamen Knie mir entgegen, / wozu Brüste, dass ich daran trank?
13 Still läge ich jetzt und könnte rasten, / entschlafen wäre ich und hätte Ruhe
14 bei Königen, bei Ratsherren im Land, / die Grabkammern für sich erbauten,
15 oder bei Fürsten, reich an Gold, / die ihre Häuser mit Silber gefüllt.
16 Wie die verscharrte Fehlgeburt wäre ich nicht mehr, / Kindern gleich, die das Licht nie geschaut.
17 Dort hören Frevler auf zu toben, / dort ruhen aus, deren Kraft erschöpft ist.
18 Auch Gefangene sind frei von Sorgen, / hören nicht mehr die Stimme des Treibers.
19 Klein und Groß ist dort beisammen, / der Sklave ist frei von seinem Herrn.
20 Warum schenkt er dem Elenden Licht / und Leben denen, die verbittert sind?
21 Sie warten auf den Tod, der nicht kommt, / sie suchen ihn mehr als verborgene Schätze.
22 Sie würden sich freuen über einen Hügel; / fänden sie ein Grab, sie würden frohlocken.
23 Wozu Licht für den Mann auf verborgenem Weg, / den Gott von allen Seiten einschließt?
24 Bevor ich noch esse, kommt mir das Seufzen, / wie Wasser strömen meine Klagen hin.
25 Was mich erschreckte, das kam über mich, / wovor mir bangte, das traf mich auch.
26 Noch hatte ich nicht Frieden, nicht Rast, nicht Ruhe, / fiel neues Ungemach mich an.

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Münek
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#4 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Münek » Fr 7. Nov 2014, 11:33

Die Israeliten hielten ihren Gott JAHWE (auch) zu grausamen
Untaten fähig. Er war ein Despot.

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#5 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 11:40

Ich habe vorhin gelesen, das Buch Hiob wolle die Theodizee verschleiern und Gott rechtfertigen.

Ich glaube, dass erst mal genau das Gegenteil der Fall ist.

Allerdings gibt es in dem Buch einen weiteren Bruch: Die Reden Elihus. (Kapitel 32 bis 37)
Die sind ein Fremdkörper im Buch.
Die haben keinen Bezug zum Märchen. Die nehmen auch nicht wirklich Bezug zu dem, was Hiob gesagt hat. Auch nur sehr lose zu dem, was seine drei "Freunde" gesagt haben.
Ich halte diese Kapitel für eine spätere Einfügung.
Da war wohl jemand mit dem, was der Autor des Hiob-Buches geschrieben hat, sehr unzufrieden.
Er versucht, die traditionelle Vorstellung in den Elihud-Reden zu verstärken. Eine Art literarische Retourkutsche.

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#6 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 11:47

Münek hat geschrieben:Die Israeliten hielten ihren Gott JAHWE (auch) zu grausamen
Untaten fähig. Er war ein Despot.
Das würde ich ein wenig eingrenzen:
VIELE Israeliten (also nicht alle) hielten Jahwe zu grausamen Taten für unfähig.
Was sie nicht gehindert hat, Jahwes Taten zu beschreiben, die wir heute als grausam empfinden. Und wahrscheinlich haben das schon damals viele Menschen getan.
Daneben waren Schönfärberei und Umpolung der Schuld auf den Menschen natürlich gang und gäbe.

Ich habe auch schon viele Meinungen gehört, wo gesagt wird:
"Gott ist nicht grausam - guck doch mal, an wie vielen Stellen in der Bibel Gott Barmherzigkeit erweist. Sogar Reue."

Aber diese Logik stimmt nicht ganz. Trotz seiner vielen punktuellen Barmherzigkeitserweise bleiben die Grausamkeiten nämlich im Bibeltext bestehen.
Man könnte höchstens argumentieren: "Gott ist nicht DURCHGÄNGIG grausam." Jaja. Schön. Aber die Grausamkeit von Sintflut, Landnahme und vielen Gesetzen reicht ja schon völlig aus. Da braucht es gar keine Durchgängigkeit mehr.

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#7 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 12:03

Einen Höhepunkt gibt es dann in Kapitel 9.

Hiob geht mit Gott ins Gericht. Da wird es frommen Juden gegraust haben - besonders dem Elihud-Schreiber.

