Tyrion hat geschrieben:Mir fällt in vielen Diskussionen auf, dass es einige religiöse Menschen gibt, für die es offenbar eine Provokation ist, wenn man nicht an einen Gott glaubt.
Solche Reaktionen sind in einem Religionsforum vermutlich nicht ungewöhnlich.
Tyrion hat geschrieben:Schnell fallen Begriffe wie Neoatheismus (wohl als Schimpfwort gesehen), mal werden Bibelzitate gebracht, die die "Ungläubigen" entmenschlichen, also als Hunde, Säue, Schlangen, Ottern usw. bezeichnen.
Da sollte man hinterfragen, ob die Bibelzitate korrekt gebraucht werden.
Der Begriff
Neoatheismus ist eine naheliegende Wortschöpfung und bedeutet das selbe wie
Neuer Atheismus. Beide Begriffe werden übrigens auch von der Presse verwendet.
Angriff der Neoatheisten
Vision einer religionsfreien Welt
Tyrion hat geschrieben:Warum ist es für manche eine so große Provokation, wenn man sagt "Nein, deine Vorstellungen teile ich nicht, ich glaube nicht an Gott"?
Das mag z.T. daran liegen, dass für fundamentalistische Christen die Vorstellung, Gott zu verneinen, unerträglich ist.
Allerdings denke ich, dass das Bekenntnis ungläubig zu sein, die klare Positionierung, die Auffassung eines anderen nicht zu teilen, keine Provokation ist, sondern völlig normal. Damit sollte jeder erwachsene Mensch klarkommen. Wenn damit jemand nicht klarkommt, würde ich fragen, wo denn das Problem ist.
Es ist allerdings ein erheblicher Unterschied, ob man lediglich zum Ausdruck bringt, dass man eine Aussage nicht teilt, oder ob man die Auffassung des anderen als quasi-beschränkt und im Grunde unzulässig darstellt. Eine solche arrogant-aggressive Sprache ist hier z.T. von den Atheisten leider üblich und das ist natürlich provokativ, wenn die intellektuelle Redlichkeit abgesprochen wird und die kritische Position als die einzig vertretbare dargestellt wird.
Tyrion hat geschrieben:Den Begriff Neoatheismus finde ich da besonders perfide. Früher konnte man sich nicht als Atheist outen, ohne massiv benachteiligt zu werden. Das war auch so, als nicht mehr gefoltert und verbrannt wurde.
Heute gehört schon Mut dazu, sich als gläubiger Christ zu outen.
Tyrion hat geschrieben:Wer nicht an Gott glaubt, liest die Bibel nicht mit einer rosaroten Brille und übt folglich auch eher Kritik an ihr. Dann fühlen sich wiederum einige Gläubige persönlich angegriffen. Auf der anderen Seite ziehen einige Gläubige über den Koran oder andere religiöse Schriften her. Die dürfen das wohl, weil es nicht um die Bibel geht? Darf man alles kritisieren, nur die Bibel nicht?
Natürlich darf man auch die Bibel und das Christentum kritisieren. Bibel- und Religionskritik gehören seit Jahrhunderten zu unserer aufgeklärten europäischen Kultur.
Schwierig wird es, wenn man es wagt den Islam zu kritisieren.
Tyrion hat geschrieben:Was ist also Atheismus?
Die Negation von Göttern und damit auch vom jüdisch-christlichen Gott der Bibel. Eigentlich würde ich erwarten, dass Atheisten kein Interesse an theistischen Religionen haben.
Mir sind bspw. die fernöstlichen Religionen, wie den Meisten Agnostikern und Atheisten in unserem Kulturkreis, fremd. Auch mit den Naturreligionen kann ich nichts anfangen. Dies wäre freilich anders, wenn ich in einem Naturvolk sozialisiert worden wäre.
Ehrlich gesagt habe ich noch nicht darüber nachgedacht, ob meine Haltung zu diesen religiösen Weltanschauungen eher "agnostisch" im Sinne der Erkenntnislosigkeit oder eher "atheistisch" im Sinne der Negation ist. Vermutlich irgendwo dazwischen.
