Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

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sven23
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#1 Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Feb 2016, 16:09

Religionen mit Absolutheitsanspruch waren immer in der Gefahr- oder sind es heute noch- zu glauben, im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Gerade monotheistische Religionen fallen da besonders auf. Das hatte für Andersgläubige oft fatale Folgen.

"Der Wahrheitswahn ist so etwas wie ein „notwendiger Geburtsfehler“ von Religionen. Notwendig
deshalb, weil Religionen sich auf göttliche Offenbarung berufen, und damit gezwungenermaßen
Wahrheit für sich reklamieren müssen. Doch das Elend der Religionen ist die Vielzahl der Götter in
Verbindung mit der kindischen Rechthaberei, nur man selbst habe die wahre Religion, die wahre
Offenbarung. Auch das Christentum ist von Beginn an mit dem Anspruch aufgetreten, die einzige und
wahre Religion zu sein. Schon das Judentum hat diesen Anspruch für seinen Glauben verfochten.
Auch wenn dessen Monotheismus sich im Wesentlichen erst in nachexilischer Zeit herausgebildet hat,
wurde der Kampf Jahwes gegen die fremden Götter bald in frühere Zeiten, ja bis weit in die
vorstaatliche Zeit zurückdatiert. Jahwe kämpft gegen die fremden Götter, seine Propheten verkünden
den einzigen Gott, der einen zentralen Kult im Tempel von Jerusalem verlangt. Eine
Geschichtskonstruktion. Propheten und Priester anderer Religionen werden bekämpft und getötet,
sofern man die Macht dazu hat, wie in der Elia-Geschichte erzählt (1. Kön 18). Die Götter anderer
Religionen werden als „Nichtse“ (Jer 10,3) bezeichnet."

...
Jesus war gläubiger Jude und wollte keine neue Religion gründen. Seine ersten judenchristlichen
Anhänger hielten sich an die Thora und die Beschneidung und nahmen am Synagogengottesdienst teil.
Nachdem sie aber von einer jüdischen Sekte zu einer eigenen Religion mutiert war, verstand sich die
christliche Kirche als das wahre Israel und vertrat nun ihrerseits einen Absolutheitsanspruch auch
gegenüber ihrer Mutterreligion. An der Haltung zur Person Jesu wurde nun der wahre Glaube
festgemacht. Die neutestamentlichen Schriften lassen daran keinen Zweifel, auch wenn dieser Jesus
noch als besonders begabter Mensch oder als Messias, aber noch lange nicht als Gott verstanden
wurde.
„In keinem anderen ist das Heil, auch ist kein anderer Name unter dem Himmel den
Menschen gegeben, durch den wir sollen selig werden.“ (Apg 4,12)
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, niemand kommt zum Vater denn durch
mich.“ (Joh 14,6)
„Wer da glaubt und getauft wird, der soll selig werden, wer aber nicht glaubt, der soll
verdammt werden.“ (Mk 16,16)

Wenn solche Sätze religiöser Rechthaberei und Überheblichkeit erst einmal den Weg in Heilige
Schriften gefunden haben, braucht man sich über aggressiv auftretende Religionen nicht wundern. Und
anders als das Judentum haben die Christen mit etwas Anlauf sogar die römischen Kaiser auf ihre
Seite ziehen können. Aus dem Wunsch nach Religionsfreiheit, den die junge Kirche gegenüber den
staatlichen Gewalten geltend machte, jedenfalls solange sie selbst noch nicht anerkannt war, wurde
nach der konstantinischen Wende die selbstverständliche Verpflichtung, Andersgläubige zu verfolgen.
Das Wort Jesu aus einem Gleichnis „Nötiget sie, hereinzukommen“ (Lk 14,23) wurde von Augustinus
zur Rechtfertigung von Zwangstaufen und der Unterdrückung Andersgläubiger verwendet. An die
Stelle einer religiös toleranten Antike trat eine Religion mit Wahrheitswahn, die Religionsfreiheit als
Kapitalverbrechen begriff. Judenpogrome und Kreuzzüge sind verständliche Schlussfolgerungen
dieses religiösen Logik."


Also was das frühe Christentum zu Recht beklagte, nämlich die Verfolgung aus Glaubensgründen, praktizierte man umgehend selbst, sobald man nach der konstantinischen Wende die staatliche Autorität hinter sich wußte.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

Lena
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#2 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von Lena » Sa 13. Feb 2016, 18:53

Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Kannst du mir helfen, dich richtig zu verstehen?
Erbreich 

Hemul
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#3 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von Hemul » Sa 13. Feb 2016, 19:57

Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Du weißt nicht was die Wahrheit ist? :shock:
Johannes 8:32,
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Wieso hast Du denn eigentlich die Wahrheit noch gar nicht erkannt? :roll:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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sven23
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#4 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Feb 2016, 20:00

Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Das ist genau das Problem bei Religionen. Da jede Religion, bis auf Ausnahmen, die Wahrheit für sich beansprucht, sind Konflikte vorprogrammiert. Auch das Christentum hat sich historisch gesehen nicht als besonders tolerant erwiesen gegenüber anderen Religionen oder Abweichlern der eigenen Religion.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
George Orwell

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sven23
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#5 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von sven23 » Sa 13. Feb 2016, 20:00

Hemul hat geschrieben:
Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Du weißt nicht was die Wahrheit ist? :shock:
Johannes 8:32,
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Wieso hast Du denn eigentlich die Wahrheit noch gar nicht erkannt? :roll:
Womit wir wieder beim Grundproblem wären. ;)
Zuletzt geändert von sven23 am Sa 13. Feb 2016, 20:36, insgesamt 1-mal geändert.
Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie nicht hören wollen.
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Novas
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#6 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von Novas » Sa 13. Feb 2016, 20:14

Hemul hat geschrieben:
Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Du weißt nicht was die Wahrheit ist? :shock:
Johannes 8:32,
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Wieso hast Du denn eigentlich die Wahrheit noch gar nicht erkannt? :roll:

Dann erkläre doch mal diese Wahrheit. Wie ist das gemeint?

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Savonlinna
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#7 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von Savonlinna » Sa 13. Feb 2016, 22:34

Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Sehr gut ausgedrückt. :thumbup:

Hemul
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#8 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von Hemul » Sa 13. Feb 2016, 23:11

Novalis hat geschrieben:
Hemul hat geschrieben:
Lena hat geschrieben:Dabei wäre die Wahrheit und nichts als die Wahrheit, eine wahrhaft anzustrebende Sache, wüsste man in Wahrheit, was die Wahrheit ist...
Du weißt nicht was die Wahrheit ist? :shock:
Johannes 8:32,
32 und werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen.
Wieso hast Du denn eigentlich die Wahrheit noch gar nicht erkannt? :roll:

Dann erkläre doch mal diese Wahrheit. Wie ist das gemeint?
Wie das gemeint ist steht wie folgt in Sprüche 2:1-12,

1 Mein Sohn, wenn du meine Worte annimmst / und meine Gebote bei dir verwahrst, 2 wenn du der Weisheit dein Ohr leihst / und dem Verstehen zugeneigt bist, 3 ja, wenn du um Verstand betest / und um Einsicht flehst, 4 wenn du sie suchst wie Silber, / ihnen nachspürst wie einem wertvollen Schatz, 5 dann wirst du die Ehrfurcht begreifen, / die man vor Jahwe haben muss, / und wirst anfangen, Gott zu erkennen. 6 Denn Jahwe gibt Weisheit, / von ihm kommen Erkenntnis und Verstand. 7 Den Aufrichtigen hält er Hilfe bereit, / und für die Redlichen ist er ein Schild. 8 Um die Wege des Rechts zu bewahren, / beschützt er die, die ihm treu sind. 9 Dann wirst du verstehen, was Recht und Gerechtigkeit ist, / Aufrichtigkeit und ein guter Weg. 10 Denn Weisheit wird in dein Herz einziehen / und Erkenntnis beglückt deine Seele. 11 Besonnenheit wacht über dir / und Verständigkeit behütet dich. 12........" Das wird dich retten vom Weg des Bösen, / von denen, die die Wahrheit verdrehen"...............,
:chapeau:
denn die Waffen, mit denen wir kämpfen, sind nicht fleischlicher Art, sondern starke Gotteswaffen zur Zerstörung von Bollwerken: wir zerstören mit ihnen klug ausgedachte Anschläge (2.Korinther 10:4)

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#9 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 07:13

Immerhin ist die katholische Kirche noch derart überzeugt davon, im Besitz der Wahrheit zu sein, daß sie die "Wahrheit" in hunderten von Dogmen zementiert hat.
Dogma 151: Die von Christus gestiftete Kirche ist katholisch.

Und schließlich ist man auch heute so tolerant gegenüber anderen Religionen wie dem Judentum, dass man bei Gott um Erleuchtung bittet, daß sie, die Juden, doch endlich einsehen, dass Jesus der Sohn Gottes und Erlöser der ganzen Welt sei.

Karfreitagsfürbitte für die Juden

Zitat daraus:
"Historikern gilt sie als Ausdruck eines christlichen Antijudaismus, der auch den Antisemitismus befördert habe."
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#10 Re: Die Wahrheit und nichts als die Wahrheit?

Beitrag von sven23 » So 14. Feb 2016, 11:03

Eines muß man dem ehemaligen Papst Ratzinger hoch anrechnen: er hat wenigstens die Vorhölle abgeschafft, die z. b. für ungetaufte und verstorbene Kinder vorgesehen war.
Dabei haben die Kinder noch großes Glück. Wäre die Vorhölle ein kirchliches Dogma gewesen, wäre dies so einfach nicht gegangen.

https://de.wikipedia.org/wiki/Limbus_%28Theologie%29
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