Lena hat geschrieben:Das Unrecht in der Welt hört nicht auf. Trotz Gerichten, Strafen, Gefängnis, Hilfen auf allen Gebieten, Bildung usw. Schon oft habe ich die Frage gestellt und niemals beantwortet bekommen: Wollt ihr so für immer weiterleben.... müssen? So, wie es heute in der Welt aussieht und es immer gewesen ist? Wollt ihr das wirklich? Wäre nicht das die Hölle? Ein ewiges brennen in Greueltaten von Machtmenschen? Wer hat eine Lösung? Eine echte die auch hält was sie verspricht? Wir Menschen finden keinen Weg. Wir haben ihn nie gefunden. Weiter hoffen? Wenn es Gott gibt und ich glaube daran - was soll Er tun? Was soll Er mit Menschen tun die nicht wollen? Die einfach nicht sich ändern wollen und ihre Mitmenschen lieben?
Liebe Lena!
Ich glaube nicht, dass Menschen sich einfach nicht ändern wollen. Das kann für den so aussehen, der jemanden "ändern" will und dabei erfolglos bleibt.
Menschen werden nicht von anderen verändert, sondern sie ändern sich selber. Kein Mensch kann bleiben, der er ist. Er muss sich notgedrungen ändern. Vielleicht besser gesagt: 'Es ändert sich in ihm.'
Nach meiner Erfahrung und meinem Verstehen ist in jedem Menschen das Bedürfnis "eingebaut", zu einem vollumfänglichen Menschen zu werden. Er kann nicht anders, als es wollen zu müssen - so wie der Zahn zahnen muss.
Aber auch eingebaut im Menschen ist ein innerer Widerspruch:
Er muss er selber werden, seine eigenen inneren Anlagen entfalten dürfen - tut er es nicht, wird er seelisch krank.
Andererseits gibt es "die anderen", die Menschen um ihn herum.
Diese haben Forderungen an ihn, zwingen ihn zu manchem, und manches will er auch ihnen zuliebe tun.
Dabei aber wird die Selbstentfaltung gedrosselt, sie wird notwendigerweise gedrosselt.
Das ist ein im Menschen eingebauter Konflikt. Einerseits haben die anderen in Form der Gemeinschaft Anforderungen an ihn, andererseits darf er deswegen nicht zum seelischen Krüppel werden.
Verbrecher sind oft seelische Krüppel, deren lebensnotwendige Selbstentfaltung aus irgend einem Grund missglückt ist.
Und wenn man die Gründe untersucht, kann man nicht selten feststellen - die anderen konnten auch nicht anders.
Man kann nicht wirklich einen Schuldigen finden, weil diese Grundproblematik - sich selber entfalten und mit einer Gemeinschaft "mitatmen" - so schwer zu lösen ist.
Früher dachte ich, es gibt da keinen Ausweg. Wir Menschen machen uns kaputt, es entstehen Verbrecher, die aus dieser Qual nur noch herauszukommen meinen, indem sie jemanden totschlagen. Es ist absurd, aber so was ist oft Reaktion auf eine eigene innere Qual.
Heute denke ich nicht mehr, dass man da nicht herauskommt.
Dieser innere Konflikt ist dazu da, dass wir ihn lösen. Er ist unsere Aufgabe, und er hat auch einen Sinn: wir verstehen "Selbstentfaltung" mit dem Älterwerden etwas anders, und wir verstehen auch "Leben in der Gemeinschaft" mit der Zeit etwas anders.
Man muss dem Menschen Zeit geben, das alles lernen zu können. Auch Verbrecher - wenn sie wirklich gute Therapeuten bekommen - können irgendwann ein Gefühl entwickeln, dass es dem anderen weh tut, wenn sie auf ihn einschlagen. Vorher haben sie das nicht immer realisieren können.
Manchmal gibt man diesen Schwerstverbrechern einen jungen Hund in die Zelle, falls der Gefangene das akzeptiert. Er soll mit diesem jungen Hund zusammenleben. Manche der Verbrecher lehnen entsetzt ab: sie können die freudige Liebe, die der junge Hund ihm entgegenbringt, nicht ertragen.
Andere werden durch diesen Hund zu jemandem, der erstmalig erfasst, dass man für einen anderen sorgen muss. Der kleine Hund verwandelt ihn, allein durch seine Anhänglichkeit.
Ich selber denke oft: Wir haben maximal 90 oder 100 Jahre, um zu lernen, die Notwendigkeit der Selbstentfaltung mit dem Leben als Mensch in Gemeinschaften aufeinander abzustimmen.
In der Jugend ist meist die Selbstentfaltung wichtig. Wenn sie schon dort blockiert wird, kann es zu aufsässigen Taten kommen. Aber bis man alle Krisen halbwegs gemeistert hat, steht schon der Tod bald vor der Tür.
Darum denke ich immer: wir müssten älter werden können. Die Zeit reicht nicht, um ausreichend "weise" zu werden.
Das wir in Zukunft älter werden, ist ja schon ziemlich klar.
Hinzu kommt noch eins: auch das Menschengeschlecht als Ganzes entwickelt sich - mittels der Entwicklung der Individuen.
der eingebaute Motor des Menschen scheint mir, wie am Anfang gesagt, zu sein: das zu entwickeln, was das Beste im Menschen ist. Er will nicht böse sein; aber er wird es, wenn zuviel in ihm unterdrückt wurde. Er will nicht egozentrisch sein. Aber er wird es, wenn ihm die so notwendige Selbstenfaltung genommen wurde.
Ich habe sehr vereinfacht. Aber mir ging es darum: Wenn man nur das "Ewig-Gleiche" wahrnimmt, dann ist man leicht von der Verzweiflung eingeholt.
Wenn man aber sehen kann, dass wir uns alle ständig entwickeln, nur eben alle Schwierigkeiten nicht so rasch meistern können - und dass es Anzeichen dafür gibt, dass wir sie immer wieder ein bisschen mehr meistern -
dann kann man Hoffnung haben. Oder Vertrauen.