Naturalismus ist...

Säkularismus
Geistliches und Weltliches verbinden
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Naqual
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#71 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Naqual » Do 5. Jun 2014, 19:19

closs hat geschrieben: Allerdings: Wie Materie im Dasein Folge von Person sein soll, erschließt sich mir nicht.
Die dahinterstehende Denkweise wäre der Konstruktivismus.
(siehe z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/Konstrukti ... osophie%29 )
Diese steht dem Naturalismus sicher diametral entgegen. Nicht jedoch unbedingt religiösem theistischen Denken.
Gott hat die Realität erschaffen inklusive Materie (siehe Logos bei JohannesEv). Also Geist schafft Materie. Das ist zumindest beim Beginn astrein konstruktivistisch. Der Mensch, entstanden aus Materie, in die der Geist Gottes "hineingeblasen" wurde, hat damit selbst Geist. Aber begrenzt in allen Qualitäten, räumlich, zeitlich, von der Komplexität her usw. Der springende Punkt entsteht dann aber darin, ob Mensch in seiner Begrenzung nur über seine eigene Materie Materie schaffen oder beeinflussen kann, oder auch Kraft Geistes (theoretisch ohne seinen Körper) dies tut. Radikale Positionen würden hier die Materie als illusionäres Abbild von Geist werten (Beispiel wäre hier m.E. durchaus sogar die Philosophie der Advaita).
Konsequente naturalistische Positionen wären so ziemlich das Gegenteil: Geist ist Illusion von Materie, ein biologisches Begleitprodukt von Molekülbewegungen ohne wirkliche eigene Existenz.

Verblüffenderweise treffen sich diese anscheinend widersprechenden Ansätze wieder: Das Selbst ist beim radikalen Naturalisten eine Illusion, beim Advaitisten dann allerdings auch, den für letzteren ist die Materie Illusion und Individualität entsteht über die Begrenztheit der Materie ("Identifikation mit dem Körper"), und wenn der Geist aus dem Materiellen her schaut erkennt er nicht mehr das, hm, sagen wir mal das eine umfassende Bewusstsein ("Gott").

closs
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#72 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von closs » Do 5. Jun 2014, 19:31

Naqual hat geschrieben: wenn der Geist aus dem Materiellen her schaut erkennt er nicht mehr das, hm, sagen wir mal das eine umfassende Bewusstsein ("Gott").
So ist es. - Deshalb sind wir im Sinne dieses Forums immer noch ganz am Anfang - allerdings kommen wir langsam dahin, das zu erkennen - bereits das ist ein Fortschritt.

Setzt man Geist als Folge von Materie, kommt man zwangsweise zu anderen logischen (!) Schlüssen, als wenn man setzt, dass Materie Folge von Geist ist. Daran kranken die meisten der Diskussionen hier. - Vielleicht ein Vorschlag:

Wir machen das Rollenspiel des "Advokatus Diaboli": Jeder versucht im Sinne der jeweils anderen Setzung zu argumentieren. - Deshalb muss man dieser jeweils anderen Setzung ja nicht zustimmen - aber man durchdenkt und versteht sie, wenn man in ihrer Logik argumentiert.

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Andreas
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#73 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Andreas » Do 5. Jun 2014, 19:59

Naqual hat geschrieben:Gott hat die Realität erschaffen inklusive Materie (siehe Logos bei JohannesEv).
In der Genesis ist das nicht unbedingt so wiedergegeben. Vor der ersten Aktion Gottes "Es werde Licht" gab es zumindest die chaotische Urflut, die man auch als Urmaterie verstehen kann:
Luther hat geschrieben:Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.
Buber hat geschrieben:Die Erde aber war Irrsal und Wirrsal.
Finsternis über Urwirbels Antlitz.
Braus Gottes schwingend über dem Antlitz der Wasser.
Das spräche für eine Schöpfung aus den "Grundbausteinen" Geist UND Materie. Das ginge in Richtung ThomasMs Kompromissvorschlag.

closs hat geschrieben:Wir machen das Rollenspiel des "Advokatus Diaboli": Jeder versucht im Sinne der jeweils anderen Setzung zu argumentieren. - Deshalb muss man dieser jeweils anderen Setzung ja nicht zustimmen - aber man durchdenkt und versteht sie, wenn man in ihrer Logik argumentiert.
Am besten wir bilden gleich zwei Mannschaften. Als Kapitäne schlage ich Closs und Pluto vor. Die dürfen dann abwechselnd User aus dem Forum für die gegnerische Mannschaft anheuern. Die beiden kennen ja ihre Pappenheimer. ;)

