Christlicher Terrorismus

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Thaddaeus
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#71 Der Tod der Hypathia

Beitrag von Thaddaeus » Sa 27. Jul 2019, 21:48

Munro hat geschrieben:
Sa 27. Jul 2019, 13:58
Statt bei "christlichem Terrorismus" sind wir nun bei Tee und Wein und Bier und Met.
Dann sollten wir wieder auf den christlichen Terrorismus zurückkommen.

Es wird niemanden hier wundern, wenn ich freimütig gestehe, dass mich mit der bedeutendsten Mathematikerin und Philosophin der Antike, dem "erleuchteten Kind der Vernunft", wie sie ein Philosoph ihrer Zeit nannte, der unvergleichlichen Hypathia, eine besondere Beziehung verbindet und ich sie als eine Art Seelenverwandte ansehe. Simone de Beauvoir und sie waren schon als junges Mädchen meine treuen Weggefährtinnen. Zu beiden schaue ich auf.

Der Tod Hypathias war grausam und ihre Mörder waren fanatische Christen, woran es historisch keinen Zweifel gibt, denn der Tod Hypathias ist sehr gut belegt. Es gibt abweichende Darstellungen ihres Todes, aber jede dieser Varianten ist grausam.

Natürlich will ich durch die Schilderung ihres Todes an dieser Stelle nicht allen damals und heute lebenden Christen vorwerfen, Verbrecher zu sein und einer Verbrecherbande anzugehören, die nur so tun, als handelten sie nach einer Liebesethik, die aber in Wahrheit in ihrer Geschichte nur Unheil angerichtet haben. Das wäre Quatsch, denn es wäre unrichtig. Selbst die parabalani in Alexandria haben auch Gutes getan und wie Claymore richtig bemerkt, hatte das Christentum entscheidenden Anteil daran, den wichtigen moralischen Gedanken zu verbreiten, dass alle Menschen gleich sind. Wieviel Aufklärung in der Ethik des modernen katholischen und protestantischen Christentums steckt, darüber kann man sich allerdings trefflich streiten. Ich denke beispielsweise: sehr viel Aufklärung.

An einem Märztag des Jahres 415 verließ Hypatia wie immer ihr Haus, um zur Arbeit zu fahren, als sich ihr plötzlieh »eine Ansammlung Gottesfürchtiger« in den Weg stellte und sie zwang, vom Wagen zu steigen.* Da sie erfahren hatte, wie es ihrem guten Freund Orestes kürzlich ergangen war. wird ihr der Ernst der Lage bewusst gewesen sein. Doch sie kann unmöglich geahnt haben, wie ernst sie war.

Sobald sie auf der Straße stand, wurde die Heidin von den parabalani und ihrem Anführer, einem Kirchenmagistraten namens Petrus, der »ein in jeder Hinsicht vollkommener Anhänger Jesu Christi«** war, umringt und ergriffen. Dann schleiften die Männer Alexandrias größte lebende Mathematikerin durch die Straßen bis zu einer Kirche. Im Inneren der Kirche rissen sie ihr die Kleider vom Leib und schnitten ihr mit den Scherben zerbrochener Tontöpfe die Haut herunter. Manche sagen, die Angreifer hätten ihr die Augen ausgestochen, während sie noch nach Luft schnappte. Als sie schließlich tot war, rissen sie ihren Leichnam in Stücke und verbrannten das, was von dem »erleuchteten Kind der Vernunft« übrig war, auf einem Scheiterhaufen.*** [Catherine Nixey, Heiliger Zorn, München: 2017, S. 202+203]


*Johannes von Nikiu, chronicon, 84.100.
** ebenda
***Die Berichte über die Angriffe variieren: Sokrates Scholastikos, die verlässlichste Quelle, gibt an, sie sei mit »Keramik« ermordet worden - vermutlich meint er damit scharfkantige Scherben von Töpferware. Johannes von Nikiu (chronicon, 84.87) schreibt, sie sei durch die Straßen geschleift worden, bis sie tot war; bei Damaskios (fr. 43) werden ihr die Augen ausgestochen. Laut Hesychios, zit. nach Dzielska (1995), 93, wurden ihre Körperteile über die Stadt verstreut.


Wer sich für die Vorgänge in Alexandria 391 n.Chr. und die Figur der Hypathia interessiert, sei auf den Film "Agora – Die Säulen des Himmels" , Spain, 2009, verwiesen. 391 n.Chr. beginnt die Geschichte des Films, aber der Tod Hypathias war erst 415 n.Chr., wie man rekonstruieren kann (darum die Abweichung in der Datierung). Dramaturgisch ist der Film ein kompletter Reinfall geworden, denn er ist sterbenslangweilig. Aber die Recherche der historischen Umstände und die historische Darstellung dessen, was damals geschehen ist sowie das Setting des Films, sind ausgezeichnet. Will man einen spannenden Film sehen, ist "Agora – Die Säulen des Himmels" die falsche Wahl. Will man etwas über die historisch korrekten Geschehnisse in Alexandria 391 n.Chr. erfahen, ist der Film gut.

