Hugo Enomiya-Lassalle: CHRISTUS im ZEN

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Demian
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#1 Hugo Enomiya-Lassalle: CHRISTUS im ZEN

Beitrag von Demian » Fr 18. Jul 2014, 13:08

Ein Artikel von "CHRIST IN DER GEGENWART" über Jesuitenpater Hugo-Makibi
Enomiya-Lassalle, der Zen und christliche Mystik wunderbar verbunden hat und viele neue Impulse gesetzt hat, um das schlafende Christentum aufzuwecken ... und es schläft immer noch weiter.

Verstehen und Be-herzigen

Noch nie gab es so tief begründete Argumente, einen Gott der Schöpfung und der Offenbarung abzulehnen wie heute in unserer naturwissenschaftlichen Welt. Nicht selten wird erklärt, die moderne Wissenschaft habe Gott entthront. Gestützt von den gleichen Argumenten der Wissenschaft sehen andere das Gottesbild jedoch größer, mit Erkenntnissen, die ins Unendliche weisen. Wer in unserer Zeit eine Position bezieht, aus der heraus er meint, einen Schöpfer- und Offenbarungsgott ablehnen zu müssen, findet sozusagen eine Fülle von Argumenten. Wer jedoch in seinem Glauben und noch mehr in seiner Glaubenserfahrung sich zu einem sich verunendlichenden Gottesbild inspirieren läßt, findet für den Gott der Schöpfung und Offenbarung ebenfalls eine Fülle von Gründen. Die Dinge liegen vor. Wie einer sie nimmt, entscheidet letztlich das Herz. Verstehen - mit dem Verstand - ist eines, Be-herzigen ein anderes. Glauben oder Unglauben bildet sich aus beidem. Auch der Unglaube beruht nicht auf Wissen, sondern
muß sich als Deutung bescheiden.

Welche Fakten und Wahrscheinlichkeiten auch immer die Wissenschaft ermittelt, es bleibt und vergrößert sich der Freiheitsraum der Deutung und der Verantwortung als eine Frage des Herzens. Die Freiheit bezieht sich nach dem jetzigen Stand der Naturwissenschaft nicht nur auf die Deutung eines objektiven Sachverhalts, auf den der Forscher seine Aufmerksamkeit zur immer genaueren Beschreibung richtet. Der Forscher sieht sich selbst im Sachverhalt und ist als Subjekt zu ihm nicht in Distanz und nicht getrennt. Er beeinflußt und bestimmt mit der Weise und Methode seiner Frage das Ergebnis. Damit ist eine Grenze gefallen, die unverrückbar schien: Grenzschwund zwischen Subjekt und Objekt. Das ist die Situation, in welcher der Wissenschaftler mit dem Mystiker ins Gespräch kommen kann. Aber auch im Bereich der Mystik ist die Frage nach Gott, dem Schöpfer und Erlöser nicht beantwortet. Sie bleibt offen wie in den Ergebnissen der Wissenschaft und beläßt und fordert den Menschen in seiner Freiheit. Die Fragen, die sich auf dem Zen-Weg für Christen ergeben, haben große Ähnlichkeit mit den Fragen der wissenschaftlichen Forschung. Die Ergebnisse bleiben offen für die zu verantwortende Deutung in Freiheit. Ein Mensch, der konsequent den Zen-Weg geht, kommt zu einer Erfahrung und wird genötigt, diese zu deuten. Er bringt sie zur Sprache nach einem Muster, das er selbst nicht mehr hinterfragen kann.

Die Erfahrung des Menschen darf nicht überbewertet werden. Sie ist nur die eine Hälfte, die andere ist die der Deutung und Verwirklichung. Die Autorität der Erfahrung ist nicht gleichzeitig schon Autorität der Deutung. Die Deutung kann freilich auch das Ergebnis einer unbewußten Vorprägung sein und somit ein sublimer und um so gefährlicherer Machtmißbrauch, je weniger die Vorprägung bewußt wird und je mehr sie allgemeine Gültigkeit beansprucht, Teilwahrheiten überbewertet und größere Werte verkennt. Die Geschichte des Christentums bietet dafür traurige Beispiele. Es kann uns allerdings kein Trost sein, daß auch andere Religionen die Last solcher böser Geschichte tragen. Aber es stellt eine Aufforderung dar, alle Menschen auf ihren Wegen in menschlichen
Begrenzungen zu sehen.

