Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

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Demian
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#1 Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von Demian » Fr 24. Mai 2013, 10:42

Ein kleiner Anstoß.

"Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben . . .

Nun gibt es manche Christen, die meinen, dass eine solche Anschauung im Gegensatz zu dem christlichen Glauben stehe, und die denjenigen, die so denken, den Glauben absprechen. Und wieder gibt es andere, die den Widerspruch drückend empfinden, der zwischen ihren wissenschaftlichen Überzeugungen und den Anschauungen, die sie in ihrem täglichen Leben leiten, auf der einen Seite und den neutestamentlichen Wundergeschichten auf der anderen Seite besteht; die wohl am christlichen Glauben festhalten möchten, die aber meinen: als Christ sei man verpflichtet, solche Geschichten für wahr zu halten, - und da sie das nicht können, geraten sie in Zweifel, ob sie sich noch Christen nennen dürfen.
Was sollen wir dazu sagen? Nun, zuerst müssen wir sagen: Das bedeutet in der Tat nicht christlicher Glaube, dass man die Wundergeschichten des Neuen Testamentes für wahr hält.
Christlicher Glaube bedeutet der Glaube an die in Christus uns erschienene Gnade Gottes. Das eigentliche Werk Christi besteht aber, wie schon Luther gesagt hat, darin, dass er das Gesetz und den Tod überwunden hat. Und deshalb heißt christlicher Glaube: an ihn als den Befreier von Gesetz und Tod glauben; es heißt aber nicht, die Wundergeschichten des Neuen Testaments für wahr halten . . .

Aber wenn wir nun deutlich gesagt haben, dass christlicher Glaube nicht darin besteht, die Wundergeschichten des Neuen Testaments für wahr zuhalten, so müssen wir nun ebenso deutlich sagen: christlicher Glaube ist Wunderglaube, ist Glaube an das wunderbare Handeln Gottes, ist die Bereitschaft, Gottes Wunder in unseren Leben zu erfahren. . . ."

Quelle

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dvdk
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#2 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von dvdk » Fr 24. Mai 2013, 10:52

Demian hat geschrieben: Christlicher Glaube bedeutet der Glaube an die in Christus uns erschienene Gnade Gottes. Das eigentliche Werk Christi besteht aber, wie schon Luther gesagt hat, darin, dass er das Gesetz und den Tod überwunden hat. Und deshalb heißt christlicher Glaube: an ihn als den Befreier von Gesetz und Tod glauben; es heißt aber nicht, die Wundergeschichten des Neuen Testaments für wahr halten . . .

Aber wenn wir nun deutlich gesagt haben, dass christlicher Glaube nicht darin besteht, die Wundergeschichten des Neuen Testaments für wahr zuhalten, so müssen wir nun ebenso deutlich sagen: christlicher Glaube ist Wunderglaube, ist Glaube an das wunderbare Handeln Gottes, ist die Bereitschaft, Gottes Wunder in unseren Leben zu erfahren. . . ."

Das ist ein Widerspruch hoch drei. Wenn ich an das wunderbare Handeln Gottes glaube, dann kann ich auch an das wunderbare Handeln Christi im Neuen Testament glauben.

Weiter noch, wenn ich an Christus glaube, dann kann ich seine Wunder nicht ausschließen, sondern beziehe sie mit ein.
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kandyra
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#3 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von kandyra » Fr 24. Mai 2013, 10:53

ja genau, die Bibel ist voller Okkultismus und esoterischem Klaumauk, da werden Stecken zu Schlangen, man geht übers Wasser, man macht aus Wasser Wein, oder lässt es Wachteln regnen, Engel und Sterne führen Menschen, ein Geist befruchtet eine Frau, Gott spricht in Träumen zu den Leuten, Jesus spricht auf dem Berg Tabor zu verstorbenen Elia und Mose, überall Dämonen und Propheten und Medien usw.
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Demian
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#4 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von Demian » Fr 24. Mai 2013, 13:14