Der Trailer zum Film ist besser geraten, als der Film selbst. Aber dafür werden Trailer gemacht, um auch missratene Filme zu pushen.




Im Film ist der Tod Hypathias weit gnädiger. Man konnte den Zuschauern die Darstellung ihres tatsächlichen Todes nicht zumuten, zumal er dann eine FSK 16- oder 18-Klassifizierung bekommen hätte.

Zuletzt geändert von Thaddaeus am Sa 27. Jul 2019, 22:23, insgesamt 5-mal geändert.

Munro
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#72 Re: Der Tod der Hypathia

Beitrag von Munro » Sa 27. Jul 2019, 22:00

Thaddaeus hat geschrieben:
Sa 27. Jul 2019, 21:48
Munro hat geschrieben:
Sa 27. Jul 2019, 13:58
Statt bei "christlichem Terrorismus" sind wir nun bei Tee und Wein und Bier und Met.
Dann sollten wir wieder auf den christlichen Terrorismus zurückkommen.

Es wird niemanden hier wundern, wenn ich freimütig gestehe, dass mich mit der bedeutendsten Mathematikerin und Philosophin der Antike, dem "erleuchteten Kind der Vernunft", wie sie ein Philosoph ihrer Zeit nannte, der unvergleichlichen Hypathia, eine besondere Beziehung verbindet und ich sie als eine Art Seelenverwandte ansehe. Simone de Beauvoir und sie waren schon als junges Mädchen meine treuen Weggefährtinnen. Zu beiden schaue ich auf.

Der Tod Hypathias war grausam, und ihre Mörder waren fanatische Christen, woran es historisch keinen Zweifel gibt, denn der Tod Hypathias ist sehr gut belegt. Es gibt abweichende Darstellungen ihres Todes, aber jede dieser Varianten ist grausam.


Ja, das Schicksal der Hypathia fand ich schon immer erschütternd! :shock: :(
Kein Ruhmesblatt für das Christentum. :(
Jean Paul Getty:
Die Sanftmütigen werden die Erde besitzen, aber nicht die Schürfrechte.

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Thaddaeus
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#73 Re: Der Tod der Hypathia

Beitrag von Thaddaeus » So 28. Jul 2019, 00:36

Warum hassten die alexandrinischen Christen Hypatia so dermaßen, dass sie sie grausam umbrachten?

Es war, weil sie es nicht akezeptieren konnten und wollten, dass sie so schlau und beliebt war und dazu noch eine Frau. Hypatia arbeitete mit astronomischen Instrumenten wie dem Astrolabium ...

Bild

... Nach Ansicht der Christen konnte es sich dabei nur um ein Instrument des Teufels handeln, in dem Dämonen wohnten. Und Hypatia selbst konnte demgemäß nur eine Hexe sein, die mit dem Satan im Bunde stand.

Darum wurde sie ermordet.

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sven23
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#74 Re: Der Tod der Hypathia

Beitrag von sven23 » So 28. Jul 2019, 08:43

Thaddaeus hat geschrieben:
So 28. Jul 2019, 00:36
... Nach Ansicht der Christen konnte es sich dabei nur um ein Instrument des Teufels handeln, in dem Dämonen wohnten. Und Hypatia selbst konnte demgemäß nur eine Hexe sein, die mit dem Satan im Bunde stand.
Darum wurde sie ermordet.

Man muss nicht mal in die Geschichte gehen, wenn es um Aberglauben und Hexenverfolgung geht. In Papua-Neuguinea werden zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch sogenannte Hexen verfolgt, manchmal auch Männer oder sogar Kinder.
Die deutsche Kolonialzeit hatte den Eingeborenen auch das Christentum gebracht.



Die Missionsschwester versucht im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu helfen.
Der Staat versagt als ordnungspolitische Kraft auf ganzer Linie.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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Thaddaeus
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#75 Re: Der Tod der Hypathia

Beitrag von Thaddaeus » Di 30. Jul 2019, 15:19

sven23 hat geschrieben:
So 28. Jul 2019, 08:43
Man muss nicht mal in die Geschichte gehen, wenn es um Aberglauben und Hexenverfolgung geht. In Papua-Neuguinea werden zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch sogenannte Hexen verfolgt, manchmal auch Männer oder sogar Kinder.
Die deutsche Kolonialzeit hatte den Eingeborenen auch das Christentum gebracht.

...
Ja, das ist ziemlich schimm! Aberglaube, Ignoranz und schlichte Dummheit sind einfach nicht auszurotten.

Munro
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#76 Re: Christlicher Terrorismus

Beitrag von Munro » Mi 4. Sep 2019, 15:35

Kehren wir doch wieder mal zu diesem Titel zurück:
Re: Christlicher Terrorismus
Jean Paul Getty:
Die Sanftmütigen werden die Erde besitzen, aber nicht die Schürfrechte.

