Christentum einst und jetzt

Themen des Neuen Testaments
2Lena
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#21 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von 2Lena » Sa 17. Mai 2014, 10:46

Lieber Naqual,

du hast es treffend geschrieben, dass die Bibel wie ein Gesetzbuch gelesen wurde, aber der innere Inhalt (die Mechanismen der Gesetze) der wurde nicht erfasst. Da kam die "Schizophrenie", gespaltenes Verhalten mit der Anwendung.

Naqual: Diesen Teufelskreislauf kann man nicht durchbrechen, in dem man dem Bösen widerstrebt. Es ist keine grundsätzliche Handlungsanweisung, sondern erklärt einen "Mechanismus" an einem fassbaren Beispiel.

Ja, Gewalt erzeugt Gewalt und bei Liebe ohne Taten kommt Abneigung. Die Beispiele wurden hervorragend gewählt. Es ist enorm mit welchen Gefühlen die arbeiten konnten.

Rechte Wange hingehalten! Von wegen!
Ein Schriftkundiger fragt gleich danach:
War das ein Rechts- oder Linkshänder der dreinschlug.
Ganz spitzfindig wird es bei den doppeldeutigen Wörtern (jamin und smola / rechts und links) ob das die Emotion aufdreht oder abschneidet.

Das Meiste an Übel entsteht doch bei Schlafmützigkeit, dass die Schäden nicht erkannt werden - auch nichts dagegen getan wird - wenn generell falsch reagiert wird, Träume nicht erfüllt werden und dergleichen mehr. Oft fehlt die rechtzeitige Wehrhaftigkeit oder der richtige Zuspruch. Wenn es brennt, sind wieder andere Vorgehen nötig als bei kochender Wut oder bei Hemmschwellen.

Es sind ganz spannende Lehrbeispiel im NT gesammelt worden.
Dann fällt auch der geschichtliche Hintergrund ins Gewicht ...

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Naqual
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#22 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von Naqual » Sa 17. Mai 2014, 12:35

2Lena hat geschrieben: Es ist enorm mit welchen Gefühlen die arbeiten konnten.
.....
Rechte Wange hingehalten! Von wegen!
Ein Schriftkundiger fragt gleich danach:
War das ein Rechts- oder Linkshänder der dreinschlug.
Ganz spitzfindig wird es bei den doppeldeutigen Wörtern (jamin und smola / rechts und links) ob das die Emotion aufdreht oder abschneidet.

Man soll die andere Wange hinhalten. Wörtlich verstanden ist dies abstrus, weil es den anderen Menschen dazu auffordert, gleich noch einmal zu sündigen und noch einmal zuzuschlagen. Das kann man nicht wollen.
Aufdrehen und Abdrehen von Gefühlen geht für mich in die Richtung, wie ich den Abschnitt für mich interpretiere.
Wenn der andere mich schlägt, werde ich böse. Das ist ungut. Wenn ich den Schmerz ertrage aus Liebe zum anderen, werde ich nicht böse. Die andere Wange hinhalten ist eigentlich (das Schlagen wird damit "gut"), ich ertrage den Schmerz und werde nicht böse. Ich widerstehe nicht dem Bösen (Tun des anderen) mit Bösem (dem anderen böse zu wollen).
Gleichzeitig kann ich aber dem anderen Gutes Wollen und ihn vor weiterem Schlagen zurückhalten oder bewahren. Und eigentlich genau deswegen, weil ich ihm Gutes will und er deshalb nicht böse sein soll. Im Fokus steht hier nicht mehr das Ego, sondern der Andere. Im Extremfall kann dann sogar passieren: "wer sein Kind liebt der schlägt es" (nicht wörtlich verstanden). Also innerlich widerwillig füge ich dem anderen einen Schmerz zu, um ihn vor Schlimmeren zu bewahren.
Das Inhaftieren eines Delinquenten durch Richterspruch sehe ich hier als Beispiel. Der Richter verhängt eine "Strafe" (jetzt nicht aus Schuld, Sühne, Ausgleich heraus), die korrigieren soll oder die anderen vor Sünde (an ihnen getan) schützen soll.
Der Richter darf die Strafe aber nicht (aus dem erörterten Vers heraus) aussprechen, weil er auf den Delinquenten böse ist. Er will helfen. Dem Delinquenten, wie dessen menschlichem Umfeld. (Nächstenliebe).
Der angesprochene Sachverhalt ist sehr schwer nachzuvollziehen und man kann ihn kaum gut ausdrücken. Das konkrete Beispiel (die in der Antike haben konkreter gedacht, weniger abstrakt) mit der rechten und linken Wange bei Jesus drückt es aus. Aber nur als zu interpretierendes Gleichnis. Wörtlichkeit nützt da nichts, wird sogar schädlich.
Jesus hat mal gesagt, "wer Ohren hat zu hören, der höre". Das kann man auch wörtlich verstehen. Wird Blödsinn, denn seine Zuhörer konnten alle hören. Es ging also um mehr als den Wortlaut zu hören (oder heute in der Bibel: abzulesen). Das Verständnis ergibt sich nicht direkt aus dem Wortlaut. Man braucht hier auch ein wenig Mut, selbst zu denken und zu Tüfteln. Wenn man es sich selbst "erarbeitet", sind Gedanken UND Gefühle ganz anders bei der Sache.
Jesus hat Gefühle provoziert in dem er die Dinge auf die Spitze trieb. ("Wer nicht absagt allem was er hat kann nicht mein Jünger sein", "Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich"). Eine Möglichkeit ist nun, den Satz gefühlsmäßig auf sich wirken zu lassen. Was es an Gefühlen auslöst (z.B. Widerstand) und diese betrachtet und analysiert. Denn all dies hat innerliche Gründe.