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Naqual
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#74 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Naqual » Do 5. Jun 2014, 22:37

Andreas hat geschrieben:
Naqual hat geschrieben:Gott hat die Realität erschaffen inklusive Materie (siehe Logos bei JohannesEv).
In der Genesis ist das nicht unbedingt so wiedergegeben. Vor der ersten Aktion Gottes "Es werde Licht" gab es zumindest die chaotische Urflut, die man auch als Urmaterie verstehen kann.
Interessanter Gedanke. Stimmt da hatte ich nicht dran gedacht. :thumbup:
Allerdings ist die Bibelstelle nicht eindeutig diesbezüglich, man kann es auch anders interpretieren. So:
In Vers 1 schafft Gott Himmel und Erde. Dann erst wird das Wasser erwähnt (offen ob Geschaffenes oder Ewiges). In Vers 10 wird nun Erde definiert in Abgrenzung zu Wasser. Also Wasser ist das Gegenstück zu Erde bei der Schaffung der letzteren. Damit wäre Wasser geschaffen.
Oder man hat das Babylonische Weltbild vor Augen und eine ewig existente Ursuppe aus der heraus Gott nun die Welt schuf, quasi in diese Suppe hinein.
Aber selbst bei der "Ursuppen-Interpretation" ergibt sich natürlich keine Einschätzung aus der Sicht des Naturalismus, nach der dann Gott aus der Ursuppe hätten geschaffen werden müssen, bzw. er wäre eine geistige Funktion der Ursuppe und wenn diese weg wäre, gäbe es auch keinen Gott mehr. Denke, dieses Verständnis des Autors kann man mit großer Sicherheit ausschließen.

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Andreas
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#75 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Andreas » Fr 6. Jun 2014, 15:11

Naqual hat geschrieben:Allerdings ist die Bibelstelle nicht eindeutig diesbezüglich,
So ist das doch immer. Deswegen schrieb ich ja :
Andreas hat geschrieben:In der Genesis ist das nicht unbedingt so wiedergegeben.
Man kann den ersten Satz als Überschrift verstehen oder anders. Was denn Sinngehalt der Bibel angeht, spielt es in meinen Augen keine Rolle, ob sich die Schrift aus altorientalischen Traditionen entwickelt hat oder eigenständig entstanden ist, ob Mose die fünf Bücher persönlich verfasst hat oder ob sie im Exil nachbearbeitet wurden oder nicht.

Der sich ändernde Sinn ist für mich das spannende an der Sache und die Tatsache, dass dieser Sinn mit mir mitwächst, mich in meiner spirituellen Entwicklung begleitet und mir insofern mein täglich Brot ist. Dieser Tisch ist abwechslungsreich gedeckt. Wer will schon jeden Tag das Gleiche essen. Diese Sinntiefe ist nur durch eine gewisse Unschärfe vermittelbar. Ich bin dankbar ein Buch in Händen zu halten, dass ich niemals auslesen werde.

Ehrlich gesagt erscheint mir die Frage nach dem Anfang eher belanglos. In diesem Zusammenhang verstehe ich "Gott" ebenso wie "Urknall" einfach nur als Grenzen unserer Wahrnehmungs- und Denkmöglichkeiten, und sinnvoll um nicht in den unendlichen Regress zu kommen. Was war vor dem Urknall? Was war vor Gott? Egal was man diesbezüglich glaubt oder nicht glaubt, weiß oder nicht weiß. Beides lehrt uns eine gewisse Demut oder Bescheidenheit im Denken und schützt uns vor dem Größenwahn. Es gibt Geist und es gibt Materie. Insofern finde ich den Ansatz von ThomasM eine nachdenkenswerte Alternative.

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#76 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Andreas » Fr 6. Jun 2014, 15:26

Naqual hat geschrieben:Aber selbst bei der "Ursuppen-Interpretation" ergibt sich natürlich keine Einschätzung aus der Sicht des Naturalismus, nach der dann Gott aus der Ursuppe hätten geschaffen werden müssen, bzw. er wäre eine geistige Funktion der Ursuppe und wenn diese weg wäre, gäbe es auch keinen Gott mehr. Denke, dieses Verständnis des Autors kann man mit großer Sicherheit ausschließen.
Gottes Geist schwebte über der Ursuppe. Was immer das bedeuten mag. Es ist überheblich wenn man meint Gott oder der Natur beim Mischen und Verteilen der Karten zusehen zu können. Den Anfang von Allem und den der Zeit werden wir wohl nie ergründen können.

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#77 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Demian » So 8. Jun 2014, 23:52

Naqual hat geschrieben:Radikale Positionen würden hier die Materie als illusionäres Abbild von Geist werten (Beispiel wäre hier m.E. durchaus sogar die Philosophie der Advaita).