Die Bibel gebraucht bewusst eine mythische Sprache, die naturgemäß ungeeignet für eine historische Berichterstattung ist. Schon daran erkennt man, dass die Evangelisten nicht das Ziel hatten, Tatsachen zu schildern. Davon abgesehen sind die Evanglien erst lange ( 40 bis 70 Jahre ) nach Jesu Leben entstanden, weshalb sie als Deutung ( Kerygma ) der Urgemeinde zu verstehen sind. Mit dem Wunderbaren meint Bultmann selbstverständlich nichts, was die Naturgesetze außer Kraft setzt, sondern das Wunderbare im Menschen und im Kosmos.

dvdk hat geschrieben: Das ist ein Widerspruch hoch drei. Wenn ich an das wunderbare Handeln Gottes glaube, dann kann ich auch an das wunderbare Handeln Christi im Neuen Testament glauben.

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dvdk
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#5 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von dvdk » Fr 24. Mai 2013, 13:23

Demian hat geschrieben:Die Bibel gebraucht bewusst eine mythische Sprache, die naturgemäß ungeeignet für eine historische Berichterstattung ist. Schon daran erkennt man, dass die Evangelisten nicht das Ziel hatten, Tatsachen zu schildern.
...
Mag ja sein, dass Bultmann das meinte. So mythisch ist die biblische Sprache nicht. Sie ist eher trocken und sachlich. Ein passendes Beispiel aus Jesaja:
Jesaja 29:13,14 hat geschrieben:Der Herr sagte: Weil dieses Volk sich mir nur mit Worten nähert und mich bloß mit den Lippen ehrt, sein Herz aber fern hält von mir, weil seine Furcht vor mir nur auf einem angelernten menschlichen Gebot beruht,
14 darum will auch ich in Zukunft an diesem Volk seltsam handeln, so seltsam, wie es niemand erwartet. Dann wird die Weisheit seiner Weisen vergehen und die Klugheit seiner Klugen verschwinden.
Da ist nichts mythisch. Die Worte sind klar und deutlich. Und die beiden Verse passen auch gut in unsere heutige Zeit einschließlich Bultmann.
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#6 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von Demian » Fr 24. Mai 2013, 14:08

Lange Zeit hat man die Wunderberichte anderer Religionen als Legenden abgetan, während man gleichzeitig die biblischen historisierte. Das ist verständlich, denn man wollte die Einmaligkeit Jesu betonen. Heute wissen wir sehr gut, dass die biblischen Darstellungen einem Schema folgen, wie es derart formalisiert typisch für religiöse Mythen ist. Ergo: man hat einen historischen Kern mithilfe großer Bilder beschrieben, um einen realen Sinn darin aufzubewahren. Ich zweifle zum Beispiel nicht daran, dass Jesus ein wundersames Auftreten hatte und seine Ausstrahlungskraft spontane Heilungen bewirkt hat. Psychische Erkrankungen können auf diese Weise geheilt werden. Da man aber in der damaligen Zeit noch nicht die Kenntnisse der modernen Psychologie besaß, musste soetwas als Wunderheilung erscheinen.

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#7 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von R.F. » Fr 24. Mai 2013, 18:55

Demian hat geschrieben:Ein kleiner Anstoß.
- - -
Aber wenn wir nun deutlich gesagt haben, dass christlicher Glaube nicht darin besteht, die Wundergeschichten des Neuen Testaments für wahr zuhalten, so müssen wir nun ebenso deutlich sagen: christlicher Glaube ist Wunderglaube, ist Glaube an das wunderbare Handeln Gottes, ist die Bereitschaft, Gottes Wunder in unseren Leben zu erfahren. . . ."