20 Wär ich im Recht, mein eigener Mund spräche mich schuldig, / wäre ich gerade, er machte mich krumm.
21 Schuldlos bin ich, doch achte ich nicht auf mich, / mein Leben werfe ich hin.
22 Einerlei; so sag ich es denn: / Schuldlos wie schuldig bringt er um.
...
29 Ich muss nun einmal schuldig sein, / wozu müh ich mich umsonst?
...
32 Denn du bist kein Mensch wie ich, / dem ich entgegnen könnte: / Lasst uns zusammen zum Gericht gehen!
33 Gäbe es doch einen Schiedsmann zwischen uns! / Er soll seine Hand auf uns beide legen.
...
35 ...Doch so ist es nicht um mich bestellt.

Wie dies wohl in traditionellen Ohren klingen muss?
Hiob eröffnet ein virtuelles Gerichtsverfahren gegen Gott.
Gäbe es nur einen Richter, der sowohl über Hiob, als auch über Gott stände, so müsste er dem Hiob Recht geben und Gott verurteilen.
Aber hallo!

Und in Kapitel 13 setzt Hiob noch eins drauf. Erst gibt er seinen "Freunden" eins auf die Nase. Sie haben nicht die Kompetenz, über ihn zu urteilen. Wer sind denn diese drei Affen, dass sie sich anmaßen, sich als Anwälte Gottes aufzuspielen?
Und dann beharrt er streng auf seinem Gerichtsverfahren gegen Gott. Und darauf, dass er im Recht ist, nicht aber Gott:

3 Doch ich will zum Allmächtigen reden, / mit Gott zu rechten ist mein Wunsch.
4 Ihr aber seid nur Lügentüncher, / untaugliche Ärzte alle.
...
8 Wollt ihr für ihn Partei ergreifen, / für Gott den Rechtsstreit führen?
9 Ginge es gut, wenn er euch durchforschte, / könnt ihr ihn täuschen, wie man Menschen täuscht?
10 In harte Zucht wird er euch nehmen, / wenn ihr heimlich Partei ergreift.
...
15 Er mag mich töten, ich harre auf ihn; / doch meine Wege verteidige ich vor ihm.
...
18 Seht, ich bringe den Rechtsfall vor; / ich weiß, ich bin im Recht.

Das Hiobbuch spielt wieder mit der Unmöglichkeit, Hiob zu widersprechen. Die Argumentation der "Freunde" wird entlarvt.

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#8 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 12:06

Dann kommen aber immer wieder in Hiobs Reden Passagen,
in denen Hiob - und zwar ohne dies zu begründen -
seine Hoffnung spürt.
Das ist doch eigentlich sehr erstaunlich. Denn er richtet seine Hoffnung auf eben jenen Gott, den er in seinem virtuellen Gerichtsverfahren für schuldig befunden hat.
Und dennoch ... Meine Hoffnung und meine Freunde, meine Stärke mein Licht ...
Ein Wechselbad der Gefühle, wie es in Leidsituationen bis auf den heutigen Tag immer wieder erlebt wird.

Beispiel aus Kapitel 19
23 Dass doch meine Worte geschrieben würden, / in einer Inschrift eingegraben
24 mit eisernem Griffel und mit Blei, / für immer gehauen in den Fels.
25 Doch ich, ich weiß: mein Erlöser lebt, / als Letzter erhebt er sich über dem Staub.
26 Ohne meine Haut, die so zerfetzte, / und ohne mein Fleisch werde ich Gott schauen.
27 Ihn selber werde ich dann für mich schauen; / meine Augen werden ihn sehen, nicht mehr fremd. / Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Wenn Hiob sagt "ich WEIß, dass mein Erlöser lebt"
dann geht es natürlich nicht um ein Wissen in naturwissenschaftlichem Sinn.
Sondern es geht um eine innere (und in diesem Falle fast schon verzweifelte) Gewissheit.
Verzweifelt - fürwahr. Aber auffälligerweise immer noch vorhanden.

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#9 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 12:14

Dann geht Hiob auch noch ins Detail.
Er wirft Gott himmelschreiende Ungerechtigkeit vor.