Was ich aber präzise bestimmen kann ist folgendes: Ich bin NICHT gegen Naturreligionen, ich respektiere sie sogar als Teil der Kultur von Naturvölkern. Ich bin KEINESFALLS gegen fernöstliche Religionen und gestehe ihnen durchaus Weisheit zu.
Ich denke dass auch viele Ungläubige (Atheisten und Agnostiker) in unserem Kulturkreis nicht gegen das Christentum oder andere Religionen sind. Sind glauben eben nicht daran.
Doch der Neue Atheismus ist im Grunde eine euphemistische Bezeichnung für einen Antitheismus und Antireligiösität. Dies geht über die Negation hinaus in dem Bestreben, progressiv gegen Theismus und Religion zu sein und viele Beiträge sind meiner Meinung nach von diesem Geist durchdrungen.
Wenn Du magst, schaue in meinen Thread:
Neuer Atheismus - The Brights.
Tyrion hat geschrieben:Ist es eine Emazipation aus Jahrhunderten geistiger Unterdrückung? Ist es pure Provokation, weil es ja ach so unglaublich sein soll, nicht an Gott zu glauben? Oder ist es sogar ein schweres Verbrechen?
Der Atheismus ist weder eine pure Provokation, noch ein schweres Verbrechen, sondern eine intellektuell redliche säkulare Weltanschauung und ein Grundrecht. Historisch hat dies auch mit einer Emazipation aus verkrusteter religiöser Tradition zu tun.
Die Provokation beginnt dort, wo sich der Atheismus zum Antitheismus (Neoatheismus) wandelt. Dieser provoziert ganz bewusst, so z.B. Philipp Möller (gbs) oder auch Buchtitel wie
Gotteswahn und
Jesuswahn.
Der schärfste prominente Antitheist war vermutlich Christopher Hitchens. Bei ihm schätze ich, dass er knochenehrlich auf Euphemisierung verzichtete. Daher bekannte er auch, dass er KEIN
Atheist war, sondern
Antitheist. Er erkannte, dass es begrifflich falsch ist, den Antitheismus unter dem Atheismus zu subsumieren.
Ein Beispiel: Mein Beitrag ist nicht wissenschaftlich, denn dafür ist er nicht systematisch genug. Daraus folgt natürlich nicht, dass mein Beitrag antiwissenschaftlich wäre. Da gibt es hier andere Beiträge, auf die dies zutrifft. Die Antiwissenschaftlichkeit ist auch keine Unterform der Nichtwissenschaftlichkeit.
Mit ist nur von Christopher Hitchens die sprachlich korrekte Verwendung der Begriffe bekannt.
Tyrion hat geschrieben:Gottlosigkeit wird ja immer wieder (selbst von gemäßigten Christen hier im Forum) als Negativausdruck für die aktuellen Zeiten gebraucht (In gottlosen Zeiten wie der jetzigen...). Dabei haben genau diese Gläubigen ihren Hintern im Warmen, genießen unser Staatssystem, dass endlich mal zumindest etwas solidarisch ist und den Schwachen hilft und dabei haben wir endlich mal eine längere Friedenszeit.
Ganz allgemein ist dem so. Aber es gibt auch viele Probleme und ich empfinde in unserer neoliberalen Gesellschaft zunehmend menschliche "Kälte". Das Gesundheitswesen hat sich zum Gesundheitsmarkt gewandelt. Der Mensch wird zum Kostenfaktor und zur wirtschaftliche Ressource reduziert. Diesbezüglich verweise ich auf
Dr. Heiner Geißler, ein weiser Mann, mit dem ich eine große Schnittmenge seiner Meinungen teile, besonders in christlich-sozialer Hinsicht.
Zitat von
Heiner Geißler:
Der Kapitalismus muss dem Menschen dienen, aber heute ist es umgekehrt, und das ist seine Todsünde. Der entfesselte Kapitalismus verletzt die menschliche Würde.
Wie siehst Du das?