Ich persönlich bin kein Christ; ich bin auch in einer Familie aufgewachsen, die ungläubig ist und die es als, sagen wir, kurios ansieht, dass ich an Gott glaube und sich wundert was bei mir schief gelaufen ist. Wenn man von dieser Ecke herkommt, dann wirkt eine Religion auch nicht wahrer als eine andere und ich könnte mir unmöglich da eine herauspicken und einfach daran glauben und die anderen als böse oder zumindest komplett falsche Irrlehren abtun.Andreas hat geschrieben: ↑Sa 16. Mär 2019, 13:40Zeus ist doch bloß ein Beispiel von vielen möglichen. Auch polytheistischer Glaube hat die Menschen durch die Geschichte der Menschheit getragen. Es geht doch nicht nur um letzten paar tausend Jahre der Menschheit eines winzigen Völkchens. Man muss da auch unterscheiden, zwischen der persönlichen Heilsgeschichter der Einzelnen Individuen und dem, was das Christentum für "die Heilsgeschichte" hält, die ja den Einzelnen schon wegen der unterschiedlichen Zeitdimensionen gar nicht betreffen kann.Claymore hat geschrieben: ↑Sa 16. Mär 2019, 13:19Gott ist Das Eine nach Plotin; er ist der reine Actus nach Aristoteles; der eine Intellekt der die abstrakten Objekte (z. B. Zahlen) unabhängig von der Existenz der Welt in sich trägt. Zeus, so wie er beschrieben wird, ist das nicht. Er wäre nur ein mächtiges Wesen im Universum.
Wenn Gott für "die Heilsgeschichte" der Menschheit, dem Einzelnen seine persönliche Heilsgeschichte zerstört, stellt das schon ein theologisches und ethisches Problem dar. Jede Theologie hat ihren Preis. Man kann auch theologisch nicht ALLES haben. Wenn man das mit Gewalt, also mit Allmacht, Allwissenheit und Allgüte versucht, geht es halt irgendwann in die Hose. Hat erstaunlich lange funktioniert, aber heute funzt dieses Gottesbild offenbar nicht mehr - so wie Zeus oder andere Gottesbilder halt auch irgendwann nicht mehr gefunzt haben, modifiziert, weiterentwickelt wurden oder verschwunden sind. Religionsgeschichte kann man auch nicht außer acht lassen. Was muss man denn noch alles vom Tisch wischen oder ignorieren um christlich glauben zu können?
Sonderlich interessieren mich die abrahamitischen Religionen auch nicht, das ist aber eher was emotionales; wenn da in der Bibel steht, dass gleichgeschlechtliche Liebe eine Sünde ist, dass man sie gar mit dem Tode bestrafen soll, dann bin ich geneigt das Buch zuzuklappen. Natürlich sage ich damit nicht, dass die Bibelautoren oder Mohammed definitiv keinerlei göttliche Inspiration erfahren haben, aber ich sehe sie doch skeptisch.
Die entscheidende Frage ist: Wo die Meinungen auseinander gehen, muss es Irrtum geben. Jedoch denke ich mir, dass Das Eine (im Sinne von Plotin) für die Menschen eben nicht vollständig fassbar ist. Das ist so wie mit einer reellen Funktion mit 𝑓(𝑥 + 𝑦) = 𝑓(𝑥) + 𝑓(𝑦), die nicht linear ist. Die Mathematik sagt uns dass es sie gibt, aber wir können sie nicht konkret angeben. Die Vernunft erlaubt uns genauso gerade noch zu dem kosmischen Geist vorzudringen, aber sie kann ihn selbst nicht mehr vollständig erfassen. Daher sehe ich keinen Konflikt mit den klassischen Attributen wie Allmacht und Allgüte und verwende das Wort “Gottâ€. Für mich ist auch klar, dass Gott einen Kontakt zu den Menschen herstellt. Wenigstens in dieser Hinsicht greift er also ein. Ansonsten müsste ich annehmen, dass jede Religion nicht mal einen Kern von Wahrheit in sich trägt.
Wie die Mathematik zu großen Teilen experimentell begann (z. B. die Ägypter einfach den Satz des Pythagoras ganz pragmatisch durch ausprobieren herausfanden) und sich mit kulturellem und philosophischem Fortschritt zu einer a priori Wissenschaft entwickelte, so denke ich, dass auch der Glaube an Gott oder Götter seine Ursprünge in der direkten Erfahrung des kosmischen Geistes hatte. Mit der Zeit entwickelten dann die Menschen Wege sich ihm auch über die reine Vernunft zu nähern. Daran sehe ich nichts verwerfliches. Auch wenn bei mir persönlich die direkte Erfahrung vor der Vernunft kam.
Aufgrund des mangelnden menschlichen Fassungsvermögen ist es einleuchtend, dass die Menschen die Inspiration durch den kosmischen Geist über ihre unterschiedlichen kulturellen oder persönlichen Linsen verzerrt erfahren. Wobei ich denke, dass bei polytheistischen Religionen schon etwas mehr schief gelaufen ist, auch wenn hier wenigstens die Erkenntnis, dass wir über eine Seele verfügen, vorliegt. Nach den Attributen, die Zeus, Thor, Horus, etc. zugesprochen werden, sind sie nur Supermen – das ist das Problem. Und obwohl ich an Karma und Wiedergeburt wie im Buddhismus glaube (mit der Einschränkung, dass Gott als besondere Gnade dieses Gesetz des Karmas in Einzelfällen außer Kraft setzen kann) – und in dieser Hinsicht der Buddhismus wohl göttlich inspiriert ist – argumentiere ich da ganz banal wie Adi Shankara: Irgendwer muss doch das Gesetz des Karmas “installiert†haben. Diesen jemand soll es im Buddhismus aber nicht geben. Du musst das nicht für plausibel halten, aber das sind jedenfalls die Gründe warum ich strikt polytheistische oder nicht-theistische (Buddhismus, Jainismus) Religionen für in einem zentralen Punkt fehlgeleitet halte.
Was die geschilderten Wunder in den Religionen angeht, dazu kann ich nichts sagen. Ich würde sie aber nicht kategorisch ausschließen. Man muss ja nicht alles wissen, z. B. weiß ich nicht, ob Tiere eine Seele haben; trotzdem nehme an, dass wir keine fühlenden Lebewesen vorsätzlich töten sollten. Das geht auch ohne sich hinzustellen und zu sagen: ich habe auf alles eine Antwort.
Naja, ich glaube, wir liegen gar nicht soooo weit auseinander.