Ungerechtigkeit in dem Sinne:
Ein tugendhaftes, gottgefälliges Leben wird von Gott keineswegs belohnt.
Und ein frevelhaftes Leben wird von Gott nicht bestraft.
Oft genug handelt Gott sogar genau andersrum:
Er lässt den Gerechten im Elend hängen
und schenkt den Frevlern Erfolg.

Kapitel 21
7 Warum bleiben Frevler am Leben, / werden alt und stark an Kraft?
8 Ihre Nachkommen stehen fest vor ihnen, / ihre Sprösslinge vor ihren Augen.
9 Ihre Häuser sind in Frieden, ohne Schreck, / die Rute Gottes trifft sie nicht.
...
14 Und doch sagten sie zu Gott: Weiche von uns! / Deine Wege wollen wir nicht kennen.
15 Was ist der Allmächtige, dass wir ihm dienen, / was nützt es uns, wenn wir ihn angehen?
(Anschließend zweifelt Hiob zwar wieder an diesem Gedanken. Aber immerhin: Er hat ihn ausgesprochen.)

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#10 Re: Hiob, Gott und Teufel

Beitrag von Bastler » Fr 7. Nov 2014, 12:35

Bis zum Kapitel 32 (da beginnen die Elihud-Reden) geht das so weiter.
In all diesen Kapiteln, die den Hauptteil des Buches darstellen, ist keine Rechtfertigung Gottes zu sehen, sondern genau das Gegenteil:
Hilflose Anklage bis hin zur virtuellen Verurteilung Gottes.

Dann erst in Kapitel 38 setzt der Autor noch eins drauf.
Vor den Augen Hiobs ist Gott der Schuldige am Elend. Die selbsternannten Anwälte Gottes sind überführt.
Nun lässt der Autor Gott zu Wort kommen.

Und da muss man fein achtsam sein.
Der Gott, der hier spricht, ist nicht einfachhin identisch mit dem Gott aus dem Märchen. Hier spricht nun der Allgewaltige, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Nicht eine Witzfigur, die aus einer Spiellaune absurde Wetten mit dem Teufel abschließt. Neben dem Gott, der ab Kapitel 32 das Wort ergreift, gibt es keinen gleichrangigen Teufel. Märchen ist Märchen - schön und gut. Aber jetzt spricht ein ganz anderer.

Dies ist auch das Thema dieser Gottesreden:
Hier spricht einer, der allgewaltig und hoch erhaben ist.
Er, der Schöpfer.
Und vor allem: Er, der weit über die Hutschnur Hiobs (also des Menschen) geht.

Ein geplantes Gerichtsverfahren gegen diesen Gott ist unmöglich,
weil dazu dem Menschen völlig die Kompetenz abgeht.
Es ist dem Menschen völlig unmöglich, die Gründe zu erkennen,
aus denen dieser Gott handelt.
Er ist auch nicht mehr als eine anthropomorphe Figur im Thronsaal denkbar,
sondern absolut geheimnisvoll.
Er ist das Geheimnis hinter allem, was Geschaffen ist.

Und wir? Wir können uns von ihm nur blasse und absurde Bilder machen.

Der Gott im Märchen ist nur das, wie uns Gott manchmal vorkommt.
Es kommt uns so vor, als würde Gott
aus unerfindlichen
oder reichlich schwachsinnigen und absurden Gründen (Teufelswette)
uns Leiden senden.
In Wirklichkeit wissen wir gar nichts.
So eine Wette soll der Grund sein? Das ist doch lächerlich. Eine lächerliche Ausgeburt aus unserer Vorstellungswelt.
Wir können nur für uns sagen: "Sorry, die Art, wie Gott das Leiden verteilt und warum er überhaupt Leiden sendet, ist für uns völlig unlogisch, ungerecht, nicht nachvollziehbar."

In den ganzen Reden höhnt Gott den Hiob an.
Was er sich denn einbilde? Ob er sich anmaße die Werke Gottes zu verstehen - geschweige denn Gottes Motive?
Zu allem Elend muss sich Hiob nun auch noch den Hohn Gottes anhören.

Wer schon mal gelitten und mit Gott gehadert hat, kennt dieses Gefühl auch aus eigenem Erleben. Behaupte ich mal.

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