Diese Position gibt es, aber sie sind - in meinen Augen - kein reines Advaita (beziehungsweise keine richtige Übersetzung). Der vollständige Satz ist eigentlich: „Die Welt ist Illusion, nur Brahman ist Wirklich, die Welt ist Brahman“. Oft wird lediglich einseitig gesagt „die Welt ist Schein“. Das ist (aus einer sehr intensiven Gotteserfahrung heraus) zweifellos verständlich. Denn dieser Eindruck kann für eine Weile entstehen. Aber konsequent weiter gedacht folgt dem dann eine Wahrnehmung der Welt von einem höheren Standpunkt aus. Vom Standpunkt der Einheit her gesehen, verstehen wir, dass die Welt keine Illusion, sondern eine bewusste Manifestation dieses einen, absoluten Ganzen ist. Das ist ihre Schönheit und Würde. Sie ist im Kern also „edel“, wie auch der Mensch an sich, wenn er wirklich ganz und gar Mensch ist, ein edler Mensch ist. Advaita ist also Offenlegung und Freisetzung des Edlen, das im Wesen von allem immer da ist. „Der Mensch sei edel, hilfreich und gut“ :)

Verblüffenderweise treffen sich diese anscheinend widersprechenden Ansätze wieder: Das Selbst ist beim radikalen Naturalisten eine Illusion, beim Advaitisten dann allerdings auch, den für letzteren ist die Materie Illusion und Individualität entsteht über die Begrenztheit der Materie ("Identifikation mit dem Körper"), und wenn der Geist aus dem Materiellen her schaut erkennt er nicht mehr das, hm, sagen wir mal das eine umfassende Bewusstsein ("Gott").

Auch dem würde ich – als christlicher Advaitist – teilweise widersprechen. Individualität ist ganz offenbar ein existierendes Phänomen. Aber das, woraus diese Individualität zutiefst gemacht ist, woraus sie hervor tönt, was sie belebt, ist eben das eine Sein und es gibt kein anderes. Es ist lediglich eine Illusion, dass die Individualität getrennt vom Ganzen existieren könnte. Wenn im Advaita die Rede von der Ichlosigkeit ist, von Maya (dem Schein), dann ist das immer mit Vorsicht zu genießen. Wenn der Aspekt von Maya betont wird – und Maya einseitig negativ ausgelegt wird, was keineswegs im östlichen Denken grundsätzlich der Fall ist, denn etwa im Tantra wird Maya als kreative Kraft Gottes (Prakriti) durchaus positiv beschrieben – dann um die Scheinhaftigkeit hervor zu heben, dass es ein separates und isoliertes Ich geben könnte. Das ist die Illusion - die Individualität gibt es aber de facto trotzdem. Wenn man den Sprung ins Wasser wagen will: man könnte den „Willen Gottes zu tun“ gleichsetzen mit der vollkommenen Entfaltung der Individualität, die erst in Beziehung (in liebevoller Intimität) zum Ganzen oder Einen möglich wird, wie ja auch zwei Liebende sich nur in dem Maße miteinander verstehen, verbinden und in einem bewussten Gleichklang sind, in dem sie Einssein realisieren. Im Grunde entdecken sie aber nicht nur ihre Zweisame-Einheit, sondern die Einheit an sich und als alles. Gerade in der Liebe ist die Individualität ein Ausdruck von etwas Höherem - "dem umfassenden Bewusstsein".

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#78 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von glaubender101 » Do 12. Jun 2014, 07:26

Ich habe einen ganzen Podcast zum Thema Naturalismus gemacht, , wer vieleicht Zeit oder Lust oder einfach nur Langeweile hat kann ihn ja auf seinen Mp3 player schaufeln und ihn anhören.Noch cooler wäre es wenn man darüber per Skype oder auch hier im Forum diskutieren könnte.

http://skeptizismus.podcaster.de/skeptizismus/folge2/

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#79 Re: Naturalismus ist...

Beitrag von Pluto » Do 12. Jun 2014, 09:25

glaubender101 hat geschrieben:Ich habe einen ganzen Podcast zum Thema Naturalismus gemacht, , wer vieleicht Zeit oder Lust oder einfach nur Langeweile hat kann ihn ja auf seinen Mp3 player schaufeln und ihn anhören.Noch cooler wäre es wenn man darüber per Skype oder auch hier im Forum diskutieren könnte.

http://skeptizismus.podcaster.de/skeptizismus/folge2/
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Der Naturalist sagt nichts Abschließendes darüber, was in der Welt ist.

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