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Simplicius
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#23 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von Simplicius » Sa 17. Mai 2014, 13:20

Hallo,

Naqual hat geschrieben: Das Verständnis ergibt sich nicht direkt aus dem Wortlaut. Man braucht hier auch ein wenig Mut, selbst zu denken und zu Tüfteln.

wie traurig, daß Gott es offenbar nicht schafft, sich allgemeinverständlich und deutlich mitzuteilen... Es war wohl auch ein großer Fehler, die Bibel allem Volk zugänglich zu machen, so ist sie Dynamit in den Händen derer, die nicht tüfteln und nachdenken wollen.

:cry:

Liebe Grüße, Simplicius.
"Manni Flanke, ich Kopf, Tor!" (Horst Hrubesch).

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Vitella
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#24 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von Vitella » Sa 17. Mai 2014, 13:35

Simplicius hat geschrieben:Hallo,

:cry:

Liebe Grüße, Simplicius.

sag mal, weinst Du......Bild
  Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus,
der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.
1 Petrus 5:10

 

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Naqual
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#25 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von Naqual » Sa 17. Mai 2014, 14:06

Simplicius hat geschrieben:
Naqual hat geschrieben: Das Verständnis ergibt sich nicht direkt aus dem Wortlaut. Man braucht hier auch ein wenig Mut, selbst zu denken und zu Tüfteln.
wie traurig, daß Gott es offenbar nicht schafft, sich allgemeinverständlich und deutlich mitzuteilen...
Nehme an, das hat zwei Gründe:
a) Vergleich: Versuche mal Liebe jemandem zu vermitteln, der diese nicht kennt. Also zum Beispiel jemandem, der noch nie verliebt war, zu vermitteln wie dies ist. Also das Problem liegt in der Sache, nicht in Gott
b) Gott wirkt durch seinen Geist, den jeder hat. Die Wirkungslosigkeit liegt eher empfängerseitig.
Füllen kann man nur ein leeres Glas. Manche sind schon ziemlich voll. ;)

Simplicius hat geschrieben:. Es war wohl auch ein großer Fehler, die Bibel allem Volk zugänglich zu machen, so ist sie Dynamit in den Händen derer, die nicht tüfteln und nachdenken wollen.
Hier bin ich gefühlsmäßig gespalten. Einerseits wäre es undemokratisch und Kirchenvolk-feindlich denen ihre "Verfassung" nicht vorzulegen, andererseits verstehe ich auch die Bedenken der damaligen katholischen Kirche. Einige ihrer Befürchtungen waren schon auch wahr, wie sich heraustellte.

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#26 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von 2Lena » Sa 17. Mai 2014, 18:19

Theoretisch ist beim Abbiegen von Hass die andere Reihe "tot".
Da gebe ich dir Recht.
In den biblischen Texten sind jedoch auch die Aufbaumöglichkeiten.

Wer Ohren hat der höre ....
Das ist eine Aufforderung, ein seltsamer Spruch
Doch [ozen] Ohr hat nicht nur das Hörorgan, sondern auch den Gleichgewichtssinn.
Das gleiche Wort ist "ausgleichen". Wer hinhört, jemand sein Ohr schenkt, bewirkt einen Ausgleich. Da kann sich danach einer nicht "taub" stellen, nichts tun bei einem Dilemma.

Es geht die Lehre noch einen Schritt weiter:
Jesus heißt Erlösung, etwas freisetzen. Du hast zitiert, das Jesus sagt:
Wer nicht absagt allem was er hat kann nicht mein Jünger sein. Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich.