Abischai
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#77 Re: Christlicher Terrorismus

Beitrag von Abischai » Mi 4. Sep 2019, 16:25

Da aber leider jeder für seine eigene Systemgruppe feststellt, daß jeweils die Anderen die Dummen, Abergläubigen und Ignoranten sind, müßte man mal ein Normativ herausstellen, was die Scheidung zwischen den "Guten" und den "Bösen" überhaupt ermöglicht.

Wenn Psychopathen die Macht haben (ganz gleich welche tatsächliche oder angebliche Weltanschauung sie zu vertreten vorgeben), dann geht immer alles kaputt.
Unter dem christlichen Mantel (mit dem Glauben hat das nichts zu tun!) wurde in der Vergangenheit unglaublich viel Verwüstung angerichtet. Andere haben ebenso gehaust.
NIEMAND darf über andere Menschen in der Form herrschen, daß die Herrschaft die Rechte, Freiheit und Lebensfähigkeit anderer grundsätzlich beschränkt oder infrage stellt.

Man kann falsche Christen (bzw. fanatisch verführte, gehirngewaschene) recht gut daran erkennen, daß sie immer einen "Gottesstaat" errichten wollen, egal ob nun unter der Herrschaft Gottes oder unter der eigenen, denn sie vergötzen sich irgendwann immer selbst.

Vielleicht gelingt dem geneigten Leser aber die Differenzierung bezüglich Christen, die nicht versuchen einen Gottesstaat aufzurichten, wohl aber unter der angeblich atheistischen Bestrebung zu leiden haben, daß letztere auch bloß versuchen ihren Gottesstaat zu errichten, in dem deren Vorstellung des totalen Menschen schließlich der Gott ist.

Meiner Ansicht nach sind Atheisten nämlich die einzigen Menschen, die selbst nicht in der Lage sind zu erkennen, daß sie auch ihren "Gott" haben und ihm getreulich strengreligiös dienen.

Ich träume manchmal von einem echten laizistischen Staat, der jedem Mann seine Freiheit zugesteht, auch Freiheit sein eigenes Leben in den Abgrund zu fahren, wo nur ein einziges Gesetz ausnahmslos für alle gilt, jeder wie er es für richtig hält, mit der Beschränkung freilich, daß niemand des anderen Rechte beschneiden darf.

Am Ende wird sich jeder vor Gott zu verantworten haben, aber es bedarf nicht des vorauseilenden Gehorsams irgendwelcher Gläubiger, andere Menschen zu disziplinieren.

Vorlage für diesen meinen Traum ist das deutsche BGB im ursprünglichen Sinne seiner Gesetzgebung und...
Prediger 11;9f :
Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und dein Herz mache dich fröhlich in den Tagen deiner Jugendzeit! Und lebe nach dem, was dein Herz wünscht und wonach deine Augen ausschauen! Doch wisse, dass um all dieser Dinge willen Gott dich zur Rechenschaft ziehen wird! Entferne den Unmut aus deinem Herzen und halte Übel von deinem Leib fern! Denn Jugend und dunkles Haar sind Nichtigkeit.
Meine Hilfe kommt von Jahweh, der Himmel und Erde gemacht hat. [Ps 121;2]

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Travis
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#78 Re: Christlicher Terrorismus

Beitrag von Travis » Mi 4. Sep 2019, 16:34

Gibt es für Christen überhaupt einen Grund einen territorialen Staat aufzurichten oder sonst wie zu leiten? Mir fiele keiner ein.
Ich weiß, dass ich nicht einmal weiß das ich nichts weiß.

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CoolLesterSmooth
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#79 Re: Christlicher Terrorismus

Beitrag von CoolLesterSmooth » Mi 4. Sep 2019, 17:32

Travis hat geschrieben:
Mi 4. Sep 2019, 16:34
Gibt es für Christen überhaupt einen Grund einen territorialen Staat aufzurichten oder sonst wie zu leiten? Mir fiele keiner ein.
Die Kontrolle darüber, was in diesem Staat gelehrt werden darf und was nicht.
Dieser Kommentar wurde von einem heimlich bescheidwissenden und unglaublich boshaften Hund mit finsterer Seele, zerfallenem Geist und Aussicht auf finanziellen Gewinn verfasst.

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Travis
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#80 Re: Christlicher Terrorismus

Beitrag von Travis » Mi 4. Sep 2019, 17:40

CoolLesterSmooth hat geschrieben:
Mi 4. Sep 2019, 17:32
Die Kontrolle darüber, was in diesem Staat gelehrt werden darf und was nicht.
Du liebe Zeit! Nein, das sollte kein Christ anstreben! In Bezug auf das Reich Christi in dieser Welt, wäre das ja geradezu ein Paradoxon.
Ich weiß, dass ich nicht einmal weiß das ich nichts weiß.

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