Quelle
Bei Bultmann wie auch bei anderen Vertretern der historisch-kritischen Methode macht sich der Mangel an naturwissenschaftlichen Kenntnissen bemerkbar. Wäre dem nicht so, ihre z.T heftigen Attacken auf die Schriften von AT und NT wären zumindest gemäßigter. Vielen unter ihnen scheint auch der Begriff des inneren Zeugnisses eines Berichts nicht geläufig zu sein.

Im Zusammenhang mit der Frage nach der Realität der Auferstehung Jesu lässt Benedikt XVI. einen der Kritiker zu Wort kommen:
Für Gerd Lüdemann zum Beispiel scheint es evident, dass infolge der “Umwälzung des naturwissenschaftlichen Weltbildes... die traditionellen Vorstellungen von derr Auferstehung Jesu als erledigt zu betrachten” seien (zit. Nach Wilckens I/ 2, S. 119 f).*)
Und tatsächlich: Wäre das naturalistischen Weltbild gesichert, könnte man die Bibel schließen. Leider sind es nur weniger laute Theologen wie etwa Johannes Grün (“Die Schöpfung - Ein göttlicher Plan”), die sich eingehender mit den Grundlagen der naturalistischen Weltanschauung befasst haben.

*) Joseph Ratzinger/ Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Freiburg im Breisgau 2011, S. 271.

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#8 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von barbara » Fr 24. Mai 2013, 20:50

ich verstehe Bultmanns Hintergrund; aber dennoch, die protestantische Tendenz, alles am naturalistischen Weltbild zu messen und den Rest wolkig auf "symbolische Ebenen" zu heben, denen aber keine eigenständige Realität zugestanden wird, das wird dem Evangelium und der Bibel mE auch nicht gerecht, sondern banalisiert sie halt auf andere Weise als ein allzu naiver magischer Glaube.

grüsse, barbara

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dvdk
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#9 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von dvdk » Fr 24. Mai 2013, 21:53

Demian hat geschrieben:Lange Zeit hat man die Wunderberichte anderer Religionen als Legenden abgetan, während man gleichzeitig die biblischen historisierte. Das ist verständlich, denn man wollte die Einmaligkeit Jesu betonen. Heute wissen wir sehr gut, dass die biblischen Darstellungen einem Schema folgen, wie es derart formalisiert typisch für religiöse Mythen ist. Ergo: man hat einen historischen Kern mithilfe großer Bilder beschrieben, um einen realen Sinn darin aufzubewahren. Ich zweifle zum Beispiel nicht daran, dass Jesus ein wundersames Auftreten hatte und seine Ausstrahlungskraft spontane Heilungen bewirkt hat. Psychische Erkrankungen können auf diese Weise geheilt werden. Da man aber in der damaligen Zeit noch nicht die Kenntnisse der modernen Psychologie besaß, musste soetwas als Wunderheilung erscheinen.
Auch das sehe ich anders. Die Heilungen hatten nichts mit Psychologie zu tun. Kein Psychologe ist in der Lage, Blinde zu heilen. Und auch Lepra wird nicht durch Psychologie geheilt. Auch nicht durch die wundersame Ausstrahlung eines Menschen. Die müsste dann allerdings sehr wunderlich sein.

Nein, es sind keine Mythen. Es gibt nur Menschen, die meinen es wären welche weil sie nicht glauben können, das Jesus der Christus ist.
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Demian
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#10 Re: Rudolf Bultmann: Mythos und Wirklichkeit

Beitrag von Demian » Sa 25. Mai 2013, 02:16

Wie wäre es mit einer Begründung? Weshalb sollte ein naturalistisches Verstehen der Welt, eine spirituelle Deutung des Welt-Sinns ausschließen?

R.F. hat geschrieben: Bei Bultmann wie auch bei anderen Vertretern der historisch-kritischen Methode macht sich der Mangel an naturwissenschaftlichen Kenntnissen bemerkbar[...]Und tatsächlich: Wäre das naturalistischen Weltbild gesichert, könnte man die Bibel schließen

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