Wo haben die Leute das gemacht - und was war so radikal anders.
Das wird nie beschrieben.
Der gleiche Text wirkt anders gedacht so:
Wer nicht dem Besseren folgt, der Erlösung folgt, der kann nicht lernen.
Man soll Ratschläge aufnehmen.


Sprachanalytisch:
Kreuz = ets und heißt Baum und Ratschlag
Jünger = Talmidim, heißt sie oder wir lernen.

Historisch: noch ein ganz weites, offenes Feld, das nicht erforscht ist ...

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Andreas
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#27 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von Andreas » Sa 17. Mai 2014, 18:19

Ihr habt gehört, dass gesagt ist »Auge um Auge, Zahn um Zahn.« Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar.
Das funktioniert schon. Mohandas Karamchand Gandhi und die Vielen die auf ihn hörten, haben das mit ihrem gewaltfreien Widerstand in der Praxis bewiesen.

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#28 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von 2Lena » So 18. Mai 2014, 10:50

Andreas hat geschrieben:Gandhi und die Vielen die auf ihn hörten, haben das mit ihrem gewaltfreien Widerstand in der Praxis bewiesen.

Gewaltfrei?
Ob die Teilung Indiens (Hindu) / Pakistan (Moslem) harmlos war, bezweifelt die indische Literatur.

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#29 Re: Christentum einst und jetzt

Beitrag von 2Lena » So 18. Mai 2014, 10:53

Durch den Zuzug vieler ausländischer Arbeitskräfte erlebten wir ab den 70er Jahren in Deutschland ganz andere Kulturen. Manche unserer unmittelbaren "Nachbarn" waren uns nicht so fremd. Wir erwarteten eine Anpassung, doch lief das Lernen oft in die andere Richtung. Viel mehr Gastfreundschaft lernten wir in anderen Ländern des Ostens kennen.

In Amerika trafen sich in vielen Jahrzehnten viele Nationen und Kulturen zu einem neuen Aufbruch. Die Strukturen Europas wurden im Westen aufgebrochen. Die Wirtschaft öffnete die Wege in viele weitere Länder. So mancher, der bis nach China kam und die Arbeitsweisen in Asien kennenlernte, machte seinen Kulturschock durch.

Ich bringe diese Vergleiche, damit man verstehen soll, wie der Anpassungsprozess im Römischen Reich vor sich ging. Das Reich umfasste Europa, Teile Asiens und Afrikas. Entstanden war es aus älteren Weltreichen mit deren Wissen.

Hierzulande stellt man sich aber immer noch über den Schulunterricht die Bibel so vor:
Da war ein Abraham, der als einzigster Nomade durch die Lande zog. Dann kam Mose, der gegen einen Ministaat Ägypten rebellierte und mit ein paar Freunden nach Kanaan zog. Jesus kann man sich durch die Christkindgeschichte auch gut merken und meint dann: Wir glauben an ihn.

Mit dieser "Grundausbildung" entstand ein ganz anderes Christentum, das sich die Bibel als "Wort Gottes" vorstellte, von Gott persönlich diktiert. Entsprechend schräg kam es auch zur Anwendung der Bibel. Da war nichts, rein gar nichts von den allerbesten Richtlinien, die wirklich von Herzen her Achtung erreichten.

Auch die andere Seite der Ausbildung fehlte. Der Osten und Süden (Afrika) war von hier aus gesehen eine weiße Fläche auf der Landkarte. Von der Gründung Roms oder noch älteren Kulturen - war kein Unterricht, oder so nebensächlich, dass bestimmt keine Fragen zu den Zeitzeugen von Christus, zur Literatur, Gesetzgebung und historischen Daten aufkam, sondern es herrschte meist viel Verachtung für die alten Kulturen. Die eigenen Wurzeln wurden nicht beachtet. Keine Abstammung war.

Erste europäische Reisenden brachten ein paar Bilder, die neugierig machten:

Pyramiden - was - staune!
Die wollen wir uns auch ansehen.
Dann stand man mit langen Hälsen vor den Bauwerken, war ergriffen von den Tempeln und Säulen. Vor Ort wirkten sie noch viel riesiger als auf Fotos / Film. Dann erst dämmerte irgend etwas von "Kultur" auf und dass sie Geschichte Mose ...? Bevor der Gedanke überhaupt fertig wurde, kamen noch zahllose andere Vergleiche daher. Gingen da nicht Einheimische mit Pfarrerkleidern einher? Die waren so bis ins letzte Jahrhundert hinein durchgehend getragen worden, bis sich Geistliche nicht mehr als solche zeigen wollten und nun einen Anzug trugen.

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