Seitdem ich den Zen-Weg gehe, wird meine Dankbarkeit für die buddhistische Zen-Tradition immer größer. Sie wird nicht dadurch gemindert, daß Japans Zen-Tradition zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg ihre spirituelle Kraft in Nationalismus und Antisemitismus mit katastrophalen Konsequenzen
umzusetzen versuchte. Das 1999 in deutscher Sprache erschienene Buch „Zen, Nationalismus und Krieg, eine unheimliche Allianz" von Brian Victoria macht es unmöglich zu übersehen, daß auch erleuchtete Meister in Extremsituationen Versuchungen erliegen und ihren blinden Fleck nicht
aufzuhellen vermögen!

[...]

CHRISTLICHE MYSTIK UND ZEN: Überwindung der Dualität

In der einen Wirklichkeit des Leibes Christi die gesamte Wirklichkeit zu erkennen und zu verwirklichen, das war für Pater Lassalle die Überwindung der Dualität, seine tiefste Sehnsucht, die „Perle", die er leidenschaftlich zu erlangen suchte. Wenn „Eucharistie" und „dritter Grad der Demut" in einem Satz genannt werden, dann ist für Pater Lassalle das jeweils eine die Erklärung und Voraussetzung des anderen. Das zweite darf hier nicht als ein Spezialausdruck ignatianischer Spiritualität verstanden werden, sondern als nichts anderes als gelebte Eucharistie: „Mit Christus bin ich gekreuzigt, nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir." Lebenslänglich versuchte Pater Lassalle, dieses Pauluswort zur
Selbstaussage werden zu lassen und Antwort zu geben auf die Forderung von Yamada-Roshi, die Christen selbst müßten herausfinden, was für sie die Erfahrung auf dem Zen-Weg, das gelebte Sartori, bedeutet. Die Vision eines „neuen Bewußtseins" taucht auf im Wort- und Wirkfeld dieses Paulus-Zitates, wo nach Pierre Teilhard de Chardin der kosmische, universelle und mystische Christus erscheint.

Nichts - Alles - Unendlich

Das ist auch Pater Lassalles Beitrag zur „Neuinterpretation des Christentums". Wer ist das interpretierende Subjekt, und wer oder was ist das interpretierte Objekt? Für ihn ist in dieser Frage die Dualität überwunden. Das Subjekt, das zuständig und autorisiert ist, diese Gottes- und Menschheitsfrage zu beantworten, kann niemand sein als Christus selbst. Und das Objekt, auf das diese Frage gerichtet ist, kann niemand anders sein als Christus selbst. Würde eine Neuinterpretation geschehen in einer Trennung von Subjekt und Objekt, dann würde das interpretierende Subjekt nur sich selbst interpretieren.

„Das biblische Verständnis von Schöpfung und Erlösung und Vollendung ist grundlegend dual, aber nicht dualistisch." Diese Klärung von Gotthard Fuchs (CiG Nr.30/2000, S.245) entspricht der Zen-Erfahrung. Die Wesensnatur, das absolute Nichts, verschlingt nicht die phänomenale Welt, sondern bedarf eines jeden Dinges, eines jeden Atoms, um sich „in der Fülle des Nichts" auszudrücken. Und das ist noch zu wenig gesagt. Die Wesensnatur und die Welt der Erscheinung ist eine einzige Wirklichkeit, nicht dualistisch getrennt, sondern differenziert in Einheit, „in dynamischer Identität" (Alfons Weiser). Eine Wesensbeziehung ist dual, in der sich immer tiefer - wie in einer Liebesbeziehung - die Einheit verwirklicht. Einheit in Unterschiedenheit ist das Wirklichkeitsverständnis der Trinität und damit der Wirklichkeit schlechthin.

Wenn wir in unseren Zen-Übungen den Tag beginnen und beschließen mit unserem „Grundgebet", finden sich Körper und Geist immer mehr im Einen, das der Gründer meiner Ordensgemeinschaft, der heilige Vinzenz Pallotti (1795-1850), so ausdrückte: „Nichts - Alles - Unendlich". Es wird von den
Erfahrenen in Ost und West bezeugt in Liebe und Erbarmen. Und so beginnen und beenden wir: „… und schließen alle Menschen ein: Im Namen des Vaters, der uns in unendlicher Liebe erschaffen hat, und des Sohnes, der uns in unendlicher Liebe erlöst hat, und des Heiligen Geistes, der uns in unendlicher Liebe heiligen und verherrlichen will in Ewigkeit."

Quelle

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